Fabelverzeichnis
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Zweites Buch
 
Prologus
Die Krähe und die Nachtigall
Der Reiher und der Krebs
Die Kuh und der Ochse
Der Polyhistor und der Tod
Der Hund und der Schatten
Die Taube, die Dohle und die Elster
Der Rabe und der Fuchs
Der Hund und das Krokodil
Der Ochse und die Mücke
Die Torheit und Amor
Der Reiher
Der Esel und das Schwein
Die Katze und die Wiesel
Die Mücke
Die Gemse und der Eber
Der Esel und der Hund
Der Fuchs un der Rabe

Prologus

Nicht etwa in den Schönen nur
Herrscht das Verlangen zu gefallen.
Die weise gütige Natur
Gab es mit der Vernunft uns allen.

Aus ihm entspringt die Ruhmbegier;
Und, wenn schon öfters die durch Ehrgeiz sich entadelt,
Wer ist so ungerecht, daß er sie immer tadelt?
Denn wie so viel verdankt man ihr?
Sie, sie erwecket das Genie,
Erleichtert auch ihm alle Müh,
Und unsre Welt beglückt nur sie
Mit Demostenen, mit Homeren;
Ja, zu Achillen macht sie die,
Die ohne sie Thersiten wären.

Wenn ein fanatischer Moralist
Auf sie in ganzen Bänden schmähet,
Und dartut, daß sie sündlich ist,
So weiß ich doch, daß er die Sünde selbst begehet;
Er sucht den Ruhm, daß er sie wohl geschmähet.

Ich wenigstens gesteh die Schwachheit ein,
Wenns eine Schwachheit ist. Es würde, wie ich wette,
Nicht eine Fabel mir jemals gelungen sein;
Wenn keines Kenners Lob mich unterstützet hätte.
Und ist wohl der, dies zu erlangen, wert;
Der trage, wo nicht stolz, nach Beifall nicht begehrt?
Nicht etwa nur der Narr laßt sich vom Lobe rühren.
Den Klugen rührt es auch. Doch welch ein Unterschied!
Nur einen Umstand anzuführen,
So reizt den Klugen nur des Lobes Gründlichkeit.
So bald dem Lobe die gebricht,
So wirds von ihm nicht angenommen.
Dem Narren aber ist ein jedes Lob willkommen;
Er mags verdienen, oder nicht.

So mag denn (Fabeln ist ja dieses Vorrecht eigen,
Daß man, was sonst die Galle leicht empört,
Am liebsten noch von ihnen hört,)
Auch diesen Satz itzt eine Fabel zeigen.

Die Krähe und die Nachtigall

Der Krähe war einst eingefallen,
Gleich dichterischen Nachtigallen
Durch ihre Stimme zu gefallen.
O, wie gefiel sie sich, wenn sie
Ihr Lied, das jedes Ohr betäubte, sonder Müh'
In ewiger Monotonie,
Und Tag für Tag aus heisrer Kehle schrie.

Sie sammelte, so oft sie ausgesungen,
Für sich des Beifalls Stimmen ein.
Den Eulen hatt' es meist ganz allerliebst geklungen.
Ein Rabe schrie: Was könnte besser sein?
Dem Stieglitz hatte sie durch viel Bewunderungen
Den Beifall endlich abgerungen.
Des Kranichs Urteil nach war gar die Stimme fein.
Sie hatte schon das Lob der Menge.
Das Lob der Nachtigall ward noch von ihr begehrt.
Sie fühlte zwar nicht ihrer Lieder Wert;
Sie wünschte sich's, bloß weil sie oft gehört,
Daß die am allerschönsten sänge.

Nicht weit davon schlägt eine Nachtigall,
Dem ganzen Walde sagt's der laute Widerhall;
Der ganze Wald horcht zu. Gleich setzet sich die Krähe
Auf einen Eichbaum in der Nähe;
Und nun bestürmt sie ihre Gunst
Mit Listen, welche sie bei Dichtern ohne Gaben,
Als wahren Erben ihrer Kunst,
Seit jener Zeit bis jetzt erhalten haben.

Bald billigt sie die Stellen ihrer Lieder,
Wenn sie, als ob ein Ton vor andern ihr geglückt,
Mit ihrem Kopfe seitwärts nickt,
Und gierig nach ihr guckt. Bald fährt sie, wie entzückt,
Halbflatternd auf und klatscht mit dem Gefieder.
Bald läuft sie ganz den Ast hinauf
Und streckt den Hals, um alles wohl zu fassen,
Und keinen Ton vorbei zu lassen;

Bewundernd sperret sie dann Aug' und Schnabel auf.
Sie flieget bei des Liedes Schluß
Demütig hin zu ihr, erhebt, was sie gehöret,
Und einen jeden Ton beehret
Ein langer Panegyrikus.*
Selbst da sie das, was rühmenswert rühmet,
Zeigt sie, wie wenig ihr ein Urteilsspruch geziemet.
Ihr klang der eine Ton fast wie ein Wasserfall,
Ein andrer hatte was von dem Geräusch von Blättern.
Sie schloß, um sie mit Nachdruck zu vergöttern:
So göttlich sang, mein Treu! noch keine Nachtigall.

Beherzt wagt drauf die Kräh', die sich zum voraus blähet,
Ihr unharmonisch Lied, und da sie ausgekrähet,
Spricht sie: Zwar deine Kunst läßt mich sehr weit zurücke.
Wenn meine Lieder nichts als nur Versuche sind,
Sind deine Lieder Meisterstücke.
Doch weiß ich, daß man auch durch Lehren viel gewinnt,
Verweigre mir nicht dieses Glücke.
Ich nehme gern der Kenner Tadel an.
Du glaubst mir leicht, daß ich noch besser singen kann,
Wenn ich mir Zeit zu meinen Liedern nehme.
Wie klang indes dir dieses Lied?

Die Nachtigall, die erst die Antwort ganz vermied,
Spricht, da sie auf Lob so lange warten sieht:
So, daß ich deines Lobes mich schäme.

Der Undank schmerzt die Kräh. Sie widerruft ihr Lob;
Sie schreit: Du Eitle denkst, weil ich dich erst erhob,
Könnt' ich dir keine Fehler zeigen!
Vor dir versteck ich mich noch nicht.
Du meinst, dir sei allein die Kunst zu singen eigen,
Doch weißt du, was der Kuckuck spricht?
Wenn du nichts Besseres sängst, so möchtest du nur schweigen.
Du wechselst bis zum Überdruß.
Dein Lied ist, weil ich's sagen muß,
Viel zu gekünstelt, viel zu zierlich,
Es ist nichts weniger als natürlich.

Die Nachtigall hört zu und spricht:
Und solltest du mich auch den größten Stümper nennen,
So rührt mich doch dein Urteil nicht,
Denn wer nicht loben kann, wie soll der schimpfen können.

*Panegyrikus:
ein distanzloser, lobhudelnder Schmeichelredner.

Der Reiher und der Krebs

Der Räuber, welcher gern um volle Teiche schweift,
Und mächtig auf die Fische streift,
Der Reiher flog recognoszieren;
(scherzhaft: auskundschaften)
Und dem befiederten Korsar
Glückts, einen Fischteich auszuspüren,
Der voll der besten Fische war.

Der Hunger kam bei diesem Blicke
Noch dem Bedürfnisse zuvor;
Doch ihn verdroß, daß er die Zeit umsonst verlor.
Denn alle kannten seine Tücke,
Und waren diesmal zu verzagt,
Weil sie schon allzuoft mit Schaden es gewagt,
Dem Räuber frei zu widerstehen.
Statt so, wie sonst, keck auf ihn loszugehen,
Flohn sie vom Ufer weg, tief in den Teich hinein,
Um da gesicherter zu sein.

Nicht willens, diesen Teich leer wieder zu verlassen,
Und müde, länger aufzupassen,
Sinnt er herum. Der Hunger machet fein.
Schnell fällt ihm eine Kriegslist ein.

Ihr Fische, fing er an; ihr meine werten Freunde!
Hört; mein Gewissen treibt mich an.
Euch etwas zu vertraun, das euch noch retten kann.
Ich hört es gestern selbst, wie einer eurer Feinde,
Ein Fischer zu dem andern sprach:
Der heutige Fischfang hat sehr wenig eingetragen.
Es lohnt sich kaum der Müh. Ich, sprach er weiter, — (Ach!
Kaum kann ichs vor Betrübnis sagen!)
Ich hab euch etwas vorzuschlagen.
Mir ist ein Teich bekannt; der ist so groß und rein,
Von guten Fischen voll, und heller, als ein Spiegel.
Glaubt! Das wird unsre Sache sein!
Er liegt dort hinter jenem Hügel,
An welchem westwärts Buchen stehn.
Dahin laßt morgen uns gleich mit dem Tage gehn.
Ich hörte, da sie so vereint zu Rache gingen,
Kaum euer Todesurteil an:
So flieg ich gleich, so eilig, als ich kann,
Die schlimme Zeitung euch zu bringen.
Doch seid nur guten Muts! Wollt ihr euch mir vertraun:
So könnt ihr auch in Not auf meine Freundschaft baun.
Glaubt! Als ein ehrlicher gewissenhafter Reiher,
Sag ich euch Hilfe zu, und ich beschwör' euch teuer,
Daß ihr von mir, so bald ihr wollt,
In einen nahen Teich getragen werden sollt.
Der hell und lauter ist, den kleine Bäch' erfrischen;
Wo ihr der guten Zeit, die man euch selten gönnt,
In aller Ruh gebrauchen könnt,
Und dessen Grund die Fischer nie erfischen.

Das ist der klügste Rat, den man noch je erdacht,
Versetzt ein großer Krebs dem Vogel, den die Tücke
Zu einem Cicero gemacht.
Herr Reiher, habet Dank! Euch hat zu unserm Glücke
Der Himmel hergeschickt; wohlan, da, wie es scheint,
Ihr es so ehrlich mit uns meint,
Eilt! Macht in diesem Augenblicke
Den Anfang gleich mit mir, als unser wahrer Freund.

Hier weiß der Reiher sich vor Freuden nicht zu lassen;
Er macht den Schnabel auf, die Beute fest zu fassen.
Doch wie erschrickt er nicht, daß er sich so geirrt,
Da er zu fangen denkt, und selbst gefangen wird.

Der Krebs, der erst zu denken Anlaß gab,
Als ob er noch so dumm und leicht betrogen wäre,
War ein durchtriebner Schalk. Er faßt mit seiner Schere
Die Lügenzunge fest, und schneidet sie glatt ab.

Dem Reiher wird dadurch der ganze Mut genommen,
Er läßt den Krebs sich gern entgehn.
Nimmt Abschied, ohne sich nach Fischen umzusehn,
Und wird so bald nicht wieder kommen.

*   *   *

Wie manche fängt die eigne List,
Die an dem Ausgang sich zum Voraus schon ergetzen!
Sie jauchzen, daß ihr Netz so schlau geleget ist,
Und sie verwickeln sich in den gelegten Netzen.

Die Kuh und der Ochse

Als eines Bauers Kuh sah, wie ihr Herr sie pflegte:
So meinte sie, daß ihn ihr Wert dazu bewegte.

Nun kam sie keinem Bache nah,
Da sie, trutz einer Sylvia,
Nicht stille stund, und sich mit Lust besah.
Wie brüstet sie sich bei den Herden!
Wie abgemessen trabt sie nicht!
Sie gibt sich Müh, gesehn zu werden,
Und macht ein wichtiger Gesicht,
Als mancher Ratsherr macht, der das durch Amtsgebärden
Ersetzen will, was ihm an Witz gebricht.
Sie zählt zu ihren andern Gaben
Die Klugheit auch, und dünkt sich sehr gescheit;
Selbst Esel meinen ja nicht selten Artigkeit,
Und Hasen Heldenmut zu haben.

Noch mehr trutzt sie auf ihr Gebrüll.
Sie läßt es oft im Walde widerschallen,
Weil sie sich selber hören will.
Wer nimmts mit sich genau? Sich selber zu gefallen,
Braucht man kein Wunderwerk in seiner Art zu sein.
Ein Kiebitz mag auch noch so heischer schrein:
Voll Nachsicht gegen sich, denkt er: Er singe rein.
Zufrieden mit sich selbst, vergnügen sich die Frösche
In ihren Sümpfen am Gewäsche,
Und mancher Reimer meint, daß er Apollo ist,
Wenn ihn doch kaum sein Schuster liest.

Die Kuh brüllt, und glaubt, daß man sie ehret;
Doch, da sie gar ihr Hochmut so betöret,
Daß sie auch andre meistern will:
So schweigt ein Ochse nicht mehr still,
Der mit ihr einem Herrn gehöret,
Sagt ihr, wie dumm sie ist, und tadelt ihr Gebrüll.

Des Ochsen Tadel scheint der Kuh sehr vermessen.
Mich, Liebling unsers Herrn, mich, spricht sie, tadelst du?
Brüllt ich beim Füttern ihm so angenehm nicht zu,
Und war ich nicht so eine kluge Kuh:
Warum gab unser Herr mir mehr, als dir, zu fressen?
Warum kam er zuvor zu mir,
Und, wenn ich satt bin, erst zu dir?
Weswegen hätt' ich nach Verlangen,
Wenn junges Gras kaum aufgegangen,
Damit mir ja nichts mangeln soll,
Die Krippe stets von Gras und Butterblumen voll?
Er könnte ja sein Kind nicht besser pflegen.
Und du, bekommst du nicht, selbst mitten in dem Mai,
Nichts, als dein dürres Bündel Heu?
Du guter Schlucker, schweig! Du darfst dich gar nicht regen.

Dem Ochsen ist die Einfalt lächerlich.
Er spricht: Wie schlecht stund es um dich,
Wenn bloß dein Wert in dem, womit du prahlest, steckte?
Er dacht an dich gewiß, noch weniger, als an mich,
Wenn deine Milch ihm nicht so schmeckte.

*   *   *

Wie mancher reiche Mann bläht sich, wie diese Kuh,
Und denkt; sein Wert geb ihm ein Recht dazu.
Wie sollt er auch von seinen Gaben
Nicht eine große Meinung haben?
Man drängt sich ja zu ihm; ihn ehret alle Welt.
Er glaubt, daß der Schmarotzer Bücken,
Die Achtsamkeit auf ihn, die Ehrfurcht in den Blicken
Für ihn ein stilles Lob enthält.
Ihm dienen alle gern, denn er kann allen schenken.
Doch, hätte nur der große Mann kein Geld;
Wer würde da an ihn noch denken?

Der Polyhistor und der Tod

Wie schnell verfließt die Lebenszeit,
Der kurze Traum von wenig Tagen!
So hört man oft die Menschen sagen.
Und was verschwenden sie bei allen ihren Klagen
Wohl törichter als ihre Lebenszeit?
Ja gleich, als möchte sie zu lange sich verweilen,
Stößt man sie mühsam fort, dem Grabe zuzueilen,
Vor welchem jeder sich so scheut.
Man hütet sich mit Recht vor dem Verlust von Schätzen,
Und doch läßt der sich noch ersetzen.
Was alle Macht und Müh' nicht zu ersetzen weiß,
Die Zeit verlieret man mit Fleiß.

Und dieser Vorwurf ist nicht etwa übertrieben,
Wie manchen, welche nicht dergleichen Prüfung lieben,
Wohl dünken wird! Sie wird mehr, als man denkt, versäumt.
Denn der verjammert sie, wenn jener sie verplaudert;
Der in Entschließungen bedächtig sie verzaudert;
Und in Projekten der tiefsinnig sie verträumt.
Wie mancher Reimer hat von Eitelkeit verführet
Zur Plage des Geschmacks sein Leben ganz verreimt,
Wenn es der Wucherer veraddieret,
Der Philosoph verabstrahieret,
Der Kritikus verdisputieret,
Der Stutzer es vertanzt, verreitet und verbraust,
Der Müßiggänger verspazieret,
Vergähnt; verschläft, verpfeift, vergafft, verspielt, verschmaust,
Der Raritätenfreund sein Leben ganz den Steinen,
Den Muscheln und Insekten weiht.
Doch fühlet den Verlust kein einziger; alle meinen,
Sie nützten weislich ihre Zeit.

Regt das Gewissen sich; das bringt man bald zur Ruh.
Es muß zu allen sich bequemen,
Man spricht: Ich will mir nur noch diese Stunde nehmen,
Und gibt die zweite Stunde zu
Und dann die dritte noch, bis man sein halbes Leben
Der einen Stunde zugegeben.
Wie mancher, der wohl nie ermißt,
Daß dem, durch den er worden ist,
Der beste Teil von seiner Zeit gehöret;
Daß der Verstand ein Teil, ein Teil das Herz begehret;
Daß billig der Geschmack sich mit der Lust beschweret,
Wenn man sie beide ganz vergißt;
Und daß der Freund, so wie der Staat,
Ein Recht auf seine Stunden hat.

Pedrill, der (Wunder, wie!) die Zeit zu nützen dachte,
Wenn er zu ganzen Nächten wachte,
Vergraben unter Büchern saß,
Die schlechten wie die guten las,
Vorreden emsig durchstudierte
Und aus Registern exzerpierte,
War so voll Fleiß, daß er sich, Frau und Kind vergaß.
Das hieß, die Zeit gelehrt verderben,
Als Polyhistor einst zu sterben!

Herr Pauwen fiel wohl das nicht ein;
Ich würde so verwegen sein,
Von seinesgleichen zu erzählen.
Er denkt: Schickt sich hieher der fleißige Pedrill?
Wer Zeitverderber strafen will,
Der muß auf Dichter schmählen.
Her Pauw wird mir verzeihn, daß er sich so geirrt.
So bald von ihm bewiesen wird,
Der sei mit Rechte zu verlachen,
Der kühn den Vorurteilen wehrt,
Die Bosheit in der Herrschaft stört,
Die Herzen gegen sie empört.
Schön denken, fein empfinden lehrt;
So bald will ich, von meinem Wahn bekehrt,
Auf Dichter auch Satiren machen.

Pedrillens fleißiger Müßiggang
Hielt immer an. Er war des Nachruhms sicher.
Er sagte sich für seine Bücher
Schon in der Nachwelt Namen Dank.
Vom Altertum die Zeichen der Planeten,
Von Doktorringen und Baretten
Und Doktoren aller Fakultäten,
Von der Erfindung der Pasteten,
Vom Klange griechischer Trompeten,
Von Winden, die vorzeiten wehten,
Von wohlgezognen Massageten,
(ein antikes Nomadenvolk)
Von siebzigjährigen Athleten,
Von ausgewachsenen Poeten,
Viermal verehelichten Margreten
Und tausend solchen Raritäten
Schrieb er zu ganzen Alphabeten;
Und alles dies gelehrt. Wie konnt' es anders sein?
In das gesuchteste Latein
Hüllt er dies alles zierlich ein.

Er hatte sich fest eingepräget,
An welchem Ort und welches Jahr
Ein jedes Buch zuerst im Druck erschienen war,
Wer es gedruckt, wer es verleget,
Er gab genauen Unterricht,
Wie vielmal man es aufgeleget;
Nur seinen Inhalt wußt er nicht.
Von ihm erhielt man den Bericht,
Wie viele Gegner es alsbald sich zugezogen;
Er wußte gar die Zahl von jeder Streitschrift Bogen;
Nur ihre Zweifel wußt er nicht.

Sein Vater war ein Koch. Der Köche Stand zu Ehren
Füllt' er ein großes Buch von ihren Söhnen an,
Die der Gelehrten Zahl vermehren;
Und die zum Teil weit besser doch getan,
Wenn sie den Vätern gleich auch Köche worden wären.

Mit welchem Ernst versaß er manche Nacht!
Schrieb von gelehrten Michaelen,
Von Heinrichen, die sich berühmt gemacht.
Wie konnt' es jemals ihm an Stoff zum Schreiben fehlen?
Die Stümper, die zu ihrer Zeit
Der Wissenschaften Ruhm entehrten,
Entriß er der Vergänglichkeit
Und zählte sie zu den Gelehrten,
Wenn sie die Heinriche vermehrten.

Oh, wie gelehrt war sein Gedächtnis nicht!
Nun waren vierzig Jahr unmerklich weggeschrieben,
Pedrill, der stets gesund geblieben,
Wird krank und denkt erst nun an die versäumte Pflicht.
Der Tod mit seiner Sens' erscheint
Und spricht sein trotzig: Komm! Wie ist er abzuweisen?
Ihn rührt kein Flehn, er ist von Eisen.
Pedrill erschrickt und weint.
Ach! spricht er mit gefaltenen Händen,
Ach, lieber Tod, ich will die Zeit nicht mehr verschwenden.
Seht, wie mein Fehler mich gereut.
Ach, allerliebster Tod, laßt mich nur jetzt nicht sterben.
Noch vierzig Jahre gebt mir Zeit.
Ihr sollt es sehn, ich will sie nicht verderben.
Ihn hörte der Tod. Ich weiß nicht, wie es kam,
Daß der, den doch kein Held durch Bitten je bewegte,
Die Frist ihm eingestand und, wie er sonst nicht pflegte,
Die Sens' auf seinen Rücken legte
Und höflich seinen Abschied nahm.
Er war zur Türe kaum hinaus:
So zeichnete Pedrill, begierig zu studieren,
Zitata sich aus Folianten aus,
Im nächsten Buch sie wieder zu zitieren.
Er dachte, daß er nun von seiner Lebenszeit
Ein Jahr zum mindesten übrig hätte,
Und mit gelehrter Trockenheit
Verfertigt er manch Buch noch auf dem Krankenbette.

Indem er noch verjünget ward,
Versah er Bücher mit Registern
Und schrieb von stotternden Magistern,
Meßkünstlern, die gehinkt, und Doktoren, die geschnarrt;
Schrieb von den ersten Legionen,
Von der Gestalt der alten Kronen,
Von der Pythagoräer Bohnen,
Vom Ursprung kriegerischer Patronen,
Von der Statur der Scipionen,
Von gottesfürchtigen Neronen,
Von dem Geburtstag der Pisonen,
Von den auf einen Tag verstorbenen Baronen,
Vom Kopfputz griechischer Matronen,
Von Curionen und Milonen
Und allen Namen, die sich "onen",
Sein hundert Dissertationen.

Er selbst lebt nicht; er lebt nur, daß er lernen kann,
Wie lange der und jener Mann
Vor seiner Zeit gelebt, der sich einst Ruhm erwarb,
Wann er geboren ward, wer ihn als Knaben lehrte,
Wen er auf hohen Schulen hörte,
Wann er berufen ward, und wann er wieder starb.

Die vierzig Jahre sind verschwunden,
Eh er noch ihre Flucht empfunden.
Zum zweiten Mal erscheint der Tod
Und macht jetzt keine Komplimente.
Pedrill versucht, ob er die Stunde, die ihm droht,
Nicht noch einmal verzögern könnte.
Nein, spricht der Tod, komm fort, unnütze Last der Erde!
Glaubst du, daß ich mich stets erbitten lassen werde?
Vergönnt' ich dir auch noch ein tausendjähriges Ziel,
Du würdest stets die Zeit durch deinen Tand verderben.
Kurzum, komm fort! Pedrill muß sterben,
Er mag sich sträuben, wie er will.

Der Hund und der Schatten

Ein Hund, der viel vom Fressen hielt,
Und, eh sein Magen noch des Hungers Trieb gefühlt,
Durch Diebswitz seinen Tisch sich immer zubereitet,
Hatt' einst ein Stücke Fleisch in einer Küch erbeutet.

Der schlaue Hund weiß wohl; man setze Dieben nach.
Drum hält er sich nicht auf, sucht abgelegne Wege,
Und läuft auf einem schmalen Stege
Auch über einen hellen Bach.
Die Sonne strahlet gleich in vollem Glanz hinein,
Daß sich in ihrem Widerschein
Mit leichtbewegten Schattenbildern
Die Gegenstande deutlich schildern,
Und ihn, da er sein Fleisch im Abdruck hier erblickt,
Alsbald die Ähnlichkeit des Schattenbilds berückt.

Man weiß, den Schatten sei die Kunst der Prahler eigen,
Das, was sie unsern Augen zeigen,
Meist größer, als es ist, zu zeigen.

Er trägt zwar viel, doch er sieht mehr.
O die Versuchung ist zu schwer!
Zwar scheint dies größre Stück ein größrer Hund zu tragen;
Und dennoch hofft ers dem in Eil bald abzujagen.

Gereizt durch seine Lüsternheit,
Und über seinen Fund erfreut,
Springt er ins Wasser schnell hinunter.
Er schnappt danach, und ihm entfällt
Das Fleisch, das er im Munde hält,
Und mit dem Fleische sinkt zugleich der Schatten unter.
Nun lernt er erst den Geiz bereun,
Und er verläßt betrübt den Bach mit leerem Munde.

*   *   *

O Mensch, wie lange soll die Fabel von dem Hunde
Ein Bild von deiner Torheit sein?
Wird deine Habsucht nie ermüden?
So nütze doch, was dir dein Glück beschieden!
Du aber wirst so gleich, wenn dir nur uhngefähr
Ein größtes Glück erscheint, mit deinem unzufrieden,
Und eilst nun hinter diesem her.
Und was gewinnest du? Gemeiniglich nichts mehr,
Als daß du selber dich verführest,
Nach bloßen Schatten schnappst, und was du hast, verlierest.

Die Taube, die Dohle und die Elster

In einer Stadt, wo schon die Eitelkeit
Den Nachttisch nicht allein sich zum Altar geweiht;
Wo sie nicht nur so gar die Häßlichen berückte,
Und Alte, wie die Jungen, schmückte;
Wo des Exempels Schädlichkeit
Auch Tiere schon ergriff; in Leipzig, wie ich glaube,
Geriet einst eine weiße Taube
Mit einer jungen Dohle in Streit.
Ihr Streit war, was einmal drei Göttinnen entzweit;
Er war der Schönheit Preis. Die Frage war sehr wichtig;
Und ihre Folgen sind oft schlimm.

Die Taube sprach in halbem Grimm:
Dein Hochmut macht dich übersichtig.
Du Eitle, setzest dich bis über mich hinan?
Und bist an deinem ganzen Leibe
So schwarz, daß man mit dir zu fürchten machen kann?
Ich höre deinen Stolz mit kaltem Herzen an,
Da ich das, was ich bin, doch bleibe.

Die Dohle spricht: Ich bitte sehr;
Nur nicht zu zeitig triumphieret!
Die weiße Farb' ist tot, und hat noch nie gerühret;
Die schwarze Farbe gilt weit mehr.
Selbst unsers Herrn Geschmack kann schon die Sach' entscheiden.
Agnesens weißliches nichtssagendes Gesicht
Nahm ihn wohl anfangs ein; ihn fesseln konnt' es nicht.
Nun er Charlotten kennt, nun kann ers kaum noch leiden.
Und ist das die Brünette nicht,
An welcher alles lebt und spricht?
Was meinst du nun, wer ist die Schönste von den beiden?
Ein Vogel von Geschmack gibt mir gewiß den Preis.
Zu Endung unsers Zwists mag uns die Elster richten;
Denn die ist beides, schwarz und weiß,
Und, wie mich deucht, geschickt, solch einen Streit zu schlichten.

Die Taube willigt drein. Schon hält in ihrem Sinn
Sich jede für die Siegerin,
Und fliegt, als im Triumph, stolz zu der Elster hin.

Die Elster spricht: Wahrhaftig! Euch geziemet,
Zu streiten, wer die Schönste sei!
Die Farbe, deren ihr euch rühmet,
Ist nur ein ekles Einerlei;
Ihr seid sehr frech. Wie? Ich bin hier zugegen?
Und gleichwohl dürft ihr euch nicht scheun,
Der Schönheit Preis euch selber beizulegen?
Wißt! Wer gefallen will, muß mir nur ähnlich sein.

So klingen von der Schönheit Wert
Beinah auch unsrer Schönen Schlüsse.
Doch still davon! Mich hat manch Bespiel schon belehrt,
Daß man davon nicht reden müsse.

Der Rabe und der Fuchs

Wen man betrügen soll, der darf nur eitel sein.
Den, der noch zweifeln kann, verweis' ich an den Raben,
Den Reineke betrog. Ich weiß, man räumt mirs ein;
Man darf den Phädrus nur einmal gelesen haben.

Ein Rabe ließ sichs nie, so lautet der Bericht,
An einer guten Mahlzeit fehlen.
Er fand einst einen Käs'; und wo? Das weiß ich nicht.
Genug man weiß, daß Raben stehlen.
Er flog auf einen Baum, und wollt' in guter Ruh
Sich seinen Käse schmecken lassen.
Indessen kommt ein Fuchs dazu;
Und Füchse wissen auch dem Schlausten aufzupassen.
Ja, sich mit ihnen einzulassen,
Bringt meistens einen schlechten Lohn.
Man kennt die feinen Herren schon.

Der Fuchs sieht in die Höh, und sieht den frohen Raben.
Der Käs' ist groß; er sieht ihn an.
Nur fragt sichs; wie er ihn dem Raben rauben kann?
Der Baum ist hoch. Wie kommt er da hinan?
List schaffet Rat. Er denkt: O, den will ich bald haben!
Ich wette viel, der Käs' ist mein.
Bewundernd setzt er sich gleich unterm Baume nieder.
Und, als entzückt, fängt er laut an zu schrein:
Was muß das für ein Vogel sein?
Welch majestätisches, welch glänzendes Gefieder!
Den Pfau pflegt man so weit den Vögeln vorzuziehn;
Der Pfau ist viel zu bunt, und gar nichts gegen ihn.
Hier find ich Reiz und Ernst vereinet.
Er ist ein Meisterstück. Sein Schwarz ist wohl gewählt.
Nur schade, daß ihm, wie es scheinet,
Die Stimme fehlt.

Die Stimme! Mir! die soll er hören!
Ich will sogleich das Gegenteil ihn lehren.
Das weiß der Wald, stumm bin ich nicht.
Kann wohl die Eitelkeit, wenn sie gelobt wird, schweigen?
Nein, durch die Tat will ihm der Rabe zeigen,
Daß ihm die Stimme nicht gebricht.

Der Rabe schreit: er hat vor Lobe ganz vergessen,
Daß er den Käse noch in seinem Schnabel hält.
Der Rab' erschrickt, da ihm sein Käs' entfällt.
Der Fuchs ist froh; er hat zu fressen.
Und höhnisch spricht er noch, indem er ihn verzehrt:
Ein Panegyrikus auf einen finstern Raben
Ist schwer, und seinen Käse wert.
Ich mußte ja für meine Müh was haben.

Der Listigste gewann. Doch manchmal kehrt sichs um.
Die Eitelkeit macht selber Füchse dumm:
Betrogne macht ihr Schaden klüger;
Und, wenn die Rachgier sie beseelt,
So werden sie wohl selbst Betrüger.
Man höre nur hierbei, was uns Richter erzählt.

Dies war schon lange Zeit geschehn,
Als Rab' und Fuchs sich wieder sehn.
Dem Fuchse hat das Glück ein Stücke Speck beschieden:
Der Rabe siehts, und spricht: Wie? Speck? Nun! Ich gesteh,
Daß ich das itzt zum erstenmale seh!
Ein Fuchs hat Hühner in der Näh?
Und ist mit Speck zufrieden?
Freund, dein Geschmack ist sonst so fein;
Und auch von deiner List weiß jeder zu erzählen.
Die Hühner dort sind feist, und schon so gut, als dein;
Du wirst doch nicht die kleine Mühe scheun.
Die ganze Müh ist die, das beste Huhn zu wählen.
Und du bedenkst dich noch, da hier von deiner List
Der vierte Teil kaum nötig ist?

Wozu ist wohl ein Fuchs nicht zu bewegen,
An dem man List und Heldentaten preist,
Wenn man ihm noch dazu ein Huhn von ferne weist?

Der Der Fuchs entschließet sich, den Speck ins Gras zu legen,
Und eilt der Beute froh entgegen,
Die ihm des Raben Lob verheißt.
Doch alle seine List kann diesmal nichts erlangen.
Ihm sind, eh er noch kommt, die Hühner schon entgangen.
Die Freistadt nimmt sie ein, zu der sie meistens fliehn.
Des Hühnerhauses Höh beschützt sie gegen ihn.
Er hat den Schimpf, leer wieder abzuziehn.

Er kam zum Speck zurück. O Zufall! er entdeckte,
Wie in der Höh der Rabe saß,
Der seinen Speck mit Appetite fraß.
Und sprach: Mein Freund, so gut, als dir mein Käse schmeckte,
Schmeckt itzo mir dein Speck. Du wirst mirs wohl verzeihn;
List gegen List geht auf. Doch sage, was du dachtest,
Daß du mir selbst die Rache leichter machtest?
Ich war ein Narr, da du um meinen Raub mich brachtest.
Die Reih trifft dich, ein Narr zu sein.

Der Hund und das Krokodil

Nach Art ägyptischer Hunde,
Trank, nur mit flüchtgem Munde,
Ein weiser Hund am Nile sich hinan.
Wer bleibt da gerne stehen,
Wo, eh wirs uns versehen,
Ein Krokodil uns leicht erschnappen kann?

Er will mit seinen Tücken
Ein Krokodil berücken.
Es spricht zu ihm: Was läufst du, lieber Hund?
Was denkst du? Unterm Laufen,
Mein Freund, wie du, zu saufen;
Das reizt die Milz, und ist hochst ungesund.

Der Hund spricht: Laß zum Saufen
Mich dasmal immer laufen.
Dein Rat an sich wird nicht von mir verschmäht.
Wenn du und deinesgleichen
Aus diesem Fluß entweichen:
So trink ich auch, Herr Arzt, nach der Diät.

*   *   *

Wenn lockende Sirenen
Nach Menschenblut sich sehnen,
Hilft ihrem Durst der Stimme Zauberei,
Sie singen; doch der Kluge
Lacht nur bei dem Betruge,
Verstopft das Ohr, und schifft beglückt vorbei.

Der Ochse und die Mücke

Nicht etwa edle Pfauen nur
Pflegt eitler Stolz leicht aufzublähen.
Sogar auch Zwerge der Natur
Vermag er oft zu hintergehen;
Und ebendies (was meint ihr wohl?) erfuhr
Auch eine von den kleinsten Mücken.

Die Törichte! Sie auch nur zu erblicken
Brauchts fast ein Mikroskopium.
Ein West, der Blumen Lust, der andern Tier Entzücken
Wirft sie in freier Luft, als ein Orkan, herum:
Und sie verschlägt der Hauch von einem solchen Winde
Einst auf das Horn von einem Rinde.

Sie glaubt; sie drück es noch so sehr.
Das Rind geht weidend hin und her.
Die Mittagssonne sticht. Es krächzt von ungefähr.
Die stolze Mücke sagt: Nun! Nicht wahr; ich bin schwer;
Du krächzest schon! Ich mag dich müde machen.

Der Ochse hört es, und muß lachen.
Bist du da? spricht er; glaube mir,
Du kannst ganz sicher sein, daß du mich nicht beschwerest.
Du eitler Narr! Auch itzt wüßt' ich noch nichts von dir,
Wenn du mir nicht gesagt, daß du zugegen wärest.

*   *   *

Wie viele bilden sich auf ihr Gewicht was ein.
Die Prahler sind doch nur Insekten.
Stets würden sie unsichtbar sein,
Wenn sie nicht selbst, zu unsrer Pein,
Durch ihr Geschwätz von sich ihr Dasein uns entdeckten.

Die Torheit und Amor

Der Torheit (so erzahlt die Sage)
Begegnet einst an einem Sommertage,
Was ihr auch im Olymp nicht selten widerfährt,
Daß ihr die Zeit entsetzlich lange währt;
So daß der Wechsel selbst von allem Aberwitze,
Der je bei Menschen Beifall fand,
Und der an Höfen wohl in großem Ansehn stand,
Ja gar der Zauberklang von ihrer Schellenmütze
Nicht mehr dem Ekel steuern kann.
Zum Glücke trifft sie Amorn an.
Die Langeweile nicht zu fühlen,
Wird sie mit diesem eins, zu spielen;
Denn Amor ist ein Kind, und Kinder spielen gern;
Und ist die Torheit schon kein Kind; das kann nichts hindern.
Sie gleicht, so groß sie ist, in vielem ganz den Kindern.

Sie spielen. Anfangs auch sind Zank und Streitsucht fern;
Jedoch die Eintracht fängt bald an, sich zu vermindern.
Die Torheit spielt gern überall den Herrn;
Auch Amorn, wie man sagt, solls nicht an Herrschsucht fehlen;
Er läßt so leicht sich nicht befehlen.

Dies unterbricht die Einigkeit.
Ihr Spiel verwandelt sich in Streit,
Ihr Streit in hitziges Gezänke.
Die Torheit gibt viel schlaue Ränke
Dem Amor Schuld; und der reizt ihren Ungestüm
Noch mehr durch bittern Spott. Voll Eifers zeigt sie ihm,
Daß seine Scherze gar nichts taugen.
Doch da sie schilt, und widerspricht,
Und schreit und mit den Händen ficht,
Stößt sie im Zorn den, Amor in die Augen.

Der Stoß war heftig! Welch Entsetzen!
Der schwarzen Augen Blitz verlischt in ewge Nacht.
So sind die Augen denn so leichtlich zu verletzen?
Das hätte sie doch nimmermehr gedacht!
Wie ist die Tat nun wieder gutgemacht!
Sie mag entschuldigen, nicht Angst noch Mitleid sparen,
Durch ihre Schuld bleibt Amor dennoch blind.
Und seine Mutter hat sein Unglück kaum erfahren,
Da schon ein Tränenstrom von ihren Wangen rinnt.
Sie ringt die Hände, jammert, klagt,
Und schwöret der, die solche Tat gewagt,
Die strengste Rache zu. Sie eilt, um Recht zu bitten,
Und ihren Jammer auszuschütten,
Alsbald zum Zeus, und der wird leicht,
Da er sie weinen sieht, erweicht.

Die Torheit wird gleich vorgeladen.
Zeus pfleget mit den Göttern Rat,
Hört die Parteien, prüft die Tat,
Ermißt den zugefügten Schaden.
DerGötterrat beschließet insgesamt,
Die Torheit sei hinfort auf immerdar verdammt,
Der Venus blinden Sohn zu leiten.

*   *   *

Bedarf es wohl, die Fabel erst zu deuten?
Man kann leicht fühlen, was sie lehrt.
Doch, wer mehr Unterricht begehrt,
Der darf nur auf die vielen Ehen,
Die bloß die Torheit stiftet, sehen.
Er wird die Deutung leicht verstehen.

Der Reiher

Ein Reiher, welcher sich nichts Schlechtes dünken ließ,
Und, wenn ein guter Raub sich seinem Schnabel wies,
In Meinung, daß für ihn das Beste nur gehörte,
Stets, unsern Unzufriednen gleich,
Nach einem bessern Raub begehrte,
Umflatterte begierig einen Teich,
Um etwas Gutes auszuspähen.

Ihm zeiget hier sich anfangs gleich,
Ein Hecht, nicht übergroß, doch auch nicht zu verschmähen.
Ein Hecht! – und noch dazu nur klein! – dem nachzustellen,
Das wäre nicht der Mühe wert.
Ein Reiher meiner Art begehrt
Zu seinem Mahl nichts Schlechteres als Forellen.

Ihm kommt darauf ein Karpfen zu Gesicht.
Und dieser auch bezahlt die Mühe nicht,
Sich das Gefieder naß zu machen.
Er schießt herum, ob er nichts Besseres finden kann.
Sein Magen ist noch leer. Der Hunger fängt schon an,
Durch die Bewegung aufzuwachen.
Er weiß am Rand ein Loch, wo eine Schleie steckt.
Jedoch wie könnte sich ein Reiher so vergessen?
Dem weder Hecht noch Karpfen schmeckt,
Der wird nicht Schleien fressen.

Unfehlbar findet sich für ihn doch endlich was,
Ihm sinkt der Mut noch nicht. Nur frisch! Er fliegt im Kreise
Rings um den Teich und sieht nach seiner langen Reise
Sonst nichts als einen Krebs. – — Ein Krebs? Was wäre das?
Für ihn sind Krebse keine Speise.

Er fängt aufs neu herumzuschwärmen an,
Umsonst! Er findet sich betrogen.
Ach, seufzt er, hab ich doch so müde mich geflogen,
Daß ich nicht mehr vor Hunger dauern kann.
Welch Schicksal, daß ich nun bloß eine dürre Schnecke
Nach meiner langen Wahl entdecke!

Geschwind zum Hecht zurück! Denn nun dünkt ihm der Hecht
Nicht mehr, wie kurz vorher, zu schlecht.
Doch der wird nicht mehr da, wo er ihn sucht, gefunden.
Hecht, Karpfen, Schleie, Krebs sind insgesamt verschwunden.

Er sieht's, bedenkt sich kurz und kehrt im Augenblick
Zur Schnecke, die noch schleicht, zurück.
Er hat nicht Lust noch länger auszulesen.
Seht, was des Hungers Macht für Wunderwerke tut!
Dem, welchem Karpf' und Hecht nicht gut genug gewesen,
Schmeckt endlich eine Schnecke gut.

*   *   *

Und ach, wie mancher wird dies lesen,
Den es vielleicht noch jetzt verdrießt,
Daß gleiches Schicksal ihm wohl auch begegnet ist.
Wie öfters läßt der Stolz sein Glück sich selbst entgehen,
Und darf, was sich ihm bietet, als allzuklein verschmähen;

Bloß, weil er steif auf eigner Wahl besteht.
Er ist gewohnt in Träumen auszuschweifen.
Ein großes Glück ist ihm nicht groß genug; — — – und seht!
Er muß zuletzt nach dem begierig greifen,
Was noch weit schlechter ist, als was er erst verschmäht.

Der Esel und das Schwein

Die Schmähsucht ist den Menschen eigen.
An Andrer Art und Tun das Löbliche zu zeigen,
Ist selten ihre Lust; der Tadel reizt sie mehr.
Ein Lob, das sie nicht gilt, wird ihren Lippen schwer;
Dann lernen auch die Schwätzer schweigen.
Dagegen wie so schnell wird ihre Zunge nicht,
Wenn sie von Andern übel spricht!
Dann fehlt der Witz auch nicht den Blöden;
Dann lernen auch die Stummen reden.
Zu unsrer Schande laßt uns sehn,
Was von der Menschen Lust, zu schmähn,
Und alles, außer sich, voll Ekel zu verachten,
Vorzeiten einst zwei Tiere dachten.

Ein Esel sprach: Nein! Das befremdet mich.
Gewiß, der Mensch muß auch nicht alles überlegen.
Kein Tier ist ihm verächtlicher, als ich;
Ich bin ihm, wenn er nur mich ansieht, lächerlich;
Und gleichwohl seh' ich nicht: Weswegen?

Ich bin ein arbeitsames Tier;
Und weiß auch in Geduld in alles mich zu schicken.
Die Last kommt nicht von meinem Rücken;
Ja oft belädt man mich ganz über die Gebühr.
Fällt unserm Knecht ein Weg nur ein;
So muß ich ihm anstatt des Pferdes sein,
Früh fängt es oft kaum an zu tagen,
So muß ich zum Verkauf die Gartenfrüchte tragen,
Und die Verkäuferin dazu.
Zum Müller trag ich das Getreide,
Und, wenn ich hundert Wege tu,
Bedarf ich keiner fetten Weide.
Man braucht die Sorge nicht, ob mir die Mahlzeit schmeckt;
Denn Disteln selbst sind mein Confect.
Gewiß an Mäßigkeit hab' ich nicht meinesgleichen.

Zwar muß ich an Gestalt dem Pferde freilich weichen;
Und, mir bewundernd nachzusehn,
Bleibt niemand auf der Straße stehn.
So hab' ich, wie ich das mir selber nicht verhehle,
Auch keine Nachtigallenkehle.
Doch, wenn man nur mit mir gerecht verfährt,
Sind diese Fehler ja kaum des Erwähnens wert.

Bei Menschen dich zum Spott zu machen,
Reicht schon Ein Fehler zu; antwortet ihm ein Schwein.
Wir mögen noch so nützlich sein:
So hindert sie das nicht, uns höhnisch zu verlachen.
Weil ich in Pfützen mich manchmal herumgesühlt;
So weißt du selbst, wie sie dem Namen, den ich führe,
Zu allen Zeilen mitgespielt.
Doch schmeck' ich ihnen gut. Was klagen zwar wir Tiere,
Da seinesgleichen selbst kein Mensch zu schonen pflegt?
Die Menschen sind einmal zur Schmähsucht aufgelegt,
Und alles läßt sie die, um alles leicht zu schmähen,
Bloß von der schlimmen Seite sehen.

Die Katze und die Wiesel

Wer lehren will, muß erst sein eigner Lehrer sein.
Ein einzigs Beispiel reißt in Tagen schleunig ein,
Was hundert Gründe kaum in ganzen Jahren bauen.
Kein Tiger macht den Bär gelind,
Und zähmet seinen Grimm, wenn selber seine Klauen
Noch naß von Menschenblute sind.

Wen hat wohl je der Moralist gerühret,
Der Satz auf Satz in Bänden demonstrieret,
Die Eitelkeit sei unsrer Herzen Pest;
Und doch sich vor sein Werk in Kupfer stechen läßt?
Und wessen Stirn bleibt dann in Falten,
Wenn uns ein fetter Mönch, andächtig und beredt,
Den Reichtum zu verachten rät,
Für sich allein ihn zu erhalten?

*   *   *

Ungern sah Murner Tag vor Tag;
Er, dem die Mäusejagd gar sehr am Herzen lag,
Wie freche Wiesel ihm in das Gehege gingen.
Er selbst schmaust Mäuse gern. Wie wird es ihm gelingen,
Die Wiesel davon abzubringen?
Der Kater waffnet sich mit Tugend und mit Pflicht.
Er stellt sich heilig an, und spricht:
Wie? Fürchtet ihr euch denn der Sünde nicht?
Dem frommen Mäusevolk blutdürstig aufzulauern!
Wen sollten nicht die armen Tiere dauern,
Da ihr durch ihren Tod ja keine Bosheit rächt?
Ihr, ihr bringt Krieg und Angst selbst bis in ihre Löcher,
Und die Gewalt ist euer Recht.
Doch bebt! Der Himmel ist der schwachen Unschuld Rächer.
Saugt Eier aus, so lang ihr lüstern seid!
Denn das ist eine Kleinigkeit,
Die man euch herzlich gern verzeiht.
Doch schwache Mäuse zu ermorden,
Von denen ihr doch nicht beleidigt worden;
Bedenkt; das geht zu weit!
Nein! Das ist eine Grausamkeit,
Die wider euch zum Himmel schreit.

Ein Wiesel sprach darauf: Das find sehr schöne Lehren,
Und dein Verweis könnt uns bekehren,
Hätt' ich nicht gestern selbst mit Augen angesehn,
Wie eine Maus dich bat. Was half ihr wohl ihr Flehn?
Sie war für dich ein Leckerbissen,
Du machtest dir, gleich uns, darüber kein Gewissen.

Die Mücke

Der Mensch kann nie dem Unglück ganz entfliehn;
Er müßte sonst sich selbst entfliehen können.
Vorsichtig mag er sich bemühn;
Gleich jeden Feind von ferne zu erkennen,
Und vor dem Angriff noch sich klug zurück zu ziehn!
Das Unglück braucht ihn selbst zum Werkzeug wider ihn.
Er triumphiert, daß ihn die Arglist nicht bezwang;
Doch seine Sicherheit macht bald ihn unbesonnen.
Er ist dem Feinde kaum entronnen,
Und stürzet nun sich selbst in seinen Untergang.

Er gleichet der betrübten Mücke,
Die einst, des Fliehens müde, sprach:
Mir setzet überall mit Blutdurst und mit Tücke
Die unbarmherz'ge Schwalbe nach.
Wie kläglich ist doch mein Geschicke!
Die Hölle hat dies Tier, das stets uns Mücken schreckt,
Zu unsrer Qual nur ausgeheckt;
Denn immer sieht ihr Luchsaug' offen;
Ihr Bauch ist immer unsre Gruft.
Kein Stillstand ist von ihr zu hoffen.
Am besten ist's, ich flieh die freie Luft.

Das klägliche Geschmeiß will seiner Sorg' entrinnen.
Vor Prognens Wut in Ruh zu sein,
Quartieret sie in einen Stall sich ein.
Doch hier sieht sie Arachnen spinnen,
Und sie erschrickt, daß die Gefahr
Verändert, nicht gehoben war.

Nein! spricht sie; dies Gespinst, das dort im Winkel schwebet,
Hängt wohl die Spinne nicht zum Zeitvertreibe hin.
Dies Netz, das sie so künstlich webet,
Zeigt mir, wie übel ich hier aufgehoben bin.
Am besten, daß ich itzo noch,
Da ich noch kann, mich schnell von hier verliere.
Fort, ohne Säumen! Was sind doch
Wir Mücken für geplagte Tiere!

Kaum ist der Schluß gefaßt: So wild er ausgeführt.
Sie flieget in ein Haus, wo Fried und Ruh regiert,
Wo keine Spinneweben hangen.
Noch weniger kann hier sie eine Schwalbe fangen.
Da sie den Feinden klug entgangen:
Geschieht es doch, daß sie blind in ihr Unglück fliegt,
Und, eh sie es vermeint, verbrannt im Leuchter liegt.

Die Gemse und der Eber

Der Tor schließt erst sein Taubenhaus alsdann,
Wenn es der Marder ausgeleeret.
Er, welchen nichts in seinem Schlafe störet,
Sieht das nur, was geschieht; allein der weise Mann
Sieht das auch, was geschehen kann.
Ihn trifft der Überfall in seinem Harnisch an.
Es ist umsonst, daß man die Mannschaft dann vermehret,
Die Panzer schmiedet, sich bewehret,
Die Mauern flickt, die Tore schließt,
Wenn Hannibal schon vor den Toren ist.

An einem Fichtenbaum, der fest, als eine Mauer,
Des Nordes spottete, weil er so manches Jahr
In Wettern abgehärtet war,
Wetzte einst ein Eber seine Hauer.
Dies sieht eine Gemse, und spricht: Was droht dir für Gefahr?
Wo ist der Feind, daß du dich rüstest?
Ja ließe sich ein Bär, ein Wolf zum mindsten, sehn,
Mit dem du itzt den Zweikampf wagen müßtest:
So wäre, was du tust, gar schön.
Doch itzt? Was denkst du? Denn alle deine Hitze
Macht dir nur Müh, und ist nichts nütze.
Es muß um deinen Kopf nicht allzurichtig stehn.

Schweig, spricht das kluge Schwein, dein Auge reicht nicht weit.
Weh solchen Toren, die dir glauben!
Wenn nun der Wolf schon in der Nähe dräut,
Dann ist es wohl noch Wetzens Zeit!
So weißt du nicht, daß Sicherheit
Den schon gewissen Sieg kann rauben!

Der Esel und der Hund

Man soll vor seiner Türe kehren,
Eh man vor fremde Türen geht.
Ein Sprichwort sagts, und will uns dadurch lehren,
Daß dem der Amtston gar nicht steht,
Daß der sich ohne Grund zum Lehrer tüchtig schätzet,
Der selbst noch nötig hat, daß man ihm Lehrer setzet.

*   *   *

Eins von den allerdümmsten Tieren,
Der Esel, fand, nach des Richer Bericht,
Gefallen am Moralisieren.
Dies alberne Tier ist wohl der erste Dummkopf nicht,
Dem einfällt, uns zu unterrichten.
Wie viele schreiben nicht von Pflichten
In erzmenantischen Gedichten?

Der Esel schreiet sich an Sittenlehren heisch.
Sein Lärm ersetzet oft den Abgang der Gedanken.
Er macht ein heftiger Geräusch,
Als Hunde, welche sich um einen Knochen zanken.

Er warf einmal dem Haushund, Beccas, vor,
Daß er sehr leckerhaft und sehr gefräßig wäre.
Er sprach: Freund, merke dir zur Lehre,
Daß das ein großer Fehler ist,
Wenn man nach Herrenspeisen schnappet,
Und nichts den Tag lang tut, als frißt.
Du weißt, daß, wenn dein Herr bei Schüsseln dich ertappet,
Sein Stock dir übel mitgespielt.
Dein Rücken hat es gnug gefühlt.
Auch tut es noch, daß ich noch was erwähne.
Wie mancher wird durch dich erschreckt.
Du bleckest um ein Nichts die Zähne,
Und man weiß oftmals nicht, was dir im Kopfe steckt.
Den Reisenden ist wohl kein Tier verhaßter,
Als du mit deiner Heftigkeit.
Der Jachzorn, die Gefräßigkeit,
Sieh an! Das sind zwei große Laster.
Die Zeiten sind verderbt. Ihr Herren Tiere tut,
Was euch die Leidenschaften heißen.
Ihr seid Schmarotzer, grob, zanksüchtig bis zum Beißen;

Ja, viele sind so wild, einander zu zerreißen.
Das Herz der Wenigsten ist gut.
Ich habe mir oft vorgenommen,
Ihr Herz zu reinigen, und den Versuch gemacht.
Jedoch ihr Undank ist bereits so weit gekommen,
Daß man auch eines Lehrers lacht.
Kurz, Fleiß und Arbeit sind verloren.
Ich predige lauter tauben Ohren.

Das wundert mich! Du predigst gleichwohl schön.
Der Einsicht Lob muß man der Rede zugestehn;
Versetzt der Hund, der boshaft ihn verhöhnt.
Ohn einen Punkt würd ich sie ganz vollkommen nennen.
Wie hast du den vergessen können;
Du hast die Faulheit nicht erwähnt.

Der Fuchs un der Rabe

Ein Fuchs ging aus, sich umzusehn,
Ob ihm von ungefähr kein Huhn begegnen wollte,
Und ob kein Rab' ihm zu Gebote stehn,
Und nur für ihn gestohlen haben sollte.
Doch diesmal schiens ihm nicht, wie sonst, nach Wunsch zu gehn;
So scharf sein Auge sah, wußt' er nichts auszuspähn.

Da er bereits umsonst viel Felder durchgestreifet,
Erblicket er ein Försterhaus,
An dessen Wand dehnt sich ein breiter Weinstock aus,
Der eine Traube trägt, die sich zu einem Schmaus
Vor allen andern schickt; er macht den Schluß daraus:
Sie sei für ihn so früh gereifet.

Die Wahl bewies, daß er in dem, was köstlich schmeckt,
Nichts weniger, als ein Neuling, wäre,
Und brachte seiner Einsicht Ehre.
Die Traube hing ganz unbedeckt,
Und, durch kein Laub dem Sonnenstrahl versteckt,
War sie des Weinstocks Pracht, und milder aufgeschwollen.
Der Fuchs, der in dem Wahn, er brauche nur, zu wollen,
Sie mit den Augen schon verschlang,
Sprang nach ihr auf, und dehnte sich, und sprang.
Nach dem Versuch noch viel vergebner Sprünge
Sah er erst ein, — (wer sieht gleich alles ein?
Nur sollten Füchse weiser sein,
Die ihrer List so gern sich freun.)
Sah er erst ein, daß sie zu hoch für Füchse hinge.

Der Rabe, welchen einst sein Lob
So meisterlich betrog, als lügenhaft erhob,
Sitzt auf dem nächsten Baum, sieht sich gerächt, und lacht.
Wie schmecken, ruft er aus, in diesem Jahr die Trauben?
Ei, ei! Herr Fuchs, wer sollte das wohl glauben?
Ein Held, der sich, wie du, durch List berühmt gemacht,
Gibt auf sich selbst so wenig acht,
Und unternimmt, eh er es überdacht.
Tät ichs, so würd ich ausgelacht!
Sahst du denn nicht die Höh des Weinstocks und der Mauer?
Als du mich einst zum Pfaue logst,
Und um den Käse mich betrogst,
Freund, damals warst du schlauer.

Der Fuchs, dem dies zu Herzen geht,
Spricht schnöde, da er sich zum Tadler seitwärts dreht:
Ein Rabe spricht, wie ers versteht.
Freund, wisse, daß gewiß uns Füchsen, nichts entgeht,
Was man nur nicht verschmäht.
Ich mag die Traube nicht; ich seh es, sie ist sauer.

Indem er sich bemüht, den Unmut zu verstecken,
Erblickt er nah bei sich ein Huhn.
Ein Huhn? Das sollte wohl so gut, als Trauben schmecken?
Wie wenig hat zudem ein Fuchs dabei zu tun?
Wie leicht ist das erhascht, gewürget, und verzehret?

Nur merkt das Huhn zu bald die üble Nachbarschaft,
Und fliegt sogleich mit aller Kraft,
Die ihm die Furcht vor seinem Feind gewähret,
Dem nahen Hühnerhause zu.
Der Bauherr hatte nicht durch angelegteStiegen
Für einen Fuchs gesorgt, der etwa zum Vergnügen
Ein Huhn sich holen will. Er mag sich drehn und schmiegen,
Und springen, wie er kann; das Haus bleibt unerstiegen.
Aus seiner Höhe sah das sichre Huhn in Ruh,
Wie er nach ihm hinauf mit stummer Wehmut blickte,
Und, obwohl ungern, sich zuletzt zum Abzug schickte.

Indem der Fuchs, der von den Sprüngen keicht,
Den Kopf zur Erde hängt, und mit betrübtem Herzen
Beim Raben still vorüber schleicht;
Verfolgt ihn der mit seinen Scherzen.
Er spricht: Weißst du, daß sichs für keinen Helden schickt,
Daß er den Kopf zur Erde bückt?
Ein Meister in der List trägt stets sein Haupt erhaben.
Man dächte, wenn man dich erblickt,
Daß diesmal dich im Ernst ein schwaches Huhn berückt;
Dies war ein Schimpf für deine Gaben!
So denkt man nur, wenn mans nicht recht versteht,
Und das nicht weiß, daß euch, euch Füchsen, nichts entgeht,
Was ihr nur nicht verschmäht.
Das Huhn war mager Freund. Du mochtest es nicht haben.