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Der Hase der Habicht und die Katze

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Ein Vogel hatte sein Nest zwischen den Wurzeln eines Baumes.
Eines Tages flog der
Vogel aus und blieb so lange fort, daß man annehmen mußte,
er wäre tot oder
gefangen. Und ein Hase kam und machte sich ein Lager aus dem
Nest. Aber der Vogel
kehrte zurück, und als er den Hasen sah an seinem Platz,
sprach er zu ihm: "Das ist
meine Wohnung. Hebe dich fort von hier." Der Hase antwortete
ihm: "Ich habe den Platz
in meiner Gewalt und behalte ihn auch, du kannst reden was
du willst. Wenn du aber
meinst, daß dir Unrecht geschieht, so führe mich zu einem
Richter." Darauf entgegnete
der Vogel: "Ich will dich vor den Richter führen und
daselbst Klage wider dich erheben."
Als der Hase fragte, wer der Richter wäre, antwortete der
Vogel: "Eine Katze, die hier
nahe bei dem Wasser wohnt und Gott dient als Einsiedler mit
Fasten und beten Tag und
Nacht. Sie hat sich ganz von der Üppigkeit der Welt gekehrt
und ist unschädlich allen
Tieren, denn sie vergißt kein Blut, sondern nährt sich nur
von Gras und Kräutern.
Steh auf und geh mit mir, daß sie unsere Sache entscheide.
Sie gingen zusammen zu der Katze. Als die Katze sie kommen
sah, eilte sie in ihre Höhle und zeigte sich ihnen betend
auf den Knien. Der Hase, der das sah, wunderte sich über
ihre Frömmigkeit. Und sie gingen zu ihr, grüßten und baten
sie, verhört zu werden.
Als sie anfingen zu reden, sprach die Katze: "Ich bin alt,
liebe Freunde, meine Augen
sind trübe und meine Ohren schwerhörig. Kommt näher herbei
und verstärkt eure
Stimmen, daß ich eure Worte verstehen kann."
Und nachdem sie die beiden angehört hatte, sprach sie: "Ich
will euch Rat geben und weisen den Weg der Gerechtigkeit.
Aber wenn ich recht urteilen soll, muß ich die
Wahrheit eurer Sache prüfen; denn besser ist es, etwas mit
Wahrheit zu verlieren,
als mit Unwahrheit gewinnen."
Also redete sie noch viele fromme und gute Worte, daß der
Hase und der Vogel ihr vertrauten und ganz hineingingen in
ihre Höhle. Da aber packte die Katze sie beide und fraß sie
auf.
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Der Kaufmann und der Dieb

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Es war ein Kaufmann, der hatte viele Güter und Waren, und er
hatte auch eine schöne Frau.
In das Haus dieses Mannes drang
einmal ein Dieb ein, indem er über die Mauer hereinstieg.
Der Kaufmann schlief aber seine Frau wachte. Da sprang diese
aus Furcht
vor dem Dieb zu ihrem Mann, und drückte ihn fest an sich.
Diesem war es aber sehr genehm, wenn seine Frau sich ihm
einmal näherte, daß er aufwachte.
Da sagte er: "Woher mir diese Gunstbezeugung?" Als er darauf
den Dieb erblickte,
sagte er zu demselben: "Du darfst unangefochten behalten,
was du von meinen Gütern und Waren genommen hast, denn du
hast mir einen Dienst erwiesen, dadurch daß du
das Herz, meiner Gattin bewogen hast, mich zu umarmen."
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Der
Einsiedler, der Dieb und der Teufel

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Es war ein Einsiedler, der eine Kuh hatte in seinem Stall.
Ein Dieb dachte die zu stehlen und schlich nachts zu seinem
Haus. Auf dem Weg traf er
den Teufel und fragte ihn: "Wer bist du?" Und der
antwortete: "Ich bin der Teufel und
will den Einsiedler erschrecken und peinigen in dieser
Nacht." Also gingen sie zusammen
zu dem Haus des Einsiedlers. Und als sie dahin gekommen
waren, dachte der Dieb bei
sich: >Ich will eiligst die Kuh stehlen, denn wenn der
Teufel den Einsiedler würgt, wird er
vielleicht schreien, und die Leute laufen zusammen und mich
fangen.<
Und er sprach zu dem Teufel: "Halt, warte eine Weile, laß
mich erst die Kuh stehlen,
dann tue du nach deinen Willen."
"Nein!" antwortete der Teufel, "erst will ich ihn würgen,
dann nimm, was dir gefällt."
Der Dieb sprach: "Ich will der erste sein."
So entzweiten sie sich und stritten, bis der Dieb vor Zorn
rief: "Einsiedler steh auf,
der Teufel will dich im Schlaf würgen." Davon erwachte der
Einsiedler und sein
Hausgesinde und entrann so dem Tode und behielt seine Kuh.
Der Teufel und der Dieb aber mußten entfliehen.
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Der leichtgläubige
Zimmermann
Es war, erzählt man, ein Zimmermann, der hatte eine Frau,
die er liebte. Dieses Weib
hing aber an einem andern Mann. Dem Zimmermann wurde solches
hinterbracht und er
hatte von diesem Verhältnis gehört. Er wollte dasselbe aber
in eigener Person bemerkt
haben, damit er dann mit seiner Frau nach dem Recht
verfahren könnte. Er sagte daher
zu ihr: "Ich will nach der und der Stadt verreisen, eine
Parasange* weit von hier, wo ich
viel Geschäft bei dem Sultan habe; darum rüste mir meinen
Reisebedarf!"
Da freute sich das Weib, daß ihr Mann verreisen wollte und
daß sie nun freien Umgang
haben könnte mit ihrem Geliebten. Beim Fortgehen sagte er
dann noch zu seiner Frau:
"Verschließe Tür und Fenster!"
So ließ er seine Frau glauben, daß er fort sei. Er
versteckte sich aber an einen
verborgenen Ort hinter der Türe, schlich sich dann von da
wieder in sein Haus und
machte sich heimlich unter seine Lagerstätte. Seine Frau
aber schickte alsbald zu ihrem
Geliebten, daß er zu ihr kommen möchte. Dieser kam und blieb
bei ihr auf der
Schlafstätte ihres Mannes die ganze Nacht. Der Zimmermann
unter dem Bette wurde am
Ende schläfrig und schlief ein. Während seines Schlafes aber
streckte er einen Fuß, so
daß er zum Vorschein kam. Die Frau erkannte alsbald den Fuß
ihres Mannes. Um sich
aus dieser schlimmen Lage zu retten, sagte sie zu ihrem
Geliebten: " Frage mich mit
lauter Stimme: Ist dir dein Gatte lieber, oder ich?"
Der Geliebte tat die Frage an sie, und sie gab darauf zur
Antwort: "Was hast du nötig
eine solche Frage zu tun? Weißt du nicht, daß wir Weiber
bloß solchen Männern unsere
Liebe schenken, an denen wir unsere Lust haben, sonst
keinem, und daß wir nicht sehen
auf ihren Rang oder ihre Abstammung oder auf ihre anderen
Verhältnisse; ein Gatte aber
gilt für Vater und Bruder; deshalb möge Gott das Weib
strafen, der ihr Gatte nicht über
Alles geht, und ich kann dir also nicht vergönnen, was du
möchtest." |
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Als der Zimmermann diese Worte seiner Frau
vernommen, da fühlte er sich wieder zärtlich zu ihr
hingezogen, es ergriff ihn Mitleid, es entfiel ihm eine
Träne und er glaubte sich der Liebe seiner Frau zu
ihm gewiß. Er verließ daher seinen Platz unter dem
Bett nicht, bis daß es Morgen geworden und bis daß
er gewiß wußte, daß jener Mann fort war. Dann schlich
er hervor von seiner Lagerstätte und ließ, da er seine
Frau schlafend fand, dieselbe ruhig fortschlafen,
indem er sich an ihrem Haupte niederließ.
Als sie aber aufwachte, sagte er zu ihr: "Geliebte meines
Herzens! schlafe ruhig fort, denn du hast die ganze
Nacht wachend zugebracht, und hätte ich nicht
Unannehmlichkeiten für dich befürchtet, so wäre es
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zwischen mir und jenem Mann zu derben Auftritten gekommen."
*Parasange:
im Altertum Wegmaß von verschiedener Länge, in Persien
ursprünglich
5250 m. Quelle: Brookhaus 1911
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Der Einsiedler und die
Maus
Es war einmal ein Einsiedler, der Gott diente in
Vollkommenheit, daß sein Gebet erhört
wurde.
Der saß einst an dem Ufer eines Flusses und sah einen
Sperber fliegen, der ein Mäuslein trug in seinen Krallen.
Und das Mäuslein entglitt dem Sperber und fiel vor die Füße
des Einsiedlers, der sich seiner erbarmte und es in ein
linnen Tüchlein band, um es in seinem Hause aufzuziehen. Da
er aber den Unwillen seines Hausgesindes fürchtete, bat er
Gott,
das Mäuslein in einen Menschen zu verwandeln. Gott der Herr,
erhörte seine Bitte,
und aus der Maus wurde sogleich ein hübsches Mägdelein. Das
zog der Einsiedler auf in seinem Hause als ein Kind seiner
Verwandtschaft.
Und als die Tochter mannbar war, sprach er zu ihr:
"Erwähle dir einen, welchen du willst, zum Mann." Und sie
antwortete ihm: "Ich will
einen, dem niemand gleich ist an Gewalt und Herrschaft."
Darauf bat der Einsiedler die Sonne, die Erleuchterin aller
Welt, und Herrin über alle
Geschöpfe, seine Tochter zur Ehe zu nehmen. Die antwortete
ihm: "Es wäre mir
unmöglich, dir, der von Gott so gnädiglich erhört wird,
deine Bitte zu versagen; aber ich
bin nicht die Mächtigste. Gehe zu dem gewaltigen König der
Wolken, der ist mächtiger
als ich, denn er kann meinen Schein verdecken, wann er
will."
Also ging der Einsiedler zu ihm und fand ihn am Rande des
Meeres, wo sich die Wolken
erheben, und bat ihn, was er die Sonne gebeten hatte. Der
aber entgegnete ihm: "Es ist
wahr, mir ist große Gewalt gegeben, aber doch gibt es einen
größeren als ich, das ist der
Meister der Winde, der mich von einem Ende der Welt an das
andere jagt, und dem ich
nicht widerstehen kann."
Der Einsiedler kam zu dem Meister der Winde und bat auch
ihn, seine Tochter zu
nehmen. Aber auch der antwortete und sprach: "Mir ist von
Gott mehr Gewalt gegeben
als vielen Geschöpfen, aber ich kann dir einen zeigen, der
mächtiger ist als ich, und den
ich mit aller Kraft nie überwinden konnte. Das ist der Berg,
der vor dir liegt."
Da ging nun der Einsiedler zu dem Berg und sprach: "Ich
will, daß du meine Tochter
nimmst zum Weibe, da du der Mächtigste und Gewaltigste
bist." Der Berg aber gab ihm
Antwort und sagte: "Wohl bin ich mächtig; aber da wohnt und
gräbt einer in mir, dem ich
nicht widerstehen kann." —
"Wer ist das?" fragte der Einsiedler. "Es ist die Maus,"
sagte der Berg."
Nun ging der Einsiedler zu der Maus und fragte sie, wie er
die anderen gefragt hatte,
und die antwortete ihm: "Es ist wahr, daß der Berg nichts
wider mich tun kann.
Aber wie soll ich ein Weib nehmen von menschlichem
Geschlecht, da ich eine Maus bin
und meine Wohnung habe in kleinen Höhlen des Berges und
Löchern der Felsen?"
Darauf fragte der Einsiedler seine Tochter: "Willst du der
Maus Weib werden, denn ich finde keinen Stärkeren und
Gewaltigeren, wiewohl ich alle gefragt habe. Wenn du das
nun begehrst, will ich Gott bitten, dich wieder zur Maus
werden zu lassen." Das wollte
die Tochter, und Gott erhörte seine Bitte und ließ sie
wieder zur Maus werden, und der Einsiedler gab sie der
anderen, die sie mit sich führte zu ihrer Höhle im Berg.
Die Schlange und
der Froschkönig
Es war eine Schlange alt und krank geworden, daß sie ihre
Nahrung nicht mehr erjagen
konnte. Da kroch sie eines Tages zu einem Teich, darin viele
Frösche lebten. Und als die
Frösche sie sahen, sprachen sie zu ihr: "Was ist es, daß du
so traurig bist?"
Die Schlange antwortete: "Was kann vom Alter Gutes kommen?
Wißt ihr nicht, daß ich
euch immer erjagen konnte, als ich jung war, und alle Tage
manchen von euch fraß?
Nun ist meine Kraft vergangen, mein Fleisch geschwunden und
mein Gebein gedörrt,
daß ich euch nicht mehr ergreifen kann. Geht, und sagt das
eurem König."
Sie gingen zu ihrem König, dem großen Frosch, und der kam
selbst, die Schlange zu
sehen. Sie aber sprach zu ihm: "Die ganze Nacht habe ich
einen Frosch verfolgt bis in
das Haus eines Einsiedlers, der einen Sohn hatte. Wie ich da
herumkroch, trat der mich
auf den Schwanz, und ich biß ihn hart. Als der Einsiedler
das sah, eilte er mir nach, und
da er mich nicht erreichen konnte, sprach er ein Gebet, daß
Gott all meine Kraft nahm,
und ich bin nun die arbeitseligste von allen Schlangen. Herr
König, ich gebe mich in deine Gewalt. Tue mit mir nach
deinem Willen. Und wenn du willst, daß ich dich trage wie
ein Pferd, so will ich auch das erfüllen."
Als das der König der Frösche hörte, dachte er, daß es eine
große Ehre wäre, auf einer Schlange zu reiten, und tat es
manchen Tag. Nach einer kurzen Weile aber sprach zu
ihm die Schlange: "Du weißt, daß ich krank bin und schwach
und nicht mächtig, Nahrung
zu erjagen zu meiner Notdurft.
Das Gute aber, was du mir antust, wirkst du Gott zu Ehre.
Darum bitte ich dich, daß du mir Speise gibst zur Erhaltung
meines Lebens." Der große Frosch antwortete ihr: "Ich
bekenne, daß du ohne redliche Speise nicht leben kannst,
und da du mich trägst, will ich für deine Nahrung sorgen,"
und er gebot, ihr alle Tage
zwei Frösche zu geben zur Speise. Damit begnügte sich die
Schlange und trug den König der Frösche, solange sie lebte.
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