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Albrecht von Johansdorf
(auch Albertus de Janestorf, Albert von Jahenstorf oder Der von Johansdorf)
*vor 1180; † nach 1209.

Niederbayer, Ministeriale des Passauer Bischofs, urkundlich zuerst um 1180/1185,
zuletzt zum Jahre 1209 bezeugt. Das genaue Todesdatum unbekannt.

Er ist vor allem für seine Kreuzzugslyrik bekannt.
In seiner Minnedichtung spielt der Kreuzzug eine wichtige Rolle,
fünf seiner dreizehn überlieferten Gedichte sind Kreuzzugslieder.

 


Kreuzlied I.
 

 
1.
Mîn êrste liebe, der ich ie began,
diu selbe muoz an mir diu liebeste sîn.
an fröiden ich des dicke schaden hân,
iedoch sô râtet mir daz herze mîn.
sold ich minnen mêre danne eine,
daz enwáer mír niht guot,
sône minnet ich deheine.
seht, wie maneger ez doch tuot!

2.
Ich wil ir râten bî der sêle mîn,
durch deheine liebe niht wan durch daz reht:
waz moht ir an ir tugenden bezzer sîn,
danne óbe si ir úmberede lieze sleht,
taet an mir einvalteclîche,
als ich ir einvaltec bin.
an fröiden werde ich niemer rîche,
ez enwaere ir der beste sin.

3.
Ich wânde, daz mîn kûme waere erbiten.
dar ûf hât ich gedingen manege zît.
nu hât mich gar ir friundes gruoz vermiten.
mîn bester trôst der waene dâ nider gelît.
ich muoz alse wîlen flêhen
und noch harter, hulf ez iht.
herre, wan ist daz mîn lêhen,
daz mir niemer leit geschiht?

4.
Ich hân dur got daz crûce an mich genomen
und var dâ hin durch mîne missetât.
nu helfe er mir, ob ich her wider kome,
ein wîp diu grôzen kumber von mir hât
daz ich si vinde an ir êren:
sô wert er mich der bete gar.
sül aber si ir leben verkêren,
sô gebe got daz ich vervar.

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1.
Meine erste Liebe, die ich jemals einging,
dieselbe soll mir auch die liebste bleiben.
An Glück geht mir dadurch oftmals viel verloren,
aber dennoch gibt mein Herz mir diesen Ratschlag.
Sollte ich mehr als eine lieben,
das wäre nicht gut für mich,
denn dann liebte ich keine.
Ach, wie viele tun dies trotzdem!

2.
Ich will ihr bei meiner Seele raten,
aber nicht der Liebe, nur des Rechtes wegen.
Was könnte ihr bei ihrer Vollkommenheit mehr geziemen,
als ihre falsche Nachrede zu unterlassen
und aufrichtig an mir zu handeln,
so wie ich zu ihr aufrichtig bin.
An Freuden werde ich niemals reich,
wenn sie dies nicht für die beste Lösung ansähe.

3.
Ich hatte geglaubt, daß mein Schmerz ausgelitten sei.
Darauf hatte ich lange Zeit meine Hoffnung gesetzt.
Bis jetzt hat mich ihr Freundesgruß völlig außer acht gelassen.
Meine größte Hoffnung, so glaube ich, liegt am Boden.
Ich muß so wie einst wieder flehen
und sogar noch mehr, wenn es nur etwas hülfe.
Herr, warum ist mein Leben nicht so,
daß mir kein Leid mehr widerfährt?

4.
Ich habe mir für Gott das Kreuz angeheftet
und ziehe aus wegen meiner Sünden.
Nun möge er mir helfen, wenn ich zurückkehre,
daß ich die Frau, die großen Schmerz durch mich erleidet,
wieder in ihrem alten Ansehen vorfinde.
Dann erfüllt er mir meine Bitte ganz.
Sollte sie jedoch ihr Leben zum Falschen wenden,
dann gebe Gott, daß ich nicht zurückkehre.

~0~0~0~0~

 


Kreuzlied II.
 

 
1.
Mich mac der tôt von ir minnen wol scheiden,
anders nieman, des hân ich gesworn.
ern ist mîn friunt niht, der mir si wil leiden,
wand îch ze einer fröide sî hân erkorn.
swenne ich von schulden erarn iren zorn,
sô bin ich verfluochet vor gote alse ein heiden.
si ist wol gemuot und ist vil wol geborn.
heiliger got, wis gnaedic uns beiden!

2.
Dô diu wolgetâne gesach daz crûze an mînem kleide,
dô sprach diu guote, dô ich von ir gie:
»wie wiltu nû geleísten diu beide,
varn über mer und iedoch wesen hie?«
Sî sprach, wie ich wolde gebârn umbe sie
<...........................................................
...........................................................>
ê was mir wê, dô geschach mir nie sô leide.

3.
Nu mîn herzefrouwe, nu entrûre niht sô sêre.
daz wil ich iemer zeinem liebe haben:
wir suln varn dur des rîchen gotes êre
gern ze helfe dem viel heiligen grabe.
swer dâ bestrûchet, der mac vil wol besnaben,
dâne niemen ze sêre gevalle.
daz meine ich sô: die sêlen werden frô,
sô si ze himele kêren mit schallen.

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1.
Mich vermag der Tod von ihrer Liebe zu trennen,
sonst niemand, das habe ich geschworen.
Der ist mein Freund nicht, der sie bei mir schlechtmachen will,
denn ich habe sie mir zu meiner Freude gewählt.
Wenn ich mit Grund ihre Empörung errege,
dann bin ich vor Gott wie ein Heide verflucht.
Sie ist hochgemut und edel geboren.
Heiliger Gott, sei uns beiden gnädig!

2.
Als die Schöne das Kreuz auf meinem Kleide erblickte,
da sagte die Edle, bevor ich von ihr aufbrach:
»Wie willst du nun beides erfüllen,
übers Meer ziehen und dennoch hier bleiben?«
Sie fragte, wie ich mich ihr gegenüber verhalten wollte.
<...........................................................
...........................................................>
Früher war mir schon schmerzlich zumute, aber da erlitt ich nie ein solches Leid.

3.
Nun, meine Geliebte, nun sei nicht so traurig.
Das will ich immer als meine Freude ansehen:
wir sollen zu des mächtigen Gottes Ehre dahinziehen,
freudig, dem heiligen Grabe zu Hilfe.
Wer dort strauchelt, der kann ruhig fallen,
wo niemand wirklich stürzen kann.
Das meine ich so: die Seelen werden froh,
wenn sie unter Jubel in den Himmel zurückkehren.

~0~0~0~0~

 

Kreuzlied III.
 

 
1.
Die hinnen varnt, die sagent dur got,
daz Ierusalem der reinen stat und ouch dem lande
helfe noch nie noeter wart.
diu klage wirt der tumben spot.
die sprechent alle: »waer ez unserm herren ande,
er raeche ez ân ir aller vart.«
nu mugent si denken, daz er leit den grimmen tôt!
der grôzen marter was im ouch vil gar unnôt,
wan daz in erbarmet unser val.
swen nû sîn criuze und sîn grap niht wil erbarmen,
daz sint von ime die saelden armen.

2.
Nu waz gelouben wil der hân,
und wer sol im ze helfe komen an sînem ende,
der gote wol hulfe und tuot es niht?
als ich mich versinnen kan,
ez ensî vil gar ein êhaft nôt, diu in des wende,
ich waene, er ez übel übersiht.
nu lât daz grap und ouch daz criuze geruowet ligen!
die heiden wellent einer rede an uns gesigen,
daz gotes muoter niht sî ein maget.
swem disiu rede niht nâhe an sîn herze vellet,
owê, war hât sich der gesellet?

3.
Mich habent die sorge ûf daz brâht,
daz ich vil gerne kranken muot von mir vertrîbe.
des was mîn herze her niht frî.
ich gedenke alsô vil manige naht:
»waz sol ich wider got nu tuon, ob ich belîbe,
daz er mir genaedic sî?«
sô weiz ich niht vil grôze schulde; die ich habe,
niuwan éinè der kume ich niemer abe.
alle sünde liez ich wol wan die: ich
minne ein wîp vor al der welte in mînem muote.
got herre, daz vervâch ze guote!

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1.
Die von hinnen ziehen, behaupten bei Gott,
daß der heiligen Stadt und dem Reich Jerusalem
Hilfe nie dringlicher war.
Diese Klage schlagen die Toren in den Wind.
Die sagen alle: »Wäre es für unseren Herrgott eine Kränkung,
dann würde er es auch ohne ihre Kreuzfahrt rächen.«
Nun sollen sie doch daran denken, daß er den bitteren Tod erlitt.
Diese große Qual brauchte er nicht auf sich zu nehmen,
aber er erbarmte sich über unsere Verlorenheit.
Wer nun mit seinem Kreuz und seinem Grab kein Erbarmen haben will,
dem schenkt er auch nicht das himmlische Glück.

2.
Was für einen Glauben kann der haben
und wer wird dem an seinem Lebensende zu Hilfe kommen,
der Gott helfen könnte und es nicht tut?
Es sei denn eine zwingende rechtliche Verpflichtung hält ihn ab,
so halte ich es, wenn ich mich recht darauf verstehe,
für verwerflich, solche Aufgabe zu übersehen.
Doch schweigen wir vom Grab und auch vom Kreuz.
Die Heiden wollen uns auch noch mit der anderen Behauptung erledigen,
daß die Gottesmutter keine Jungfrau gewesen sei.
Wem dieser Anwurf nicht tief zu Herzen geht,
ach, in wessen Gesellschaft hat sich der begeben?

3.
Mich haben diese Bedrohungen dahin gebracht,
daß es mich drängt, meine Schwäche zu überwinden.
Davor war mein Herz bisher nicht frei.
Gar manche Nacht denke ich:
»Was kann ich, falls ich falle, vor Gott jetzt tun,
damit er mir gnädig sei?«
Dann komme ich aber nicht auf viele Sünden, die mich belasten,
außer einer, von der ich jedoch niemals loskommen werde.
Alle Sünden könnte ich bequem unterlassen bis auf diese eine:
über alles andere in der Welt liebe ich von Herzen eine Frau.
Gott, mein Herr, rechne mir das zum Guten an!

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Quelle:
©Fischer TB Verlag 2004/Minnesang/Herausgegeben, übersetzt von©Helmut Brackert

 

Wie sich minne hebt, daz weiz ich wol
 
Wie Liebe beginnt, das weiß ich gut
 
1.
Wie sich minne hebt, daz weiz ich wol;
wie si ende nimt des weiz ich niht.
ist daz ich es inne werden sol,
wie dem herzen herzeliep geschiht,
sô bewar mich vor dem scheiden got,
daz waen bitter ist.
disen kumber vürhte ich âne spot.

2.
Swâ zwei herzeliep gevriundent sich,
und ir beider minne ein triuwe wirt,
die sol niemen scheiden, dunket mich,
al die wîle unz sî der tôt verbirt.
waer diu rede mîn, ich taete alsô:
verliure ich mînen friunt,
seht, sô wurde ich niemer mêre vrô.

3.
Dâ gehoeret manic stunde zuo,
ê daz sich gesamne ir zweier muot.
dâ daz ende unsanfte tuo,
ich waene wol, daz sî niht guot.
Lange sî ez mir unbekant.
und werde ich iemen liep,
der sî sîner triuwe an mir gemant.

4.
'Der ich diene und iemer dienen wil,
diu sol mîne rede vil wol verstân.
spraeche ich mêre, des wurde alze vil.
ich wil ez allez an ir güete lân.
Ir genâden der bedarf ich wol.
und wil si, ich bin vrô;
und wil si, so ist mîn herze leides vol.'

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1.
Wie Liebe beginnt, das weiß ich gut,
aber wie sie aufhört, weiß ich nicht.
Sollte ich es erfahren,
wie dem Herzen wahre Liebe zuteil wird,
dann bewahre Gott mich vor der Trennung,
die sicher bitter ist.
Diesen Schmerz fürchte ich ernstlich.

2.
Wo immer zwei sich befreunden, die einander herzlich lieben,
und wo ihrer beider Liebe zu einer Treue wird,
soll sie niemand, meine ich, trennen,
solange sie der Tod verschont.
Wenn ich in solch einer Lage wäre, handelte ich so:
Wenn ich den Freund verlöre,
glaubt mir, ich würde nie mehr froh.

3.
Es braucht so manche Zeit,
bis ihr beider Sinn sich einig wird.
Da das Ende schmerzlich sein soll,
glaube ich wohl, daß es nicht gut ist.
Lange bleibe es mir unbekannt!
Und wenn mich jemand liebgewinnt,
den mahne ich, mir treu zu sein.

4.
'Die, der ich diene und immer dienen will,
soll meine Worte richtig verstehen.
Sagte ich mehr, dann wäre es schon zuviel.
Ich will alles ihrem lieben Wesen überlassen.
Auf ihr Entgegenkommen bin ich angewiesen.
Und wenn sie will, dann bin ich froh,
und wenn sie will, dann ist mein Herz voller Leid.'

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Ich vant si âne huote
 
Ich fand sie ohne Aufsicht
 
1.
Ich vant si âne huote
die vil minneclîche eine stân.
jâ, dô sprach diu guote:
»waz welt ir sô eine her gegân?«
'Vrowe, ez ist alsô geschehen.'
»sagent, war umbe sint ir her? des sult ir mir verjehen.«

2.
'Minen senden kumber
klage ich, liebe vrowe mîn.'
»wê, waz sagent ir tumber?
ir mugent iuwer klage wol lâzen sîn.«
'Vrowe, ich enmac ir niht enbern.'
»sô wil ich in tûsent jâren niemer iuch gewern.«

3.
'Neinâ, küniginne!
daz mîn dienst sô iht sî verlorn!'
»ir sint âne sinne,
daz ir bringent mich in selhen zorn.«
'Vrowe, iuwer haz tuot mir den tôt.'
»wer hât iuch, vil lieber man, betwungen ûf die nôt?«

4.
'Daz hât iuwer schoene,
die ir hânt, vil minneclîchez wîp.'
»iuwer süezen doene
wolten krenken mînen staeten lîp.«
'Vrowe, niene welle goz.'
»wert ich iuch, des hetet ir êre; sô waer mîn der spot.«

5.
'Sô lânt mich noch geniezen,
daz ich iu von herzen ie was holt.'
»iuch mac wol verdriezen,
daz  ir iuwer wortel gegen mir bolt.«
'Dunket iuch mîn rede niht guot?'
»jâ si hât beswaeret dicke mînen staeten muot.«

6.
'Ich bin ouch vil staete,
ob ir ruochent mir der wârheit jehen.'
»volgent mîner raete,
lânt die bete, diu niemer mac beschehen.«
'Sol ich alsô sîn gewert?'
»got der wer iuch anderswâ, des ir an mich dâ gert.«

7.
'Sol mich dan mîn singen
und mîn dienst gegen iu niht vervân?'
»iu sol wol gelingen,
âne lôn sô sult ir niht bestân.«
'Wie meinent ir daz, vrowe guot?'
»daz ir dest werdet sint unde dâ bî hôchgemuot.«

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1.
Ich fand sie ohne Aufsicht,
die Süße, ganz allein.
Ja wirklich, da sagte die Liebe:
»Was führt Euch so allein hierher?«
'Herrin, es ist halt so gekommen.'
»Sagt, warum seid Ihr hier? Gesteht es mir.«

2.
'Meinen Liebeskummer
will ich klagen, meine liebe Herrin.'
»Weh, was sagt Ihr da, Ihr Narr?
Ihr solltet Euer Klagen besser lassen.«
'Herrin, ich kann es aber nicht.'
»Dann will ich Euch auch in tausend Jahren nicht erhören.«

3.
'Nein doch, Königin!
Daß mein Dienst so vergeblich sein soll!'
»Ihr habt den Verstand verloren,
daß Ihr mich so erzürnt.«
'Herrin, wenn Ihr mich nicht mögt, das ist mein Tod.'
»Wer hat Euch, liebster Mann, in diese Bedrängnis gebracht?«

4.
'Eure Schönheit,
allerliebste Frau.'
»Eure Schmeicheleien
sollten mich wohl in meiner Tugend erschüttern.«
'Herrin, das verhüte Gott!'
»Wenn ich Euch erhörte, hättet Ihr die Ehre, ich aber die Schande.«

5.
'So laßt es mir trotzdem zugute kommen,
daß ich Euch stets von Herzen ergeben war.'
»Es wird Euch eher Verdruß bringen,
daß Ihr mich mit so ausgesuchten Worten bekriegt.«
'Findet Ihr meine Rede nicht gut?'
»Sie hat mich ja in meiner Standhaftigkeit oft bedrängt.«

6.
'Auch ich bin sehr treu,
wenn Ihr mir die Wahrheit gnädigst zugesteht.'
»Wenn Ihr meinem Rat folgen wollt,
dann laßt diese Bitte, die niemals erfüllt werden kann.«
'Soll das etwa mein Lohn sein?'
»Gott gewähre Euch anderswo, was Ihr von mir begehrt.»

7.
'Soll mir denn mein Singen
und mein Dienst bei Euch nichts nützen?'
»Es wird Euch schon etwas einbringen,
ohne Lohn werdet Ihr nicht bleiben.«
'Wie meint Ihr das, liebe Herrin?'
»Daß Ihr um so mehr an Wert gewinnt und dabei frohgestimmt seid.«

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Quelle:
©Reclam 1990/Frauenlieder/Übersetzt und herausgegeben von ©Ingrid Kasten

 

Swaz ich nû gesinge
 
Was ich jetzt auch singe
 
1.
Swaz ich nû gesinge,
daz ist allez umbe niht; mir weiz sîn niemen danc.
ez wiget allez ringe,
dar ich hân gedienet, dâ ist mîn lôn vil kranc.
Ez ist hiure an gnâden unnaeher danne vert
und wirt über ein jâr vil lîhte kleines lônes wert.

2.
Wie der einez taete,
des vrâge ich, ob ez mit vuoge muge geschehen,
waer ez niht unstaete,
der zwein wîben wolte sich vür eigen geben,
beidiu tougenlîche? sprechent, herre, wurre ez iht?
»wan solz den man erlouben unde den vrouwen niht.«

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1.
Was ich jetzt auch singe,
das ist alles für nichts: niemand weiß mir Dank dafür.
Es wiegt alles gering,
denn wo ich gedient habe, da ist mein Lohn sehr klein.
Es gibt in diesem Jahr weniger Gnade als im letzten Jahr
und wird in einem Jahr vielleicht nur noch ganz kleinen Lohn wert sein.

2.
Danach frage ich: Wie der sich verhielte,
der, sofern es mit Anstand geschehen könnte
und sofern es nicht Unbeständigkeit zeigte,
zwei Frauen sich zu eigen geben würde,
und zwar beiden heimlich? Sagt, Herr, wäre das sehr schlimm?
»Man soll es den Männern erlauben, aber nicht den Frauen.«

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Quelle:
©Reclam 1993 Deutsche Gedichte des Mittelalters/Ausgewählt, übersetzt und erläutert von ©UlrichMüller/©Gerlinde Weiss

 

Guote liute
 
Liebe Leute
 
1.
Guote liute, holt
die gâbe,die got unsere herre, selbe gît,
der aller dinge hât gewalt.
verdienent sînen solt,
der den sældehaften dort behalten lît
mit fröiden iemer manecvalt.
lîdent eine wîle willeclîche nôt
vür den iemermêre wernden tôt.
got hât iu beide sêle und lîp gegeben.
gebt im des lîbes tôt, daz wirt der sêle dort ein iemer leben.

2.
Minne, lâ mich frî!
du solt mich eine wîle sunder liebe lân.
du hâst mir gar den sin benomen.
kumst du wider bî,
swenne ich die reinen gotes vart volendet hân,
sô wis mir aber willekomen.
wilt aber dû ûz mînem herzen scheiden niht,
- daz vil lîhte unwendic doch beschiht -,
vüere ich dich danne mit mir in gotes lant.
sô sî er der guoten dort umb halben lôn gemant.

3.
»Owê«, sprach ein wîp,
»waz mir doch von liebe leides ist beschert!
waz mir diu liebe leides tuot!
fröidelôser lîp,
wie wilt du nû gebâren, swenne er hinnen vert,
dur den du wære ie hôchgemuot?
wie sol ich der werlte und mîner klage geleben?
dâ bedorfte ich râtes zuo gegeben.
kunt ich mich beidenthalben nû bewarn,
des wart mir nie sô nôt. ez nâhet, er wil hinnen varn.«

4.
Wol si, sælic wîp,
die mir ir wîbes güete daz gemachen kan,
daz man si vüeret über sê.
ir vil guoten lîp
den sol er loben, swer ie herzeliep gewan,
want ir heime tuot alsô wê,
swenne sî gedenket an sîne nôt.
'lebt mîn herzeliep od ist er tôt'
sprichet sî, »sô müeze sîn pflegen,
dur den sîn süezer lîp sich dirre werlte hât bewegen.«

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1.
Liebe Leute, erwerbt
die Gabe, die Gott, unser Herr, selbst vergibt,
der über alles herrscht.
Verdient (euch) seinen Lohn,
der den Glückhaften dort bereit liegt
mit so vielen Freuden.
Erleidet eine Zeitlang bereitwillig Beschwernisse
zur Abwendung des ewig währenden Todes.
Gott hat euch beides, Seele und Leib gegeben.
Riskiert den irdischen Tod; das wird der Seele ein ewiges Leben bescheren.

2.
Minne, laß mich frei!
Du sollst mich eine Zeitlang ohne Freude sein lassen.
Du hast mir vollkommen den Verstand geraubt.
Kommst du wieder (zu mir) zurück,
wenn ich die herrliche Kreuzfahrt abgeschlossen habe,
so sei mir dann (herzlich) willkommen.
Willst du aber nicht aus meinem Herzen gehen,
- was wahrscheinlich doch geschieht -,
nähme ich dich dann mit mir ins Heilige Land,
so sei der halbe Lohn Gottes für die Kreuzfahrt der Geliebten zugerechnet.

3.
»Ach und Weh«, sprach eine Frau,
»was mir doch die Liebe Leid beschert!
Was mir die Liebe Schmerzen zufügt!
Freudloses Ich,
wie willst du dich nun verhalten, wenn er fort fährt,
der dich immer in so freudige Stimmung versetzt hat?
Wie soll ich mit der Gesellschaft und mit meiner Klage leben?
Dazu bedürfte ich eines guten Ratschlags.
Könnte ich doch mich von beidem fernhalten.
Nie war mein Kummer so groß. Es naht der Tag, er geht auf (Kreuz-)fahrt.«

4.
Wohl ihr, der herrlichen Frau,
die mit ihrer weiblichen Güte bewirken kann,
daß man sie mit über See führt.
Ihr außerordentliches Wesen
soll loben, wer immer eine Geliebte gewann,
denn zu Hause tut es ihr so weh,
wenn sie an seine (fernen) Beschwernisse denkt.
'Lebt mein Herzallerliebster - oder wenn er tot ist',
spricht sie, »muß der ihm anbefohlen sein,
um dessentwillen sein wunderbarer Leib auf diese Welt verzichtet hat.«

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Ich wil gesehen, die ich von kinde
 
Ich will die sehen, die ich von Kindheit an
 
1.
Ich wil gesehen, die ich von kinde
her geminnet hân für elliu wîp.
und ist, daz ich genâde finde,
sô gesach ich nie sô guoten lîp.
obe aber ich ir wære
vil gar unmære,
sô ist si doch, diu tugende nie verlie.
fröide und sumer ist noch allez hie!

2.
Ich hân alsô her gerungen,
daz vil trûreclîche stuont mîn leben.
dicke hân ich »wê« gesungen,
dem will ich vil schiere ein ende geben.
»wol mich«, singe ich gerne,
swenne ichz gelerne.
des ist zît, wan ich gesanc sô nie.
fröide unde sumer ist noch allez hie!

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1.
Ich will die sehen, die ich von Kindheit an
geliebt habe vor allen anderen Frauen.
Und geschiet es, daß ich erhört werde,
wäre ich nie einer so liebenswürdigen Frau begegnet.
Wenn ich ihr aber
völlig gleichgültig wäre,
bleibt sie doch (für mich) die ständig Tugendhafte.
Freude und Sommer sind noch immer da!

2.
Ich habe bisher mich so abgequält,
daß mein Leben ungemein traurig verlief.
Oft habe ich »Weh mir« gesungen,
das soll nun schnellstens vorbei sein.
»Wohl mir«, will ich mit Freuden singen,
wann immer ich es noch lerne.
Zeit dazu ist es, denn ich habe es bisher versäumt!
Freude und Sommer sind noch immer da!

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Quelle:
©Marix/ Deutsche Lyrik des Mittelalters/2005/Herausgegeben und kommentiert.©Manfred Stange

 

Ich unde ein wîp
 
Ich und eine Frau
 
1.
Ich unde ein wîp, wir haben gestriten
nu vil mange zît.
ich hân vil leides von ir zorne erliten.
noch heldet si den strît.
nu wænet si dur daz ich var
daz ich si lâze frî.
got vor der helle niemer mich bewar,
ob daz mîn wille sî.
swie vil daz mer und ouch die starken ünde toben,
ichn will si niemer tac verloben.
der donreslege möhte ab lîhte sîn
dâ si mich dur lieze.
nu sprechet wes si wider mich genieze.
si kumt mir niemer tac ûz den gedanken mîn.

2.
Ob ich si iemer mêre gesehe,
desn weiz ich niht für wâr.
dâ bî geloube mir, swes ich ir jehe,
ez gêt von herzen gar.
ich minne si vür alliu wîp
und swer ir des bî gote.
alle mîne sinne und ouch der lîp
daz stêt in ir gebote.
in erwache niemer ez ensî mîn êrste segen
daz got ir êren müeze pflegen
und lâze ir lîp mit lobe hie gestên.
dar nâch êweclîche
du gip ir, herre, vröide in dîme rîche,
daz ir geschehe alsô, als müeze ouch mir ergên.

 
1.
Ich und eine Frau, wir haben
nun lange Zeit gestritten.
Ich habe viel an Leid durch ihren Zorn erfahren;
noch führt den Streit sie fort.
Nun hofft sie, wegen meiner Fahrt,
daß ich sie freilasse.
Gott soll mich von der Hölle nicht erretten,
wenn das mein Wille ist.
Wie sehr das Meer und seine starken Fluten toben,
ich will sie keinen einzigen Tag aufgeben.
Doch dürften da leicht Donnerschläge sein,
durch die sie mich verließe.
Nun sagt, was sie damit an mir erreicht?
Sie kommt mir keinen Tag aus meinen Gedanken.

2.
Ob ich sie jemals wiedersehe,
das weiß ich wahrlich nicht.
Darum glaube sie mir: was immer ich gestehe,
es kommt ganz von Herzen.
Ich liebe sie vor allen Frauen
und schwöre ihr es zu bei Gott.
Mein ganzer Sinn und mein Leben
steht in ihrem Gebot.
Ich wache niemals auf, daß nicht mein erster Segenswunsch sei,
Gott möge für ihr Lob sorgen
und lasse sie in Ehren hier bestehn.
Darauf in Ewigkeit
gib ihr du, Herr, Freude in deinem Reich,
daß ihr so geschehe, wie es auch mir ergehen möge.

 

Quelle:
©Manesse Bibliothek der Weltliteratur/Auswahl und Übersetzung von ©Max Wehrli