Fabelverzeichnis
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Friedrich von Hagedorn

geb. 23. April 1708 in Hamburg
gest. 28. Oktober 1754 ebenda

War ein deutscher Dichter des Rokoko.
Formal lassen sich seine Werke in Fabeln, Lieder, Lehrgedichte und Epigramme unterteilen.
Seine Lyrik ist einfach gehalten (alternierender Vers, leicht singbare Strophenformen)
und verfolgt andere Stilideale als die Dichter des Barock.

Quelle der Fabeln:
Friedrich von Hagedorn/Fabeln und Erzählungen/Frankfurt am Main 1753/In der Hechtelschen Buchhandlung.

 
Buch 1
Fabeln 1-1
 
Das geraubte Schäfgen
Die Einbildung und das Glück
Das Gelübde
Das Delphische Orakel und der Gottlose
Wallraff und Traugott
Die Tiere
Die Fledermaus und die zwei Wiesel
Der Fuchs und der Bock
Der Wolf und das Pferd
Der Löwe und die Mücke

Der Löwe und der Esel
Der Wolf und der Hund
Mops und Hector
Jupiter und die Schnecke
Der Bauer und die Schlange
Der Hirsch und der Weinstock
Der kranke Hirsch und die Wölfe
Die Natter und der Aal
Der Esel, der Affe und der Maulwurf
Der Fuchs ohne Schwanz
Der Hirsch, der Hund und der Wolf

Das geraubte Schäfgen

Als Joabs Heldenheer die Kinder Ammon schreckte
Und schon ganz Israel das Land Rabba deckte,
Wo der Gewaltigen und Hanons Unverstand
Die Boten schänden ließ, die David abgesandt;
Da raubte sein Befehl Uria Glück und Leben,
Um das geliebte Weib, das ihm der Herr gegeben,
Die Tochter Eliams, die Davids Freundin war,
Und, als sie ausgetrauert, ihm einen Sohn gebar.

Dem Herrn mißfiel die Tat, und Nathan ward ersehen,
Mit Worten seines Zorns zum Könige zu gehen.
Er sprach: "In einer Stadt befanden sich zugleich
Zwei Männer; einer arm, der andre groß und reich.
Der Reiche sah stets in Tagen voller Freuden
Die Herden seines Hofs auf grünen Hügeln weiden;
Die Rinder unzerstreut bei jungen Farren ruhn;
Der Geiß' und Widder Mut im Felde fröhlich tun;
Die Lämmer ohne Fehl um ihre Mütter springen;
Das Lastvieh durch den Klee mit reichen Bürden dringen;
Die Blüten dicker Saat sich an den Wassern blähn
Und seiner Schnitter Fleiß die schönsten Halme mähn.
Dem Armen, ach!, was war dem Armen doch bescheret?
Ein einzig kleines Schaf, das er gekauft, genähret.
Das wuchs und ward bei ihm und seinen Kindern groß
Und kannte seinen Ruf und schlief in seinem Schoß
Und trank von seinem Kelch und aß von seinem Bissen
Und folgte seiner Hand und lief nach seinen Küssen:
Er hielte dieses Schaf, sein liebstes auf der Welt,
Wie in Jerusalem man eine Tochter hält.

Dem Reichen kam ein Gast; daß der bewirtet würde,
Nahm er kein Rind, kein Schaf aus seiner Weid' und Hürde.
Die räuberische Faust macht ihm ein Freudenmahl
Aus jenem weißen Schaf, das er dem Armen stahl."
Er schwieg, und David schwur: "Der Frevler soll nicht leben!
Er soll nicht nur das Schaf vierfältig wiedergeben;
Wer solche Missetat in Israel beginnt,
So wahr der Höchste lebt! Der ist des Todes Kind."

"Du, David, bist der Mann," erwiderte der Prophete,
"Will deine Seele noch, daß man den Räuber töte?
So spricht der Herr, dein Gott: ›Ich habe dich gebaut,
Zum Könige gesalbt; das Reich dir anvertraut;
Den Händen Sauls gewehrt; jetzt deines Volks verschonet
Und dir das Haus verliehn, in dem dein Herr gewohnet;
Die Weiber deines Herrn gab ich in deines Schoß;
Du bist in Israel, du bist in Juda groß.
Du bist durch mich ein Herr, ein Sieger und ein König,
Du, des Isai Sohn.‹ Ist dieses dir zu wenig,
So füg' ich mehr hinzu. Wie aber kannst du nun
Vor meinem Angesicht ein solches Übel tun?
Des Herrn Gebot verschmähn, ihn und sein Wort verachten,
Und den Hethiter dir mit trunknem Schwerte schlachten,
Durch dich frisst Ammons Schwert Uria, deinen Knecht.
Sein Blut zeugt wider Dich und schreit zu mir um Recht.
Noch darfst du gar sein Weib jetzt, als dein Weib umfassen;
Drum soll das Rachschwert nie von deinem Hause lassen.
So spricht der Herr, dein Gott: ›Zu desto größrer Pein
Soll dir dein eignes Haus des Unglücks Quelle sein.‹
Die Weiber will ich dir vor deinen Augen rauben
Und deinem Nächsten selbst der Strafe Lust erlauben:
An ihnen soll das Volk, was insgeheim geschehen,
Bei lichtem Sonnenschein mit Schmach gerochen sehn."

Die Einbildung und das Glück

Die Einbildung ist in das Glück verliebt,
Das sie so oft gesucht, das ihr so oft entgangen:
Des Glückes Sprödigkeit, die ihren Fürwitz übt,
Reizt ihre Hoffnung stets und täuscht stets ihr Verlangen.

Als sie noch jung und unerfahren war,
Ging sie ihm seufzend nach bis in das Reich der Liebe.
Doch hier entfernten es bald schlüpfrige Gefahr,
Bald leichter Wankelmut, bald eifersüchtge Triebe.

Die Arme wächst, die Leidenschaft nimmt zu:
Sie wagt sich an den Hof, zu den geschmückten Höhen,
Wo Pracht und Ehrgeiz rauscht. Dort fehlen Treu und Ruh,
Und Titel lassen sich, anstatt des Glückes, sehen.

Sie eilt darauf ins Land der Üppigkeit,
Dort mit dem Glücke sich durch Reichtum zu verbinden;
Dort war auch Überfluß, Gepränge, güldne Zeit,
Der bürgerliche Stolz, doch nicht das Glück, zu finden.

Sie rennt zurück, und kommt auf eine Bahn,
Die ihren müden Fuß in niedre Gründe führet.
Die stille Gegend ist der Schönen untertan,
Die sich mit keinem Schmuck, als Zucht und Demut, zieret.

Die Gottesfurcht hat dort ihr Heiligtum,
Der Weisheit holdes Kind, die Lust der Ewigkeiten.
Der milde Himmel kennt und schützet ihren Ruhm,
Und Wahrheit, Lieb' und Recht weicht nie von ihrer Seiten.

Die Einbildung fragt nach dem Glück allhier;
Die fromme Schöne spricht: "Ich will dir Rat erteilen.
Erwart' es; such es nicht; geselle dich zu mir:
So wird dir schon das Glück von selbst entgegen eilen."

Ihr wird gefolgt; nichts konnte besser sein.
Bald sieht man einen Glanz das Heiligtum verklären.
Es stellet sich das Glück mit offnen Armen ein,
Umfängt die Hoffende und sättigt ihr Begehren.


Das Gelübde

Nichts pflegt der Rachbegier an Torheit gleich zu sein.
Ein Mann, der unverhofft sein feistes Kalb vermisste,
Schwur, wenn er seinen Dieb nur zu entdecken wüsste,
So wollt' er einen Bock dem Pan zum Opfer weih'n.

Sein Wunsch ward ihm gewährt. Es kam ein Panthertier,
Das gafft' und bleckt' ihn an und droht' ihn zu verschlingen.
Da seufzt' er: "Ich will gern mein Opfer zehnfach bringen;
Nur treib, o starker Pan den nahen Feind von hier."

Betrogne Sterblichen! wer kennt sein wahres Wohl?
So oft Gelübd und Wunsch den Rat der Allmacht störet.
Wenn uns des Himmels Zorn, zu unsrer Straf', erhöret,
So lernt man allererst, warum man bitten soll.

Das Delphische Orakel und der Gottlose

Ein Schüler des Diagoras
Ein Bösewicht, der wenig glaubte,
Und seinem frechen Götterhaß
Die größte Freveltat erlaubte,
Ging einstens, aus verruchtem Sinn,
Nach Delphos zum Orakel hin,
Mit atheistischem Vergnügen
Den Gott der Dichtkunst zu betrügen.

"O Phoebus," sprach er, "dein Verstand
Erforschet die geheimsten Dinge.
Hier halt ich etwas in der Hand,
Das ich für dich zum Opfer bringe.
Du Sohn Latonens, gib Bericht:
Ist es am Leben oder nicht?
Du weißt, es dient zu deiner Ehre,
Daß ich von dir die Wahrheit höre."

Er dachte: gibt man zum Bescheid:
Dein Vogel ist nicht mehr am Leben;
So will ich schon zu rechter Zeit
Ihm Flug und Freiheit wiedergeben.
Und wenn der schöne Leirer glaubt,
Der Atem sei ihm nicht geraubt;
So soll, auch dann ihn zu berücken,
Ein Druck den Vogel gleich ersticken.

Apollo übte nur Geduld
Aus Mitleid mit der kühnen Schwäche,
Und sprach: "Versuchst du meine Huld?
Du bist kaum wert, daß ich mich räche.
Zieh deinen Sperling, o du Tor,
Lebendig oder tot hervor.
Die Götter lassen sich nicht äffen:
Ich kann von ferne sehn und treffen."

Wallraff und Traugott

Heulend drang sich Boreas in die dichtverzäunten Felder,
Überraschte Berg und Tal, beugte, brach, zerriß die Wälder.
Durch die räuberischen Winde ward in einer Unglücksnacht
Nordens ewigbanger Wüste manches Tempe gleich gemacht.
Rauhe Furchen weiß von Reif, öde höckerichte Fluren,
Leere Wiesen, fallend Laub, des entblößten Winters Spuren
Droheten mit starrem Schrecken, wurden doppelt fürchterlich
Als die neue Wut der Stürme das betrübte Land durchstrich.
Was des Pächters wacher Fleiß wohl verpflegt und eingeschlossen,
Hohe Ranken an dem Ulm, in den Beeten zarte Sprossen,
Zweige starker junger Bäume, die man alten eingesetzt,
Hoffnungvolle frische Pflanzen, die der Frost noch nicht verletzt,
Was des Winters strenger Grimm vielen Ästen lassen müssen,
Ward geknickt, gebeugt, zerstreut, abgeschlagen, umgerissen.
Endlich bringt der Tag die Stille: jeder eilt, um selbst zu sehn,
Welche Bäume noch zu stützen, welche sonst zu retten stehn;
Hausherr, Frau und Knecht und Magd macht sich auf und forscht und zählet
Ranken, Sprossen, Baum und Stock, die der Nordwind jetzt verfehlet.
Zur Erhaltung der Gewächse lehren alle was zu tun;
Jeder gibt dem Nachbar Anschlag; weder Witz noch Zunge ruhn.

Wallraff nur faßt den Entschluß, seine Bäume zu behauen
Und weit emsiger, als sonst, das beraubte Feld zu bauen,
Greift zur nächsten Axt und Hacke, schneidet, pflöcket, kürzt und bricht,
Aber kürzt und bricht zu heftig, und verschont fast keinen nicht.
Zwar sein Nachbar Traugott kommt, aus Erfahrung ihn zu lehren,
Nicht durch Eile noch Gewalt Ordnung und Natur zu stören.
Schone, spricht er, deiner Bäume: glaube mir, allein die Zeit
Schaffet, ohne solche Mittel, die erwünschte Fruchtbarkeit.
Aber Wallraff hört ihn nicht. Als hierauf der Lenz erschienen,
Sahe man fast jeden Baum, nur nicht die gekappten, grünen
Und des weisen Alten Stämme voller als man sonst gesehn,
Reich an unerzwungnen Früchten, ungekünstelt prächtig stehn.

Diesen Bäumen gleicht der Witz; sucht ihn nicht zu übertreiben;
Ehrt die wirkende Natur; laßt das Künsteln ferne bleiben.
Soll die Seele sich entwickeln und in rechter Größe blühn,
O so muß kein klügelnd Meistern ihr die Majestät entziehn.

Die Tiere

Der Freiheit unverfälschte Triebe
Erhöh'n den Wert der Wahrheitsliebe,
Die deine Seele stark gemacht.
Dein glücklicher Verstand durchdringt in edler Eile
Den Nebel grauer Vorurteile,
Des schulgelehrten Pöbels Nacht.

Was Haller und die Wahrheit preisen,
Mein Freund! das wagst Du zu beweisen:
"Wer frei darf denken, denket wohl."
Laß deinen Ausspruch mich vertraulich überführen,
Ob ich die Urteilskraft in Tieren
Bejahen oder leugnen soll.

Zwei Ratzen, die der Mangel plagte,
Und hungrig aus den Löchern jagte,
Entdeckten unverhofft ein Ei.
Das Ei war ihnen genug. Es wissen viele Weisen,
Ein Manzel* selbst, daß, die zu speisen,
Kein großes Mahl vonnöten sei.

Sie wollen froh zum Essen schreiten;
Allein es läßt sich jetzt von weiten
Der Erbfeind ihres Volkes sehn.
Es schleicht ein Fuchs heran; und guter Rat wird teuer,
Er frißt die Ratzen und säuft Eier;
Wie läßt sich's unberaubt entgehn?

Die eine legt sich auf den Rücken
Und hält mit unverwandten Blicken
Das Ei mit ihren Pfoten fest.
Die andre weiß darauf, mit glücklichem Bemühen,
Sie bei dem Schwanze fortzuziehen;
Und so erreichen sie das Nest.

Wer lehret, aus gewissen Gründen,
Daß Tiere bloßerdings empfinden?
Hat hier die Ratze nicht gedacht?
Verriet die Rettungsart, die sie so wohl erlesen,
So schön vollführt, kein geistig Wesen,
Das zweifelt, forscht und Schlüsse macht?

Zeigt sich in keines Tieres Ränken
Die Kraft, was möglich ist, zu denken,
Des Menschen Leitstern, der Verstand?
Kennt man von ihrem Tun noch keine tiefre Quelle.
Als die Erwartung solcher Fälle,
Die jedes andern ähnlich fand?

Die besten Mittel weislich wählen,
Durch Klugheit nie den Zweck verfehlen;
Das kann der stolze Mensch allein.
Pflegt diese Fertigkeit nicht Tieren beizuwohnen?
Warum denn müssen die Huronen
Durch Biberwitz beschämet sein?

Wann fürchterliche Fluten schwellen,
Wann die Gewalt vereinter Quellen
Um Quebec wühlt und Felder frißt;
So wird im Strom ein Haus durch Biber aufgeführt
An dem der Sturm die Kraft verlieret,
Das rund, umpfählt und sicher ist.

Die Vörderfüße scheinen Hände
Und flechten aus den Binsen Wände,
Die auf sechs festen Stützen stehn.
Es kann ihr Wunderbau ein dreifach Stockwerk zeigen,
Und jeder Biber höher steigen,
Wann Eis und Wellen weiter gehn.

Sie wählen nahe Pappelweiden,
Die sie mit scharfem Zahn durchschneiden;
Doch ihre Mühe wird verkürzt,
Und sie erwarten stets den Beistand starker Winde,
Der plötzlich in die Wasserschlünde
Die halb durchnagten Stämme stürzt.

Es werden die, so Arbeit hassen,
Der Schmach und Faulheit überlassen,
Und man verbannt sie aus dem Staat.
Ein echter Biber muß sein Amt getreu verwalten,
Bald bauen, und bald Wache halten
Und melden, wann ein Mensch sich naht.

Wer war der Plato dieser Tiere?
Wer lehrte sie, was ich hier spüre:
Kunst, Ordnung, Witz, Bedachtsamkeit?
Soll man die Fähigkeit, wodurch sie dieses können,
Gefügter Teile Wirkung nennen?
Wo ist ein Uhrwerk so gescheit?

Entdeckt man weiter nichts an ihnen,
Als die Bewegung der Maschinen,
Der Urteil und Bewußtsein fehlt?
Cartesius bejaht's; doch ist ihm Recht zu geben?
Die Wahrheit mag den Zweifel heben,
Die Frankreichs Phaedrus (La Fontaine) uns erzählt

Aurorens Feind, ein Freund der Nächte,
Ein Tier aus traurigem Geschlechte,
Ein Kauz, der schlauste Bösewicht,
Ward in dem Nest ertappt; das steckte voller Mäuse;
Die waren feist und hatten Speise;
Doch ihre Füße fand man nicht.

Sie wurden hier vom Kauz ernähret,
Der ihre Brüder längst verzehret,
Und nun für sie den Weizen stahl.
Aus Vorsicht lähmt' er sie, weil, die er sonst gefangen,
Ihm wieder unverhofft entgangen:
Jetzt fraß er sie, nach sichrer Wahl.

Hat dieser Schlecker nichts ermessen?
Auf einmal alles aufzufressen;
Das war zu ungesund, zu viel.
Er spart; er will die Maus, eh er sie mästet, lähmen
Und ihr zur Flucht die Mittel nehmen.
Wie kam's, daß er darauf verfiel?

*
Manzel: Ein Rechtsgelehrter, Weltweiser und Dichter in Rostock

Die Fledermaus und die zwei Wiesel

Es kam die Fledermaus in einer Wiesel Loch;
Die war den Mäusen feind, und sprach: "Wie darfst du doch,
Der Mäuse Missgeburt! dich meinen Augen weisen?
Wiewohl du kommst mir recht; ich wollte so schon speisen."

"Was?" schreit die Fledermaus, "ich eine Maus? O nein!
Mein gutes Wieselchen, das mögt ihr selbst wohl sein;
Die mich zur Maus gemacht sind Neider oder Feinde;
Die Kater unsers Dorfs sind meine besten Freunde.
Es lebe was gut maust!" Ihr wird zuletzt geglaubt;
Sie rettet unversehrt ihr unerkanntes Haupt;
Und doch gerät sie bald, durch ihr Gesicht betrogen,
In einer andern Bau; die war der Maus gewogen;
Ihr waren gegenteils die Vögel ganz verhaßt.
Sie fraß, in Hoffnung, schon den ihr zu schlauen Gast.

Es weiß die Fledermaus ihr glücklich zu entgehen.
"Wofür denn," ruft sie aus, "werd' ich jetzt angesehen?
Für einen Vogel. Ich! du, Wiesel, irrest sehr.
Soll dies ein Fittig sein? Kennt man nicht Mäuse mehr?
Der erste Donnerschlag zerschmettre hier die Katzen!
Die Mäuse leben und die Ratzen!"

*   *   *

Ein Kluger sieht auf Ort und Zeit,
Aus Vorsicht, daß man ihn nicht fange.
Er ruft mit gleicher Fertigkeit:
Es lebe Wolf! Es lebe Lange
*!

*
Joachim Lange (1670-1744) war ein entschiedener Gegner der Philosophie
Christian Wolffs (1679-1754)


Der Fuchs und der Bock

Einst reiste Meister Fuchs zu einem seiner Schwäger,
Im schwülen Sommer, über Feld:
Es hatte sich zu ihm der Ziegenbock gesellt,
Der dumm und sicher war, wie viele Hörnerträger.

Ein Abweg führte sie vor eines Pächters Haus;
Da ward für ihren Durst ein Schöpfbrunn angetroffen.
Hier trunken beiderseits. Das heiß ich recht gesoffen!
Hub Reinke bellend an; und zum vollkommnen Schmaus
Fehlt nur ein feister Hahn: der Hühnerstall steht offen;
Wie aber kommt man hier heraus?
Mein Herr! darf ich den Anschlag geben,
So stellen sie den Rücken hin;
So bald ich aus dem Brunnen bin,
Ist's ihrem Diener leicht, sie schuldigst nachzuheben!
Ha! meckerte der Bock: nichts kann gescheiter sein.
Bei meinem Bart! mir fiel der Streich nicht ein.
Die klugen Köpfe sollen leben!

Hierauf bequemt er sich und dienet ihm zur Brücke;
Allein der Fuchs läßt seinen Freund zurücke,
Und sagt: Voritzt entschuldge mich;
Mein Schwager wartet schon; sonst wollt' ich bei dir bleiben.
Dort jene Ziege guckt auf dich,
Gevatter! sie wird dir die Zeit recht wohl vertreiben.

Der Falsche rennt davon und läßt mit scheelem Blick
Dem armen Bock nur diesen Trost zurück:
So bald wirst du dich nicht des Rettens unterfangen,
Bevor du selbst der Not entgangen.
Du murrest; fasse dich; der Mensch ist deiner Art:
Oft steckt sein Wissen nur im Bart.


Der Wolf und das Pferd

An einem schönen
Frühlingsmorgen
Betrat ein Wolf voll Nahrungssorgen
Der fetten Anger keimend Grün.
Da sah er mit erwünschten Freuden
Ein wohlbefleischtes Füllen weiden,
Das seinen Zähnen reizend schien.

Er hatte große Lust zur Beute;
Nur daß er jeden Gegner scheute,
Der stärker war als Lamm und Schaf.
Drum sollt' es ihm durch List gelingen,
Den jungen Streiter zu bezwingen,
Der an Gewalt ihn übertraf.

Er nähert sich dem stolzen Pferde.
Er schwört, daß auf der ganzen Erde
Kein Wurzelmann ihm ähnlich sei.
"Erhabner Houyhnhnm",* spricht er weiter;
"Ich kenne Stauden, Pflanzen, Kräuter
Von hier bis in die Tatarei.

Ich kann den Kranken Hilf' erteilen,
Spatt, Kropf, Geschwulst und alles heilen,
Dem andrer Helfer Rat gebricht.
Mir müssen Krampf und Würmer weichen;
Den Koller weiß ich wegzuscheuchen;
Und was versteh ich sonsten nicht!

Itzt bin ich darum hier erschienen,
Mit meiner Wissenschaft zu dienen;
Wenn ihnen diese raten kann.
Sie gehen zu frei, zu rasch im Felde;
Dies zeigt, daß ich die Wahrheit melde,
Uns Ärzten nicht viel Gutes an.

Dürft' ich, weil sie zu sehr sich regen,
Ein Band um Ihre Schenkel legen,
Gewiß, sie sollten Wunder sehn.
Ich fordere nichts für Kur und Mühe,
Weil ich den Geiz vor allem fliehe;
Die Heilung soll umsonst geschehn."

Das Füllen dankt ihm und versetzet:
"Ich habe mich am Huf verletzet
Und spüre dort die schwerste Pein.
Herr Doktor! kommt, beseht den Schaden,
Könnt Ihr der Schmerzen mich entladen?"
"Nichts," spricht der Wolf, "wird leichter sein."

Er will auch keine Zeit verlieren
Und stellt, den Anschlag auszuführen,
Sich unverzüglich hinters Pferd.
Das will, aus gleichgeschwinden Pflichten,
Ihm zum voraus den Lohn entrichten;
Ein Arzt ist seines Lohnes wert.

Der Houyhnhnm sucht ihn klug zu machen,
Schlägt aus, zerquetscht des Wolfes Rachen
Und wiehert ihm die Worte zu:
"Nichts gibt ein größeres Vergnügen,
Als den Betrüger zu betrügen;
Freund, das beweisen ich und du."

*
Houyhnhnm ist der Name, welchen Swift in den
Gulliverschen Reisen den Pferden beigeleget hat.


Der Löwe und die Mücke

Ein kluger Heiliger, selbst Augustinus, spricht:
"Dem Sonnenkörper ist die Fliege vorzuziehen;
Denn ihr, nicht jenem, ward ein Lebensgeist verliehen."
Vielleicht ist dieses wahr; ich aber glaub' es nicht.
Doch denk' ich keinen Ruhm den Fliegen abzusprechen;
Die Fliegen wissen sich zu rächen:
Auch Mücken fehlt es nicht an Keckheit, noch an Macht.
Wer ist der Heldin zu vergleichen,
Die jenes starke Tier auf's äußerste gebracht,
Dem alle Tiere zitternd weichen?

Der Tiere Regiment in Monomotapa
(Ein Königreich in Afrika)
War durch Gewalt und Recht dem Löwen zugefallen,
Der sich, Monarchen gleich, von schüchternen Vasallen
Geschmeichelt und gefürchtet sah.

Dort heißt ein schwarzer Fürst das Wunder seiner Zeit,
Hat nur sein Heldenmut viel Böses unterlassen;
Den Löwen nannten auch noch ungelähmte Sassen
Das Muster seltner Gütigkeit.
Das Lob nährt seinen Stolz, so wie sein Grimm die Not.
Mit beiden durfte nur die kühne Mücke scherzen,
Die ihm aus römschem Haß, mit freiheitvollem Herzen,
Des scharfen Stachels Spitze bot.

Der Angriff wird gewagt; sie selber bläst zur Schlacht;
Sie säumt nicht, an den Feind sich peinlich fest zu saugen,
Und hat den König bald um Rachen, Maul und Augen
Mit tausend Schmerzen wund gemacht.

Er tobet, schnaubt und schäumt; die Tiere bergen sich;
Die Tapfersten entfliehn den majestätschen Klauen.
Er brüllt; der Hügel bebt; das allgemeine Grauen
Vermehrt ein jeder Mückenstich.

Was will der Stärkre tun? Die Schwächre gibt nicht nach;
Der Löwe sucht umsonst die Mücke zu erreichen,
Und wird, nach langem Streit, nach mißgelungnen Streichen,
Ermüdet und an Kräften schwach.

Sie putzt ihr Panzerhemd, die Schuppen um den Leib
Und ihren Federbusch, läßt beide Flügel klingen,
Zieht alle Schwerter ein, die aus dem Rüssel dringen,
Und hält sich für kein schlechtes Weib.

Nun steigt sie in die Luft, mit Sieg und Ruhm geschmückt:
Nun weiß sie schon die Kunst, die Löwen zu besiegen:
Bald aber sieht man sie in ein Gewebe fliegen,
Darin die Spinne sie erstickt.

*   *   *

Aus beider Sicherheit wird deutlich wahrgenommen,
Daß oft der schwächste Feind den kühnsten Helden schlägt;
Wie mancher Waghals ist im Zufall umgekommen,
Den weder Sturm noch Schlacht erlegt!


Der Löwe und der Esel

Ein Esel schleppt sich aus dem Luder;
Ein Löwe kommt ihm zu Gesicht;
Zu diesem naht er sich und spricht:
"Ich grüße dich, mein lieber Bruder."
Der Löwe stutzet und ergrimmt,
So bald er sich die Mühe nimmt,
Den Bruder ins Gesicht zu sehen.
Doch denkt er: Einen edlen Mut
Versöhnet nur ein tapfres Blut;
Allein die Esel läßt man gehen.


Der Wolf und der Hund

Ein abgezehrter Wolf, ein Bild der Dürftigkeit,
Sah einen feisten Hund bei Nacht umherspazieren.
Sein Wanst gefiel ihm sehr; drum hielt er's für gescheit,
Bei diesem Fremden sich manierlich aufzuführen.
Er schien vor großer Lust ganz außer sich zu sein,
Gesellschaft solcher Art im Felde vorzufinden,
Und sprach: "Wann wird auch mich ein kleines Glück erfreun?
Und ach! wie könnte mich ein guter Rat verbinden!
An Gönnern fehlt es nur; die Zeiten sind nicht gut.
Kein Blutsfreund ladet uns mit andern lieben Gästen.
Wir kämpfen um den Fraß; wann mit vergnügtem Mut
Die Herren Hunde sich in vollen Küchen mästen."

Melamp erwidert drauf: "Freund, wir beklagen dich;
Wir glauben's, dort im Wald ist oft nicht viel zu fressen.
Doch willst du mit mir gehen, so wirst du, so wie ich,
Nach Wunsch verpfleget sein und aller Not vergessen.
Mich liebet Herr und Frau; mein Amt fällt gar nichr schwer.
Ich hüte Haus und Hof und halte nächtlich Wache.
Auch du scheinst mir geschickt zur Hut und Gegenwehr;
Und mehr bedarf es nicht, dass man dich glücklich mache."
Der Wolf umhalset ihn; und als er hurtig trabt,
Der Stelle vorzustehn, die man ihm angetragen,
Sieht er des Hundes Hals enthaart und abgeschabt
Und wird aus Fürwitz kühn, ihn desfalls zu befragen.

"Mich dünkt," versetzt sein Freund, "mir fällt die Ursach' ein:
Des Tages legt man mich mit Schmeicheln an die Kette;
Aus Furcht, ich möchte sonst falsch oder beißig sein,
Dafern ein Held wie ich stets seinen Willen hätte.
Was aber schadet dies? Ich liege warm und still;
Mein Herr besuchet mich; der Knecht bringt Trank und Speise."
Der Wolf, der weiter nicht den Hund begleiten will,
Sucht seinen Rückweg bald, und dankt ihm für die Reise.

"Nein!" ruft er, "auf der Welt ist nichts der Freiheit gleich.
Sollt' ich mir einen Stand, den sie nicht schmückt, erwählen?
Dem Weisen gilt sie mehr als Thron und Königreich:
Wenn ihm die Freiheit fehlt, so wird ihm alles fehlen."

Mops und Hector

Der beste Freund in unsrer Welt,
Mops, war mit Hector auferzogen,
Und blieb ihm, immer unverstellt,
Mit wahrer Hundetreu gewogen.

Ihm ging es recht nach seinem Sinn:
Wo Möpschen war, da gab es Freude;
Doch Hector zog nach Norden hin,
Und fand Verfolgung, Frost und Räude.

Wahr ist es: Hectors Unverstand
Gibt Anlaß oft ihn zu verlästern:
Er ist zu munter, zu galant,
Und lebte dort bei keuschen Schwestern.

Kaum finden sich die Brüder ein,
Und seufzen brünstig an der Schwelle,
(Vom Nachbar recht gehört zu sein)
So übertäubt sie sein Gebelle.

Er wedelt, wenn den Andachtbund
Gebet und Wink und Kuß beleben!
Er wedelt! O der Höllenhund,
Der Unschuld Ärgernis zu geben!

Er nimmt sich endlich mehr in acht,
Damit sein Tun unsträflich scheine.
Doch Hectorn drückt schon der Verdacht;
Er ist kein Tier für die Gemeine.

Bald soll ein wohlgewählter Stein
Den ungezognen Hund ertränken;
Nur ist die Strafe fast zu klein;
Der Hunger kann noch länger kränken.

Man stößt und schlägt und nennt ihn toll,
Zum Vorschmack härtrer Züchtigungen:
Doch alles dient zu seinem Wohl
Und zielt auf nichts, als Besserungen.

Der Brüderschaft ergrimmte Zucht
Häuft täglich die vergällten Tücke.
Zuletzt treibt ihn die Not zur Flucht
Und schleppt ihn halberstarrt zurücke.

Von Mopsen wird er kaum erkannt;
So dürftig kommt er angekrochen.
Allein, so bald er sich genannt,
Wird er aufs zärtlichste berochen.

Er spricht: Mein Freund, du jammerst mich,
Ich werde dich zu trösten wissen,
Es lebt dein Mops fast königlich;
Ihn mästen lauter Leckerbissen.

Madame gibt ihm manchen Kuß,
Manch Schmätzgen, dem kein Nachdruck fehlet.
Ihm kommen sie im Überfluß,
Dem Manne werden sie gezählt

Wer will, was Höhere gewollt,
Dem wird die Ehrfurcht zum ergötzen.
Mir sind die meisten Schönen hold,
Mich lieben zwanzig junge Betzen.

Mich lobt das ganze Haus; warum?
Ich kann die Treue klüglich üben:
Ich bleibe dem Geliebten stumm,
Und belle Bettlern oder Dieben.

Jupiter und die Schnecke

Jupiter verhieß den Tieren, die er in der Welt erschuf,
Das zu geben, was sie wünschten. Jedes kam auf seinen Ruf.
Alle wünschten, alle baten; was sie baten ward verliehn.
Zu den andern kroch die Schnecke, bis sie vor dem Zeus erschien.
Diese sprach: "O Haupt der Götter, darf auch ich mir was erflehn,
O so ist's, in meiner Wohnung lebenslang herumzugehn!
Wenigstens von nahen Feinden bleibt alsdann mein Haus befreit;
Wir entschleichen vielen Fragen, vielen Händeln und dem Neid.
Tausend mögen stolzer wählen; jeder Segen, der mir blüht,
Blüht mir schöner und gedoppelt, wann die Scheelsucht ihn nicht sieht."
Wahl und Vortrag ward gebilligt: Jupiter ging dieses ein,
Und vor vielen schien die Schnecke glücklich und gescheit zu sein.

Der Bauer und die Schlange

Ein Ackersmann fand eine Schlange,
Die fast erstarrt vor Kälte war.
Sein Arm entriß sie der Gefahr
Und ihrem nahen Untergange.
Er nahm sie mit sich in sein Haus
Und sucht' ihr einen Winkel aus,
Wo noch ein Rest von Reisern glühte.
Doch als ihr Frost und Not entwich
Erholte, regt' und hub sie sich,
Und lohnte dem mit Biß und Stich,
Den ihre Rettung so bemühte.

*   *   *

Betrogne Huld und Zärtlichkeit,
Die Frevlern blindlings Hilfe beut!
Hier folgt der Schaden stets der Güte.


Der Hirsch und der Weinstock

Ein Spießhirsch, dem die nahe Jagd
Die schlanken Läufe zittern macht,
Flieht schnell zu Holz und tut sich nieder.
Der Leithund sucht durch Busch und Flur,
Verfolget Fährte, Schritt und Spur
Und findet ihn im Prudel* wieder.

Der Hirsch verändert seinen Stand
Und springt in ein verzäuntes Land,
Wo bald ein Weinberg ihn verstecket.
Des Hifthorns Ruf, das Jagdgeschrei,
Die muntern Jäger ziehn vorbei,
Sein Wiedergang bleibt unentdecket.

Da nichts ihn mehr verscheuchen kann,
Fängt er den Stock zu nagen an,
Bricht und entblättert Zweig und Reben.
Man hetzt auf dies Geräusch zurück,
Er wird, beinah im Augenblick,
Erlegt, zerwirkt und preisgegeben.
Er schreiet, da er zappelnd weint,
Da Hund und Rach' und Tod erscheint,
Und sich mit Schweiß die Ranken färben:
"Ich sterbe, weil ich den verletzt,
Der mich in Sicherheit gesetzt."
So sollten, die ihm gleichen, sterben.

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Weidmännischer Ausdruck für Sumpf

Der kranke Hirsch und die Wölfe

Ein Hirsch, der sich nicht wohl befand,
Blieb lange Zeit daheim, die Ballen auszuheilen,
Und jeder Freund kam angerannt,
Ihm Trost und Beirat mitzuteilen

Gesellschaft pfleget zu erfreun;
Drum stellten sich am zwölften Tage
Zwei Wölfe voller Mitleid ein,
Und jeder kam mit dieser Frage:
"Wie mag es mit dem Kranken sein,
Den ich gewiß recht sehr beklage?
Hat man auf ihn gehörig acht?
Ist's gut, so eng' ihn einzusperren?
Wie stund's mit ihm die vorge Nacht?"
Das Hirschkalb sagte mit Bedacht:
"Viel besser, als ihr's wünscht, ihr Herren."

Die Natter und der Aal

Zu der Natter sprach ein Aal:
"Mein Geschick ist zu bedauern,
Weil auf mich fast allemal,
Nicht auf dich, die Leute lauern.
Ruh und Unschuld schützt mich nicht,
Weil mir jeder Netze flicht;
Mein Geschlecht füllt alle Reusen."
"Vetter," fiel die Natter ein;
"Unschuld wird dich nicht befrein;
Aber ich kann Zähne weisen,
Deren Biß die Feinde scheun."

Der Esel, der Affe und der Maulwurf


Ein betrübter Esel heulte,
Weil des Schicksals karge Hand
Ihm nicht Hörner zugewandt,
Die sie doch dem Stier erteilte;
Und der Affe fiel ihm bei,
Daß der Himmel grausam sei,
Weil er ihm den Schwanz versagte.
Als nun jeder mürrisch klagte,
Sprach der Maulwurf: Ich bin blind;
Daß man sich mit mir vergleiche,
Wenn des Schicksals Zorn und Streiche
Andern unerträglich sind!

Der Fuchs ohne Schwanz


Reineke verwirrte sich
In die ihm gelegten Stricke,
Und, wiewohl er selbst entwich,
Ließ er doch den Schwanz zurücke.

Um nicht lächerlich zu sein,
Predigt' er den Füchsen ein,
Auch den ihren abzulegen.
Seine Hörer zu bewegen,
Sprach er als ein Cicero:
Erstlich will's der Wohlstand so,
Um sich zierlicher zu regen:
Denn man trabt damit zu schwer,
Und zu unbequem einher.
Zweitens macht ein Schweif zu kenntlich.
Drittens hält er in dem Lauf
Oft den schnellsten Brandfuchs auf.
Viertens riecht er vielen schändlich.

"Stumpfer Redner! schweige du",
Rief ein alter Fuchs ihm zu;
"Was du lehrest, wird verlachet.
Nur der Neid ist's, der dich quält,
Der den Vorzug, der dir fehlt,
Andern gern zuwider machet."

Der Hirsch, der Hund und der Wolf


Ein jeder Frommer tut, was man in Hamburg tut:
Das Gute glaubt er oft, allein das Böse selten.
Ihn lehrt der Lauf der Welt, daß Neid und Frevelmut
Der Tugend Henker sind und auch die Frömmsten schelten.
Sonst ist's ein bloßes Glück, wenn einen Bösewicht
Die Unschuld und das Recht, trotz seiner Kunst, beschämen.

Ein Wolf jagte einen Hund. Der bat, aus Zuversicht,
Den Hirsch, ihn ungesäumt in seinen Schutz zu nehmen.
Der Flüchtling wird erhört; doch ihn verfolgt sein Feind
Und spricht: "Ich komm', o Hirsch, dein einzig Kalb zu rächen.
Der Schnapphahn hat's erwürgt; ich sah es, ich, dein Freund,
Und den verwirkten Hals soll ihm kein andrer brechen."
Der Hund verneint die Tat. Er fleht und schwört dabei:
Es sei ihm, von Natur, das Wildpret recht zuwider.
Ihm zeigt der strenge Hirsch sein fürchterlich Geweih.
Beklagter seufzt und heult und wirft sich vor ihm nieder.
Als drauf sein Kläger ihm mit neuen Zeugen droht,
Kommt, gleich zur rechten Zeit, das Hirschkalb hergesprungen.
Dem frechen Lügner trifft Verwirrung, Furcht und Tod;

Doch dieses Beispiel schreckt nur wenig Lästerzungen.