Die Wölfe und die Hirsche 
					 
					Die Hirsche und Wölfe führten lange Zeit miteinander Krieg. 
					Die Hirsche siegten selten 
					und mußten fast immer weichen. Sie wurden aus allen Wäldern 
					vertrieben, über alle 
					Flüsse gejagt, und litten dabei, namenloses Elend. 
					 
					Die Häupter der streitenden Parteien wünschten den Frieden, 
					— unterhandelten öfters, — 
					konnten aber nie einig werden, und der Krieg fing wieder vom 
					neuen an. 
					— Nun verabredete sch der größte Teil der Hirsche, dem 
					Kriege ein Ende zu machen. 
					Einige aus ihnen rieten zur Desertion, einige zur Empörung 
					gegen die Anführer. 
					Endlich sprach einer: 
					"Kameraden! ich meine, das Klügste wäre, wir sollten uns, so 
					bald der Krieg wieder 
					anfängt, zu Gefangenen geben." 
					"Ja," riefen die andern Hirsche, "gefangen geben wir uns." 
					 
					Der Krieg begann. — Die Hirsche wurden ins Treffen geführt, 
					— aber statt — daß sie 
					kämpften, warfen sie ihre — Geweihe ab, — und gaben sich 
					gefangen. — Und gleich 
					darauf wurde — Friede. 
					*  *  * 
					Das ist jetzt die neueste Methode, dem Kriege ein Ende zu 
					machen. 
					 
					Die Maultiere und die Räuber 
					 
					Zwei Maultiere, mit Säcken beladen, gingen durch einen Wald. 
					Das eine trug Geld, 
					das andre Getreide. Jenes hob stolz sein Haupt empor, und 
					dieses trabte still und 
					schüchtern seine Wege. Auf einmal stürzten Räuber aus dem 
					Gebüsche hervor, 
					Sie fielen über das stolze Maultier her, töteten es, und 
					nahmen ihm das Geld. Das andre 
					Maultier aber ließen sie, weil es nur mit schlechtem Korn 
					beschwert war, ruhig hinziehn. 
					Als das Maultier seinen Gefährten im Blute liegen sah, 
					sprach es: 
					 
					"So gibt es doch auch Zeiten und Umstände, da der Arme und 
					Verachtete weit glücklicher 
					ist, als der Reiche und Vornehme." 
					*  *  * 
					Eine Anekdote aus der Revolutionsgeschichte. 
					 
					Der Vater und der Knabe 
					mlt dem Steckenpferde 
					 
					Ein Knabe, der noch auf dem Steckenpferde ritt, sprach zu 
					seinem Vater: 
					"Laß mich doch bald in die Schule, gehn." 
					"Wenn du mir versprichst," sagte der Vater, "daß du nicht 
					mehr auf dem Steckenpferde 
					reitest." Der Knabe war folgsam, und ritt nicht mehr. Aber 
					seine Sporen von Kartenblättern, 
					trug er doch noch an den Stiefeln, und mit 
					diesen wollte er in die
					Schule gehn. 
					"Auch die Sporen", versetzte der Vater, "mußt du weglegen. 
					Denn es wäre lächerlich, 
					wenn du Sporen trügest, ohne daß du ein Pferd hättest, und 
					reiten würdest." 
					"Ich trage sie," sagte der Knabe, "nur, um mich vor anderen 
					Knaben auszuzeichnen, 
					und mir mehr Ansehn zu geben." 
					*  *  * 
					Wie viele tragen nur Sporen, — als die einzigen 
					charakteristischen Merkmale je ihrer 
					Würde und Bildung! — 
					 
					Der Adler, 
					der Rabe und der Kranich 
					 
					Ein alter Adler wurde tödlich krank, und verlangte einen 
					Arzt. Man empfahl ihm den 
					Raben. Dieser erschien. 
					 
					"Wie?" — sprach er, "Eure Majestät sind krank, und sehn aus 
					wie's Leben?" — 
					Erfühlt den Puls, schaut, und verschreibt — Lämmerblut und 
					Kälbermark. Allein, diese 
					Kur war zu schwach, und die Krankheit nahm zu. — Man rief 
					den Kranich. Als er den 
					Adler sah, zuckte er die Achseln und sagte: 
					"Ihr Zustand ist bedenklich — und die Leibeskonstitution 
					sehr gebrechlich." 
					"Was," — sprach der Adler, "meine Leibeskonstitution ist 
					gebrechlich? — Fort mit dir! 
					du bist ein Charlatan." 
					*  *  * 
					Er ist ein Ketzer, ein Empörer, heißt es, wenn ein 
					Schriftsteller über die Gebrechen der 
					Kirchen und Landeskonstitution wohlmeinend schreibt. 
					 
					Der Hirt und die 
					beiden Stiere 
					 
					Zwei Stiere verliebten sich zu gleicher Zeit in Eine Kuh und 
					wurden uneins. 
					Sie überhäuften sich mit Vorwürfen, und forderten einander 
					zum Kampfe heraus. — 
					Der Stärkere streckte den Schwächern tot zur Erde nieder. 
					Der Hirte lief herbe und 
					sagte zum Sieger: 
					"Verwegener! warum hast du deinen Kameraden getötet?" 
					"Er entehrte mich durch Vorwürfe, und ich verschaffte mir 
					Genugtuung," antwortete der
					Stier. 
					"Aber ist jetzt deine Rechtschaffenheit erwiesen?" versetzte 
					der Hirte, "könntest du 
					jetzt kein Schurke mehr sein? — Und weist du, daß ich euer 
					Richter bin? — Künftig sollen 
					alle Stiere, die sich miteinander bis auf den Tod schlagen, 
					alsogleich zur Schlachtbank 
					geführt werden." 
					 
					"Diese Strafe," erwiderte der Stier, schreckt keinen von uns 
					vom Kampfe ab. 
					Aber willst du, daß in deiner Herde die Stiergefechte ganz 
					aufhören, so suche das 
					Vorurteil auszurotten, daß auf demjenigen, der den Zweikampf 
					ausschlägt, keine 
					Beschimpfung, und kein Unwert liegen bleibt" 
					*  *  * 
					Nur auf dies Art könnten auch die Duelle im Staate 
					verhindert werden. 
					 
					Der Strauch und die 
					Eiche 
					 
					Ein Strauch wuchs unter dem Schatten einer hohen Eiche, 
					deren Gipfel bis an die 
					Wolken reichte. 
					"Wie glücklich bin ich," sagte der Strauch, "daß ich unter 
					dieser Eiche aufwachse. 
					Ich bin gegen Wind und Regen, und gegen jedes Ungemach der 
					Witterung geschützt." 
					Kaum hatte der Strauch ausgeredet, als plötzlich ein 
					Blitzstrahl die Eiche zerschmetterte. 
					Der Strauch war nun ohne Schutz, und dem Spiele der Winde 
					preisgegeben. 
					*  *  * 
					Wie plötzlich ist ein Großer gestürzt, und wie wenig ist 
					sich auf seinen Schutz verlassen! 
					 
					Die beiden Füchse 
					 
					Ein alter Fuchs gab seinem Sohne Unterricht in der 
					Sittenlehre, und erklärte ihm, 
					was für eine große Sünde der Hühnermord sei. Als er mit der 
					Erklärung fertig war, 
					erblickte er auf dem Felde eine Gans, schlich ihr nach, 
					würgte sie, und trug sie auf dem 
					Rücken in seine Höhle. Nach einiger Zeit traf der junge 
					Fuchs eine Henne hinter dem 
					Zaune, und mordete sie. — Dies sah der alte Fuchs, und rief 
					voll Zorn: 
					 
					"Ungehorsamer! weist du nicht mehr was ich dir verboten 
					habe? — " 
					"Vater, sei nicht so böse," versetzte der junge Fuchs, "du 
					würgtest neulich gar eine Gans 
					und ich nur eine Henne. Welcher Mord ist nun eine größere 
					Sünde? —" 
					Der alte Fuchs war hierüber ganz betroffen, und sagte: 
					"Kehre dich künftig nur an meine Worte, aber nie an meine 
					Werke." 
					*  *  * 
					Ein Erziehungsprinzip, das — leider! — fast allgemein 
					vorherrschend ist. 
					 
					Der Löwe, das 
					Pferd, der Hirsch und der Esel 
					 
					Als im Tierreiche die Nachricht erscholl, daß der alte Löwe 
					kraftlos in seiner Höhle liege, 
					kamen ein Pferd und ein Hirsch dahin, um ihn, wie sie 
					sagten, zu besuchen. Voll Grimm 
					— durchbohrte der Hirsch den Leib des todkranken Löwen und 
					das Pferd, von — Rache 
					erglüht, schlug ihm den Huf vor den Kopf. 
					Der Löwe schwamm in seinem Blute, und seufzte nach Hilfe. 
					Ein Esel, der eben auch 
					vorüber ging, sprang dem Hilflosen bei, legte kühlende Erde 
					auf seine Wunden, 
					und pflegte seiner. 
					"Ach!" sprach der Löwe sterbend zu dem Esel, "wie sehr, aber 
					wie unverdient, wurdest 
					du von mir verachtet. Die Edelsten aus dem Tiergeschlechte 
					mißhandelten mich so 
					grausam und du, als ein ganz gemeines Tier erzeigst dich so 
					groß und edel gegen mich." 
					*  *  * 
					Auch die Menschen von gemeinem Stande können groß und edel 
					handeln. 
					 
					Das Pferd und der 
					Fuhrmann 
					 
					Ein Fuhrmann, der eben ein junges Pferd gekauft hatte, 
					spannte es sogleich an den 
					Wagen. Kaum hatte das Pferd eine Strecke Wegs zurückgelegt, 
					so fiel es halb tot zur 
					Erde und sagte: 
					"Ich muß erliegen, denn ich bin nicht gewohnt, eine so 
					schwere Last zu ziehn." 
					"Warst du," fragte der Fuhrmann, "noch nie an einen Wagen 
					gespannt?" 
					"O ja!" antwortete das Pferd; "schon in meinem zweiten Jahre 
					mußte ich am Wagen 
					ziehn. Aber man strengte mich nicht an, weil ich noch sehr 
					jung war: man tändelte 
					und spielte nur mit mir, und jetzt ist Anstrengung für mich 
					tödlich." 
					"Man hätte dich nicht so jung anspannen, aber auch nicht mit 
					dir spielen und tändeln 
					sollen. Anstrengung hätte deine Kräfte vermehrt, Tändelei 
					hat sie nun ganz erschlafft. 
					Himmel! was würde aus dem Fuhrwesen werden, wenn man alle 
					Pferde so früh — und auf 
					diese Art — zum ziehen abrichtete!" rief der Fuhrmann 
					und trieb das Pferd von der
					Erde auf! 
					*  *  * 
					Ein Wink für jene Erzieher, die ihre Zöglinge spielend und 
					tändelnd unterrichten, 
					und sie nur zu Schwächeren, und nicht — zu Denkern bilden. 
					 
					Der Hund und der Kater 
					 
					"Es ist grausam," sagte ein Kater zu einem Hunde, "daß die 
					Wölfe unschuldige Schafe 
					zerreißen, und gutmütige Kühe würgen. — Wie dauern mich die 
					armen Tiere!" — 
					"Du hast Recht," versetzte der Hund, "es ist grausam." 
					"Sollte man," fuhr der Kater fort, "diese Tierklasse nicht 
					ganz von der Erde vertilgen?" — 
					 
					Aber während er dieses sprach, erblickte er eine Maus, und — 
					würgte sie. 
					"Ha! du verkappter Tierfreund, auch du sollst vertilgt 
					werden!" rief der Hund, 
					und erdrückte den Kater. 
					*  *  * 
					Die Lehre in dieser Fabel liefert uns die neueste 
					Zeitgeschichte. 
					 
					Der Hengst und die 
					Stute 
					 
					Ein Hengst schäkerte, wenn er auf die Weide kam, mit einer 
					jungen Eselin. 
					Dies bemerkte eine Stute, und sprach zu dem Hengst: 
					"Du pflegst mit der Eselin einen Umgang der dir, wenn du ihn 
					fortsetzest, wenig Ehre macht." 
					„Warum," fragte der Hengst, „sollte mir der Umgang mit der 
					Eselin keine Ehre sein?" 
					"Höre meine Gründe," — sprach die Stute: 
					 
					"Das Pferd wird für große Summen gekauft, mit reichem 
					Schmuck geziert, und von allen 
					Fürsten mit einer Achtung behandelt, wie kein anderes Tier; 
					es wird von Dichtern 
					besungen, von Künstlern gemalt; seine Abstammung 
					aufgezeichnet, und der Nachwelt 
					überliefert. Denke dir diese Vorzüge. — Wie erhaben ist ein 
					Pferd, und wie gemein und 
					verachtet — eine Eselin!" 
					"Diese Vorzüge reizen mich nicht," versetzte der Hengst, 
					"die Eselin ist frugal, arbeitsam, 
					harmoniert mit meiner Denkart, — kurz, sie gefällt mir, — 
					Gründe genug für mich, — 
					sie zu lieben. — 
					*  *  * 
					Gründe für und wider die Mesalliance. 
					 
					Der Kuckuck und die 
					Henne 
					 
					Ein Kuckuck wollte eine Henne über die Art und Weise 
					belehren, wie sie ihre Jungen 
					warten und pflegen sollte. 
					Die Henne lächelte und sagte: 
					"Wie kannst du mich die Methode lehren, wie ich meine 
					Küchlein erziehen sollte, 
					da du selbst deine eigenen Kinder in eine fremde Wiege 
					legst, und von andern Vögeln 
					erziehen läßt." 
					*  *   
					Auf diese Fabel passen jene pädagogischen Schriftsteller, 
					welche die glänzendsten 
					Theorien über Erziehung schreiben, selbst aber nie ein Kind 
					erzogen haben. 
					 
					Der Luchs und der Löwe 
					 
					Ein Luchs lebte lange Zeit am Hofe des Löwen, und war einer 
					seiner geheimsten Spione. 
					Einmal kam er in die Gesellschaft einiger Tiere, wo man vom 
					Löwen sehr viel Böses
					sprach: 
					"Sir!" sagte er zum Löwen, "ich war in einer Gesellschaft, 
					wo die Tiere laut gegen dich 
					klagten. Du mußt sie strafen, und schweigen machen." 
					 
					"Laß sie reden, " versetzte der Löwe, "ihr lautes, 
					öffentliches Klagen fürchte ich nicht, 
					es ist ein Zeichen, daß sie es mit mir noch gut meinen; aber 
					ihr stummes Denken und 
					Brüten ist gefährlich." 
					*  *  * 
					Eine treffende Wahrheit für Regenten. 
					 
					Der Hund und der Jäger 
					 
					Ein Jäger ging auf die Jagd, und nahm einen alten Hund, den 
					er sehr schätzte, mit sich. 
					Im Walde erblickte der Hund einen Eber. — Er stürzte auf ihn 
					hin, und faßte ihn beim 
					Ohre. Allein der alte Hund hatte schon morsche Zähne, — und 
					der Eber riß aus, 
					und entfloh. Nun schalt der Jäger auf den Hund, und drohte, 
					ihn nie wieder auf die Jagd 
					mit zu nehmen. 
					"Weißt du," sagte der Hund, "daß dieser Eber das erste Tier 
					ist, welches mir entkam. 
					Nur an Jugendkraft, aber nicht an Mut, fehlt es mir." 
					*  *  * 
					Ein sonst tapferer und grauer General verliert Eine 
					Bataille, — und fällt in Ungnade. 
					 
					Das Kalb und der Stier 
					 
					Ein Stier ging mit einem Kalb in den Stall. Der Stier hatte 
					lange Hörner, und konnte, 
					weil die Tür sehr enge war, nicht leicht hinein kommen. — 
					Das Kalb zeigte ihm, wie er 
					sich wenden und drehen soll. 
					"Schweig," sagte der Stier, "ich bin schon bei so engen 
					Türen hineingegangen, ehe du 
					noch geboren warst." 
					*  *   
					Antwort eines alten Praktikers auf die Bescheidspunkte eines 
					jungen Theoretikers. 
					 
					Der lahme Hund 
					 
					Ein Hund, der gegen Diebe ein ganzes Dorf verteidigte, 
					verlor im Kampfe einen Fuß. 
					Da er nun lahm und unbrauchbar war, fand er bei niemand 
					Hilfe, und sogar sein eigner 
					Herr ließ ihn nicht mehr in das Haus. 
					"O, mich Elenden!" rief der Hund, "jetzt muß ich in dem 
					Dorfe, das ich in Lebensgefahr 
					verteidigte, von Haus zu Haus Brot und Beine betteln und 
					auch noch als Bettler —
					sterben." 
					*  *  * 
					So müssen auch oft verstümmelte Soldaten in dem Lande, für 
					das sie stritten, — 
					betteln gehen. 
					 
					Die Nachtigall und 
					die Vögel 
					 
					Die Waldvögel stritten sich über die Schönheit ihres 
					Gesanges, und konnten lange nicht 
					einig werden. Endlich mußten ein Star und eine Krähe den 
					Streit entscheiden, und ihre 
					Entscheidung ging dahin, daß der Schwan aus allen Vögeln am 
					schönsten singe. 
					Eine Nachtigall, welche zwischen dem Star und der Krähe saß, 
					sagte: 
					"Ihr Toren, wie könnet ihr über den Gesang des Schwanes 
					urteilen, da ihr ihn noch nie 
					habt singen hören." 
					*  *  * 
					Räsonnement über Schriften, die man nie gelesen hat. 
					 
					Jupiter und die Ziegen 
					 
					Einige Ziegen baten Jupiter um Hörner und sagten: 
					 
					"Vater der Götter, wir bitten dich, nimm den Böcken die 
					Hörner und setze sie uns auf, 
					damit wir uns gegen mutwillige Neckereien selbst schützen 
					und verteidigen können." 
					Jupiter schlug ihnen die Bitte ab und sprach: 
					"Lasset den Böcken ihre Hörner — Euch gab ich ja Schlauheit 
					und List. — Begnügt euch 
					damit, und seid nicht so neidisch gegen eure eigenen Böcke." 
					*  *  * 
					Viele Weiber sind g e f ä l l i g e r — und setzen ihren 
					Männern die Hörner selbst auf. 
					 
					Der 
					Vogelhändler und der Reisende 
					 
					Ein Vogelhändler trug an einem sehr kalten Tage Vögel in die 
					Stadt. Unter diesen befand 
					sich auch ein junger Kanarienvogel. Als der Vogelhändler zu 
					einem Bache kam, tauchte 
					er den Kanarienvogel bis an den Kopf ins eiskalte Wasser. 
					Ein Reisender, der eben 
					vorüberging, fragte: 
					"Warum tauchst du den Vogel ins Wasser?" 
					"Um ihn abzuhärten, " versetzte der Vogelhändler, daß er 
					auch wie der Fink und der 
					Eisvogel Kälte ertragen lernt." 
					"Eine solche Lektion ist für einen jungen Kanarienvogel zu 
					strenge, sagte der Reisende, 
					du hättest ihn a l l m ä h l i g an die rauhe Witterung 
					gewöhnen sollen. Einem Vogel, 
					dessen Ureltern schon weichlich erzogen, ist eine so 
					plötzliche Erkältung tödlich." 
					 
					Während der Reisende also sprach, starb der arme Vogel in 
					der Hand des Vogelhändlers. 
					*  *  * 
					Ein warnendes Beispiel für Eltern, die einem überspannten 
					Abhärtungssystem anhängen. 
					 
					Das Schachspiel 
					 
					Zwei Knaben spielten Schach, und Einer von ihnen setzte die 
					Springer hinter die Bauern. 
					Die Springer hielten diese Zurücksetzung für eine Schande, 
					und sagten: 
					"Sind wir weniger als die langsamen Bauern?" 
					 
					"Schämt euch nicht," sprach der Knabe," daß ihr auf dem 
					Schachbrett hinter den Bauern 
					steht; — stellen sich doch, wie man sagt, — auf dem 
					Schlachtfelde manche Generäle 
					hinter die gemeinsten Soldaten." — 
					*  *  * 
					Aber auf dem Exerzierplatz und bei der Parade stehen sie 
					allemal - voran. 
					 
					Der junge Fuchs im 
					Buchladen 
					 
					Ein junger Fuchs kam zu einem Buchhändler und sagte: 
					"Herr! nimm mich in deinen Buchladen auf, ich möchte gerne 
					den Buchhandel lernen, 
					daß ich mich einst durch diese Kunst ernähren kann." 
					"Findest du in den Wäldern keinen Unterhalt mehr?" sprach 
					der Buchhändler. 
					"Nicht mehr so viel," versetzte der Fuchs, "wie einst meine 
					Voreltern. Denn die Wälder 
					werden jetzt sehr gelichtet und ausgehauen,— und Jäger und 
					Hunde gehen uns auch 
					heftiger zu Leibe, als jemals." 
					"Du handelst sehr klug," erwiderte der Buchhändler; "ein 
					Handwerk oder eine Kunst 
					schützt dich in jedem Falle gegen Mangel." 
					*  *  * 
					Ein Wink für junge Adelige. 
					 
					Die Pferde im Stalle 
					 
					In einem herrschaftlichen Stalle stand eine Anzahl Pferde. 
					Unter diesen befanden sich 
					zwei Zugpferde, und die andern waren Luxuspferde. Jene 
					mußten hart arbeiten, 
					Hunger leiden, und konnten in drei Tagen nicht so viel 
					Futter zuführen, als diese an 
					Einem Tage verzehrten. Sie beklagten sich deswegen bei ihrem 
					Herrn und sagten: 
					"Du hast zu viel Pferde zum Füttern, und zu wenig zum 
					Arbeiten. Entweder vermindere 
					die Reit- und Kutschenpferde, oder kaufe mehrere 
					Wagenpferde. Wir zwei können die 
					Arbeit nicht mehr verrichten, — Wir müssen erliegen und zu 
					Grunde gehen." 
					 
					Der Herr blieb taub, gegen ihre Klage, und die Pferde wurden 
					immer schwächer und 
					kraftloser, — und starben. 
					*  *  * 
					Folgen des Mißverhältnisses zwischen dem Zehr- und 
					Nährstande. 
					 
					Der Fuchs und die 
					Traube 
					 
					Ein Fuchs sah eine Traube hangen, und sprang nach ihr. 
					Allein er konnte sie nicht 
					erreichen denn die Traube hing zu hoch. Er wagte mehrere 
					Sprünge, und jeder mißlang. 
					Endlich sagte er: 
					"Ha! die Traube ist nicht gut, ich will sehn, daß ich eine 
					bessere bekomme." 
					*  *  * 
					Entschuldigung abgewiesener Solicitanten. 
					 
					Der Mann mit dem 
					Guckkasten 
					 
					Ein Mann ging mit einem Guckkasten auf einen Jahrmarkt, um 
					sich daselbst Geld zu 
					verdienen. Als er auf dem Platze angekommen war, strömte das 
					Volk scharenweise auf 
					ihn zu, und erwartete, mit murmelnder Ungeduld die Eröffnung 
					des Guckkastens. 
					Nun wurden die beiden Flügel des Kastens bedächtig geöffnet, 
					und das erste Bild, 
					das zum Vorschein kam, stellte eine unübersehbare Ebene vor, 
					worauf Landtiere von 
					allen Gattungen und aus allen Zonen vereinigt waren, und in 
					Friede und Eintracht 
					froh und munter beisammen lebten. — 
					 
					Der Löwe sprach herablassend mit dem Pferde und Esel; — der 
					Tiger herzte das Lamm; 
					— das Schaf schlief ruhig im Schoße des Wolfes; — die Henne 
					brütete ungestört an der 
					Seite des Fuchses; — die Maus aß mit der Katze; — die Taube 
					schnäbelte den 
					Habicht; — und der Adler unterhielt sich spielend mit der 
					Lerche; — und so herrschte 
					unter allen Tieren die innigste Harmonie und Einigkeit. 
					 
					Ehe noch der Mann mit dem Guckkasten dieses Bild verschob, 
					rief ein junger Mensch mit 
					Entzücken auf: 
					"Diese Vorstellung erinnert mich an den P l a n  z u m  e w 
					i g e n  F r i e d e n, — an das 
					P r o j e k t  z u m  V ö l k e r v e r e i n — zur Gründung 
					einer Weltrepublik. — 
					 
					"Ha!" sagte einer von den Zuschauern, "der Plan zum ewigen 
					Frieden ist ein philosophisches 
					Hirngespenst, und das Projekt zum 
					Völkerverein bleibt — ewig ein
					Projekt." 
					"Das könnte doch einst geschehn," sagte ein andrer; denn 
					Zeit und Weile macht
					alles möglich." 
					 
					Endlich fragten einige Zuschauer den Mann mit dem Guckkasten 
					um seine Meinung und 
					sagten: "Was denkst du, wer von diesen Beiden hat recht?" 
					Der Mann machte eine tiefe Verbeugung und sprach: 
					*  *  * 
					Meine Herren! Gedanken sind zollfrei. — 
					 
					Der Vokal und der 
					Konsonant 
					 
					Vokal: 
					Du beträgst dich als Konsonant sehr stolz gegen mich. 
					 
					Konsonant: 
					Ich habe Ursache dazu. 
					 
					Vokal: 
					Bedenke, daß du nur ein Mitlaut bist. 
					 
					Konsonant: 
					Ich heiße nicht Mitlaut. — Ich bin öffentlich, zum Hauptlaut 
					erklärt worden. 
					 
					Vokal: 
					Das kannst du nicht sein. Denn du bist nur ein stummer, und 
					ich bin ein hörbarer Laut. 
					 
					Konsonant:  
					Und doch hast du ohne mich keinen Sinn und keinen Ausdruck. 
					Ich führe die 
					Oberherrschaft unter den Wörtern. — Ich bin und war nie ein 
					stummer Mitlaut. 
					*  *  * 
					Männer! auch die Frauen sind und waren nie stumme Mitlaute. 
					— Es hieß schon vor 
					uralten Zeiten: — Weiber regieren die Welt. — 
					                                                              
					K . . .— 
					 
					 
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