Fabelverzeichnis

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Avianus
 

Avianus, kurz Avian, war ein römischer Dichter, der griechische Fabeln in lateinischen
elegischen Distichen nachdichtete. Er lebte um 400 n. Chr.

Erhalten ist ein geschlossenes Werk von 42 Fabeln, die stofflich überwiegend auf die
griechische Sammlung des Babrios zurückgehen.
Die von Äsop inspirierten fabulae Aviani poetae erlangten im Mittelalter große Popularität
als Schulbuch für den elementaren Lateinunterricht und für das Grammatik- und
Rhetorikstudium im Rahmen der Artes liberales.

 
Quelle:

Römische Fabeldichter
metrisch übersetzt von/Dr. H. Kerler/Oberpräzeptor in Urach/Drittes Bändchen /Stuttgart 1838

 


Fabeln 1
 

Die Bäuerin und der Wolf
Der Adler und die Schildkröte
Der alte und der junge Krebs
Der Nordwind und die Sonne
Der Bauer und der Esel
Der Frosch und der Fuchs
Der Hund
Das Kamel
Der Wanderer
Der Reiter
Der eherne und der tönerne Topf
Der Bauer, welcher einen Schatz...
Der Stier und der Bock
Die Äffin und Jupiter
Der Kranich und der Pfau
Die Eiche und das Schilfrohr
Der Jäger und der Tiger
Die Stiere und der Löwe
Die Tanne und der Dornstrauch
Der Fischer und der Fisch
Der Bauer und der Vogel

Die Bäuerin und der Wolf

Einstmals hatte die Bäuerin bedroht ihr weinendes Knäblein.
Schweigst du nicht, siehe so kommt, dich zu verzehren, der Wolf.
Solcherlei Reden vernahm leichtgläubig der Wolf, und er harrte
Wachend am Tor: doch er trug eitlen Wunsch in der Brust.
Denn bald legte das Kind die ermüdeten Glieder zur Ruhe.
Längerem harren entzog Hunger den Räuber sofort.
Endlich kehrt er, vom Hunger erschöpft, zum Dunkel des Waldes
Wieder zurück, da begann also die Wölfin, sein Weib:
Bringest du nicht, wie sonst, auch diesmal Beute nach Hause?
Siehe, wie ist doch entstellt und wie so matt dein Gesicht!
Wundre dich nicht, sprach jener: ich barg kaum leer auf der Flucht mich;
Bösliche Täuschung war's, welche mich also betrog.
Sprich, wie konnte mich Beute, wie mich noch Hoffnung erfreuen,
Während der Amme Gezänk also mich schnöde betrog.

[Dem sei dieses gesagt, der glaub', ihm gelte die Fabel,
Welcher auf Weiberschwur bauen zu dürfen vermeint.]

Der Adler und die Schildkröte

Zu den gefiederten Vögeln begann Schildkröte zu sprechen:
Wenn doch Einer sie trüg' über den Boden empor,
Plötzlich würde sie Schnecken ihm holen vom rötlichen Sande;
Perlen mit prächtigem Glanz sollten ihm werden zum Lohn;
Grollend sich selbst, weil langsamen Schritts umsonst sie sich mühte,
Während den ganzen Tag nimmer sie käme zum Ziel.
Als sie den Adler nun auch mit falschem Versprechen erfüllte,
Wurde mit gleichem Betrug ihr für die Lüge gelohnt.
Während sie strebt zu den Sternen mit trügerisch erhandelten Schwingen,
Fiel von des Adlers Klaun, ach, die Unsel'ge herab.
Dann, dem Tode schon nah, hochschwebend im Falle noch seufzt sie
Aus in die Luft, es sei also ihr Flehen erfüllt.
Denn sie leistete so den Beweis für die häßliche Trägheit,
Ohne die äußerste Müh werde nichts Großes erreicht.

[So büßt Jeglicher, welcher, indem er das Lob nicht gewöhnt ist,
Stolz aufstrebend sich bläht, während er Größeres wünscht.]

Der alte und der junge Krebs

Als rückschreitend ein Krebs bald rechts, bald links sich bewegte,
Stieß er des Rückens Schild wund an des Wassers Gestein.
Aber es wünschte die Mutter, daß nicht so tölpisch das Söhnlein
Wandelt, und hat ihn so, wie man erzählet, ermahnt:
Gehe doch nicht abschweifend, mein Sohn, unwegsame Pfade.
Wende nicht rechts, nicht links ferner die Füße beim Gehn.
Sondern des Weges gerade aus von nun an ziehe die Tritte,
Und auf dem Pfad vorwärts halte den sicheren Schritt.
Drauf entgegnet der Sohn: voran nur, Mutter! Ich folge.
Zeigst du den richtigen Weg, geh' ich dann sicherer nach.

[Allzu töricht ist's, wenn du selber verkehrtes im Sinn führst,
Und, um zu tadeln, allein anderer Richter nun bist.]

Der Nordwind und die Sonne

Schauriger Nord und der liebliche Phöbus im Kreise der Götter
Brachten entstandenen Streit einst vor den mächtigen Zeus,
Welcher zuerst ausführe den Plan. Da ziehet ein Wandrer
Mitten dahin durch die Welt seinen gewöhnlichen Weg.
Also beschließt man, den Streit auf folgende Weise zu schlichten,
Daß man dem wandernden Mann solle den Mantel entziehn.
Plötzlich ertönet gepeitscht umher von den Winden der Äther,
Und in frostigem Strom stürzet der Regen herab.
Jener umschlingt noch fester mit doppeltem Mantel die Lenden,
Wo dann der brausende Sturm schwellende Falten ihm bläht.
Aber es ließ allmählig die stechenden Strahlen der Sonne
Phöbus wachsen: mit Glut füllte die Scheibe sich an;
Bis zu erquicken der wandernde Mann die ermatteten Glieder
Müde das Kleid ablegt, und auf den Boden sich setzt.
Siegreich zeigte nun Phöbus im Kreise der mächtigen Götter,
Mit voreiligem Dräuen schaffe sich Keiner den Sieg.

Der Bauer und der Esel

[Jeglicher messe sich selbst, und zufrieden mit eigenem Vorzug
Maße des Andern Verdienst keiner sich freventlich an;
Daß nicht errege Gespött die heruntergezogene Maske,
Wenn er zum früheren Los wiederzukehren beginnt.]

Eines Gätulischen Leun Haut fand zufällig ein Esel,
Und das gefundne Gewand zog er sich über den Kopf.
Mit unpassender Deckung umwand er sich also die Glieder,
Mit so erhabener Zier drückt er das niedrige Haupt.
Doch als Schauder und Furcht ihn weit und breit hin begleitet,
Und die gefürchtete Kraft kam in das träge Gebein,
Schreckt er, während er zwar mit sanfteren Tieren gemeinsam
Futter sich sucht, ringsum furchtsame Küh' im Gefild.
Aber nachdem ein Bauer am ragenden Ohr ihn erhaschte,
Band er ihn an, und macht endlich mit Prügeln ihn zahm.
Und indem er entblößte den Leib von der Hülle, begann er,
Scheltend das klägliche Tier, folgende Worte zu ihm:
Andere täuschest du wohl durch deine veränderte Decke;
Aber du wirst, wie vordem, immer ein Esel mir sein.

Der Frosch und der Fuchs

Einst entstiegen dem Teich, sonst stets in der Tiefe verborgen,
Und nur immer ein Freund trüben Gewässers, wie sonst,
Hüpft auf erhabene Hügel und wieder auf grasige Wiesen
Blähend ein Frosch sich, und täuscht ringsum das arme Gewild.
Schwierige Kranke vermög' er als kundiger Arzt zu kurieren,
Und durch seinen Verstand länger das Leben zu ziehn.
Denn er stehe nicht nach dem Päonischen Meister, so prahlt er,
Welcher die Gitter sogar heilet im hohen Olymp.
Als der verschlagene Fuchs die geduldigen Tiere verlachte,
Und er verriet, wie dies eitle Worte nur sein;
Der, so sprach er, will Heilung für kränkelnde Glieder erteilen,
Dem sich bläulicher Kreis zieht um das blasse Gesicht.

[Niemand möge sich brüsten aus eitlem Sinne mit Dingen,
Die er nicht kann, noch versteht, wie uns die Fabel belehrt.]

Der Hund

[Nicht leicht ist es verliehen verkehrten Gemütern, daß ihnen
Genüget ein Lohn, und es scheint immer die Strafe zu schwer.]

Einstmals hatte den Hund, den nie ein Bellen erschreckte,
Welcher dem Rachen des Feindes nie mit der Flucht sich entzog,
Nur ein weichlicher Schlag auf die ängstliche Rute getroffen,
Siehe da fähret er auf beißend mit grollendem Zahn.
Ihn ließ also der Herr, daß geheuchelte Tugend nicht Jemand
Täuscht, an dem wilden Hals tragen die Klingel sofort.
Unter dem Maulkorb sollte der Klang des Erzes ertönen,
Um bei dem leisesten Schall warnendes Zeichen zu sein.
Jener wähnte jedoch, dies seien ihm Ehrengeschenke,
Und er verachtet den Schwarm anderer Hunde gebläht.
Einer der älteren sodann vom Volke begann zu dem Stolzen
Also zu sprechen, und gab solche Belehrungen ihm:
Welcherlei Wahn hat dir den Sinn, Unsel'ger, ergriffen?
Meinst du, man gebe dir wohl dies für Verdienste zum Lohn?
Das ist Schmuck nicht der Tugend, das Erz, mit welchem du, prahlest;
Sondern sein Schall nur muß Zeuge der Schlechtigkeit sein.

Das Kamel

[Daß mit dem eigenen Gut ein Verständiger lebt zufrieden,
Aber nicht fremdes sich wünscht, zeiget die Fabel uns an.
Denn schnell könnte das Gluck stillstehen erbittert, und rückwärts
Laufend verringern das Rad, was es so eben verlieh.]

Mächtig von Körpergestalt schwang einst ein Tier in die Luft sich.
Und in den mächtigen Zeus drang es mit Bitten und Flehn:
Daß es so häßlich erscheine, von Allen verlacht und verspottet:
Stolz mit dem Hörnerpaar schreiten die Ochsen einher.
Und das Kamel allein auf keinerlei Weise bewaffnet,
Sei so jeglichem Wild offen gegeben und frei.
Jupiter lachte dazu, und als er die Bitte verweigert,
Schnitt er zugleich ihm die Last mächtigen Ohres hinweg.
Lebe verstümmelt mit Recht, so sprach er, wer nicht genug hat.
Immer beseufze du nun, Geiziger, deinen Verlust.

Der Wanderer

Durch unwirtbare Berge dahin und einsame Täler
Wandelt ein Freundespaar einst auf beengtem Pfad;
Sorglos, weil mit vereinigter Kraft ein jegliches Mühsal,
Welches den Einen betrifft traget der Andre mit ihm.
Während sie nun ihr Ziel mit verschiednen Gesprächen verfolgen,
Jählings rennet ein Bär mitten herein in den Weg.
Aber der Eine von ihnen erreicht bald Bäum' im entfliehen,
Und er schwang sich empor furchtsam auf grünes Geäst.
Jener jedoch stand still und legte von selbst sich zu Boden,
Und wie also er lag, stellet er weislich sich tot.
Gierig nach Fraß rennt plötzlich herbei das wütende Raubtier,
Doch mit gebogenen Klauen wälzt es den Armen zuvor.
Von dem betäubenden Schreck erstarrten zugleich ihm die Glieder
(Denn schon war aus dem Leib Wärme des Lebens entflohn.)
Hungrig wiewohl, glaubt also der Bär, es stinke der Körper,
Ließ ihn liegen und kroch darauf in sein Lager zurück.
Als sie nun sorglos wieder gerieten in Wechselgespräche,
Fragte voll Neugier Der, welcher soeben geflohn:
Sprich, mein Freund, was sagte der Bär dir, als du so da lagst?
Denn es sprach ja der Bär vieles Geheime mit Dir.
"Viele Ermahnungen gab er: doch das ist die größte von allen
(Hätt' ich Unseliger doch sie auch schon länger befolgt):
Laß dich mit Niemand mehr", so sprach er, "ein in Verbindung;
Denn sonst könnte dich leicht wieder erhaschen ein Bär."

Der Reiter

Ein kahlköpfiger Reiter, der rückwärts knüpfte die Locken,
Und sich mit falschem Haar oben bedeckte das Haupt,
Trat im Marsfeld auf, mit blinkender Rüstung gewappnet,
Und das gehorsame Roß tummelt er mächtig umher.
Aber ihm wehten entgegen des Nordwinds sausende Lüfte,
Während das Volk umher schaute sein lächerlich Haupt.
Denn bald flog die Perücke davon: nackt zeigt sich die Stirne,
Die mit dem Haare zuvor anders gestaltet erschien.
Klüglich wendet er nun, da er tausendstimmiges Lachen
Hört, durch folgende List wieder den Spott von sich ab:
Wie zu verwundern war's, so sprach er, wenn Haar mir von Andern
Fortfliegt, da mir vordem eigenes selber nicht blieb?

[Wirst du von Jemand verlacht, so such' aus dem Spott dich zu ziehen,
Daß du der Wahrheit Ernst setzest entgegen dem Scherz.]

Der eherne und der tönerne Topf

Über die Ufer getreten ergriff zween Töpfe die Strömung,
Die sie zusammen umher trieb in dem wilden Gewog.
Aber von Kunst und Natur sind beide verschieden gebildet:
Dieser, gegossen aus Erz, jener aus Lehm nur geformt.
Gleich verträglich war nicht der zerbrechliche, so wie der feste.
Und unsicher dahin wogte der reißende Strom.
Aber der eherne schwur, den Lehmtopf nicht zu zerschellen,
Während jener den Weg weiter zu gehen sich scheut.
(Denn es könne ja leicht der Stärkere dem Schwächeren schaden,
Und der Niedere traut Gutes dem Mächtigen nicht zu.)
Machest du sicher mich auch mit Worten, entgegnet der Lehmtopf,
Wirst du mir doch aus dem Geist nimmer verscheuchen die Furcht.
Sei's, daß die Flut mich an dich, sei's, daß sie dich gegen mich schleudre:
Beiderlei Übel ja sind's, welche mich treffen allein.

[Hüte der Arme sich wohl, mit dem Machtigern sich zu verbinden:
Seinesgleichen nur traut Gutes ein Jeglicher zu.]

Der Bauer, welcher einen Schatz findet

Als ein Bauer den Acker bebaut, eindrückend die Pflugschar,
Siehe da springt ein Schatz ihm aus den Furchen hervor.
Bald verläßt er den niedrigen Pflug, und eilenden Sinnes
Treibt er zu besserem Los wieder die Stiere nach Haus.
Schnell auch bauet er fromm dankbar Altäre der Erde,
Die das vertraute Gut selbst ihm so willig gewährt.
Während er also sich freut des neuen Glückes, betrübte
Sich Fortuna, dieweil er ihr die Räuchrung entzog.
Jetzt, so sprach sie, entziehst du mir die gefundenen Gaben,
Und es nehmen daran andere Göttinnen teil.
Aber sobald du einmal dein Geld hast wieder verloren,
Wirst du mit Tränen mich, Armer, bestürmen zuerst.

[Nicht mit lachendem Blick, mit düsterem mußt du mich sehen;
Deine Gelübde, sie sei'n alle vergeblich getan.
Jeder verfehlt sich schwer, wenn er Schätze von Einem empfangen,
Und was von ihm er erhält, rechnet dem Anderen zu.]

Der Stier und der Bock

Als vor dem mächtigen Löwen einmal ein Stier sich geflüchtet,
Und auf verlassenem Weg Höhlen sich suchte zum Schutz:
Fand er die Grotte, die sich ein Bock zur Wohnung ersehen,
Welcher am Cinyps pflegt Führer der Herde zu sein.
Als mit gesenkter Stirn er hinein zu rennen gedachte,
Stellt sich mit schiefem Blick zornig entgegen der Bock.
Traurig entwich er, und fliehend im langen Tale begann er
(Weil dem Vertriebenen Furcht Streit zu erheben verbot):
Du bringst Schrecken mir nicht, o borstiger, stinkender Langbart:
Er, der mich tapfer verfolgt, dieser erschreckt mich allein,
Läßt er doch ab von mir, dann sollst du Tor es erfahren,
Wie viel stärker ein Stier sei, ein stinkender Bock.

Willst du mit gleichem Maß das erlittene Böse vergelten.
Hüte dich, daß es nicht selbst dir zum Verderben geschieht.

Die Äffin und Jupiter

Welches von allen Geschöpfen der Erde die trefflichsten Kinder
Brächte zur Welt, das wünscht Zeus zu erfahren einmal.
Um die Wette nun, eilten zum König des Wildes Geschlechter.
Und auch zahmeres Vieh geht mit dem Menschen vereint.
Aber es fehlen auch nicht die schuppigen Fische beim Wettstreit,
Selbst nicht die Vögel, die hoch nähret die reinere Luft.
Mitten im Aufzug gehen die Mütter, die Kinder erhebend,
Stellend sie vor das Gericht eines so mächtigen Gottes.
Als ein Äfflein hier auch sein häßliches Kindlein herbei schleppt,
Bracht' es zum Lachen sogar selbst den gewaltigen Zeus.
Aber das häßliche Tier brach aus in folgende Worte,
Während es seines Geschlechts Schande zu tilgen gedenkt:
"Das weiß Jupiter nicht. Wenn ein Andrer auch siegten dem Wettkampf,
Sieget nach meinem Spruch über sie Alle mein Kind."

[Das ist Sitte der Menschen: sobald sie Eigen es nennen,
Wenn es auch wertlos ist, wird es von ihnen gelobt.
Drum so lobe das Deinige nie, das bitt' ich, bevor es
Erst durch Anderer Mund wurde gebilligt zuvor.]

Der Kranich und der Pfau

Mit hochmütigen Reden beleidigt den Thrazischen Kranich
Junos Vogel, der Pfau, bei dem gemeinsamen Mahl.
Als auf allerlei Art Zwietracht bei ihnen entstanden,
Und aus kleinem Gezänk mächtiger Hader entbrannt,
Sagte der Pfau: was? glänzen mir nicht vielfarbig die Glieder,
Da dir ein graulicher Streif über den Rücken sich zieht?
Und gleich breitet er aus den Fächer des ragenden Schweifes;
Und zu den Sternen empor schlägt er das heilige Rad.
Jener, wenn auch nachstehend an Pracht und am Glanze der Federn,
Sagte, sich brüstend, jedoch folgende Worte darauf:
Glänzt dir auch Federnschmuck in dem Kranz unendlicher Farben,
Trägst du den blühenden Leib stets doch zur Erde gebannt.
Aber ich schwing' in die Lüfte mich auf mit häßlichem Fittich
Nah zu den Sternen und nah zu den Unsterblichen selbst.

[Schmücket ein Vorzug dich, so verachte du niemals den Nächsten,
Schmücket vielleicht doch ihn wieder ein anderer auch.]

Die Eiche und das Schilfrohr

Abwärts stürzet vom Gipfel der Höh' entwurzelt ein Eichbaum,
Von des ergrimmten Nords wirbelndem Sturme geknickt.
Als ihn nun am Fuße des Berges das Bett des Gewässers
Aufnimmt, reißt ihn des Stroms wildes Gewoge dahin.
Da er nun rechts und links entlang dem Gestade geschleppt wird,
Setzt in dem schwankenden Schilf endlich sich nieder die Last.
Als die Zweige jedoch mit dem niederen Rohr sich verflochten.
Wundert er sich, wie das Rohr stehet auf wäßrigem Grund.
Er ja stünde sogar nicht mehr mit dem mächtigen Stamme,
Da es auf dünnerem Halm biete den Drohungen Trotz.
Zischend entgegnet darauf das Rohr ihm mit freundlichem Lispel,
Ihm zu beweisen, wie schwach, aber doch sicher es sei.
Du, so sprach es, verachtest den Wind und wütende Stürme,
Und von aller Gewalt stürzest zerbrochen du hin.
Doch ich halte nicht auf die allmählich erwachenden Winde,
Und vor dem leisesten Süd zieh' ich mich weise zurück.
Aber der brausende Wind hat Widerstand an dem Eichstamm,
Während verhöhnet von mir jegliches Lüftchen verweht.

[Mag uns lehren dies Wort, daß nichts mit dem Stärkeren der Kampf nützt:
Und ein trotziges Dräun wird auch allmählig besiegt.]

Der Jäger und der Tiger

Sichres Geschoß abschnellend, und bittere Wunden bereitend,
Schreckt ein Jäger das Wild rings in den Höhlen umher.
Während die Zitternden aber der Tiger wollte beschützen,
Trat er zu kämpfen hervor in dem Getümmel der Jagd.
Doch mit geübtem Arm schnellen seine Geschosse der Jäger.
Das lehrt, sprach er zu ihm, wer und von wannen ich sei.
Und mit geschleudertem Eisen durchbohrt er plötzlich denselben,
Und der gerötete Schaft hemmte den flüchtigen Fuß.
Da er nun sanft aus der Wunde den eingedrungenen Speer zog,
Riet ihm der sorgliche Fuchs stecken zu lassen den Pfeil,
Fragend: wo war Er denn, der so furchtbare Wunden bereitet;
Oder wo barg sich Der, welcher so sicher gezielt?
Aber mit Seufzen begann und gebrochener Stimme der Tiger
(Denn den gewöhnlichen Ton raubt ihm der Zorn und der Schmerz):
Keine Gestalt sah ich auf dem Kampfplatz vor mir erscheinen
(Möcht' ich sie aber auch nicht jemals erblicken vor mir!)
Aber das Blut und der Pfeil, vom rüstigen Arme geschleudert,
Zeigen, daß dieser gewiß komme von tüchtiger Hand.

[Pflegen die Tiere sich zwar mit Recht vor einander zu fürchten,
Ist doch allen zusammen mehr noch zu fürchten der Mensch.]

Die Stiere und der Löwe

Unter sich pflegten Freundschaft einst vier mächtige Stiere;
Und so fest, wie man sagt, war auch geschlossen ihr Bund,
Daß bei dem Auszug nie sie Mißverständnis entzweite,
Und von der Weide zurück einig auch kehrte der Zug.
Ja es fürchtet sogar in den Wäldern der mächtige Löwe
Sich vor der Hörner Gewalt dieser verbündeten Schar,
Während ihn Furcht abhält, nach der lockenden Beute zu haschen,
Und der vereinigten Macht er nur zu nahen sich scheut.
War er auch kühn und Schrecken erregend durch furchtbare Taten,
War er so tüchtiger Kraft doch nicht gewachsen allein.
Endlich schickt er sich an, auf trügrische Worte zu sinnen,
Und durch Zwietracht den Bund sucht er sofort zu entzwein.
Wie er durch bittere Verleumdungen nun die Gemüter getrennt hat,
Macht er den Angriff: es wird grausam die Herde zerfleischt.
Da sprach einer der Stiere: wer ruhiges Leben sich wünschet,
Sich zu erhalten, der mag lernen aus unserem Tod.

[Und er lasse die Ohren sich nicht mit trügrischen Reden
Füllen, und sich nicht dem Bund alter Genossen entziehn.]

Die Tanne und der Dornstrauch

Starrende Büsche verlachte die schönaufstrebende Tanne,
Als sich bei ihnen ein Streit über die Schönheit erhob.
Allen müsse der Streit, so sprach sie, niedrig erscheinen,
Weil nicht beider Verdienst einerlei Ehre gebührt.
Steigt mir doch zum Gewölk hoch auf der geschmeidige Körper,
Der zu den Sternen empor hebt mir die Locken des Haupts.
Auf den gebreiteten Schiffen und Thronen ist Platz mir bereitet;
Gegen mich öffnet die Luft ihren beweglichen Schoß.
Doch da Dornen so sehr dir widerlich machen das Aussehn,
Geht mit Verachtung an dir, wer dich nur sieht vorbei.
Jener darauf: Du rühmst an dir nur Gutes und Schönes,
Während du hochmutsvoll unsere Schwächen verhöhnst.
Doch, haut einst dir herrliche Glieder die drohende Axt ab;
O wirst du alsdann wünschen der Dornen Besitz!
[Freue sich Keiner zu sehr ob des Körpers begehrende Schönheit:
Denn sonst trifft ihn zu spät Trauer bei seinem Verlust.]

Der Fischer und der Fisch

Einstmals zog ein Fischer, der immer den Raub mit der Angel
Pflegte zu fahn, ein kleinwinziges Fischlein heraus.
Aber nachdem er den Fang an das Licht des Tages gezogen,
Und im gierigen Schlund fühlte die Wunde der Fisch,
Sprach er: schone doch mein, und begleitet mit Tränen die Bitten:
Denn was sollte dir wohl nützen mein dürftiger Leib?
Eben nur laichte mich erst in der Grotte die fruchtbare Mutter,
Und in der heimischen Flut spielt' ich noch, wie sie befahl.
Lege den Groll, laß wachsen zu deinen Gerichten zuvor mich.
Und an dem Ufer allhier stell' ich mich wieder dir ein.
Hab', ich nun also geweidet auf unermeßlicher Meerflut,
Fetter geworden, sodann kehr' ich zur Angel zurück.
Jener entgegnet: Es wäre nicht klug, wenn ich wieder die Beute
Ließ aus der Hand, und klagte über die Fügung des Glücks.
Ist es, sprach er, nicht töricht, gewissen Besitz zu verscherzen,
Und auf Versprechungen hin künftgen Gewinnes zu baun?

[Für unsichere Hoffnung verlaß nicht sichres Besitztum:
Leicht sonst findest du nichts, wenn du zum zweiten Mal suchst.]

Der Bauer und der Vogel

Einstens vertraute der Erde die Brut ein winziger Vogel,
Wo auf grünendem Grund prangte die gelbliche Saat.
Aber der Landmann, der vom schwankenden Halm sie zu schneiden
Wünscht, ruft Nachbarn herbei, seine Genossen zu sein.
Siehe, da schreckte der Ruf die noch nicht befiederten Jungen:
Mahnung schien es für sie, schnell von dem Neste zu fliehn.
Doch die erfahrene Mutter, die heimkam, hielt sie zurücke.
Wird mit den Fremden ihm wohl, sprach sie, gelingen sein Werk?
Teueren Freunden sodann trägt wiederum jener das Werk auf,
Wiederum bleibt jedoch sicher die Alte sofort.
Aber sobald sie bemerkt, daß selbst zur Sichel der Herr greift,
Glaubte sie, daß man anitzt lege die Hand an die Saat.
Kindlein, sprach sie, verlaßt die geliebten Felder, ihr Armen,
Da er die Hoffnung allein baut auf eigene Kraft.