Fab.31 
					Der größte Schmeichler 
					 
					Ein Kaiser . . wo? — Ei nun, in Monomotapa; 
					(Denn läge sein Gebiet uns nah, 
					So schwieg ich ganz von dem Geschichtlein stille.) 
					Der Kaiser nun verfiel auf eine Grille 
					Von sonderbarer Art: Wer mag doch, fiel ihm ein, 
					An meinem Hofe wohl von allen 
					Den Großen, Edeln und Vasallen 
					Mein größter Schmeichler sein? 
					Und wie erfahr' ich es? — Nicht wahr? hierauf zu fallen, 
					Beweiset offenbar, 
					Daß er kein Europäer war. 
					 
					Die Sache klüglich auszuspüren, 
					Und allem Zwange vorzubaun, 
					Spricht  er mit jedem im Vertrauen, 
					Sucht das Gewissen ihm zu rühren 
					Und schwöret ihm zur gleichen Zeit 
					Die heiligste Verschwiegenheit; 
					Doch über den Artikel müsse 
					Man ihm gestehen, was man wisse. 
					 
					Die meisten, ihm gefälliger zu sein, 
					Und doch der Wahrheit treu zu scheinen, 
					Versetzten: "Wie? mein Kaiser spottet mein. 
					Er Schmeichler? Ach! er hat nicht Einen! 
					Doch weil auf Erden sich nichts gleicht, noch gleichen kann, 
					So gaben einige, nach ihrem Interesse, 
					Nach ihrer Neigung, ihrem Wahn, 
					Der diesen, jener jenen an: 
					Den Favoriten, die Mätresse, 
					Den Arzt, den Narren, den Kaplan. 
					 
					Ein Philosoph kam endlich an, 
					Ein wahrer; (denn in jener Zone 
					Behauptet man daß hier und da noch einer wohne) 
					Der sprach aus einem neuen Tone: 
					"Dein größter Schmeichler, glaubest du, 
					O Kaiser, sei so schwer zu kennen? 
					Ich traue mir demütigst zu 
					Dir augenblicklich ihn zu nennen." 
					"So sage denn, wer ist es?" — "Du." 
					 
					Fab.32 
					Der Dichter 
					 
					Mit einem Trauerspiel im leichten Mantelsacke 
					Traf aus Lyon ein Dichter in der Hauptstadt ein, 
					Und hoffte da bei Leuten von Geschmacke 
					Gar bald geliebt, und bald auch reich zu sein. 
					 
					Nach langem Zögern, langem Widerstande 
					Der stolzen Historienbande, 
					Teilt man die Rollen aus. Der Tag wird festgesetzt; 
					Er kommt, der Vorhang steigt, man gähnt, und pfeift zuletzt. 
					O! welch ein Donnerschlag in unsers Dichters Ohren! 
					Zeit, Mühe, Reise, Hoffnung, alles ist verloren. 
					Er wirft die ganze lange Nacht 
					Sich schlaflos hin und her. "Wer hätte dies gedacht? 
					Mein Stück — Racine selbst hat nie so warm gedichtet — 
					Wird ausgezischt! und ich verhöhnt, vernichtet! 
					Und dies sind Kenner? großer Gott! 
					Und dieses Affenvolk verteilet Lob und Spott? 
					Mir sollten jetzt bei allen Schritten 
					Bewunderer im Wege stehn, 
					Die Schönen sollten eifern, mich zu sehn, 
					Die Großen mich zur Tafel bitten: 
					Statt dessen muß ich dunkel, ungenannt, 
					(Noch allzuglücklich, wenn nur unbekannt) 
					Umher mit leerem Magen ziehen, 
					Und selbst den Anblick derer, die mich kennen, fliehen. 
					So gar mein Haus; denn ach! wie würde mich 
					Ein höhnischer Besuch, ein bittrer Trost betrüben!" 
					 
					Dies denkend rafft er plötzlich sich 
					Vom Lager auf, geht aus, rennt, als verfolgt von Dieben, 
					Vors Tor, verliert sich tief in einen öden Gang, 
					Und irrt da sieben Stunden lang. 
					Ermüdet, hungrig, kehrt er endlich wieder 
					Zu der verhassten Stadt. Doch die erschöpften Glieder 
					Versagen ihm, den ganzen langen Weg zu tun. 
					Schwermütig setzt er sich, um auszuruhn, 
					Auf einen breiten Eckstein nieder. 
					Mit eingedrücktem Hute blickt 
					Er auf die Leute, die vorüber gehen. 
					Ein Greis bleibt an der Ecke stehen, 
					Der sich mit bloßem Haupt tief bis zur Erde bückt. 
					Der Dichter dankt ihm, sinnt und sinnt, wo er den Mann 
					Gesehn, und sinnt nichts aus. "Je nun! der gute Mann 
					Sah mich für einen andern an." 
					 
					Ein andrer kommt und grüßt; er danket ihm aufs neue. 
					Es kommen zwanzig nach der Reihe, 
					Und drehn sich nach dem Eckstein um, 
					Und bücken sich, voll Ernst und stumm. 
					Der Dichter, sich die Mühe zu ersparen, 
					Mit seinem Hute stets hinauf hinab zu fahren, 
					Behält ihn endlich in der Hand, 
					Und dankt den Grüßenden mit bloßem tiefen Nicken; 
					Und denkt: Ich schien mir unbekannt, 
					Und sieh, wie sie sich alle vor mir bücken! 
					Die sind's, ich wollte wetten, die mein Trauerspiel 
					Mit Beifall angesehn, und nun einander sagen, 
					Ich sei's. Welch ein Triumph! Bin ich noch zu beklagen, 
					Ich, der ich hier so vielen wohlgefiel? 
					Das gute Volk war Verschwörung eifersücht'ger Dichter, 
					 
					Kabalen, weiter nichts. Kaum hatt ers ausgedacht, 
					So kommt ein Mann von großem Namen, 
					Ein Modemann, ein Autor gräßlich schöner Dramen, 
					Der Irreligion zu seinem Witze macht, 
					Und geht mit steifem Hals und stolzem Blicke 
					Vorbei, und läßt den Deckel fest auf der Perücke. 
					Da haben wir's! so denkt mein Poet: 
					Welch kleiner Neid! Der Tor! wenn hundert Hüte fliegen, 
					Was kann mir wohl an seinem Gruße liegen? 
					 
					Ein altes Weib, das hinter jenem geht, 
					Bemerket seinen Stolz, und murmelt ihm im Rücken: 
					Der Igel! dünkt er sich zu vornehm, sich zu bücken? 
					So schimpfend wirft die Alte gar 
					Sich auf die Knie hin. Gerühret bis zur Zähre, 
					Springt unser Dichter auf: Nein, nein so vieler Ehre 
					Bin ich nicht wert, und wenn ich auch Apollo wäre. 
					Sie aufzuheben reicht er ihr die Rechte dar. 
					Sie widerstrebt, er zieht, und wird zugleich gewahr, 
					Daß, durch den Zufall hergeführet, 
					Ein Landsmann bei ihm steht, und lacht, 
					Und fragt, was er mit dieser Alten macht, 
					Die, taub, sich nicht vom Flecke rühret. 
					Mit frohem Autorstolze fängt der Dichter an, 
					Ihm seinen Vorfall zu erzählen. 
					Sieh, spricht er, so verehrt, so betet man 
					In Galliens Athen erhabne Dichter an, 
					Was auch der Neid erfindet, sie zu quälen. 
					 
					Mit schlauem Lächeln hört ihm jener zu, 
					Und spricht: Ein Zweifel bleibt mir nur, den hebe du 
					Sieh hinter dich! Gleich über jener Stelle, 
					Von welcher du des Volkes Ehrfurcht angesehn, 
					Steckt in der Mauer eine kleine Zelle, 
					In ihr ein Frauenbild, vor dem zwei Kerzen stehn; 
					Und irr' ich nicht, so flogen der Kapelle, 
					Nicht dir, die Grüße zu. Laut lachend sagt er dies, 
					Und läuft davon. Versteinert bleibt der Dichter stehen. 
					Er weiß, daß in Paris 
					Dergleichen Märchen schnell von Mund zu Munde gehen: 
					Dem neuen Zischen zu entgehen, 
					Schleicht er sich still davon, 
					Packt seinen Ränzel ein, fährt wieder nach Lyon, 
					Und läßt seit dieser Zeit kein Verschen von sich sehen. 
					 
					Fab.33 
					Die Erkennung 
					 
					Ein wilder Junge brach den Hals. 
					Vom Anlaß dieses üblen Falls 
					Genaue Nachricht zu erteilen, 
					Dient hier zu nichts: man bricht sich bald so, bald so den 
					Hals, 
					Und niemals ist der Bruch zu heilen. 
					 
					Der Spielgesellen Angstgeschrei 
					Zog einen Haufen Volks herbei. 
					Ein Mönch (er war Kaplan im Flecken) 
					Verließ sein Glas, vergaß den schweren Bauch, 
					Und lief, gespornt von kaltem Schrecken, 
					Und seine Köchin auch. 
					 
					Kaum hört der Pater, was geschehen, 
					So fängt er an gemächlicher zu gehen, 
					Und spricht in einem ernsten Ton: 
					"Der Bube war vielleicht (behüt' uns Gott im Himmel!) 
					Gar eines Ketzers Sohn, 
					Ein kleiner Bösewicht, der früher Sünde Lohn 
					Mit Recht so früh erhält." — Sie nahn sich dem Getümmel, 
					Die Köchin schaut umher, und stürzt geschwind 
					Dem frommen Priester in die Arme: 
					"Ach!" schreit sie, daß es Gott erbarme! 
					Herr Pater, es ist unser Kind." 
					 
					Fab.34 
					Turpill 
					 
					Turpill, ein reicher Filz, gab einst, doch nur im Traum, 
					Ein königliches Mahl, und hatte fünfzig Gäste. 
					Aus Cypern war der Wein bei diesem Freudenfeste; 
					Der Schüsseln Menge fand nicht auf der Tafel Raum. 
					Zugleich sieht er sich selbst im besten Stutzerkleide. 
					Wie krümmt und quält sich der ächzende Turpill! 
					Ihn wecken Geiz und Angst. Gleich schwört er tausend Eide, 
					Daß er, so lang er lebt, nicht wieder träumen will. 
					 
					Fab.35 
					Der gute Rat eines 
					Derwisch 
					 
					Einst klagt' ein Derwisch einem seiner Brüder, 
					Die Reichen und die Armen überliefen ihn; 
					Dem ward, wie Saadi schreibt, der gute Rat verliehn: 
					Freund, gib den Armen nichts, so kommen sie nicht wieder; 
					Vom Reichen suche Geld, so werden sie dich fliehn. 
					 
					Fab.36 
					Die beiden Nachtigallen 
					An Montan 
					 
					"Kein Wunder, wenn man dich beneidet!" 
					Sprach eine Nachtigall zur andern: "Überfluß 
					An allem seh' ich hier. Dein Haus ist prächtig, rein, 
					Mit grünen Teppichen bekleidet, 
					Und Ameiseier trägt man dir in Meng' hinein, 
					Wenn ich sie mühsam suchen muß. 
					Du darfst nur essen, trinken, singen." — 
					"Wohlan wenn dir mein Schicksal wohl gefällt, 
					Erwidert jene, soll dir bald dein Wunsch gelingen: 
					Eröffne nur dies Haus, das mich gefangen hält, 
					Und tritt an meinen Platz; ich fliege gern von hier, 
					Und du kannst essen, trinken, singen." — 
					"An deinen Platz? Nein, nein! ich danke dir." 
					 
					*   *   * 
					 
					Du rühmst der Fürstendiener Glück? 
					Du willst dich an den Hof begeben? 
					Besinne dich, Montan! und bleib zurück. 
					In Freiheit leben heißt erst leben. 
					 
					Fab.37 
					Der Wolf und das Pferd 
					 
					Ein matter Wolf voll Nahrungssorgen 
					Betrat an einem Frühlingsmorgen 
					Das Feld, und sah in dem bebauten Grün 
					Ein feistes Füllen weiden, das ihm schmackhaft schien. 
					Er hatte große Lust zur Beute, 
					Nur daß er jeden Gegner scheute, 
					Der stärker war, als Lamm und Schaf. 
					Den jungen Streiter zu bezwingen, 
					Der ihn an Kräften übertraf, 
					Das, dacht' er, sollt' ihm jetzt durch List gelingen. 
					 
					Er nähert sich: "Mein Herr, ich bin der Arznei 
					Befließen, bin gereist, und kenne jeder Blüte 
					Und Rind' und Wurzel Kraft und Güte 
					Von hier bis in die Tatarei. 
					Ich habe Mittel in dem Kopf 
					Für Würmer, Koller, Krampf, Geschwulst und Spatt und Kropf, 
					Und bin auf dieser Flur erschienen, 
					Erhabner Houynhnm,* dir zu dienen. 
					Ich kannte deinen Vater schon, 
					Und wie ich den geliebt, so lieb' ich auch den Sohn. 
					Ich seh, mein junger Freund geht mit zu raschen Schritten, 
					Er springt zu viel; die Sehn' am Schenkel hat gelitten, 
					Dies droht Geschwulst. Allein mein Bester, wenn du nur 
					Dich auf die Seite legst, so sollst du Wunder sehen; 
					Die Heilung ist im Augenblick geschehen. 
					Auch verlang' ich nichts für Müh und Kur." 
					 
					Das Füllen dankt ihm, und versetzet: 
					"Ich habe mich am Hufe verletzet, 
					Und spüre dort die schwerste Pein. 
					Herr Doktor kommt, beseht den Schaden. 
					Könnt Ihr der Schmerzen mich entladen?" 
					"Nichts," spricht der Wolf, wird leichter sein," 
					Und stellt sich, sein Versprechen wahr zu machen, 
					Hinter das verschmitzte Pferd. 
					Dies denkt: Ein jeder Dienst ist seines Lohnes wert, 
					Schlägt aus, zermalmet ihm den Rachen, 
					Und wiehert ihm die Worte zu: 
					"Nichts gibt ein größeres Vergnügen, 
					Als den Betrüger zu betrügen: 
					Freund, dies beweisen ich und du." 
					 
					*Houynhnm: 
					Ist der Name welchen Swift in "Gullivers Reisen" 
					den Pferden 
					beigelegt hat. 
					 
					Fab.38 
					Die Bärin 
					Eine pädagogische Anekdote 
					 
					In Samogitien genas 
					Der Ehschatz eines edeln Bären, 
					Der mit im Parlamente saß, 
					Von einem Sohn. Die Jäger lehren: 
					Ein Bär, der aus der Mutter Schoß 
					Hervorkriecht, sei ein roher Kloß, 
					Der erst durch lecken Form und Schönheit 
					Bekommt: Das wußte die Mama 
					Noch besser, als wir Menschensöhne, 
					Und schwur, als sie das Söhnchen sah, 
					Von Lust berauscht, beim großen Petze 
					Des Firmaments, ihr kleiner Götze 
					Sollt' ein Adonis sein. Sie feilt, 
					Sie hobelt mit der rauen Zunge 
					Ihn bis aufs Blut. Der arme Junge! 
					Er brummt, er windet sich, er heult. 
					Umsonst; sie bleibt bei ihrer Mode, 
					Und leckt ihn endlich gar zu Tode. 
					 
					Fab.39 
					Pluto und Proserpina 
					 
					Als Ceres* auf dem 
					Drachenwagen, 
					Die Fackel in der Hand, 
					So manches Land 
					Umsonst durchrannt, 
					Und nirgends ihre Tochter fand, 
					Stieg sie zum Jupiter, und trug ihm ihre Klagen 
					Mit Tränen vor: "Ist es erlaubt, 
					O Zeus, daß mir der Gott der Hölle 
					Von meiner Schwelle 
					Mein Kind, mein einzig Glück, mein Proserpinchen* 
					raubt? 
					Ich fordere Recht; und kann ichs nicht erhalten, 
					So will ich auch mein Amt nicht mehr verwalten, 
					So mag die Saat der ganzen Welt zu Grunde gehn." 
					 
					Gott Jupiter versetzt ihr mit besorgtem Blicke: 
					"Gern möchte ich dir, was du verlangest, zugestehn; 
					Allein es ist nicht leicht. Du kennst des Bruders Nücke*:
					 
					Der eigensinnigste Gesell der ganzen Welt, 
					Der fest hält, was er einmal hält. 
					Doch, wäre nicht ein Weg, euch gütlich zu vertragen? 
					Gesetzt, du ließest ihm dein Kind ein halbes Jahr, 
					Sechs Monde ließ er es dann wieder dir: nicht wahr? 
					Dann hättest du dich über nichts mehr zu beklagen." 
					Dies geht die Mutter ein. Merkur wird abgesandt, 
					Der schwarzen Majestät das Urteil anzusagen. 
					Er fliegt mit Sechsen, und erreicht das finstre Land, 
					Und meldet, was ihm Zeus und Ceres aufgetragen. 
					 
					"Was untersteht sich Jupiter?" 
					Fängt Pluto zornig an: Ist er der Hölle Herr? 
					Was hab' ich hier nach ihm zu fragen? 
					Sieh Proserpinchen an! Ist dieses ein Gesicht, 
					Das man sechs Monde lang im Jahre missen könnte? 
					Geh zu dem Bruder hin, und sage ihm, ich mißgönnte 
					Ihm seine Danaen und seine Leden nicht; 
					Doch wollt' auch ich auch nach meinem Sinne lieben." 
					"Vergeblich ist der Widerstand," 
					Erwidert ihm Merkur; schon hat der Parzen Hand 
					Den Spruch unwiderruflich unterschrieben." 
					Der Höllengott erblaßt: "Der Parzen? bittre Pein! 
					Sechs Monde werden mir kaum eine Stunde sein. 
					So laß uns denn, spricht er zu Proserpinen, 
					Der kurzen Zeit uns wohl bedienen! 
					Die Hälfte, die man missen muß, 
					Vergüte doppelter Genuß! 
					Kein Augenblick sei ohne Kuß!" 
					 
					Man merke sich: es schleichet in der Hölle 
					Kein Stern von der zu jener Stelle; 
					Dort ist kein Tag und keine Zeit, 
					Nur Dämmerung und Ewigkeit. 
					 
					Dem Höllengeist ist wohl bei seinem Spiele; 
					Doch immer fürchtet er, es nahe sich dem Ziele. 
					Jetzt schickt er nach der Oberwelt, 
					Daß man sich um die Zeit befrage. 
					Wie freut ihn der Bericht, den er zurückerhält, 
					Es wären noch nicht vierzehn Tage! 
					"Ist's möglich? Ja! das macht, 
					Hier wechseln niemals Tag und Nacht. 
					Sechs Monde sind doch nicht so kurz, als ich gedacht." 
					 
					Bald sitzt er wieder, gähnt in seinem Sorgenstuhle; 
					(Es scheint, daß Proserpine zwar 
					Zum Küssen trefflich gut, doch arm an Witze war) 
					Schickt endlich einen neuen Boten aus dem Pfuhle, 
					Und glaubt, nun müßten es vier volle Monde sein. 
					"Ei was? kaum sieben Wochen? nein! 
					Das kann nicht möglich sein; 
					Ich kann mich ja des Tages kaum besinnen. 
					An dem ich sie geraubt. — Geh nur zu Jupiter hin, 
					Und sag' ihm dies: Aus Höflichkeit für ihn 
					Mag Ceres dieses Mal den Rest der Zeit gewinnen, 
					Die mir gehört." — Der Bote bringt Bericht 
					Von Joven, dieses gehe nicht; 
					Man müsse Punkt für Punkt der Parzen Spruch erfüllen, 
					Und Pluto: Seht mir nur um aller Götter Willen! 
					Den Eigensinn. Ich will sie länger nicht; Und damit gut. 
					 
					Fürwahr! wird mancher Gatte sagen, 
					Dies war zu grob. Was heißen denn vier Monde noch? 
					Die lassen sich ja wohl ertragen. 
					Wir Männer sehen ja kein End', und warten doch. 
					 
					
					
					*Ceres 
					ist die römische Göttin des Ackerbaus, der Ehe und des 
					Todes. 
					Ebenso gilt sie als Gesetzgeberin. Sie war die Tochter des 
					Saturn und 
					der Ops. 
					*Proserpinchen od. 
					Persephone, griech. Göttin. 
					*Nucke od. 
					Nücke: Schrulle, Grille, Eigensinnigkeit. 
					 
					Fab.40 
					Das Schäfchen 
					und der Dornstrauch 
					 
					Ein Schäfchen kroch in dicke Weißdornhecken, 
					Dem Regenschauer zu entgehn. 
					Hier konnt' es freilich trocken stehn; 
					Allein die Wolle blieb ihm stecken. 
					 
					* * * 
					 
					Die ihr bei jedem Streit der Rechte Schutz begehrt, 
					Betörte Had'rer, laßt euch raten: 
					Vertraut die Wolle nicht den scharfen Advokaten. 
					Oft ist, was ihr gewinnt, nicht halb der Kosten wert. 
					 
					Fab.41 
					Prozesse 
					 
					Ein vorgeladner Abt fragt einen klugen Alten: 
					Ihr kennt das Recht; mich rügt ein Bösewicht; 
					Die Schriften bring' ich mit; gebt mir doch Unterricht; 
					Wie soll ich mich dabei verhalten? 
					 
					Und wenn, versetzt der Greis, Ihr hundert Bündel brächtet, 
					So ist doch dies der beste Rat für Euch: 
					Ist Eure Sache gut, so schreitet zum Vergleich, 
					Und ist sie schlimm mein Herr, so rechtet. 
					 
					Fab.42 
					Aurelius und Beelzebub 
					 
					Wer kennt nicht den Aurel, den Harpax unsrer Zeit, 
					Den Mammonsknecht, der nichts, als Armut scheut? 
					Ihm ist der Klang von toten Schätzen 
					Ein Saitenspiel, das Zahlen ein Ergetzen. 
					Sein Geld, so wie sein Geiz, nimmt täglich zu. 
					Geld ist sein Trost, sein Leben, seine Ruh, 
					Sein Herr, sein Gott. Stets nagt ein scharfer Neid 
					Sein blutend Herz. Doch jüngst vermehrt' ein vielfach Leid 
					Des Wuchrers Harm und Unzufriedenheit. 
					 
					Der Witwen Fluch? beraubter Waisen Ach? 
					Die Reue? — Nein! dergleichen Kleinigkeit 
					Verursacht Reichen jetzt kein großes Ungemach; 
					Was wichtigers: zu spät erfolgte Renten, 
					Ein drohender Protest, zu wenig an Prozenten, 
					Ein viel zu mildes Jahr, der allzuschlaue Zoll: 
					Dies alles füllt sein Herz mit Unmut, Gall' und Groll, 
					Dies macht den Mann verzweiflungsvoll. 
					 
					Einst als er dieser Not zu peinlich nachgedacht, 
					Rief der Unsinnige bei Nacht 
					Den Satan an; und Satan schickt' ihm gleich 
					Den größten Herrn aus seinem Reich, 
					Der jetzt, den Alten zu berücken, 
					In einer neuen Tracht erschien, 
					Wohl zehnmal schöner, als wir ihn 
					In den Gemälden oft erblicken. 
					Wo Hörner sein Stirne schmücken 
					Und ihm die Augen funkelnd glühn. 
					Er hatte weder Schweif noch Klauen; 
					Der Hölle zaubernde Gewalt 
					Gab ihm die menschliche Gestalt 
					Und keinem durfte von ihm grauen. 
					Er trug, nach unsrer Stutzer Art, 
					Ein leeres Haupt und wohlgepudert Haar, 
					Wobei zugleich dem Kinnchen ohne Bart 
					Ein Flügelwerk von Band anstatt des Schattens war. 
					Er selbst, so wie sein Staat, schien ohne Fehl und Tadel, 
					Und Herr und Kleid von gleichem Adel. 
					Nur ließ man ihm (so lautet der Bericht) 
					Den einen Pferdefuß: warum? das weiß ich nicht; 
					Er war ja sonst ohn' allen Zweifel 
					Ein hübscher, recht galanter Teufel. 
					 
					Als dieser Kavalier ins Zimmer tritt, erblickt 
					Aurel des Kleides Gold, und spricht gebückt: 
					"Mein Herr, wie heißen Sie?" — "Beelzebub." — 
					"Willkommen! 
					Der oberste der Teufel?" — "Ja. — 
					"Ich hatt' es nicht in Acht genommen, 
					Weil ich noch nicht auf Dero Füße sah." 
					Sie setzen sich! "Wie geht es in der Hölle? 
					Wie lebt mein reicher Oheim da?" — 
					"Recht als ein Fürst." — "Und wie befindet sich 
					Der Luzifer?" — "Ich bitte dich, 
					Mein guter Alter, stelle 
					Die Fragen ein! Ich bin nur hier, 
					Dich reich zu machen. Folge mir!" 
					 
					Sein Führer bringet ihn in einen öden Wald 
					Von heiligen bemoosten alten Eichen, 
					Der Sitz des Czernebocks,* 
					der Gnomen Aufenthalt, 
					Die Schlachtbank vieler Opferleichen. 
					Hier bleibt der Fliegenfürst* 
					und sein Gefährte stehn, 
					Stampft dreimal, dreimal tönt der Grund. 
					Urplötzlich öffnet sich ein lichter tiefer Schlund, 
					Uns läßt so großen Reichtum sehn, 
					Als wären hundert Jahre lang Geschmeid' und Gold 
					Aus beiden Indien hierher gezollt. 
					"Sieh," spricht der Höllengeist, "auf diesem Platz 
					Liegt ein Geschenk für dich, ein königlicher Schatz." 
					 
					Wie wird der Filz durch dieses Wort entzückt! 
					Kein Paradies scheint ihm so schön geschmückt, 
					Als dieser Schlund. Kein Domherr, kein Prälat, 
					Der seiner Pfründe Zins in Rheinwein vor sich hat, 
					Kein Bischof, der erfreut an einem Kirchweihfest 
					Das erste Glas besieht, das er sich reichen läßt, 
					Dehnt so sein fromm und fett Gesicht 
					Durch Lächeln aus, als unser Harpax. Ganz erpicht 
					Auf seine Beute, streckt er schon 
					Die Hand frohlockend aus. — "Halt!" ruft im Donnerton 
					Beelzebub, "dies ist dir zwar gegeben, 
					Allein vor Morgen nicht zu heben." 
					 
					Der Schatz versinkt auf dieses Wort. 
					"Gestrenger Herr! wie kurz ist meine Freude?" 
					Betrogener Aurel! wo findest du den Ort, 
					Die Kluft, den Schatz? — "Er ist und bleibet dein! 
					Betrogen? was? ich ein Betrüger? nein! 
					Sei klug, und laß ein Zeichen dort, 
					Und nimm dir, wenn es tagt, das Gold und das Geschmeide." 
					Gleich setzt er tief gebückt sich und ein Zeichen hin. 
					Nun jauchzt er mit zufriednem Sinn, 
					Und sagt aufs zierlichste mit vielen Worten Dank. 
					Beelzebub verschwand, standesmäßig, mit Gestank. 
					Aurel, als ob er seinen Fund schon hätte, 
					Springt jetzt um den bemerkten Platz. 
					Hier stößt er sich an einem Baum; 
					Und plötzlich wacht er auf, (denn alles war ein Traum) 
					Und von dem vorgestellten Schatz 
					Bleibt nur das Zeichen in dem Bette. 
					 
					* * * 
					 
					Der Geiz, mein Leser, ist der Teufel vieler Alten, 
					Und der Beelzebub, der lockend sie betört; 
					Ihr gemachter Schatz ist aber nicht mehr wert, 
					Als was Aurel allhier erhalten. 
					 
					*oder 
					"schwarzer Gott". Bei dem mittelalterlichen Chronisten 
					Helmold 
					erwähnter slawischer Gott, der Dunkel und Unterwelt 
					repräsentiert, 
					der sonst
					jedoch nicht nachzuweisen ist. 
					*Fliegenfürst, 
					eine Übersetzung des hebräischen Namens Beelzebub. 
					 
					Fab.43 
					Der rachsüchtige Hund 
					 
					Schon seit der Schöpfung ist es keinem Tier erlaubt, 
					An seinesgleichen sich bis auf den Tod zu rächen. 
					Ein Wolf, der einen Wolf des Lebenslichts beraubt, 
					Begeht dem Viehrecht nach das schändlichste Verbrechen. 
					 
					Einst hatt' ein böser Hund Streit mit zwei andern Hunden, 
					Und weil er sie zugleich für sich zu stark befunden, 
					Dacht' er auf Hinterlist. (Der Mensch hat auch die Art) 
					Den einen, dessen er am meisten mächtig ward, 
					Erwürgt' er schlafend in der Nacht, 
					Vom andern bracht' er aus, daß der die Tat vollbracht: 
					So grausam war er in der Rache. 
					Auch lief er selbst, und gab die Sache 
					Gerichtlich an. Sein Feind ward plötzlich eingezogen. 
					Der Löwe, den der Mord zu großem Zorn bewogen, 
					Schrieb sich die Anklag' hinters Ohr; 
					(Das war sein Protokoll) und als nach wenig Stunden 
					Der ganze Schöffenstuhl sich bei ihm eingefunden, 
					So kam es zum Verhör. Man nahm den Täter vor: 
					Er leugnete die Tat. Der Kläger war zugegen, 
					Benannte Zeit und Ort, und wie der Mord geschehn; 
					Um durch den hohen Schwur die Richter zu bewegen, 
					Die Untersuchung abzubrechen. 
					 
					Der Löwe rief: "Verzicht! wir laufen sonst Gefahr, 
					Das Urteil übereilt zu sprechen. 
					Ein Umstand ist hier noch nicht klar: 
					Du, Kläger sagst, es sei der Mord bei Nacht geschehen; 
					Kann man denn wohl bei Nacht ein Ding recht deutlich sehen?" 
					Der Kläger stutzte hier, besann sich, sprach darauf: 
					"Der volle Mond ging eben auf . . . " 
					"Und du wirst untergehn, versetzt der Löw' ihr wißt, 
					Ihr Räte, daß der Mond jetzt noch nicht sichtbar ist. 
					Laßt den Beklagten los, straft den an seiner statt, 
					Der ihn so falsch beschuldigt hat." 
					Kaum ward das Urteil ausgesprochen, 
					So war dem Lügner schon der falsche Hals gebrochen. 
					 
					Seit dieser Zeit entstand die Mode, 
					(Und noch behalten sie die Hunde treulich bei) 
					Den guten Vollmond anzubellen. 
					Die vom Geschlecht der Lügner sind, 
					Verewigen den Hass von Kind zu Kindeskind, 
					Und wollen nächtlich noch den Mond zur Rede stellen. 
					Warum er damals nicht bei Nacht erschienen sei, 
					Als wär' er dadurch Schuld an ihres Ahnherrn Tode. 
					 
					Fab.44 
					Der grüne Esel 
					 
					Es wollt' ein frommes Weib von neun und vierzig Jahren 
					Sich einst mit einem jungen frischen Stutzer paaren, 
					Und ihre Nachbarin, die sehr erfahren, 
					Und klug war, wie Ulyß, den Vorsatz offenbaren: 
					"Sagt, sprach sie, sagt mir doch, gefällt Leander Euch? 
					Ist er nicht meinem lieben sel'gen Manne gleich? 
					Nur freundlicher als er. Einander zu erbauen, 
					Soll uns der Oberpfarrherr trauen. 
					Doch, wenn wir uns aus keuscher Liebe frein, 
					Wird unsre Heirat nicht der Stadt ein Märchen sein? 
					Romaneschreiber, Liederdichter, 
					Und die gemeinen Splitterrichter,* 
					Die Weiber ach! die Weiber muß ich scheun." — 
					 
					"Freit!" lehrt die Nachbarin: Laßt jeden schreiben, sagen, 
					Und singen, wenn er singen kann; 
					Es ist ein Märchen von acht Tagen; 
					Am neunten fängt sich schon ein Neues an. 
					Mein Esel soll Euch das vorläufig demonstrieren: 
					Den färb' ich Euch so grün, als meinen Papagei; 
					Dann soll er auf den Markt spazieren, 
					Und dann kommt Alt und Jung herbei, 
					Und jeden wird das große Wunder rühren. 
					Seht aber auf das End,' und danach richtet Euch." 
					 
					Gesagt, getan. Es wird sogleich 
					Das Langohr auf den Markt gebracht. 
					Der Pöbel läuft hinzu, bewundert, gaffet, lacht: 
					Ei seht doch, seht! wer hätte das gedacht, 
					Daß auch die Esel grünen können? 
					Es läßt ihm hübsch; doch möcht' ich diese Tracht 
					Weit lieber noch den Pferden gönnen. 
					Zwar alles ist recht schön, wie die Natur es macht . . . 
					 
					Was? die Natur? es ist ein Werk der Kunst. — 
					Der Kunst? o nein! Gevatter nein! mit Gunst! 
					Er ist von grüner Art, und kommt uns aus dem Lande 
					Der grünen Esel her; ich weiß nicht wie es heißt. 
					Doch meinen Kopf setz' ich zum Pfande, 
					Daß er mir nimmermehr das Gegenteil beweist. — 
					 
					Der Herr hat recht, so sprach ein Bader, der gereist, 
					Und ein Gelehrter war. Ich habe wider Hoffen 
					In Kap Verde dergleichen angetroffen. 
					Als Füllen sind sie gelb und blau, 
					Hernach grün; ich kenne sie genau. 
					Dort hielt ich anfangs auch den Mund erstaunend offen; 
					Allein weit mehr, als ich in — Chymis 
					Gar einen grünen Löwen sah. 
					 
					Ach! seufzt ein Weib, das immer prophezeite, 
					Das Unglückstier! beschauet es nur, ihr Leute! 
					Mir hat vor kurzer Zeit von grünem Vieh geträumt: 
					Der Traum war gar nicht ungereimt; 
					Denn seht, er ist erfüllt. Ein Unglück droht den Ländern, 
					Wo Tiere so die Farben ändern. 
					Nicht war? hier ließen sich schneeweiße Mäuse sehn, 
					Wir sahen bald hernach die besten Kühe schwinden. 
					Seit sich um Paris die Purpurkatzen finden, 
					Soll auch die Falschheit dort recht sehr im Schwange gehen. 
					Kein Wunder, daß daher Haß, Krieg und Mord entstehn. 
					 
					Sechs Tage zeigte er sich dem Fischmarkt und den Gassen, 
					Und kein Rhinozeros reizt mehr die Neubegier. 
					Bald wird er auch so aus der Acht gelassen, 
					Als das gemeinste Müllertier. 
					 
					
					
					*Splitterrichter: 
					Nörgler, kleinlicher Kritiker. 
					 
					Fab.45 
					Der Wolf, der 
					Löwe und der Hund 
					 
					Ein Wolf hatt' einst ein Pferd zerrissen, 
					Und fing nun an mit Appetit 
					Die Frucht des Sieges zu genießen. 
					Ein Löwe, der umsonst sich um den Raub bemüht, 
					Durchstrich den ganzen Wald, und kam mit leerem Magen 
					Dahin, wo unser Held die Mittagsmahlzeit hielt, 
					Und sich zu seinem Glück! den Hunger halb gestillt. 
					Den Wolf verdroß es zwar, doch durft' er es nicht wagen, 
					Den unverschämten Gast, der stärker war als er, 
					Mit scheelen Augen anzublicken. 
					Es fiel ihm in der Tat recht schwer, 
					Sich diesmal in die Zeit zu schicken. 
					Was, dacht er, soll ich tun? Gesetzt, ich sage nein, 
					Und widersetze mich, so frißt er ungebeten. 
					Und gleichwohl scheint es fast ein Schimpf für mich zu sein, 
					Ihm mein erworbnes Gut freiwillig abzutreten. 
					Ein Schimpf? Als ob die Not, die keinen Mann entehrt, 
					Die einen Hector selbst dem Stärkern welchen lehrt, 
					Der Tapferkeit zuwiderliefe! 
					 
					Doch unser Isegrim dacht' anders, hielt das Ding 
					Für schimpflich, sann daher auf eine List, und hing 
					Den Kopf, und tat, als ob er schliefe, 
					Als ob er den nicht sah und hörte, der jetzt kam, 
					Und Teil an seiner Mahlzeit nahm. 
					Der Löwe ließ sichs trefflich schmecken; 
					Auch fürcht' er nicht, den Wolf aus seinem Schlaf zu wecken. 
					Indem er fraß, kam noch ein magrer Hund herbei, 
					Der wußte seinen Trieb unmöglich zu bezähmen, 
					Ein Maul voll Pferdefleisch mit auf den Weg zu nehmen, 
					In Meinung, daß der Wolf im Ernst entschlafen sei. 
					Doch der ward schlimm bezahlt. Der Wolf sprang auf ihn zu, 
					Würgt ihn, und sprach: Was willst denn du? 
					Verwegener! wer lud dich zu meiner Mahlzeit ein? 
					Ich lieg' und schlafe zwar; allein 
					Man schläft nicht jedem zu Gefallen. 
					Was man dem einen gönnt, erlaubt man nicht allen." 
					 
					Fab.46 
					Die Ameise und die 
					Grille 
					 
					Die Ameise 
					 
					Pfui! daß du deine Zeit mit Schwirren so verdirbst! 
					Wie würd' es uns ergehn, wenn wir so müßig gingen? 
					 
					Die Grille 
					 
					Ei was? im Sommer muß man singen. 
					 
					Die Ameise 
					 
					So tanze dann mit leerem Kropf im Herbst. 
					 
					Fab.47 
					Der junge Bauer 
					und sein Sohn 
					 
					In einem alten Buch, das ich beim Pastor fand, 
					Sprach Fritz, ein Bauerssohn, hab' ich gelesen, 
					Daß eine Zeit gewesen, 
					Die man die goldne Zeit genannt. 
					Das Korn ist da von selbst hervorgekommen; 
					Die Fische sind im Teich gekocht herumgeschwommen; 
					Die Bäche, heißt es, waren Wein, 
					Und in der Luft sah man gebratne Tauben fliegen. 
					O! wäre noch die Zeit, denkt der Vater, welch Vergnügen, 
					In solcher Welt ein Mensch zu sein! 
					Ei ja! du würdest viel von allem diesem kriegen! 
					Wir wären da gewiß ein gut Teil schlechter dran. 
					Sprich, wenn der Junker selbst sein Feld bestellen könnte, 
					Ob er uns wohl ein Fleckchen Acker gönnte? 
					Jagd, Wälder, Fischerei maßt er gewiß sich an. 
					Was bliebe denn für uns in solchen goldnen Zeiten? 
					Nein Vater! so müßt Ihrs nicht deuten; 
					Das steht nicht in dem Buch. Das Buch sagt Euch: 
					Da war noch gar kein Herr, wir waren alle gleich. - 
					Noch besser! alle gleich! Ei was für Zanken Streiten 
					Und Morden möchte da nicht oft entstehn! 
					Nein! jetzt kann jeder doch, was er erwirbt, behalten; 
					Hat ruhig sein Stück Brot, das Arbeit ihm versüßt. 
					Drum geh mit deiner goldnen Zeit der Alten, 
					Und laß die Welt, so wie sie ist. 
					 
					Fab.48 
					Der 
					Schmetterling und die Biene 
					 
					Die Biene ließ den Schmetterling 
					Einst ihre fetten Speicher sehen. 
					"Schön!" rief der bunte Gast; "doch muß ich dir gestehen, 
					Ich tauschte nicht mit dir." — "Warum nicht, dummes Ding? 
					Was hast denn du? Laß sehn, wir wollen inventieren: 
					Ich hab' volles Haus." — "Und ich — nichts zu verlieren." 
					 
					Fab.49 
					Der Leichnam 
					 
					Ein zweiter Don Quixott, in dessen Kopf 
					Die Torheit heckte, kam einst auf die Grille, 
					Er wäre tot. Schon lag der arme Tropf 
					Zwei Tage lang in feierlicher Stille 
					Auf seinem Kanapee. Man fasset ihn beim Schopf: 
					Er sinket welk zurück. Man schreit ihm in die Ohren, 
					Man kneift ihn in das Kinn, man spritzt ihm ins Gesicht: 
					Umsonst! er hört und fühlet nicht. 
					Hier, sprach zuletzt der Arzt, ist meine Kunst verloren; 
					Man scharre nur den armen Junker ein; 
					Die Toten kann ich nicht erwecken. 
					 
					Der Tischler bringt den schwarz gebeizten Schrein; 
					Er wird hinein gelegt, und keine Spur von Schrecken 
					Drückt sich in seinen Zügen aus. 
					Ein Bauer, der die Zinse brachte, 
					Tritt, ungewarnt, ins Totenhaus. 
					Er gafft den Körper an, den man mit Fleiß bewachte: 
					Gott hab' ihn selig! spricht 
					Er endlich zum Husaren, 
					Der Marschalldienste tat, groß ist der Schaden nicht; 
					Denn ach! seit sieben Jahren 
					War ja der gute Herr ein Narr. — 
					Jetzt regt der Leichnam sich, die blauen Lippen beben. 
					Ha! Schurke rief er aus. — Der Kerl ward bleich und starr, — 
					Wär ich nicht tot, bei meinem Leben! 
					Ich ließe dir fünfhundert Prügel geben. 
					 
					Fab.50 
					Der Esel und das 
					Schwein 
					 
					Ein Esel sprach: Nun! das befremdet mich! 
					Ich bin den Menschen lächerlich; 
					Kein Tier ist wohl verachteter, als ich. 
					Und gleichwohl seh' ich nicht, weswegen. 
					Der Mensch muß es nicht überlegen. 
					Ich bin ein arbeitsames Tier, 
					Die Last kommt nicht von meinem Rücken; 
					Ja, man beladet mich fast über die Gebühr. 
					Auch weiß ich mit Geduld in alles mich zu schicken. 
					Fällt unserm Knecht ein Gang nur ein, 
					So muß ich ihm anstatt des Pferdes sein. 
					Früh fängt es oft kaum an zu tagen, 
					So muß ich zum Verkauf die Gartenfrüchte tragen, 
					Und die Verkäuferin dazu. 
					Zum Müller trag' ich das Getreide; 
					Und wenn ich hundert Wege tu', 
					Bedarf ich keiner fetten Weide. 
					Man braucht die Sorge nicht, ob mir die Malzeit schmeckt; 
					Denn Disteln selbst sind mein Konfekt, 
					Gewiß! an Mäßigkeit hab' ich nicht meinesgleichen. 
					 
					Die Menschen tun nicht recht, daß sie mich so verschmähn. 
					Zwar muß ich an Gestalt dem Pferde freilich weichen, 
					Und mir bewundernd nachzusehn, 
					Bleibt niemand auf der Straße stehn. 
					So hab' ich, wie ich mir das selber nicht verhehle, 
					Auch keine Nachtigallenkehle. 
					Doch, wenn man nur mit mir gerecht verfährt, 
					Sind diese Fehler ja kaum des Erwähnens wert. 
					 
					Bei Menschen dich zum Spott zu machen, 
					Reicht schon ein Fehler zu, antwortete ihm das Schwein. 
					Wir mögen noch so nützlich sein, 
					So hindert sie das nicht, uns höhnisch zu verlachen. 
					Weil ich in Pfützen mich manchmal herumgewühlt, 
					So weißt du selbst, wie sie den Namen, den ich führe, 
					Zu allen Zeiten mitgespielt. 
					Doch schmeck' ich ihnen gut. — Was klagen zwar wir Tiere? 
					Da seines gleichen selbst kein Mensch zu schonen pflegt. 
					Die Menschen sind einmal zur Schmähsucht aufgelegt, 
					Und sie betrachten alle Leute 
					Allein von ihrer schlimmen Seite. 
					 
					Fab.51 
					Das Madrigal 
					 
					Was tut ein Kaiser nicht, die Zeit sich zu vertreiben? 
					In China war ein Kaiser, der einmal 
					Besondre Lust bekam, in Versen was zu schreiben. 
					Ein kleines Lied, ein Ding von einem Madrigal* 
					War die Geburt; doch mager, schwach und kahl. 
					Allein der Kaiser war nicht, wie wir andern Dichter; 
					Das Reimen war bei ihm noch keine Sucht, 
					Und unverliebt in seine Frucht, 
					War er sich selbst der allerkälteste Richter. 
					Er fühlte wohl, sein Stück sei von Gedanken leer; 
					Auch las er es den Günstlingen halb lachend her. 
					 
					Jetzt geht ein alter Mandarin vorüber; 
					Der Kaiser ruft ihn: "Du mein Lieber, 
					Bist, wie ich weiß, ein Freund von Versen. 
					Lies einmal, ich bitte dich, dies Madrigal. 
					Seit dem man weiß, daß ich zum Spaße 
					Mir nun und dann ein Verschen lesen lasse, 
					Werd' ich fast Tag für Tag mit Reimerei geplagt. 
					Doch wirklich unter uns gesagt, 
					Hat mir, so viel ich noch Gedichte sah, von allen 
					Dies hier am wenigsten gefallen. 
					Nimm nur und lies." 
					Der Höfling, welcher sich 
					Der Falle nicht versieht, liest, kräuselt oft die Stirn, 
					Rümpft oft den Mund. — "Nun?" spricht der Fürst, "betrog ich 
					mich? 
					Fehlt es dem Dichter nicht an Hirn? 
					Nicht wahr? das Madrigal ist platt, 
					Und lehrt nicht recht gescheit, der es geschrieben hat." 
					 
					"Unmöglich kann man besser richten, 
					Als Ihre Majestät, gleichwie 
					Von allen Dingen sonst, so von der Poesie. 
					Man kann nichts schlechteres erdichten, 
					Als dieses Madrigal. Höchst elend! sehr gemein! 
					Kein Wort in dem ein Einfall stecket! 
					Wahrhaftig! wer es ausgehecket, 
					Mag mir ein rechter Pinsel sein!" 
					 
					Der Kaiser spricht: "Mich freut's, ein Urteil zu vernehmen, 
					Das du so redlich und so frei gedacht, 
					Und ich so rein von dir herausgebracht; 
					Zwar sollt' ich billig mich des Urteils wegen schämen, 
					Denn leider! hab ich selbst das dumme Ding gemacht." 
					 
					"Du? — Himmel! welch ein Streich! 
					O gib mir es doch zurücke! 
					Ich las es nur mit flücht'gem Blicke." 
					"Nein!" spricht der Kaiser, "nein! 
					Dein zweites Urteil möchte nicht so redlich sein." 
					 
					Und nun, ihr Könige! wißt ihr, was die Geschichte, 
					Die ich erzähle, nicht erdichte, 
					Für einen Rat für euch enthält? 
					Wollt ihr erfahren, was die Welt 
					Von euch und euren Taten hält, 
					So seid so klug, es nicht zu sagen, 
					Daß ihr das Madrigal gemacht. 
					 
					"Doch welcher König wird es wagen, 
					Daß man ihm in die Augen lacht?" 
					 
					Ich weiß es; aber welchen König 
					Hat auch das Schmeicheln nicht ein wenig 
					Um seinen Mutterwitz gebracht? 
					 
					*Madrigal: 
					mehrstimmiges Chorlied, Schäferlied. 
					 
					Fab.52 
					Der Rabe und der Fuchs 
					 
					Wurst wider Wurst: das ist das Spiel der Welt, 
					Und auch der Inhalt dieser Fabel. 
					 
					Ein Rabe, welcher sich auf einen Baum gestellt, 
					Hielt einen Käs' in seinem Schnabel; 
					Den Käse roch der Fuchs. Der Hunger riet ihm bald, 
					Dem schwarzen Räuber sich zu nahen. 
					 
					"Ha!" spricht er, "sei gegrüßt! Ist hier dein Aufenthalt? 
					Erblickt man hier die reizende Gestalt? 
					Daß du gefällst, muß jeder, wer dich kennt, bejahen. 
					Erlaube mir die Lust, dich jetzt recht anzusehn. 
					Wahrhaftig! der Fasan muß dir an Farbe weichen. 
					O! wäre dein Gesang nur halb so schön, 
					So würde dir kein Phönix gleichen." 
					Den Raben täuscht das Lob, das ihm der Falsche gab; 
					Er kann sich nicht vor stolzer Freude fassen. 
					Ich muß mich, denkt er, hören lassen, 
					Und sperrt den Schnabel auf; sein Käse fällt herab; 
					Der Fuchs, der ihn verschlingt, ruft aus: "Mein schöner 
					Rabe, 
					Ein Schmeichler lebt von dem, der ihn sm liebsten hört, 
					Wie ich dir jetzt bewiesen habe. 
					Ist diese Lehre nicht zehn Käse wert?" 
					 
					Des Fuchses Schüler schweigt, mit heimlichem Verlangen 
					Den schlauen Fänger auch zu fangen. 
					Der trug einst Speck nach seinem Bau; 
					Dies sieht der Rabe; "Wie?" so ruft er, "Hühnerfresser! 
					Ist jetzt Speck dein Mahl du lebest zu genau, 
					Fast wie ein Mäuschen lebt. Schalk, dein Geschmack war 
					besser. 
					Sieh hin in jenen Hof! die Hennen die dort gehen, 
					Sind klügrer Füchse Kost; nichts schöners kann man sehn. 
					Dich sollte wohl ein solcher Anblick rühren; 
					Allein du bist nicht dir noch deinem Vater gleich. 
					Sonst warst du doch an Mut und an Erfindung reich, 
					Da suchte dich das Glück." — Der Fuchs läßt sich verführen, 
					Wirft seine Mahlzeit hin, setzt dem Geflügel nach; 
					Doch jenes macht sich unter Dach, 
					Und krähet, ihm zum Hohn, im sichern Hühnerhause. 
					"Kräht!" ruft er, "kräht! mir bleibt ein fetter Fraß zum 
					Schmause." 
					Er trabt zurück und sucht. Der frohe Rabe sitzt 
					Auf einem Baum, wo ihn die Höhe schützt, 
					Und zehrt von seinem Speck. "Freund," schreit er, "welch 
					Vergnügen! 
					Der Rabe kann den Fuchs betrügen. 
					Denkst du nicht mehr an meinen Käs' und deine List? 
					Vorhin war ich ein Tor, wie du es heute bist." 
					 
					Fab.53 
					Der Löwe und der Esel 
					 
					Als einst der Esel mit dem Löwen jagte, 
					Und nach vollbrachter Jagd ihn fragte: 
					"Drang meine Stimme nicht durch Mark und Bein?" 
					Versetzte dieser: "Ja! du kannst vortrefflich schrein; 
					Hätt' ich nicht dein Geschlecht gekannt, 
					Ich wäre selbst davon gerannt." 
					 
					Fab.54 
					Die Kolonie 
					 
					Ein Häuflein Kolonisten von dem Nilusstrande 
					Zog nach Abdera, bat sich wüste Felder aus, 
					Besetzte sie mit Hof und Haus, 
					Und schuf die Flur zum Weizenlande. 
					Das Ding gefiel dem weißen Magistrat; 
					Und als man erst, amtsmäßig, scharf gestritten, 
					So ward man eins, die Pflanzer sollten sich vom Staat 
					Ein Merkmal seiner Huld erbitten. 
					Das Völkchen ging nicht lange mit sich selbst zu Rat. 
					Drei Männer mit gebleichten Haaren, 
					Die Väter dieser Pflanzstadt waren, 
					Erschienen froh vor dem Senat. 
					Erlaubt uns, flehte voll Vertrauen 
					Ihr Haupt, daß wir, für unsrer Arbeit Lohn, 
					Der Göttin unsrer Nation, 
					Der Isis, einen Tempel bauen." 
					Der Archon zittert und erblaßt auf seinem Thron, 
					Und blickt, nicht ohne frommes Grauen, 
					Den Sprecher an: "Ihr guten Leute, ruft er aus, 
					Könnt, wenn ihr wollt, ein Hurenhaus, 
					Nur keinen fremden Tempel bauen." 
					 
					Fab.55 
					Der gefangene Trompeter 
					
					
					Nach dem Burkard Waldis 
					 
					Wer zu der Tat Ermuntrung gibt, 
					Hat selber sie mit ausgeübt. 
					 
					Ein dicker Mohr, mit Namen Peter, 
					Ward bei der Reiterei Trompeter. 
					Und ward darauf in einer Schlacht 
					Zum Kriegsgefangenen gemacht. 
					Man gab ihm manchen Rippenstoß; 
					Er aber rief: "Laßt mich doch los! 
					Ich habe ja nicht mitgekriegt, 
					Und euch kein Leides zugefügt. 
					Mein Säbel ward ja nie gezückt 
					Und mein Pistol nie losgedrückt; 
					Geblasen hab' ich nur allein, 
					Das wird so strafenswert nicht sein. 
					Nicht strafenswert? versetzte man; 
					Dein Blasen eben hat's getan. 
					Du machtest unsern Feinden Mut; 
					Sie fochten, daß wir ihrer Wut 
					Kaum Widerstand zu tun vermochten; 
					Du hast so gut wie sie gefochten. 
					 
					Fab.56 
					Der Esel als Supplikant 
					 
					Der Esel trat als Supplikant 
					Zum Löwen: "Herr, darf ich es wagen," 
					Sprach er, ein Wort dir vorzutragen? 
					Die Polizei, wie dir bekannt, 
					Hat Männer von Talent ernannt, 
					Bei Nacht die Stunden anzusagen. 
					Nun wissen Berge, Tal und Wald, 
					Wie mächtig meine Töne schallen; 
					Drum bitt ich, Herr! laß dir gefallen, 
					Mit einem mäßigen Gehalt 
					Von wildem Haber oder Kleien, 
					Das Wächteramt mir zu verleihen." 
					Er senkt das Ohr und schweigt. Alsbald 
					Wird seine Bitte placidieret. 
					Der Esel wird durch Stab und Ring 
					Zum Stundenrufer investieret, 
					Und ein Gehalt von Häckerling 
					Wird ihm in Gnaden affignieret. 
					 
					Die Nacht bricht ein. Wie Boreas 
					Ruft er: Ihr Herren, laßt euch sagen . . . 
					Dem Hof gefiel der neue Spaß. 
					Doch, als die Glocke zwei geschlagen, 
					Und er noch rief, da fing der Khan 
					Den Schreier zu verwünschen an. 
					Entbot, der ganze Hof war Zeuge, 
					Früh morgens durch ein Windspiel ihn 
					Auf seine Burg. Das Tier erschien. 
					"Friss deinen Häckerling, und schweige! 
					Dies, Langohr, sei dein Amt hinfort." 
					So lautete des Königs Wort. 
					 
					Und so entstanden in dem Staate 
					Die Esel, die auf Polstern ruhn, 
					Und weltliche  . .  
					Genießen, bloß — um nichts zu tun. 
					 
					Fab.57 
					Das Kind und der 
					Schatten 
					 
					Ein Kind hüpft' auf den bunten Matten, 
					Und sah, indem auf das betaute Grün 
					Die Sonne tief aus Westen schien, 
					Sein Bild in einem langen Schatten. 
					Dies Bild, das hüpfend ihm gefiel, 
					War ihm ein angenehmes Spiel; 
					Und bald erregt' es in dem Knaben 
					Den Wunsch, den manches Bild erregt, 
					Den Wunsch, der Klügere wohl zu betören pflegt, 
					Den Wunsch, was ihm gefiel zu haben. 
					Er eilt: der Schatten eilt mit gleichem Schritt; 
					Er springt, es springt der Schatten mit. 
					Am Ende, weil ihm nichts will glücken, 
					Verschmähet er das Bild und zeiget ihm den Rücken. 
					Kaum geht er in gelassner Ruh 
					Und wendet sein Gesicht dem heitern Lichte zu, 
					So folgt der Schatten ihm von freien Stücken. 
					 
					Der Schatten ist die Ehre. Wer gewaltsam sie 
					Verfolget, der erhält sie nie. 
					 
					Fab.58 
					Die Natter und der Aal 
					 
					Zu der Natter sprach der Aal: 
					Mein Geschick ist zu bedauern, 
					Weil auf mich fast allemal, 
					Nicht auf dich, die Leute lauern; 
					Ruh und Unschuld schützt mich nicht, 
					Weil mir jeder Netze flicht; 
					Mein Geschlecht füllt alle Reusen. 
					Vetter! fiel die Natter ein: 
					Unschuld wird dich nicht befrein; 
					Aber ich kann Zähne weisen, 
					Deren Biß die Feinde scheun. 
					 
					Fab.59 
					Die beiden Affen 
					 
					Was machst du da? Wie? auf den Kopf zu stehen! 
					Bist du nicht recht gescheit? 
					Herr Bruder, nur gemach! 
					Wir müssen endlich doch dem alten Schimpf entgehen, 
					Als ahmten wir nur immer nach. 
					So wollen wir in Zukunft gehen, 
					Und dann sag' einer noch einmal, 
					Ein Affe sei nicht auch Original! 
					 
					Fab.60 
					Apollo und der Kritiker 
					 
					Ein Kritiker, ein tief gelehrter Mann, 
					Kam einst in Phöbus Tempel an, 
					Und kam mit einem ungeheurem Werke. 
					Hier bring ich, was mein Fleiß nunmehr vollendet hat, 
					Ein Buch, worin ich Blatt für Blatt 
					Die Fehler im Homer bemerke. 
					Der Gott antwortete ihm: Ich weiß, 
					Ein solches Werk erfordert großen Fleiß; 
					Auch will ich ihn (und dieses tu' ich selten) 
					Mit einer Gabe dir vergelten. 
					Du siehst hier einen Sack mit Weizen stehn, 
					Denn bitt' ich dich zuerst recht fleißig durchzusehn. 
					Er ist nicht völlig rein. Zur Rechten 
					Wirf mir den Guten und den Schlechten 
					Zur Linken hin. Der Autor setzet sich geschwind, 
					Und klaubet sorgsam aus, und klaubet sich fast blind. 
					Nun ist der Weizen rein, kein Unrat ist zu sehen. 
					Wahrhaftig! die Geduld, spricht Phöbus, wundert mich. 
					Den Weizen laß für meine Priester stehen, 
					Den Unrat nimm für dich. 
					 
					 
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