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Heinrich von Meißen "Frauenlob"
geb. zwischen 1250 und 1260 in Meißen gest. am 29.11.1318 in Mainz


Den Beinamen Frauenlob bekam dieser entweder für sein Eintreten für die Bezeichnung "frouwe" zugunsten von
"wîp" oder für seinen Frauenleich zu Ehren der Jungfrau Maria.

Er wurde wahrscheinlich um 1250 in Meißen geboren, wo er an der dortigen Domschule seine gelehrte Ausbildung
und poetische Schulung erhielt. Von dort hat er, interpretiert man die historischen und persönlichen Anspielungen seiner Gedichte richtig, seine Wanderschaft über zahlreiche Fürstenhöfe angetreten, die ihn unter anderem auch
zu König Rudolf I. von Habsburg und  König Wenzel II. von Böhmen und Herzog Heinrich IV. von Breslau führten.

Etwa seit 1312 verbrachte er seine letzten Lebensjahre im Dienst des Erzbischofs Peter von Aspelt in Mainz,
wo er am 29.11.1318 verstarb und unter größter Anteilnahme der Mainzer Frauen im dortigen Dom beigesetzt wurde.

In seiner Dichtung beweist er seine gelehrte Bildung ebenso wie seine Formkunst, die sich jedoch bisweilen sowohl
in einer bizarren Artistik wie in einer schwer zugänglichen Metaphorik äußert. In seinem umfangreichen lyrischen
Werk findet man 3 Leichs und zahlreiche Strophen und Melodien.
Schon zu Lebzeiten wurde er sehr verehrt. 


Gilt als der "letzte Minnesänger" und als einer der zwölf alten Meister.
 

Maget, wip und vrouwe

1.
Maget, wip und vrouwe, da lit aller selden
goum.
maget ist ein boum:
der ersten kiusche blumen
von ir magetume,
heilrich ursprinc, des wunsches wesen- aller
sinne gumen,
die kunden nicht die süzen art- volloben der
kiuschen megede.

2.
Swenn aberder süzen blumen lust durch
menlich list gevallen ist,
wip nennet man sie denne.
ob ich rechte erkenne,
den namen Wunne Irdisch Paradis ich von
schulden nenne.
lob si dir, wip, durch vreuden namen
und durch din biltbehegede!


3.
Ouch ob sie menlich recht begat
und vrucht gebirt, alrest den rat,
daz hoste phat
errungen hat:
vrouwe ist ein name,ir billich lat:
der nuz uf al ir wirde stat,
vrouwe ist ein name,
der menschen sin treit zu der lust gejegede.

* * * *
 

Jungfrau, Frau und Mutter

1.
Maget, wip und vrouwe: in ihnen liegt der Glanz
allen Glücks.
Maget ist ein Baum:
Blüten der ersten Keuschheit
aus ihrer Jungfräulichkeit,
Anfang allen Heils, alles Wünschbare-
auch die Anspannung aller Verstandeskräfte
könnte die Herrlichkeit der keuschen Jungfrau
nicht ausreichend lobpreisen.

2.
Wenn aber der Glanz der herrlichen Blüten
durch männliche List abgefallen ist,
dann nennt man sie wip.
Wenn ich es richtig sehe,
deute ich den Namen als Wonne/Irdisch/Paradies
in angemessener Weise.
Gepriesen seist du, wip, wegen des freudenvollen
Namens.

3.
Wenn sie männliches Recht befolgt
und Frucht gebiert, dann erst hat sie ihre Bestimmung,
das höchste Ziel
errungen:
vrouwe ist ein Name, der ihr zu recht gehört:
der Nutzen kommt zu ihrem Ansehen dazu.
Vrouwe ist ein Name, der menschlichen Sinn Freude
erjagen läßt.

* * * *
 

Lobe ich die wip

1.
Lobe ich die wip, dannoch sint vrouwen
ungelobet,
da bi verobet
der vrouwen pris die beide
mit des lobes kleide.
sint vrouwen wip, wip vrouwen nicht?
ja, durch lieb, durch leide.
vrouwe ist ein name, der al ir art mit einem
nennen decket. Unwip sint under vrouwen ouch,
daz prüfe ein man.

2.
swer merken kann,
der volge miner witze
nach des rechtes spitze.
e daz ein wip mit bernder we vrouwen stul
besitze, wie solde ir nam geheizen sin, ob sich
ir wandel wecket?

3.
Man sinne ez zu, man sinne ez in,
kein vrouwe enmac sie nicht gesin.
ir nemeliche pin
muz in den schrin,
da sich der vrouwen wanc unfin
ouch birget nach den kunden min:
in beiden wirt ein wandelnam ‘unwip’ daruf
gestecket


* * * *
 

Lobpreise ich die Frauen

1.
Lobpreise ich die wip, dann bleiben die vrouwen
ungelobt.
Doch übertrifft das Preisen der vrouwen beide (d.h.
maget und wip) im Kleid des Lobes.
Sind vrouwen auch wip, wip aber keine vrouwen?
Ja, durch Freud und Leid!
Vrouwe ist ein Name, der sie alle mit einem Begriff
umfaßt.
Unwip gibt es auch unter den vrouwen, das
unterscheide ein Mann.

2.
Wer klug ist,
der folge meinem Verstand
mit seiner scharfsinnigen Erklärung.
Bevor ein wip durch den Schmerz der Geburt
den Thron einer vrouwe erringt, wie sollte ihr Name
da lauten, falls sie sich zum Schlechten verändert?

3.
Man denke hin, man denke her:
vrouwe kann sie dann nicht heißen
Ihre eben genannte Schlechtigkeit
muß in das gleiche Kästchen hinein,
in dem sich meines Wissens auch die häßliche
Veränderung der vrouwen befindet:
Ihnen beiden wird dann der gemeinsame
Schimpfname unwip darauf geschrieben.


* * * *
 
Swaz ie gesang Reimar

Swaz ie gesang Reimar und der von Eschenbach,
swaz ie gesprach
der von der Vogelweide,
mit vergoltem kleide
ich, Vrouwenlob, vergulde ir sang, als ich iuch
bescheide. sie han gesungen von dem feim, den
grunt han sie verlazen.
Uz kezzels grunde gat min kunst, so gicht min
munt. ich tun iu kunt
mit worten und mit dönen
ane sunderhönen:
noch sollte man mins sanges schrin
gar rilichen krönen.
sie han gevarn den smalen stig
bi künstenrichen strazen.
Swer ie gesang und singet noch
-bi grünem holze ein fulez bloch-,
so bin ichz doch
ir meister noch.
der sinne trage ich ouch ein joch,
dar zu bin ich der künste ein koch.
min wort, min döne traten nie
zu rechter sinne sazen.

 
Was jemals Reinmar sang

Was jemals Reinmar sang und der von Eschenbach,
was jemals
der von der Vogelweide sagte:
mit meinem goldenen Prunkkleid übertreffe
ich, Frauenlob, das Gold ihres Gesanges, wie ich es
jetzt darlege Sie haben nur vom Schaum (an der
Oberfläche) gesungen, den Boden haben sie
vernachlässigt. Meine Kunst kommt vom Boden des
Kessels, das behaupte ich.
Ich verkünde euch mit Worten und Melodien
und ohne Übertreibung:
das Schatzkästchen meines Gesanges würde eine
reiche Krone verdienen.
Die anderen haben angesichts der an Kunst reichen
Straßen nur den schmalen Weg benützt.
Wer jemals gesungen hat und noch singen wird
- ein abgefaulter Ast am grünen Holz -,
so bin ich doch
der Meister über sie alle.
Ich stehe im Joch des Vaterlandes,
und ich bin überdies ein Könner in der Küche der
Kunst. Meine Worte und Melodien haben niemals
den Wohnsitz der wahren Kunst verlassen.

 

Quelle:
©Reclam 1993 Deutsche Gedichte des Mittelalters
Ausgewählt, übersetzt und erläutert von ©UlrichMüller/©Gerlinde Weiss

 


Gevîolierte blüete kunst;
dîns brunnen dunst
unt dîn gerœset flammenrîche brunst
diu hâte wurzelhaftez obez.
gewidemet in dem boume künste rîches lobes
hielt wipfels gunst
sîn list, durchliljet kurc.
durchsternet was sîns sinnes himmel;
glanz als ein vimmel,
durchkernet lûter golt nâch wunsches stimel,
was al sîn bluot, geveimt ûf lop.
gevult mit margarîten niht ze klein unt grop,
sîns silberss schimel
gap gimmen velsen schurc.
ach kunst ist tôt! nu klage, armonie!
planêten tirmen klage niht verzîe,
pôlus jâmer drîe.
genâde im, süeze trinitât;
maget reine, enpfât:
ich meine Kuonrât
den helt von Wirzeburc.


* * * *
 

Du veilchengezierte Blüte der Kunst;
der Atem deiner Quelle
und dein rosig flammenreiches Feuer
trugen wurzelkräftige Frucht.
Angesiedelt im Baum künstenreichen Ruhmes
erhielt sein lilienverziertes Können
die Gunst des Wipfels zugewiesen.
Mit Sternen war der Himmels seines Verstandes
geschmückt; ein leuchtender Strahl,
durchsetzt von reinem Gold, nach Wunsches Begehr,
war all sein Blühen, abgeschäumt von falschem Lob.
Besetzt mit Perlen – nicht zu klein, nicht zu dick -,
gab der Glanz seines Silbers
Edelsteinen die Kraft von Felsen.
Ach, die Kunst ist tot! Nun klage, Sphären-Harmonie!
Das Areal der Planeten unterdrücke nicht die Klage,
der Himmelspol unterdrücke nicht den dreifachen
Schmerz. Sei ihm gnädig Trinität;
reine Jungfrau, empfange ihn:
ich meine Konrad;
den Helden von Würzburg.


* * * *
 

Wer ist ein man got unt der diet?
an swem geriet,
daz in diu zît der vierzig jâr besiet,
ob er im selben angesiget,
sô daz diu tugent selp vierde in sîner zellen
liget, unt nie verschriet
die wârheit mit ir sage.
treit er den reinen frouwen prîs
mit manheit wîs,
blüet im ûz mâze ganzer milte ein rîs,
teilt im bescheidenheit ir maht,
gedult, barmungen, êlich leben, diu sint
geslaht. ze snel, ze lîs
niht rehtes zorn voljage.
in der zuht und in der triuwe sol sîn herze
velzen; swen ich nu spür sîn manheit alsô
velzen, sêt, dem wil ich smelzen
ein lop ûz mîner münze golt.
swer dient den solt,
wîp, sît dem holt:
mit liebe er iu behage.

 

Wer gilt Gott und den Menschen als ein Mann?
Bei dem es gelang,
daß ihn die Zeit vierzig Jahre lang formte,
indem er sich selbst besiegt,
so daß die Tugend selber als Vierte in seinem Herzen
liegt und die Wahrheit sie nie
mit ihrer Säge zerschnitt.
Pries er die edlen Damen
in kluger Mannesart,
blüht ihm aus dem Maß großer Sittsamkeit ein Reis,
teilt ihm Klugheit ihre Macht zu
und Geduld Barmherzigkeit, eheliches Leben – die sind
von guter Art. Weder zu schnell noch zu sachte
soll er den Zorn des Rechtes durchsetzen.
In der Erziehung und in der Treue soll sein Herz
konform gehen; wenn ich nun seine ganze Art so
ausgeprägt wahrnehme -, seht, dem will ich ein Lob
aus dem Gold meiner Münzen schmelzen.
Wer Belohnung verdient,
Frau, dem sei zugetan:
mit Liebe wird er euch wohlgefallen.

 

Quelle:
©Marix/ Deutsche Lyrik des Mittelalters/2005 Hrsg. ©Manfred Stange