Fabelverzeichnis
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Fabeln 2
 

Der Löwe, die Versammlung der Tiere...
Der Weinstock und der Winzer
Die Gänse und der Hahn
Der Rabe und die Krähe
Die Eule und der Rabe
Der Hecht und der Seefuchs
Die besondere Kinderzucht
Der Mensch, das Vergnügen...
Der Kanarienvogel und die..
Der Schoßhund, der Haushund und..
Die Bildsäule und der Bildhauer
Die Eiche und die Fichte

Der Löwe, die Versammlung der Tiere und der Fuchs

Der Löwe

Ihr Stützen meines Reichs! Genossen meiner Macht!
Ihr Elephanten! Parder! Tiger!
Ihr weisen Räte, tapfre Krieger!
Ihr alle, die ihr drauf bedacht,
Mein Ansehn, so wie euern Ruhm, zu mehren!
Jetzt sollt ihr meinen Rat zum Wohl des Staates hören!
Oft hab ich königlich die Sachen überlegt,
Die unsre Sicherheit betreffen:
Wie lange soll der Mensch, das schwache Tier, uns äffen,
Der nur durch List die Macht zu Boden schlägt?
Denn seine List allein ist unser Schrecken.
Drum müssen wir durch Macht uns decken;
Wir müssen fest vereint
Zusammen uns zur Hilfe leben;
Das wird uns über ihn erheben.
Sprecht, was ihr hierzu meint!

Die Versammlung der Tiere

Ja, Herr! das schützet uns allein!
Wenn wir nur alle einig wären,
Wir würden leicht das Volk der Menschen ganz verheeren.

Der Fuchs

O freilich, wenn wir einig wären!
Doch wann wird dieses möglich sein?

Der Weinstock und der Winzer

Der Weinstock

Was hast du denn an mir zu schneiden?
Bald bin ich völlig kahl.

Der Winzer

Nur still! das mußt du schon zu deinem Besten leiden.

Der Weinstock

Zu meinem Besten? Hört einmal,
Wie gut der Mann es meint!

Der Winzer

Jawohl zu deinem Besten, Freund!
Denn viele Blätter, geile Reben
Benehmen dir die beste Kraft.
Je mehr du diese treibst, je weniger Nahrungssaft
Kannst du hernach den Trauben geben.

Der Weinstock

Ganz recht, Herr Winzer. Doch du irrest dich:
Zu meinem Besten nicht, zu deinem schneidest du mich;
Denn mir ist's einerlei, das kannst du sicher glauben,
Ich trage Blätter oder Trauben.

Die Gänse und der Hahn

Die Gänse

Wir haben einst zu unsrer ew'gen Ehre
Durch unsre Wachsamkeit
Roms Kapitol vom Untergang befreit.

Der Hahn

Ei! was ich höre!
Habt ihr denn auch die Stadt beschützet?

Die Gänse

Nein.

Der Hahn

Nicht? — Nun so haltet ja mit euerem Prahlen ein.

Der Rabe und die Krähe

Der Rabe

Was schreiest du denn so viel?

Die Krähe

lch prophezeihe

Der Rabe

Und was?

Die Krähe

Den Zorn des Zeus. Das Urteil ist gefällt:
Vertilget sei die ganze Welt!
Ach, daß es noch den Strafenden gereue!
Allein er waffnet sich. Weh euch, ihr Tiere, weh!
Mit Donner, Schlossen, Blitz.

Der Rabe

Geh, Unverschämte, geh!
Wär das der Götter Rat, so müßt ich's eher wissen;
Mir pflegt Apollo wohl das Schicksal aufzuschließen,
Doch einer armen Krähe nicht.
Drum lacht die Närrin aus mit ihrem Blitz und Schlossen,
Weil nur aus ihr die böse Laune spricht.
Denn — seht ihr wohl? — ein Bein ist ihr zerschossen.

Die Eule und der Rabe

Die Eule

Daß Jedermann mich als Minervens Vogel ehre!

Der Rabe

Und mich, weil ich dem Phöbus angehöre.

Die Eule

Mich wundert es doch ungemein,
Daß Phöbus einen Dieb zu seinem Liebling wählet.

Der Rabe

Und meinst du bessrer Art zu sein?
Weiß nicht die ganze Welt, daß auch ihr Eulen stehlet?

Die Eule

Ei nun! Freund Rabe, laß uns nur gestehn,
Daß nicht Verdienste stets zu Lieblingen erhöhn.

Der Hecht und der Seefuchs*

Der Hecht

Was hilft es nun, daß dir's gelungen,
Dem Fischer zu entgehn?
Hast du den Hamen** doch verschlungen.
Dem Tode kannst du nicht entgehn.

Der Seefuchs

Bin ich dem Fischer doch entgangen!
Genug, kein Seefuchs läßt sich fangen.

*
Der Seefuchs ist ein fliegender Fisch.
**
Hamen: Fischnetz oder Kescher, die alten Römer nannten es Hamus.

Die besondere Kinderzucht
Der Vater und der Knabe

Der Vater

Hab ich dir's nicht schon hundertmal gesagt?
Wirst du es immer denn vergessen?
Brauch nicht die linke Hand zum Essen,
Gottloser Bube! Ach, wie sehr ist man geplagt!

Der Knabe

Ich folge schon! verzeihn sie mir, Papa!
Doch, hören sie! man klopft. —
Ein blinder Mann ist da,
Der bittet sehr um eine Gabe.
Erlauben sie mir wohl, das, was ich bei mir habe,
Dem blinden Mann zu geben?

Der Vater

Ja doch! ja!
Daß uns doch immer Bettler vor den Türen liegen! — —

Der Knabe

Ha! wie bedankte sich der alte Narr!
Er glaubte Wunder was zu kriegen,
Da es doch nur ein Rechenpfennig war.

Der Vater

Seht doch den kleinen Schalk! wie listig zum Betrügen.

Der Mensch, das Vergnügen und der Schmerz

Der Mensch

Wer bist du, freundlich Kind?

Das Vergnügen

Ich heiße das Vergnügen.

Der Mensch

Und du, Triefäugiger, aus dessen finstern Zügen
Verdruß und Gram und Trübsinn spricht?

Der Schmerz

Ich bin der Schmerz.

Der Mensch

Dich mag ich nicht! Doch du, o schönes Kind, bist mein!

Das Vergnügen

Nicht also, Freund! das kann nicht sein.
Wer mich verlangt, der muß sich auch bequemen,
Hier diesen mitzunehmen.

Der Mensch

O pfui! das ist dein Scherz.
Wie schickst du dich denn zu dem Schmerz?*
Ihr Feinde wärt so nah' verbunden?

Das Vergnügen

Ja dies ist einmal so der großen Götter Schluß.
Sieh nur dies feste Band, das uns verknüpfen muß;
Sie haben's selbst um uns gewunden.
Wir bleiben unzertrennt verbunden,
Und folgen stets einander auf dem Fuß.

*
Plato erzählt im Phädon:

Als dem Sokrates an dem Tage, da er sterben sollte, diese abgenommen
worden waren, setzte er sich auf das Bette, und sprach, indem er sich
das Bein mit der Hand rieb, zu den Umstehenden also: "O meine Freunde!
welch ein seltsames Ding ist doch das, was die Menschen Vergnügen
nennen! Wie wunderbar verhält es sich zu dem, was ihm entgegen
gesetzt zu sein scheint, zum Schmerz! Beide können nie zugleich bei den
Menschen wohnen; und doch, wenn jemand dem einen nachjagt und sich seiner
bemächtigt, wird er fast immer gezwungen, auch das andere mitzunehmen,
gleichsam, als wenn beide an einem Ende zusammen geknüpft wären.

Hätte Äsopus dieses bemerkt, so hätte er vielleicht folgende Fabel erdichtet:
"Die Götter wollten die streitenden Empfindungen miteinander vereinigen;
als sich dieses aber nicht tun ließ, knüpften sie dieselben an zwei Enden
zusammen, und seit der Zeit folgen sie sich einander beständig auf
dem Fuße nach." So ergeht es mir auch jetzt. Die Fessel hatte mir vorhin
Schmerzen verursacht, und jetzt, da sie hinweg ist, folgt die angenehme
Empfindung hinten nach."


Der Kanarienvogel und die Nachtigall

Der Kanarienvogel

Zwar schön ist deiner Stimme Schall,
Beneidenswerte Nachtigall!
Allein noch gar zu wild, soll ich die Wahrheit sagen?
Ein wenig Unterricht — wie herrlich würdest du schlagen!
Denn höre mich nur einmal an,
Wie ungleich zierlicher ich singen kann.
Allein — ich sing' auch nach der Flöte — ich!

Die Nachrigall

So, so!—Drum singst du auch so jämmerlich!

Der Schoßhund, der Haushund und der Schäferhund

Der Schoßhund

Wie kannst du doch so elend leben,
Armsel'ges Tier? Auf schlechtem Stroh
Schläfst du im härtesten Frost.
Ich läge schon nicht so!
Mir kann oft kaum mein Kissen Wärme geben.
Und magre Knochen, trocknes Brot
Das wär' nun vollends gar mein Tod.

Der Haushund

O solltest du nur müssen,
Du würdest dich wohl drein zu schicken wissen.
Gewohnheit macht mein Elend leicht.

Der Schäferhund

Was Elend? du hast nicht zu klagen:
Dir wird dein Fraß doch ordentlich gereicht;
Du kannst an kräft'gen Knochen nagen;
Des Nachts liegst du bedeckt im sanften Schlaf,
Wenn ich in Kälte, Sturm und Regen,
Auf freiem Feld mich auf die Erde legen,
Und Nacht um Nacht für jedes Schaf
Die Wache halten muß. Naht sich ein Wolf den Herden,
So muß durch mich mit ihm der Streit geführet werden.
Und was wird mir für meine saure Pflicht?
Nur hartes Brot — das ist mein tägliches Gericht.
Nun sagt, ob ihr nicht recht dem Glück im Schoße sitzet?
Jedoch, ich kenn' die Menschen schon:
Je saurer man sich's macht, je mehr man ihnen nützet,
Um desto schlechter ist der Lohn.

Die Bildsäule und der Bildhauer

Die Bildsäule

O spare deine Kunst an mir!

Der Bildhauer

So liegt an dieser Ehre dir
Gar nichts, ein Meisterstück der Kunst zu werden?

Die Bildsäule

Mir nichts. Ich wünscht' im Bauch der Erden
Viel lieber mir als roher Marmorstein
Ein Kunststück der Natur, aus deiner Faust zu sein.
So würd' ich manch Jahrhundert sicher liegen;
Da du mir jetzt mit kluger Hand
Fast alle Stärke schon entwand,
Auf daß mich desto eher Zeit, Luft und Mensch besiegen.

Die Eiche und die Fichte

Die Eiche

Wie kommst du in den hoch erhabnen Eichenwald,
Nichtswerte Fichte? Such dir einen Aufenthalt
Beim Pöbel deiner Art.

Die Fichte

Ihr hoch erhabnen Eichen!
Ein kleiner Ehrgeiz treibet mich:
Beim Pöbel meiner Art sind größre noch als ich;
Hier übersehe ich eures gleichen.