Fabelverzeichnis

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Buch 1/1
 


 
Kraus Joseph

geb. 1.10.1759 zu Erdning in Niederbayern
Todesdatum nicht bekannt.

Weltpriester und Benefiziat im Kloster Sehlingstal zu Landshut,
später 1811 Stadtschulinspektor in Landshut.
Seine Fabeln erschienen 1801. (Die meisten selbst erdacht!)


Quelle der Fabeln:
Fabeln für unsere Zeiten und Sitten/von Kraus Joseph/Straßburg und Mainz 1801

 
Der Zensor und das Manuskript
Eine Fabel statt der Vorrede
 
Zensor:
Also kennest du deinen Vater nicht?

Manuskript:
Nein, und die Feder, meine Mutter, wagt es nicht, ihn zu nennen.

Zensor:
Warum nennt sie ihn nicht?

Manuskript:
Wegen der Ungewißheit meines literarischen Wertes, und vorzüglich wegen der Strenge
eurer Zensur.

Zensor:
Deinen literarischen Wert will ich nicht beurteilen; über diesen wird das lesende Publikum
richten. Aber eine Schrift, welche nur Wahrheit enthält, wie du sie enthältst, hat von der
Strenge des Zensurgerichts keine Unannehmlichkeiten zu erwarten, und darf den Namen
ihres Verfassers ohne Furcht an der Stirne tragen.

Manuskript:
Wenn ich schon Wahrheit enthalte, so bin ich doch froh, daß sich mein Verfasser nicht
bekannt gemacht hat. Denn man hat Beispiele, daß Schriftsteller, die sich in ihren mit
Wahrheit gestempelten Schriften genannt haben, den bittersten Verfolgungen ausgesetzt waren.

Zensor:
Diese Zeiten sind vorüber, und mit ihnen jener Geisteszwang, wodurch der Fortgang zu
höherer Kultur gelähmt wird. Denn unsere Regierung ist innigst überzeugt, daß bei einer
Nation, wo Geistes- und Herzenskultur blüht, auch Ruhe, Sicherheit und Wohlstand herrschen.

Manuskript:
Also dürfen alle Gattungen von Schriften gedruckt, gekauft und gelesen werden?

Zensor:
Nein, nur diejenigen, welche Wahrheit enthalten, Religion und Sittlichkeit nicht
entheiligen, und den Charakter des ehrlichen Mannes nicht schänden.

Manuskript:
Auch ich enthalte Wahrheit ohne persönliche Anzüglichkeiten, ohne Ausfälle auf Religion
und Tugend.

Zensor:
Und darum, drucke ich dir auch das — —
Imprimatur — auf.
*  *  *
Wahrheit und Gerechtigkeit sind das einzige Gemeinwohl.
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