Fab.1 
					
					Der Tod und der 
					Sterbende 
					 
					Dem Weisen macht der Tod nicht bange; 
					zu scheiden ist er stets bereit, 
					stets ist gewärtig er der Zeit, 
					da's sich zu rüsten gilt zum letzten Gange. 
					Und diese Zeit umfaßt, ach, alle Frist, 
					die eingeteilt in Tage und Minuten ist; 
					kein Augenblick, der nicht verfallen 
					ihrem Verhängnis wär', denn sie gebietet allen. 
					Die allererste Stund', in der ein Königssohn 
					dem Lichte öffnet seine Augenlider, 
					ist oft auch seine letzte schon 
					und schließt sie ihm auf ewig wieder. 
					Was helfen Größe, Ehr' und Treu', 
					Schönheit und Jugend, Tugend dir und Glaube? 
					Der Tod rafft alles ohne Scheu 
					dahin, und einst wird ihm die ganze Welt zum Raube. 
					Nichts ist uns minder unbekannt, 
					und nichts, obwohl es nirgends fehlte, 
					das minder uns gerüstet fand. 
					 
					Ein Sterbender, der mehr als hundert Jahre zählte, 
					beklagte sich beim Tod, daß er mit solcher Hast 
					ihn zwingen wollt', ins Jenseits zu enteilen, 
					eh' er sein Testament verfaßt, 
					ohn' alle Mahnung. »Darf ich nicht verweilen 
					ein wenig nur, ein kleines Stündchen noch? 
					Mein Weib will, nur mit ihr soll ich den Himmel schauen; 
					auch möcht' ich manches tun für meinen Neffen doch; 
					laß an mein Haus mich einen Flügel noch anbauen! 
					Warum so eilig denn, du Gott voll Schreck und Grauen!« 
					Der Tod drauf: »Alter, nennst du Überraschung dies? 
					Zu Unrecht wagst du, mir ob meiner Hast zu fluchen. 
					Zählst du nicht hundert Jahr? Du sollst mir in Paris 
					zwei, die so alt wie du, zehn in ganz Frankreich suchen! 
					Du forderst Mahnung noch von mir, die hin dich wies 
					zur bess'ren Vorbereitung auf das nahe Ende; 
					war es dir Mahnung nicht genug, als dir die Hände 
					und Füße schlotterten, die Stirn 
					sich runzelte und Herz und Hirn 
					schwach ward, als dir Geschmack und Sehn und Hören schwanden 
					und deine Sinne kaum noch irgendwas empfanden? 
					Vergebens strahlt sein Licht des Tags Gestirn dir her; 
					das Glück, um das du klagst, ist längst für dich nicht mehr. 
					Die Freunde sahst du all' mit Bangen 
					im Tode bereits vorangegangen. 
					Ist all dies Mahnung nicht genug? Ich hätt's gedacht! 
					Drum fort jetzt, Alter, ohne Wimmern! 
					Der Staat wird wenig sich drum kümmern, 
					ob du dein Testament gemacht.« 
					 
					Der Tod hatt' recht: Mir scheint, man sollt' in hohen Jahren 
					vom Leben gehen, wie sich's bei einem Mahl gebührt, 
					dem Wirte dankend und das Bündel wohl geschnürt. 
					Wie lange meint man denn, die Reise aufzusparen? 
					Du, Alter, murrst? Schau wie die Jugend unverweilt 
					dort auf dem Schlachtfeld einem Tod entgegeneilt, 
					erhaben zwar, ruhmreich und heldenmutig, 
					doch oft so grauenvoll und blutig! 
					Ich predig' dir umsonst, mein Eifer macht mich blind: 
					Die Menschen sterben um so schwerer, je näher sie am Tode 
					sind. 
					 
					Fab.2 
					Der Schuster 
					und der Reiche 
					 
					Ein heitrer Schuster sang von Morgen bis zur Nacht; 
					ihn anzusehn war eine Pracht, 
					'ne Pracht, zu hören ihn; er sang so lust'ge Weisen, 
					zufriedner als die sieben Weisen. 
					Sein Nachbar, der im Gold sich wälzt', war minder froh, 
					da Sang und Schlaf ihn ewig floh: 
					Er war Bankier, der lieh und borgte. 
					Wann morgens früh sein Aug' ein Schlummer deckt', 
					gleich ward vom lust'gen Sang des Schusters er geweckt; 
					dann flucht' er wohl, aufs Bett gestreckt, 
					dem Himmel, der nicht dafür sorgte, 
					daß man mit Geld den Schlaf auch kaufen kann 
					wie Trank und Speise für den Magen. 
					 
					Einst rief zu sich der reiche Mann 
					den Sänger und fragt ihn: »Könnt Ihr mir sagen, 
					was ihr verdient im Jahr?« - »Im Jahre? Meiner Treu«, 
					erwidert' lächelnd ohne Scheu 
					der lust'ge Schuster, »Herr, es ist nicht meine Sache, 
					das auszurechnen, kaum daß ich 'nen Abschluß mache 
					von Tag zu Tag; ich hab nicht Not 
					und sehe, wenn das Jahr vorüber, 
					ich hatte stets mein täglich Brot.« 
					»Und was verdient Ihr wohl am Tag, mein Lieber?« 
					»Mal mehr, mal weniger. Das Schlimmste sind fürwahr 
					— sonst könnte ich um den Verdienst nicht klagen —, 
					das Schlimmste sind für uns die Feste all' im Jahr; 
					glaubt mir, man macht uns tot mit Feiertagen: 
					Eins jagt das andre, und der Pfarrer macht 
					in jeder Predigt uns bekannt mit neuen Heil'gen.« 
					Der Reiche sagt, indem er dieser Einfalt lacht: 
					»An einem großen Glück will ich Euch heut' beteiligen. 
					Nehmt hundert Taler hier, doch nehmet mit Bedacht 
					sie als Notpfennig wohl in acht.« 
					 
					Dem Schuster ist's, als säh' er alles Golds Gefunkel, 
					das seit Jahrhunderten die Erd' 
					an Schätzen dieser Welt beschert. 
					Heim kehrt er und vergräbt in seines Kellers Dunkel 
					sein Geld, mit ihm auch seine Lust. 
					Kein Sang entquoll mehr seiner Brust, 
					seit er besaß, womit die Sorgen stets anfangen; 
					in seinem Bett kein Schlaf mehr zu ihm kam 
					und dessen Stelle unverzüglich nahm 
					der Argwohn ein und Angst und Bangen. 
					Bei Tag war stets er auf der Lauer, und bei Nacht, 
					wenn ein Geräusch die Katze macht, 
					denkt er an Raub. Zuletzt lief er voll Kummer 
					zu jenem, der seitdem besaß des Schlafes Glück. 
					»Gebt wieder mir mein Lied und meinen Schlummer«, 
					sprach er, »und nehmt hier Euer Geld zurück!« 
					 
					Fab.3 
					Der 
					Löwe, der Wolf und der Fuchs 
					 
					Ein alter Löwe, schwer geplagt von Gicht, 
					verlangt ein Mittel, ihn vom Alter zu bewahren; 
					unmögliches gibt's ja für einen König nicht. 
					 
					Die Ärzte kamen her in Scharen, 
					ringsher sah man zum Hof Rezeptschreiber wallen. 
					Doch blieb bei den Besuchen allen 
					der Fuchs daheim und ließ sich nirgends sehn. 
					Der Wolf, er spottet bei des Königs Schlafengehn 
					über den Fuchs. Der Fürst befiehlt, ohn' jede Schonung 
					ausräuchern solle man den Fuchs aus seiner Wohnung 
					und schaffen ihn zur Stell'. Er kommt, der Demut Bild, 
					und wissend, daß der Wolf den Streich ihm spielte: 
					»Ich fürcht', Herr, ein Bericht, der Angst mir erzielte«, 
					sagt er, »hat mich als einen Euch enthüllt, 
					der säumig wär', Euch hier zu huldigen; 
					doch mag die Wallfahrt mich entschuldigen, 
					mit der für Euer Wohl ich ein Gelübd' erfüllt. 
					Gelehrte fragt' ich nach der Schwäche, die Euch quält 
					und deren Folgen Euch nicht gut bekommen. 
					Nur Wärme ist's, an der's Euch fehlt; 
					das Alter hat sie Euch genommen. 
					Von 'nem lebend'gen Wolf das abgezogne Fell 
					müßt warm, noch rauchend, Ihr umbinden; 
					dies Mittel, wirksam ist's und schnell 
					belebend, wenn die Kräfte schwinden, 
					Herr Wolf dient dann bequem und traut 
					als Schlafrock Euch in Mußestunden.« 
					Den König hat der Rat erbaut; 
					den Wolf, zerrissen und geschunden, 
					hat der Monarch zum Nachtmahl erst verdaut. 
					Dann hüllt' er sich in seine Haut. 
					 
					Ihr Herrn vom Hof, laßt ab, zugrunde euch zu richten. 
					Erfüllt doch harmlos eures Hofes Pflichten. 
					Vierfach verdunkelt Gutes ihr durch Schlechtigkeit. 
					Wer andre narrt, der wird auf die, auf jene Weise 
					genarrt; bedenkt, ihr lebt in einem Kreise, 
					wo einem keiner was verzeiht. 
					 
					Fab.4 
					Die Macht der Fabel 
					
					An Herrn von Barillon 
					 
					
					
					Läßt ein Gesandter sich herab 
					Fabeln zu lesen und gewöhnliche Geschichten? 
					Darf meine leichten Verse ich an Dich wohl richten? 
					Wenn ich das Kleid der Würde ihnen gab, 
					wirst als verwegen Du und keck sie dann nicht hassen? 
					Du mußt mit anderem dich befassen 
					als dem, wie's Häschen sich ergötzt 
					und mit dem Wiesel bricht die Lanze. 
					Lies oder lies sie nicht; doch jetzt 
					verhindre nur, daß man das ganze 
					Europa auf den Hals uns hetzt. 
					Daß ringsum sich der Feind erhebt 
					und tausend Herren sich empören – 
					mag sein! Allein, daß England danach strebt, 
					die Freundschaft unsrer Kön'ge zu zerstören, 
					werd' ich nur schwer begreifen können. 
					Soll Ludwig sich noch immer keine Rast vergönnen? 
					Welch andrer Herkules erlahmte nicht im Streit 
					mit jener Hydra? Wüßt' ich nur, was wir gewönnen, 
					wenn seinem starkem Arm ein neues Haupt sie zeigt? 
					Vermag dein Geist, beredt und biegsam, 
					die Herzen milder und geschmeidig 
					zu machen, daß erspart uns bleibt des Krieges Spiel, 
					will hundert Widder ich Dir opfern; das ist viel 
					für einen Bürger des Parnasses. 
					Für heut' nimm meines Weihrauchfasses 
					bescheidne Gabe gnädig an; 
					nimm meine heißen Wünsche dann 
					und dies Gedicht, das ich dir hier zu Füßen lege. 
					Es paßt für Dich, mehr sag' ich nicht; 
					auf's Lob, das Dir sogar der Neid 
					muß lassen, leg' ich kein Gewicht; 
					ich weiß, wie Ihr bescheiden seid. 
					 
					Leichtsinnig war das Volk einst in Athen. 
					Ein Redner, der Gefahr fürs Vaterland gesehn, 
					bestieg die Rednerbühne. In die Herzen dringen 
					wollt' er, durch die Gewalt der Rede sie bezwingen; 
					fürs allgemeine Wohl bot alle Kraft er auf. 
					Man hört ihn nicht. Da griff der Sprecher im Verlauf 
					der Rede zu den stärksten Mitteln, 
					die selbst den trägsten Geist vermögen aufzurütteln: 
					Er donnert, was er kann, er weckt die Toten auf – 
					alles nur in den Wind, es achtet niemand drauf. 
					Es ward an diesem Tag an dem erhab'nen Orte 
					das tausendköpf'ge Tier zu keinem Ernst gebracht: 
					Rings sahn sich alle um; er merkt', sie gaben acht 
					auf Kinderprügelei'n und nicht auf seine Worte. 
					Was tat der Redner? Er versucht's auf andre Art. 
					»Ceres«, so fing er an, »macht' einstmals eine Fahrt 
					mit einem Aal und einer Schwalbe. Auf der Reise 
					hielt sie ein Wasser auf; der Aal, kundig genug 
					des Schwimmens, und die Schwalb' im Flug 
					kamen bald drüber weg.« Sogleich einstimmig frug  
					das Volk: »Und was tat Ceres?« Drauf der Weise: 
					»Was Ceres tat? Es wallt' ihr Blut 
					auf gegen euch in Zorn und Wut. 
					Wie, Fabeln sind's, wonach das Volk nur trachtet? 
					Und die Gefahr, in der es schmachtet, 
					sind nicht der Rede wert für leichtsinnigen Übermut! 
					Warum fragt ihr denn nicht, was König Philipp tut?« 
					 
					Die durch das Gleichnis schnell erwachte 
					und zur Besinnung bald gebrachte 
					Bevölkerung gab nun auf ihren Redner acht. 
					Ein Stückchen Fabel hat's gemacht. 
					 
					Athener sind wir alle in dem Punkt. Nicht lügen 
					will ich: Hätt' einer mir, als ich dies niederschrieb, 
					die Fabel von der Eselshaut erzählt, ich blieb' 
					wohl selber stecken vor Vergnügen. 
					Man sagt, die Welt ist alt. Ich glaub' es; doch gewinnt 
					nur, wer sie unterhält, als wäre sie ein Kind. 
					 
					Fab.5 
					Der Mensch und 
					der Floh 
					 
					Beschwerlich fallen durch der Wünsche Ungeschick 
					den Göttern wir, und oft um ganz nichtswürd'ge Sachen, 
					als hätt' der Himmel nichts, ja weiter nichts zu machen, 
					als immer nur auf uns zu richten seinen Blick, 
					als dürft' der Sterblichen Geringster mit 'ner Bitte 
					bei jeder Lumperei, bei jedem seiner Schritte 
					die Bürger des Olymps beläst'gen jederzeit, 
					als gält's der Griechen und der Trojer wicht'gen Streit. 
					 
					Ein Floh biß einen Toren; forthüpfend dann in Eile, 
					in Falten seines Hemds barg sich das Flöhelein. 
					»O Herkules«, rief da der Tor, »du mußt die Welt befrein 
					von dieser Hydra, diesem schrecklichen Unheile! 
					O Jupiter, warum vertilgst du nicht dieses blutgeile 
					Geschlecht? Auf diese Weise wäre ich gerächt!« 
					 
					Um einen Floh zu töten, wär's ihm gerade recht. 
					wenn ihm die Götter liehen Blitz und Donnerkeile. 
					 
					Fab.6 
					Die Frauen 
					und das Geheimnis 
					 
					Geheimnisse sind eine Last; 
					den Frauen fällt es schwer, sie weit zu tragen. 
					Hierin sind alle Männer fast auch Weiber nur, 
					das muß ich sagen. 
					 
					Sein Weib zu prüfen, rief bei Nacht ein Ehemann 
					an ihrer Seite aus: »O Gott! Was fang ich an? 
					Ich kann nicht mehr! Ach, welche Plagen! 
					Himmel! Ich leg' ein Ei!« - »Ein Ei?« - »Ja, sieh's nur an; 
					ganz frisch! Doch hüte dich, etwas davon zu sagen; 
					man schimpft mich Henne sonst, drum schweig nur überall.« 
					Die gute Frau, der dieser Fall ganz neu war, 
					wie auch manche andre Fragen, 
					sie glaubte es und schwor, es still bei sich zu tragen. 
					Doch hat an den Eid, als diese Nacht 
					vorüber war, sie kaum mehr gedacht. 
					 
					Die Frau erhebt aus ihrem Bett sich, 
					sobald die Morgensonne lacht 
					und läuft zur Nachbarin geschwätzig: 
					»Gevatterin, denkt nur, was da geschehen ist diese Nacht! 
					Doch redet nicht davon, weil mich mein Mann sonst schlägt: 
					Ein Ei, so groß wie vier, hat er gelegt. 
					Doch bitt' um Gottes Willen ich, 
					von dem Geheimnis nichts zu sagen.« 
					»Ihr kennt mich schlecht, könnt Ihr an mir zu zweifeln 
					wagen!« 
					spricht jene drauf. »Verlaßt Euch ganz auf mich.« 
					Des Eierlegers Frau kehrt wieder heim; doch brennen 
					sieht man vor Ungeduld die andre schon und rennen 
					von Haus zu Hause mit der Neuigkeit vom Ei: 
					Aus einem macht sie gar schon drei. 
					Ein andres Weib sagt, daß es viere seien 
					und fügt hinzu, wie streng geheim die Sache wär'. 
					Unnötig waren die Geheimniskrämereien – 
					längst war es kein Geheimnis mehr. 
					So wuchs der Eier Zahl, sie ward von Mund zu Munde 
					dank dem Geschwätz vermehrt wie toll; 
					und vor der nächsten Abendstunde 
					war richtig schon das Hundert voll. 
					 
					Fab.7 
					
					
					Der Hund, der seines Herrn Mittagbrot am Halse trug 
					 
					Für Schönheit sind bestechlich unsre Augen, 
					und unsre Hände sind's für Geld; 
					es gibt nur wenige in dieser Welt, 
					die einen Schatz zu hüten taugen. 
					 
					Ein Hund, als Bote in ein Gasthaus einst gesandt, 
					trug seines Herren Mahl, als Halsband umgehangen. 
					Enthaltsam war er, mehr fast, als man könn't verlangen, 
					von einem Hund, der einen guten Bissen fand – 
					aber, er war's. Und wir? Begehren 
					wir denn nicht alles Mögliche voll Lüsternheit? 
					Merkwürdig! Einen Hund lehrt man Enthaltsamkeit, 
					den Menschen aber kann man sie nicht lehren! 
					Der Pudel läuft mit seinem Körbchen ohne Rast; 
					da kommt ein Köter her, der nach den Speisen faßt. 
					Das ging, so sehr er sich drauf freute, 
					doch nicht so schnell: Um die Beute, 
					besser zu schützen, wirft er ab die Last. 
					Man kämpft. Andere Hunde nahn in Massen, 
					die herrenlos herum so liefen auf den Gassen. 
					Der Pudel, fürchtend, daß sie ihn zerreißen, 
					wollt' auch sein Teil und rief mit schlauem Überblick: 
					»Nur ruhig Blut, ihr Herrn! Ich will ja bloß mein Stück, 
					ums übrige mögt ihre euch beißen!« 
					Den ersten Bissen schnappt er weg bei diesem Wort; 
					gleich fällt darüber her die ganze Meute, 
					nach Kräften schmausen alle von der Beute, 
					ein jeder trägt sein Teil mit fort. 
					 
					Der Staat ist dieser Fabel Sinn, 
					in dem das Geld man anvertraut der Bürgerschaft. 
					Schöffen und Händler, jeder rafft 
					so gut er kann zusammen den Gewinn. 
					Zum Lachen, wie geschwind dabei das Geld verschwindet! 
					Und wenn ein Redlicher das nicht in Ordnung findet 
					und bringt dagegen kluge Worte vor, 
					dann sagt man ihm: Du bist ein Tor! 
					Er wird sich wohl nicht lange schämen 
					und bald als erster seinen Teil sich nehmen. 
					 
					Fab.8 
					Der Spötter 
					und die Fische 
					 
					Man sucht die Spötter, ich bemüh' mich, sie zu meiden. 
					Nur in des Meisters Hand ist diese Kunst zu leiden, 
					und für die Toren nur schuf Gott 
					Witzbolde mit boshaftem Spott. 
					Mit einer Fabel möchte ich euch dergleichen 
					vor Augen führen. Und vielleicht 
					bekennt ihr, daß sie ihren Zweck erreicht. 
					 
					Ein Spötter saß zu Tisch bei einem Reichen 
					und fand an seinem Platz ungern 
					nur kleine Fischchen, all die großen lagen fern. 
					Er nimmt die kleinen, spricht ihnen ins Ohr ganz leise 
					und tut, als hört' in gleicher Weise 
					er ihre Antwort. Staunend blickt man ihn an, 
					ein Schweigen ringsumher begann. 
					Der Spötter sagt' drauf in Ehren, 
					er fürcht', es litt im vor'gen Jahr 
					ein Freund, der fortgegangen war 
					nach Indien, Schiffbruch in den Meeren; 
					ob's wahr sei, frag' er nun die kleinen Fische bloß. 
					Man sagt' ihm allerseits, daß sie zu jung noch wären, 
					zu kennen seines Freundes Los; 
					höchstens ein großer Fisch könnt' ihn belehren. 
					»Ein Großer? Ach, wie fragt' ich den wohl jetzt?« 
					Daß die Gesellschaft viel Behagen 
					an seinem Witz fand, dies zu sagen 
					vermag ich nicht; doch schließlich ward ihm vorgesetzt 
					ein Untier, alt genug, die Namen ihm zu nennen 
					all derer, die gesucht ein unbekanntes Land 
					und deren Spur man nimmer fand, 
					und schon hundert Jahr' in Meeres Grund gebannt, 
					des weiten Reiches Ahnen lernte kennen. 
					 
					Fab.9 
					Die Ratte und 
					die Auster 
					 
					Es war gewiß nicht grad des Feldes klügste Ratte, 
					die ließ, da sie's langweilig fand, 
					Feld, Korn und Streu im Stich, kurz, alles, was sie hatte, 
					schlüpft' fort und wandert' durch das Land. 
					Kaum draußen, mit erstaunten Mienen: 
					»Wie ist so groß und weit die Welt!« ruft aus der Zwerg. 
					»Dies ist der Kaukasus! Das sind die Apenninen!« 
					Der kleinste Maulwurfshauf' erschien ihr als ein Berg. 
					Dann kommt sie, wandernd längs dem Strande, 
					in eine Gegend, wo Tethys am Meeresrande 
					viel Austern leben ließ; die Ratte glaubt sofort, 
					es sei'n, was sie erblickt, Schiffe mit hohem Bord. 
					»Mein Vater«, sagt sie, »ist ein armer Wicht geblieben; 
					zu reisen wagt' er nicht, furchtsam bis in den Tod. 
					Ich hab' das Meer gesehn und mich umhergetrieben 
					in Wüsten, trotzend der Gefahr, die mich bedroht'.« 
					Von einem Schulmeister wußt' alles dies die Ratte 
					und sprach's wie ein einfältig Kind, 
					nicht jenen gleich, die, weil sie Bücherfresser sind, 
					nur leben von gelehrtem Wind. 
					 
					Von den geschlossnen Austern hatte 
					eine sich aufgetan; gähnend im Sonnenstrahl, 
					erfrischt durch sanften Windes Wehen, 
					schlürft sie die Luft, als wollt' in Wonne sie vergehen, 
					weiß, fett, schien sie ein ganz besonders leckres Mahl. 
					Kaum hat die Ratte sie mit ihrem Blick gemessen, 
					ruft sie: »Was seh' ich denn? Das ist ja was zu essen! 
					Wenn richtig aus der Farb' auf den Geschmack ich schloß, 
					so winkt ein Schmaus, wie ich ihn nie genoß.« 
					Der Schale nähert sich die Ratte und streckt weit 
					den Hals und Kopf hinein in gierigem Verlangen. 
					Da klappt die Auster zu, die Ratte ist gefangen. 
					So geht es der Unwissenheit. 
					 
					Die Fabel gibt uns mehr als eine Lehre an: 
					Wir sehn zunächst, daß einem unwissenden Mann, 
					die kleinste Kleinigkeit die Fassung rauben kann. 
					Und was sodann aus ihr hervorgegangen: 
					Wer andre glaubt zu fangen, wird gefangen. 
					 
					Fab.10 
					Der Bär und 
					der Gartenfreund 
					 
					Ein halb geleckter Bär, dem Hochgebirg' entstammt, 
					lebt', gleich Bellerophon,* 
					den einst das Schicksal steigen 
					und fallen ließ, im Wald zur Einsamkeit verdammt. 
					Verrückt ward er; denn der Vernunft ist's eigen, 
					daß sie nie lang bei Eremiten bleibt. 
					Reden ist Silber, sagt man, Gold ist Schweigen; 
					doch beides ist nicht gut, wenn man es übertreibt. 
					Kein lebend Tier mocht' da sich zeigen, 
					leer blieb's und öde ganz und gar, 
					so daß, obwohl ein Bär er war, 
					er höchst langweilig fand dies jämmerliche Leben. 
					 
					Indes er also hier der Schwermut sich ergeben, 
					langweilte ganz auf gleiche Weis' 
					in seiner Nähe sich ein Greis, 
					ein Gartenfreund, der in Pomonas Dienste schaltet' 
					und Floras Priesteramt verwaltet'. 
					Schön ist dies Doppelamt; doch glaub' ich, schöner sei's 
					in liebenswürd'ger Freunde Kreis. 
					Ein Garten spricht nicht viel, außer in meinem Buche. 
					Drum ging der Greis einst auf die Suche 
					im Morgensonnenschein, der stummen Sippschaft satt, 
					nach Freunden; querfeldein wandelt' er frisch und munter. 
					Der Bär, der gleiche Absicht hatt', 
					kam auch von seinem Berg herunter. 
					Durch Zufall trifft höchst sonderbar 
					an einer Ecke sich das fremde Paar. 
					Der Mann hat Angst. Doch wie ausweichen? Was anstellen? 
					Mut heucheln war das Beste stets in solchen Fällen; 
					er wußt' es und verbarg die Furcht vor der Gefahr. 
					Der Bär, der nicht sehr höflich war, 
					sagt kurz zu ihm: »Komm zu mir!« Darauf jener: »Gerne zwar, 
					doch seht, da steht mein Haus; wollt ihr mir Ehr' erweisen, 
					so eßt darin mit mir ein ländlich schlichtes Mahl. 
					Ich habe Obst und Milch. Zwar weiß ich nicht einmal, 
					ob die Herrn Bären auch gewohnt sind solche Speisen, 
					doch biet' ich, was ich hab'.« Der Bär nimmt's an, sie gehn; 
					man kann schon unterwegs sie als zwei Freunde sehn. 
					 
					Im Hause haben sie sehr freundlich sich vertragen; 
					mag auch Alleinsein mehr behagen als eines Narren Gegenwart, 
					so hindert, da der Bär in Schweigen meist verharrt, 
					doch nichts den Mann, daß er sein Tagewerk verrichte. 
					Der Bär geht auf die Jagd, schafft Wild herbei, obliegt 
					dann seinem Hauptgeschäft vergnügt 
					als Fliegenjäger, scheucht vom Angesichte 
					des Freundes, wenn er schläft, das lästige Insekt, 
					die Fliege, die so oft uns neckt. 
					Einst sieht er unserm Greis in tiefem Schlummer liegen 
					und eine Fliege, die ihm auf der Nase kreucht; 
					er wütet, da umsonst er immer fort sie scheucht. 
					»Wart nur!« so ruft er aus. »Dich werde ich schon kriegen!« 
					Gesagt, getan: Seht da, der Fliegenmeister schafft 
					'nen Pflasterstein herbei und schleudert voller Kraft, 
					ihn nach des Greises Haupt, die Fliege zu verjagen. 
					Er hat – als guter Schütze, doch höchst mangelhaft 
					als Denker – auf der Stell' ihn mausetot geschlagen. 
					 
					Nichts bringt so viel Gefahr uns wie ein dummer Freund; 
					weit besser ist ein kluger Feind. 
					 
					
					
					*(Held der griech. Sage, wollte auf dem Wunderroß 
					
					Pegasus in den Olymp 
					reiten, stürzte aber ab) 
					 
					Fab.11 
					Die zwei Freunde 
					 
					Zwei Freunde lebten einst in Monomotapa; 
					was einer hatte, war dem andern auch zu eigen – 
					die Freundschaft solle besser ja 
					sich dort als hierzulande zeigen. 
					 
					In einer Nacht sieht man den einen sich aufraffen; 
					er eilt zu seinem Freund, erweckt der Diener Schar, 
					da Morpheus stundenlang schon Herr im Hause war. 
					Der Schläfer staunt, er greift nach Börs' und Waffen, 
					gewahrt den Freund und spricht: »Du pflegst doch sonst nicht 
					viel 
					zu laufen, wenn man schläft wie jeder, der gescheit ist 
					und besser nützt die Zeit, die nur dem Schlaf geweiht ist! 
					Verlorest du etwa gar dein ganzes Geld im Spiel? 
					Da, nimm! Sollt' dich ein Ehrenhandel quälen? 
					Hier ist mein Degen, komm! Wenn du verdrießlich scheinst, 
					weil du im Bett alleine warst: Die Schönste magst du wählen 
					von meinen Sklavinnen; soll ich sie herbefehlen?« 
					»Nein«, sagt der Freund. Von allem, was du meinst, 
					ist's nichts; doch magst auf meinen Dank du zählen. 
					Im Traum erschienest du ein wenig traurig mir; 
					ich sorgt', es wäre wahr, drum kam ich schnell zu dir. 
					Der dumme Traum war's, der es machte.« 
					 
					Wer liebt den andern mehr? Wie denkst mein Leser du? 
					Die Frage ist es wert, daß man sie ernst betrachte; 
					ein wahrer Freund verdient, daß man ihn achte. 
					In deines Herzens Grund sucht er, was not dir tu', 
					spart dir die Scham, ihm selber zu 
					entdecken, was dir etwa fehle; 
					ein Traum, ein Nichts, läßt ihm nicht Ruh', 
					gilt's dem Geliebten seiner Seele. 
					 
					Fab.12 
					Das 
					Schwein, die Ziege und der Hammel 
					 
					  
					Ein Hammel, eine Zieg' und ein gemästet Schwein, 
					auf einen Karren wurden sie zum Markt gefahren. 
					Nicht zum Vergnügen sollt' es für sie sein, 
					da sie, soviel man weiß, bestimmt vom Kärrner waren, 
					am Markte zum Verkauf zu stehn, 
					und nicht, um den Hanswurst zu sehn. 
					 
					Frau Schwein schrie so, als wäre es schon geschehn 
					um sie und folgten ihr zehn Schlächter auf den Spuren; 
					ja, einen Lärm, um taub zu werden, machte sie. 
					Die andern, gutes Volk und sanftre Kreaturen, 
					wunderten sich gar sehr, daß sie um Hilfe schrie; 
					sie sahen keinen Grund zu zagen. 
					Der Kärrner spricht zum Schwein: »Was hast du denn zu 
					klagen? 
					Du machst uns alle toll! Warum gibst du nicht Ruh'? 
					Die beiden andern, weit anständiger als du, 
					sollten dich Lebensart oder doch Schweigen lehren! 
					Sieh den Hammel an, hält er sich nicht fast stumm? 
					Denn er ist klug.« - » Nein, er ist dumm! 
					Wüßt' er, auf welchem Gang wir wären, 
					er macht' es wohl wie ich und schrie aus vollem Hals,« 
					erwiderte das Schwein, »und jene andre gute Seele, 
					schrie ebenso aus voller Kehle! 
					Sie denken, nehmen will man ihnen allenfalls, 
					der Ziege ihre Milch, dem Hammel seine Wolle. 
					Ob's richtig, sei dahingestellt; 
					doch mir, die höchstens gut man hält 
					zum Essen, droht der schmerzenvolle 
					und sichre Tod. Leb wohl, o Welt!« 
					 
					Das Schwein zeigte Verständnis, sollt' ich meinen. 
					Allein was nützt' es ihm? Steht fest das Unheil, dann 
					kann Klagen auch nichts ändern mehr daran, 
					und der Kurzsichtigste wird stets der Klügste scheinen. 
					 
					Fab.13 
					Tircis und Amarant 
					
					
					Für Fräulein von Sillery 
					
					
					 
					Ich verließ Äsop, auf daß 
					mich Boccaccio ganz erfülle; 
					doch es ist auf dem Parnaß 
					wieder einer Göttin Wille, 
					Fabeln meiner Art zu sehn. 
					Nun, ihr einfach widerstehn 
					ohne triftige Entschuld'gung, 
					wäre eine schlechte Huld'gung, 
					einer Göttin dargebracht, 
					welche durch der Schönheit stillen 
					Zauber über jeden Willen 
					herrscht mit unumschränkter Macht. 
					Denn – ich sag' es unverhohlen – 
					Sillery hat es befohlen, 
					daß bei mir von neuem flugs 
					Meister Rab' und Meister Fuchs 
					in gereimter Sprache reden. 
					Sillery – genug weiß man: 
					In der Schätzung eines jeden 
					steht ihr Name obenan. 
					Wie hätt' ich's nicht unternommen? 
					Doch, zur Sache jetzt zu kommen: 
					Meine Fabeln, meinte sie, 
					sind nicht klar und dort und hie 
					manchem Schöngeist unverständlich. 
					Dichten drum wir ein'ge, die 
					ohne Kommentar verständlich! 
					Hirten führn wir vor und reimen unverzagt 
					ganz gemütlich dann, was Wolf und Schaf gesagt. 
					 
					Zur jungen Amarant sprach Tircis einst: »Beglücken 
					würd's mich, ach, kenntest du wie ich doch jenes Leid, 
					das Leid voll Lust und voll Entzücken – 
					nicht seinesgleichen gibt's auf Erden weit und breit! 
					Erlaube mir, daß ich dir's sage, 
					und Furcht und Zweifel sei verbannt; 
					könnt' ich dich täuschen, dich, der ich im Busen trage 
					das zärtlichste Gefühl, das je ein Herz empfand?« 
					Sofort stellt' Amarant die Frage: 
					»Wie nennst du dieses Leid? Wie heißt es? Sag mir's an!« 
					»Die Liebe.« - »Schönes Wort! Wie soll ich sie erkennen? 
					Beschreib sie mir, mein Freund: Sag was empfindet man?« 
					»Gar süße Pein. Langweilig ist zu nennen 
					der Kön'ge Lust, wenn man's vergleicht. Man fühlt allein 
					ganz selig sich im stillen Hain. 
					Betrachten wir uns in des Baches Welle, 
					so sehen wir nicht uns selbst, ein Bild nur, klar und helle, 
					das stets uns wiederkehrt, wo immer wir auch sind; 
					für alles andre sind wir blind. 
					Ein Hirt ist's dessen Nahn zur Stelle, 
					des Stimme, dessen Name uns erröten macht; 
					wir seufzen, wenn wir sein gedacht. 
					Wir wissen nicht, warum wir seufzend nach ihm trachten; 
					wir fürchten, ihn zu sehn, indes wir nach ihm schmachten.« 
					Sogleich erwiderte Amarant: 
					»Ah so? Das ist das Leid, das du so süß genannt? 
					Das ist mir nicht mehr neu, ich glaub' es wohl zu kennen.« 
					Tircis glaubt schon, sie sein zu nennen; 
					da fährt die Schöne fort: »Genau dasselb' empfand 
					ich lange schon für Clidamant.« 
					Er meinte vor Verdruß, vor Gram und Scham zu sterben. 
					 
					Wie er hat mancher wohl im Sinn, 
					für eignen Vorteil nur zu handeln und werben, 
					und schafft bloß anderen Gewinn. 
					 
					Fab.14 
					Das 
					Leichenbegängnis der Löwin 
					 
					Des Löwen Gattin starb; zur Stell' 
					eilt' jeder hin, um möglichst schnell 
					sich vor dem Fürsten zu entledigen 
					der Beileidsförmlichkeit, 
					die immer mehr gilt als das Herzeleid. 
					Der Löwe kündete durch einen gnädigen 
					Befehl dem Lande Zeit und Ort 
					der Leichenfeier an: Marschälle seien dort, 
					das Fest zu ordnen und den Kreisen 
					der Gäste Plätze anzuweisen. 
					Es fehlte keiner, und es brüllt alsbald 
					der Fürst, daß von des Tons Gewalt 
					die ganze Höhle widerhallt – 
					der Leu hat keine andre Halle. 
					Nach seinem Beispiel brüllten alle 
					die Höflinge in ihrem ungeheuren Leid. 
					 
					Der Hof scheint mir ein Land, wo jeder jederzeit 
					ist traurig oder froh, gleichgültig und bereit, 
					kurz, was der Fürst befiehlt; und kann man das nicht 
					schaffen, 
					sucht man die Form doch abzugaffen. 
					Dies Volk besteht nur aus Chamäleons und Affen. 
					Viel tausend Körper, stets belebt von einem Geiste bloß, 
					sind dort die Menschen: Puppen willenlos. 
					 
					Doch wieder jetzt zu unsern Sachen! 
					Der Hirsch nur weinte nicht. Wie sollt' er's auch wohl 
					machen? 
					Rache war dieser Tod für ihn: Die Königin 
					rafft' einst ihm Weib und Kind dahin. 
					Genug, er weinte nicht. Ein Schelm, stark im Verdrehen, 
					sagt' gleich, er hab ihn lachen sehen. 
					Der Zorn des Königs, sagt der weise Salomon, 
					ist schrecklich, und mehr noch des Löwen auf dem Thron. 
					Doch mocht's bei unserm Hirsch wohl schlecht ums Lesen 
					stehen. 
					Der König herrscht ihn an: »Elender Waldeswicht, 
					du lachst? Es rühren dich der Seufzer Töne nicht? 
					Doch unsre heil'ge Tatze wollen wir mit deinem Jammerleibe 
					nicht entweihen! Wölfe, kommt herbei 
					und rächt die Königin; geopfert sei 
					der Schurke dem erhabnen Weibe.« 
					Der Hirsch erwidert drauf: »O Herr, des Weinens Frist 
					ist jetzt vorbei; zu nichts kann hier der Schmerz noch 
					dienen. 
					Eu'r selig Eh'gemahl, ruhend auf Blumen, ist 
					nah dieser Stätte mir erschienen – 
					ich kannte sie sogleich an ihren Mienen. 
					>Sorge<, sprach sie, >beim Leichenfest, wenn mich 
					der Götter Gruß empfängt, daß keine Träne fließe, 
					da tausend Wonnen im Elysium ich genieße 
					mit denen, die geheiligt sind wie ich. 
					Der König, so will ich's, ergeb' einstweilen sich 
					dem Schmerz!< Kaum hört das Wort man, das leichtfertig lose, 
					gleich schallt es ringsumher: »O Wunder! Apotheose!« 
					Der Hirsch strich ein Geschenk statt aller Strafen ein. 
					 
					Bereite Königen Vergnügen 
					durch Träume und durch angenehme Lügen. 
					Wie zornig sie auch sind: Der Köder ist zu fein, 
					sie beißen sicher an; stets wirst ihr Freund du sein. 
					 
					Fab.15 
					Die Ratte und 
					der Elefant 
					 
					Sich etwas dünken, das ist Brauch bei uns zu Lande; 
					so mancher spielt den Mann von Stande 
					und ist ein kleiner Bürger nur. 
					Das ist französische Natur: 
					Alberne Eitelkeit ist uns besonders eigen. 
					Der Spanier hat sie, doch er wird sie so nicht zeigen; 
					sein Stolz scheint mir darum viel törichter, doch nicht so 
					dumm. 
					Laßt euch ein Bild, ganz nach dem Leben 
					gezeichnet, von dem unsern geben. 
					 
					Die kleine Ratte sah 'nen Elefanten, der 
					ein Riese war; sie lacht', wie langsam doch einher 
					das große Tier schritt durch die Straßen! 
					Er ging geschmückt über die Maßen; 
					auf seinem hohen Rücken saßen 
					eine berühmte Sultanin 
					und Katze, Hund, Begleiterin, 
					Äffchen und Papagei, die mit ihrer Gebieterin 
					als Reisende das Land durchmaßen. 
					Die Ratte staunt', wie man im Land 
					begierig war, zu schaun die schwer gewalt'ge Masse. 
					»Wie großen Raum«, so sprach sie, »man umfasse, 
					entscheidet das, ob hoch, ob niedrig unser Stand? 
					Nun, was bewundert ihr an ihm denn so, ihr Leute? 
					Den Leib, vor dem manch Kind wohl Angst empfand? 
					Wir sind zwar klein, doch dünken wir uns nicht um Haares 
					Breite 
					geringer als ein Elefant.« 
					 
					Sie hätte wohl noch mehr gesprochen; 
					doch eine Katze kam herbeigekrochen, 
					und die bewies ihr kurzerhand: 
					Die Ratte ist kein Elefant. 
					 
					Fab.16 
					Das Horoskop 
					 
					Oft wird vom Schicksal man getroffen 
					auf Wegen, die man wählt, grad um ihm zu entgehn. 
					 
					Ein Vater hatt' sein einzig Hoffen, 
					den einz'gen Sohn, so lieb, daß er, um zu erspähn 
					des Sprößlings Los in künft'gen Tagen, 
					nicht scheut', Wahrsager zu befragen. 
					Einer derselben sagt', vor Löwen sollt' 
					er seinen Sohn bis zu gewissem Alter wahren, 
					so etwa bis zu zwanzig Jahren. 
					Der Vater, mit besorgtem Sinne wollt' 
					besonders schützen seines Lieblings Leben, 
					verbot, daß je auch nur mit einem Tritt 
					des sichern Schlosses Tor der Knabe überschritt. 
					Drin konnt' er ganz nach Lust der Freude sich ergeben, 
					mit Freunden seinen Tag im Laufen, Springen, Spiel 
					verbringen, wie es ihm gefiel. 
					 
					Als er im Alter war, wo Neigung 
					zur Jagd im jungen Herzen quillt, 
					macht' man ihm ein abscheulich Bild 
					von dieser Lust; doch Überzeugung, 
					Belehrung, Rat – kurz, was man nur 
					versucht', nichts ändert' die Natur. 
					Der Jüngling, aufgeregt und feurig, voll des Mutes, 
					fühlt' kaum die Wallungen des jugendlichen Blutes, 
					schon schwellt die Sehnsucht ihm die Brust 
					und mit den Hindernissen wächst ihm auch die Lust. 
					Er kannte wohl den Grund des lästigen Beschlusses; 
					und da im Schlosse bei dem Glanz des Überflusses 
					ein Reichtum sich an Bildern fand, 
					da Pinsel ihm und Malerleinwand 
					des Waldes Pracht und lustig Jagdvergnügen 
					vor Augen führten – Tiere, die er nie gekannt, 
					und Menschen mit bekannten Zügen – 
					geriet er einst in Zorn vor eines Löwen Bild. 
					»Du Bestie!« rief er. »Deinetwegen leb' ich an dem Orte 
					versteckt und festgebannt!« Er führt' bei diesem Worte 
					auf das unschuld'ge Tier, von heft'ger Wut erfüllt, 
					mit seiner Faust zwei wucht'ge Schläge. 
					Unter der Leinwand war ein Nagel, der ihm, ach, 
					die Lebensader so durchstach, 
					daß ihn der Ärzte angestrengte Pflege 
					nicht retten konnte. Schuld an seiner Not 
					war nur die Sorge, zu bewahren ihn vom Tod. 
					 
					Man sagt, daß Äschylus, der Dichter so geendet hat. 
					Man hatte ihn gewarnt, er sei vom Tod 
					durch eines Hauses Sturz bedroht. 
					Sogleich verließ er drum die Stadt, 
					um fern von Dächern sich im Freien aufzuhalten. 
					Da flog ein Adler grade drüber hin, der eine 
					Schildkröte trug. Mit einem blanken Steine 
					verwechselt' er den kahlen Kopf des Alten 
					und ließ die Beute fallen, daß sie drauf zerschellen sollt'. 
					So fand auch Äschylus das End', das er vermeiden wollt'. 
					 
					Sterndeuterei – die Beispiele sollen's lehren – 
					führt grade, wenn sie Wahrheit spricht, das Mißgeschick 
					herbei 
					das jene scheun, die auf sie schwören; 
					ich halte sie für falsch, drum spreche ich sie frei. 
					 
					Ich glaube, daß Natur die Hände 
					sich niemals bindet noch uns so die Freiheit nimmt, 
					daß unser Schicksal sie im Himmel schon bestimmt; 
					das letztere wird durch die Umstände 
					bedingt, durch Menschen, Zeit und Ort, 
					nicht durch der Schwindler schreierisches Wort. 
					Ein Fürst hier und ein Hirt dort unter einem Sterne 
					sind sie geboren, jener hoch, der niedrig, weil's der ferne 
					Jupiter so will und so beliebt. 
					Was ist den Jupiter? Ein Körper ohne Willen. 
					Wie kommt's, daß seine Macht im stillen 
					auf diese beiden so verschiednen Einfluß übt? 
					Wie sollt' er bis zu unser Welt wohl dringen? 
					Wie durch das tiefe Blau des Äthers durch sich ringen, 
					durch Mars und Sonne, durch des Raumes Leere, 
					wo ein Atom imstand, ihn abzulenken, wäre! 
					Wie sollten die Sterndeuter dann ihn wiederfinden? 
					Europas Lage – aus so vielen Gründen 
					verdiente sie, daß man vorher uns dran gemahnt! 
					Warum tat's keiner? Weil nicht einer sie geahnt. 
					 
					Fab.17 
					Der Esel und der 
					Hund 
					 
					Man soll einander helfen. Dem Naturbefehle 
					hat Meister Langohr einst sich widersetzt. 
					Weiß nicht, wieso er ihn verletzt, 
					denn er ist sonst 'ne gute Seele. 
					Er ging einst über Land, langsamen Schrittes und 
					gedankenlos mit einem Hund; 
					ihr Herr begleitete sie beide. 
					Der Herr schlief ein; gleich ging der Esel auf die Weide. 
					Auf dieser Weide gab's ein Gras, 
					das er besonders gerne fraß. 
					Zwar Disteln gab es leider keine, 
					doch immer heikel sein, das geht auch nicht; 
					obwohl 'ne Eselsmahlzeit ohne dies Gericht 
					doch eigentlich nicht gelten kann als eine feine. 
					Für diesesmal behalf der Esel sich zur Not. 
					Der Hund jedoch vor Hunger schon halb tot, 
					sagt' ihm: »Ach, lieber Freund, ein wenig bücke 
					dich nur, daß ich erreichen kann den Korb mit Brot.« 
					Doch keine Antwort kriegt er, keinen Blick, 
					denn Langohr denkt, es könnt' beim Stillestehn 
					ein Maulvoll ihm verlorengehn. 
					Er geht, den Bitten taub, vorüber. 
					Endlich erwidert er: »Ich rate dir, mein Lieber, 
					zu warten, bis der Herr sein Schläfchen hat gemacht; 
					denn ohne Zweifel wird, sobald er nur erwacht, 
					dein richtig Teil dir zugemessen; 
					es kann nicht lange dauern mehr.« 
					Inzwischen kommt ein Wolf daher 
					vom Wald, ein hungrig Vieh, das lange nichts gefressen. 
					Des Hundes Beistand ruft der Esel an sofort; 
					der rührt sich nicht, er sagt: »Ich rate dir, mein Lieber, 
					zu fliehen, bis des Herren Mittagsschlaf vorüber; 
					es währt nicht lange. Schnell nur mach dich fort! 
					Kommt dir der Wolf zu nah, dann schlag ihm ohne Zagen 
					den Rachen ein. Du bist ja neu beschlagen – 
					leicht streckst du nieder ihn.« Bei diesem weisen Wort 
					fiel Meister Langohr schon als Beute zu den Wölfen. 
					 
					Ich mein', man soll einander helfen. 
					 
					Fab.18 
					Der Pascha 
					und der Kaufmann 
					 
					Ein griech'scher Kaufmann trieb seit manchen Jahren 
					Handel. Ein Pascha wollt' ihm hilfreich sein, 
					wofür der Grieche ihn bezahlte: nicht als Kaufmann, nein, 
					als Pascha zahlte er. Am teuersten von allen Waren 
					sind Gönner! Dieser war's so unerhört, 
					daß sich der Grieche überall beschwert'. 
					 
					Drei andre Türken von geringem Rang und Posten 
					boten gemeinsam ihre Hilfe an; 
					die drei versprachen, weniger zu kosten, 
					als er bisher gezahlt dem einen Mann. 
					Der Grieche hört's und bleibt in ihren Händen. 
					Dem Pascha wird's berichtet alsogleich; 
					man rät ihm, um es klug zu wenden, 
					mög' er den Leuten einen argen Streich 
					spielen und schnell zu Mohammed sie senden 
					mit einer Botschaft grad ins Paradies, 
					und zwar sofort; wo nicht, so täten sie's 
					mit ihm – wüßten sie doch, nach jeder Seite 
					wären sie von seinen Rächern sie umstellt; 
					leicht fördert' ihn ein Gift in jene Welt 
					als Schutz und Gönner dort'ger Handelsleute! 
					Auf diese Nachricht zeigt der Türke groß 
					wie Alexander sich; und voll Vertrauen 
					geht zu dem Kaufmann er, setzt frisch drauflos 
					an seinen Tisch sich, und dort läßt er schauen 
					in Red' und Haltung so viel sichern Mut, 
					daß niemand glaubt, er ahne, was sich tut. 
					»Ich weiß«, sagt er, »du willst mich, Freund, aufgeben, 
					man meint sogar, es gehe mir ans Leben; 
					doch dazu halt' ich dich für viel zu gut. 
					Du siehst nicht aus wie ein Gifttrankbereiter – 
					ich sprech' auch über diesen Punkt nicht weiter. 
					Betreffs der Leute, die dir ihren Schutz 
					anbieten: Statt mit Gründen dich zu quälen 
					und langen Reden, will ich dir zu Nutz 
					nur eine kleine Fabel jetzt erzählen. 
					 
					Ein Hirt hatt' einen Hund zu seiner Herde Hut. 
					Man fragt' ihn, was ihm so eine Dogge solle, 
					die täglich, wenn sie fressen wolle, 
					ein ganzes Brot verbrauch'. Er müsse kurz und gut 
					das Tier dem Edelmann verehren. Er im Grunde 
					brauch' höchstens zwei, drei kleine Hunde; 
					für seinen Dienst genügten die, 
					sie kosten weniger, die Herde würden sie 
					jedoch mehr als der eine ihm bewachen. 
					Der fraß zwar mehr als drei; doch eins vergaß man bald: 
					Er hatt' auch 'nen dreifachen Rachen, 
					wenn es den Kampf mit Wölfen galt. 
					Der Schäfer gab ihn ab und kauft' drei kleine Hunde; 
					die waren billiger, doch flohn sie vor dem Wolf zur Stunde. 
					Die Herde merkt's! Auch du, suchst einen Halt 
					mit jenem Pöbel du im Bunde, 
					wirst merken das«. Der Grieche glaubt's. 
					 
					Dies woll'n wir lehren die Provinzen: 
					Weit besser ist es, alles wohlbedacht, 
					sich eines Königs zuverläss'ger Macht 
					anzuvertraun als vielen kleinen Prinzen. 
					 
					Fab.19 
					Der Vorzug 
					der Wissenschaft 
					 
					Zwei Bürger einer Stadtgemeinde 
					gerieten einst in ernsten Streit; 
					arm, aber hochgelehrt der eine, 
					der andre reich, doch nicht gescheit. 
					Dieser, der seinem Gegner weit 
					sich überlegen zeigen wollte, 
					verlangt', jeder Gelehrte sollte 
					ihm Ehr' erweisen, das sei Pflicht! 
					 
					Ganz töricht war's; ich schätze solche Güter nicht, 
					die einer unverdient besessen! 
					Der Grund scheint mir nicht angemessen. 
					»Freund«, sagt' er dann und wann 
					dem hochgelehrten Mann, 
					»Ihr meint, daß Achtung Euch gebührt; 
					sagt, ob 'nen guten Tisch Ihr führt! 
					Was hilft es, wenn man stets nur lesen kann? 
					Ihr wohnt im dritten Hof, womöglich noch dahinter; 
					im Juni kleidet Ihr Euch wie im strengsten Winter, 
					nur euer Schatten folgt als Diener Euch hintan. 
					Der Staat fragt viel nach solchen Leuten, 
					die nichts ausgeben! Wie ich mein', 
					hat nur der Mann was zu bedeuten, 
					der viel verbraucht und freigebig vermag zu sein. 
					Wir tun's, weiß Gott! Durch unsre Lustbarkeiten 
					lebt Handel und Gewerb, die Schmuck bereiten, 
					und davon lebt ja wohl auch Ihr: 
					Die schlechten Bücher widmet Ihr den Reichen 
					und nehmt von ihnen gutes Geld dafür!« 
					 
					Die Unverschämtheit sondergleichen, 
					bald ward sie nach Verdienst belohnt. 
					Es schwieg der Wissenschaftler auf des Toren Rede. 
					Doch mehr als Spott rächt' ihn die rasche Fehde: 
					Mars äschert' ein den Ort, den diese zwei bewohnt; 
					sie mußten alle zwei die Stadt verlassen. 
					Der freche Tor blieb auf den Gassen, 
					verachtet stets und ungeehrt; 
					der andre fand, wohin er kam, nur Gunst und Frieden. 
					So wurde denn ihr Streit entschieden. 
					 
					Sagt, Toren, was ihr wollt: Das Wissen ist was wert. 
					 
					Fab.20 
					Jupiter und 
					die Donnerwetter 
					 
					Jupiter, der unsere Gebrechen 
					sah, rief einst vom Himmelszelt: 
					»Füllen wir mit andern Gästen 
					all die Gegenden der Welt, 
					die bewohnt von jener Bande, 
					die mir Ärger bringt und Schande! 
					Geh, Merkur, zur Unterwelt. 
					Die im Grausen meistgeübte 
					Furie bring von den drei'n. 
					Du, Geschlecht, das so ich liebte, 
					sollst diesmal vernichtet sein!« 
					Bald fing Jupiter sich zu begüt'gen 
					an, sein Groll ward minder groß. 
					 
					Könige; laßt, die zu hüten 
					ihr berufen seid, der Menschen Los, 
					zwischen eures Zornes Wüten 
					und dem Sturm, den es entfacht, 
					stets den Zeitraum einer Nacht! 
					 
					Wie des Boten Wangen blühten 
					rosig! Wie er leichtbeschwingt 
					zu den schwarzen Schwestern dringt! 
					Mag Megära Unheil brüten 
					und *Tisiphone: Seine Wahl 
					trifft Alektos Herz von Stahl. 
					Und mit Blicken, stolzerglühten, 
					bei Persephones Gemahl 
					schwur sie, nächstens geh' zunichte 
					all das menschliche Gezüchte, 
					das der Unterwelt geweiht. 
					Jupiter mißbilligte den Eid 
					dieser Furie. Die Gekränkte 
					schickt zurück er; aber doch 
					schleudert er 'nen Blitz, der noch 
					auf ein treulos Volk sich senkte. 
					Dieser Strahl, den selbst er lenkte, 
					der der Vater jener war, 
					die bedroht er mit Gefahr, 
					wirkte nichts als Angsterregung: 
					Er versengt nur die Umhegung 
					eines Waldes, von Menschen frei. 
					Jeder Vater schlägt vorbei. 
					 
					Was geschah? Der Menschen wilde 
					Sippschaft fußt auf dieser Milde. 
					Der Olymp war aufgebracht; 
					und beim Styx im Rat der Götter 
					schwur des Wolkensammlers Macht, 
					senden woll' er andre Wetter, 
					sichrer wirkende! – Man lacht: 
					Vater sei er, ernstlich hassen 
					könn' ein solcher nimmermehr; 
					drum möchte andre Götter er 
					mit den Blitzen doch befassen! 
					Dem Vulkan ward's überlassen. 
					Donnerkeile hält verwahrt 
					dieser Gott zwiefacher Art: 
					Sicher trifft in Todeswettern 
					jener, den der ganze Rat 
					des Olymp auf uns läßt schmettern; 
					dieser irret ab vom Pfad, 
					nur auf hohen Bergesspitzen, 
					oft auch gar nicht, schlägt er ein – 
					diese letztre Art von Blitzen 
					schickt uns Jupiter allein. 
					 
					*Tisiphone: 
					
					
					(Neben Alekto und Megaira ist Tisiphone die dritte der 
					Rachegöttinen (Erinyen) 
					Wie auch der Namensbestandteil tisis ("Vergeltung") sagt, 
					ist sie die Rächerin, 
					besonders von Mordtaten) 
					 
					Fab.21 
					Der 
					Jagdfalke und der Kapaun 
					 
					  
					Oft lockt euch eine Stimm', um dann euch zu verraten; 
					seid klug und folgt nicht gar zu schnell. 
					Glaubt mir, der Hund von Johann von Nivelle 
					war gar nicht dumm: Er roch den Braten. 
					 
					Ein Bürger von Le Mans, Kapaun von Rang und Stand, 
					ward einst von seines Herren Gnaden 
					vor seiner Laren Sitz geladen, 
					vor jenen Richterstuhl, gewöhnlich »Herd« genannt. 
					Die Leute lockten ihn mit heuchlerischem Munde: 
					»Du Kerlchen! Kerlchen!« Doch er dachte nicht daran; 
					er ließ die Leute schrein und sagte ihnen dann: 
					»Ich dank Euch! Euer Köder müßt' nur gar so plump nicht 
					sein; 
					ich beiß nicht an, aus gutem Grunde!« 
					 
					Von seiner Stange sah ein Falk, wie in der Flucht 
					unser Normann'  sein Heil nun sucht. 
					Kapaune nahn uns – sei's Instinkt, sei es Erfahrung – 
					nur mit vorsichtiger Verwahrung. 
					Der unsre, welchen man mit Mühe nur erwischt, 
					sollt' sich am nächsten Tag, als Braten aufgetischt, 
					an einem Abendschmaus beteil'gen – eine Ehre, 
					nach der er nicht zu gierig hascht! 
					Der Jagdfalk sagt zu ihm: »Ich bin ganz überrascht 
					ob Eures Unverstands. Ihr seid doch geistesleere 
					Geschöpfe, Pack, das nichts gelernt hat und nichts tut! 
					Ich fliege aus zur Jagd und kehr' zum Herrn dann wieder. 
					Er ruft Euch. Seid Ihr taub?« -»Ich höre nur zu gut«, 
					entgegnet der Kapaun. »Was will er mit mir machen? 
					Und dort der nette Koch, das Messer in der Hand? 
					Hieltet Ihr dieser Lockung stand? 
					Laßt mich entfliehn, hört auf, sie zu verlachen, 
					die Unvernunft; sie treibt mich grad zur Flucht, 
					wenn mit so süßem Ton man mich zu locken sucht. 
					Säht Ihr am Spieße braten so viele Falken jeden Tag 
					wie ich Kapaune sehen mag, 
					so würdet Ihr mir sicherlich zu andern Dingen raten«. 
					 
					Fab.22 
					Die Katze und die 
					Maus 
					 
					Vier Tiere ganz verschiedner Art – die Katze 
					Käseschnapp, das schlanke Wieselchen, die Eule Trauerhelm 
					und endlich Maschenfraß, die Maus, 
					jeder ein ausgesuchter Schelm – 
					hausten im Fichtenstumpf an wild-einsamem Platze. 
					 
					Sie hausten so, daß um den Baum in einer Nacht 
					Netze der Mensch ausstellt'. Die Katze, kaum erwacht 
					ging früh am Morgen aus auf Beute. 
					Die letzten Schatten, die das Licht noch nicht zerstreute, 
					deckten das Netz; sie fiel hinein, ein groß Geschrei 
					erhob sie laut, und schnell eilt' auch die Maus herbei. 
					Die eine zagt', indes die andre sehr sich freute: 
					Sah in der Falle doch sie ihren ärgsten Feind. 
					Die arme Katze spricht: »Mein Freund, 
					dein Wohlwollen ist mir sehr wichtig 
					und längst bekannt; jetzt hilf mir noch 
					aus dieser Schlinge raus, in die ich unvorsichtig 
					geraten bin! Recht hatt' ich doch, 
					daß ich dich ganz allein von allen deinen Vettern 
					geliebt; wie meinen Augapfel, so hegte stets ich dich. 
					Nie reut' es mich, o nein, den Göttern danke ich! 
					Grad wollt' ich beten zu den Göttern, 
					wie's jede fromme Katz' am Morgen pflegt zu tun. 
					Dies Garn hält mich; sei du mein Lebensretter nun. 
					Komm, nag die Maschen auf!« - 
					 
					»Welche Belohnung«, fragt jetzt die Maus, »krieg ich von 
					dir?« 
					»Ewigen Bund zu Schirm und Schonung«, 
					versetzt die Katze, »schwör' ich dir. 
					In meiner Krallen Schutz ist sicher deine Wohnung; 
					gegen jedweden Feind will ich dir Beistand leihn. 
					Das Wiesel will und obendrein 
					der Eule Männchen will ich fressen; 
					sie hassen beide dich.« Die Maus spricht da: »Du Tor! 
					Ich dich befrein? So dumm! Gott schütze mich davor!« 
					Sie schlüpft zu ihrem Loch; indessen 
					das Wiesel sitzt ganz nah dem Ort. 
					Die Maus, sie huscht hinauf und sieht die Eule dort. 
					Gefahren hier und da; der nächsten zu entgehen, 
					kehrt Maschenfraß zurück zur Katz', ihr beizustehen, 
					löst einen Knoten nach dem andern und so fix, 
					daß sie die Falsche bald befreite. 
					Da naht der Mensch, und augenblicks 
					suchen die beiden jüngst Verbündeten das Weite. 
					Nur kurze Zeit darauf sieht unsre Katz' aufs neu 
					die Maus, die fern sich hält, still und verschlossen. 
					»Komm«, spricht sie, »gib 'nen Kuß mir! Deine Scheu 
					beleidigt mich; den Bundsgenossen 
					siehst wie 'nen Feind du an. Du meinst, 
					ich hätt' vergessen, daß ich einst 
					nächst Gott nur dir verdankt mein Leben?« 
					Die Maus darauf: »Und ich? Meinst, ich vergäße eben 
					deine Natur? Kann ein Vertrag 
					zur Dankbarkeit jemals wohl eine Katze zwingen? 
					Kann Sicherheit einen Bund uns bringen, 
					dem nur die Not zugrunde lag?« 
					 
					Fab.23 
					Der Bergbach 
					und der Fluß 
					 
					Mit lautem Tosen und Gekrach 
					stürzt vom Gebirg der Bach, der Wilde; 
					man fliehet ihn, und Schrecken folgt ihm nach, 
					angstvoll erbeben die Gefühle. 
					Kein Wandrer wagte eine so 
					gewalt'ge Schranke zu durchdringen; 
					ein einz'ger nur, verfolgt von Räubern, floh, 
					sucht' zwischen sich und sie die Flut zu bringen. 
					Nur drohend war der Bach, da's ihm an Tiefe fehlt'; 
					nur Furcht war's, die den Mann beseelt' - 
					er wagt's, sein Glück macht ihn verwegen. 
					Die Räuber gaben die Verfolgung aber noch nicht auf. 
					So kam er bald auf seinen Wegen 
					zu einem Flusse, dessen Lauf, 
					des Schlummers Bild, des friedlichen und reinen, 
					den Übergang zuerst ganz leicht ihm ließ erscheinen: 
					Kein steiles Ufer, klar der Sand. Gleich sprungbereit, 
					bringt vor den Räubern ihn das Roß in Sicherheit 
					doch nicht vor diesen dunklen Fluten – 
					bald tranken aus dem Styx die Guten. 
					Der Kunst des Schwimmens ganz und gar 
					unkundig, mußt' im Land der Finsternis das Paar 
					ganz andre Flüsse noch durchwandern. 
					 
					Von stillen Wassern droht uns mehr Gefahr 
					als vor den noch so wilden andren. 
					 
					Fab.24 
					Die Erziehung 
					 
					Laridon und Cäsar, adelige Hunde gut und wert, 
					zwei Brüder, schön und stark, voll Mut und Witz, 
					sind bei zwei Herrn seit Jahren im Besitz. 
					Der eine dient im Wald, der andere am Herd. 
					Die unterschiedliche Dressur 
					verstärkt im einen noch die glückliche Natur, 
					verdarb im andern sie: Er ward mit Spott und Schand 
					von einem Küchenjungen Laridon benannt. 
					Sein Bruder, stets auf edlen Wildes Spur, 
					der manche Sau gepackt, bestanden manchen Strauß, 
					zum Cäsar rief das Hundevolk ihn aus. 
					Man sorgte, daß nicht durch unebenbürt'ge Liebe 
					in seiner Kinder Schar sein Blut entarten sollt'. 
					Doch unbeachtet folgte Laridon dem Triebe: 
					Der ersten besten war er hold. 
					Das Land bevölkernd in der Runde, 
					zeugt' er die Art gemeiner Hunde, 
					die vor Gefahren fliehn in Eil' – 
					ganz der Cäsaren Gegenteil. 
					 
					Nicht immer ist's, daß man der Ahnen Tugend wahrte: 
					Die Lässigkeit, die Zeit wirkt leicht, daß sie entarte. 
					Wer die Natur nicht hegt und schätzt, 
					der wird wie mancher Cäsar auch ein Laridon zuletzt. 
					 
					Fab.25 
					Die 
					beiden Hunde und der tote Esel 
					 
					Tugenden sollten Schwestern sein – 
					sind doch die Fehler sämtlich Brüder: 
					Kehrt Ihrer einer nur in unsrem Herzen ein, 
					gleich folgen alle nach wie einer Kette Glieder – 
					und wohnen gern einander nicht zuwider, 
					gemeinsam unter einem Dach. 
					Allein die Tugenden – geht man der Sache nach -, 
					wie selten sieht man sie, vereint mit ihresgleichen, 
					die Hände brüderlich einander reichen! 
					Dieser ist stark, doch kalt! jener ist klug, doch schwach. 
					Unter dem Vieh tut sich der Hund was drauf zugute, 
					daß er treu sei, von wachem Mute; 
					doch ist gefräßig er und dumm. 
					 
					Beweis: zwei Köter. Um des Ufers Rand herum 
					sahn auf den Wellen sie 'nen toten Esel treiben; 
					weiter und weiter bringt der starke Wind ihn fort. 
					Der eine spricht: »Besser als ich siehst du. Schau dort! 
					Auf jenem Punkte laß den Blick ein wenig bleiben. 
					Ich glaub', ich seh' dort was; ist es ein Pferd, ein Stier?« 
					»Ach was! ganz gleich, was für ein Tier«, 
					versetzt der andre, »'ne Beute ist's, bei meiner Seele! 
					Nun heißt's: Wie kriegen wir's? Der Weg zu ihm ist weit, 
					und Schwimmen gegen Wind hat seine Schwierigkeit. 
					Saufen wir's Wasser aus! Glaub, unsrer durst'gen Kehle 
					wird das gelingen; bald sehn wir das Aas 
					im Trocknen liegen, und der Fraß 
					wird für 'ne ganze Woche langen.« 
					So saufen sie. Bald ist der Atem ihnen ausgegangen 
					und dann das Leben auch: Sie trinken 
					bis beide tot zur Erde sinken. 
					 
					Der Mensch ist auch so: Hält ihn Leidenschaft in Banden, 
					dann ist Unmögliches für ihn nicht mehr vorhanden. 
					Was leistet alles er an Wunsch, Versuch und Tat, 
					damit nur Geld und Ruhm zuteil ihm werden sollen! 
					»Abrunden möchte' ich meinen Staat!« 
					»Könnt' ich hebräisch!« - »Hätte ich 'nen akademischen 
					Grad!« - 
					»Könnt' meine Kasten füllen ich mit Goldesrollen!« - 
					Das heißt das Meer austrinken wollen. 
					Und wenn es ginge – wär' man zufrieden dann? 
					Um auszuführen, was ein einz'ger Geist ersann, 
					braucht' es vier Körper. Und selbst diese kehren 
					auf halbem Wege um, weil's ihnen an der Kraft gebricht. 
					Nein, vier Methusalems zusammen brächten nicht 
					zustand, was einer mag begehren. 
					 
					Fab.26 
					Demokrit und 
					die Abderiten 
					 
					Wie hab' ich stets gehaßt die Menge und ihr Meinen! 
					Frech, ruchlos, ungerecht wollt' sie mir stets erscheinen: 
					Sie sieht die Dinge durch gefärbtes Glas 
					und mißt die andern nur nach eignem Maß. 
					 
					Der Lehrer Epikurs dient dafür zum Beweise. 
					Sein Volk hielt ihn für toll – niemals, wie allbekannt, 
					gilt der Prophet im Vaterland! 
					Die Leute waren toll, Demokrit war der Weise. 
					Es ging soweit, daß zu Hippokrates der Staat 
					Abdera Boten sandt' und bat, 
					zu kommen und den einst so hellen 
					Verstand des Kranken doch womöglich herzustellen. 
					»Freund Demokrit«, sagten sie weinend, »er 
					wird toll, das Lesen raubt ihm den Verstand allmählich, 
					wir sähn es lieber, wenn er ganz unwissend wär'. 
					Er meint im Ernst, die Welten sei'n unzählig; 
					vielleicht sind gar, nach seinem Sinn, 
					zahllose Demokrite drin!' 
					In seinen Träumereien denkt er an Atome, 
					Gespinste eines kranken Hirns, Phantome! 
					Der Himmel mißt von hier er und der Sterne Licht; 
					er kennt das Weltall, doch sich selber kennt er nicht. 
					Ehmals ging noch auf ein Gespräch er ein; jetzt spricht 
					er mit sich selbst. Ach, möchst du eilen, 
					du großer Sterblicher, den tollen Wahn zu heilen!« 
					 
					Zwar glaubte Hippokrates nicht allzu sehr daran; 
					doch reist er ab. Nun bitt' ich euch, recht achtzugeben, 
					wie wunderlich doch oft im Leben 
					das Schicksal spielt! Es kam Hippokrates grad an, 
					als der, den alles Volk wahnwitzig schalt, nachsann 
					und forscht' an Mensch und Tieren, 
					in Kopf und Herz den Sitz des Denkens aufzuspüren. 
					In tiefem Schatten ging er an einem stillen Bach 
					den Windungen des Hirns er nach. 
					Zu seinen Füßen lag so manch Buch. In tiefes Denken 
					versunken, sah er kaum den hochverehrten Mann 
					und Freund zu ihm die Schritte lenken. 
					Kurze Begrüßung nur, wie man sich denken kann; 
					an Zeit und Worten sucht der Weise stets zu sparen. 
					Nachdem beseitigt bald die Redensarten waren, 
					ward über Mensch und Geist gründlich philosophiert; 
					wie dann auf die Moral sie kamen, 
					kann ich hier weiter nicht auskramen, 
					und wie die beiden disputiert. 
					 
					Doch klar ist der Beweis geführt: 
					Als schlechter Richter ist das Volk nur anzusehen. 
					In welchem Sinn ist zu verstehen, 
					was ich einst las, verwundert sehr: 
					daß Volkes Stimme Gottes Stimme wär'? 
					 
					Fab.27 
					Der Wolf und der 
					Jäger 
					 
					Habgier, du Ungetüm mit Augen, die nur blind 
					und undankbar für Wohltaten der Götter sind! 
					Soll den vergebens dich mein Werk bekämpfen immer? 
					Wie lang belehr' ich dich! Wann endlich folgst du mir? 
					Wird, meiner Stimme taub wie der des Weisen, nimmer 
					der Mensch einsehn: »Jetzt ist's genug; genießen wir!« 
					Eil dich mein Freund, bald stehst du an der dunklen Pforte. 
					Nochmals – ein ganzes Buch liegt in dem einen Worte: 
					Genieße! »Ich will's tun.« Doch wann? »Ab morgen schon.« 
					Vielleicht packt dich der Tod noch heut, mein Sohn! 
					Genieß schon jetzt und fürcht, daß dich ein Los erreiche, 
					das dem des Jägers und des Wolfs der Fabel gleiche. 
					 
					Der Jäger, dessen Pfeil 'nen feisten Damhirsch schoß, 
					erspäht' ein Hirschkalb, das daneben lag, Schicksalsgenoss' 
					des Toten – regungslos im Gras die beiden Leichen. 
					Ein Damhirsch und ein Kalb, 'ne Beute fein und nett, 
					an der genug wohl ein bescheidner Weidmann hätt'! 
					Doch lockt' ein Eber noch, ein Riese sondergleichen, 
					den Schützen, dem solch Wild ein leckrer Bissen schien. 
					Auch er dem Styx geweiht! Doch schwer nur faßten ihn 
					die Parze mit der Schere; erst in wiederholtem Ringen 
					konnt' ihn zu Fall die Todesgöttin bringen, 
					doch endlich der Gewalt des Streichs er unterlag. 
					Des Guten war's genug. Wer sagt das? Nichts vermag 
					die Gier dessen zu stillen, den der blut'ge Raub erfreute. 
					Indes ein wenig noch das Schwein aufatmet, sieht 
					der Schütz' ein Rebhuhn, das längs einer Furche flieht, 
					ein lump'ger Zuwachs eigentlich zu all der Beute; 
					doch spannt den Bogen er zu neuem Zeitvertreib. 
					Das Schwein schlitzt, alle Kraft aufraffend, mit den Hauern 
					den Bauch ihm auf und stirbt gerächt auf seinem Leib; 
					das Rebhuhn dankt ihm ohne Trauern. 
					 
					Den Nimmersatten gilt der Fabel erster Teil; 
					den Geiz'gen diene jetzt der andre zum Exempel. 
					Ein Wolf ging dort vorbei und sah all dieses Unheil. 
					»Fortuna«, rief er, »ich gelobe dir 'nen Tempel! 
					Vier Leichen! Welch ein Schatz! Indessen muß man klug 
					und sparsam sein; so was trifft man nicht alle Tage!« 
					Das ist der Geiz'gen stete Klage. 
					»Ich habe«, sagt der Wolf, »'nen Monat dran genug. 
					Eins, zwei, drei, vier genau berechnet und gesprochen, 
					ist das ein Vorrat auf vier volle Wochen. 
					Und übermorgen fang' ich an; heut fress' ich klug 
					des Bogens Sehne – wie ich vom Geruch urteile, 
					ist sie von echtem Darm.« Er stürzt bei diesem Wort 
					sich auf den Bogen in der größten Eile. 
					Dieser geht los – es fällt aufs neue von dem Pfeile 
					ein Opfer: Er durchbohrt dem Wolf das Herz sofort. 
					 
					Ich komme wieder drauf zurück: Man soll genießen! 
					Die zwei, so hart gestraft, gelten als Zeugen mir: 
					Der eine hatte seine Gier, 
					der andre seinen Geiz zu büßen. 
					 
					 
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