Fabelverzeichnis

weiter
 

Ludwig Heinrich von Nicolay

geb. 25. Dezember 1737 in Straßburg
gest. 18. November 1820 auf dem Landgut Monrepos bei Wyborg (Rußland)

Er war ein Lyriker und Präsident der russischen Akademie in Sankt Petersburg.
Nicolays literarisches Schaffen reichte von der Lyrik bis zur Tragödie.
Er orientierte sich an Autoren wie Horaz, Ovid, Properz und Albius Tibullus.
Aber auch der Renaissance und deren Vertretern Ludovico Ariosto, Francesco Petrarca und Bernardo Tasso eiferte er nach.


Quelle:
Ludwig Heinrich von Nicolay/
Vermischte Gedichte und prosaische Schriften/Berlin und Stettin 1792/bei Friedrich Nicolai

 
Fabeln 1
 
Die Affen auf dem Schiffe
Der Weise und der Narr
Äsop
Das Schilfrohr und die Eiche
Der Esel und der Hund
Der größte Schmeichler
Der Heuwagen
Der Esel und die drei Herren
Der alte und der junge Dichter
Die Taxe der Tiere
Der Mann und das Vöglein
Der Käse
Homers Rhapsode
Aristipp
Die Ameisen
Der weiße Bock
Der Rabe und die Eule
Der Sonnenzeiger und die Glockenuhr
Der Ratsherr und der Jüngling
Apollo und der Kritiker
Die Raupe und der Schmetterling
Äsop und die zwei Bildhauer
Die Wanderer und das Beil
Der Edelmann und der Bauer

Die Affen auf dem Schiffe

Ein Schiff mit Affen kam in einem Hafen an.
Der Schiffsherr konnte sich auf guten Abgang freuen;
Der König liebte sie, und also jedermann.
Man geht an Land: der Herr, die Zeitung auszustreuen,
Und das Matrosenvolk nach Mädchen und nach Wein;
Die Affen bleiben ganz allein.

Nun, spricht der eine, Mut, ihr Brüder!
Die edle Freiheit winkt uns wieder.
Ich habe fleißig zugesehn,
Und glaube gründlich zu verstehn,
Wie man die Taue zieht, wie man das Ruder führet,
Wie der Magnet den Lauf regieret.
Auf! kappt den Anker! Spannt geschwind
Die Segel! Günstig ist der Wind.

Gesagt, getan. Man fliegt in Eile
Davon, durchrauscht die Flur, ist schon vom Hafen weit.
Mit törichter Geschäftigkeit
Hüpft unser Volk umher, durchklettert alle Seile,
Und sieht, was das Glück getan,
Als Folgen seines Fleißes an.

Doch plötzlich stürmt der Nord. Mit donnerndem Getümmel
Wogt rings umher der Ozean zum Himmel.
Bald steigt, bald sinkt der leichte Kiel,
Des Sturmes und der Wogen Spiel.
Das Affenvolk, in Angst und Schweiße,
Sieht nirgends Hilfe, nirgends Rat.
Man wiederholt mit blindem Fleiße,
Was jüngst das Menschenvolk in gleichem Falle tat;
Doch alles, aller Kunst zuwider.
Man zerrt die Segel auf und nieder;
Der heult und schaudert, wund und naß,
Der gaffet dumm auf den Kompaß,
Der donnert Flüche, der singt Lieder.
Gebet, Gewinsel, und Geplärr
Tönt in dem Sturm aus vollen Hälsen.
Doch eine Welle rollt daher
Und schmettert sie an einen Felsen.

O weh dem Schiffe, wehe dem Staat,
Der Affen zu Regenten hat!

Der Weise und der Narr

Ein Weiser sah mit innigem Vergnügen,
Mit Ahnung von Unsterblichkeit
Sein Lob durch tausend Städte fliegen:
"Fürwahr! ich bin der Phönix unsrer Zeit.
Die Vorwelt selbst sah meines Gleichen selten.
Gewiß werd' ich den Folgewelten
Für einen Stern der ersten Größe gelten."
So sprach der Philosoph; doch merk' es, nur bei sich,
Bescheiden war er äußerlich,
Schien selbst die Dunkelheit zu lieben,
Verbat sich jedes Lob, und hieß es übertrieben.

Einst kam er beim Spazierengehn
Ins Narrenhaus. Was kann ein Weiser dort verlangen?
Was? Weisheit. Selber sollt ihr sehn,
Daß unser Mann nicht fehl gegangen.
Der Narren einer stellt sich hin:
"Knie nieder," fängt er an, "und lerne wer ich bin.
Den größten Weisen, den die Welt gesehen,
Siehst du leibhaftig vor dir stehen.
Schon jetzt umstrahlet mich Unsterblichkeit,
Ich bin der Phönix unsrer Zeit;
Gewiß werd' ich den Folgewelten
Für einen Stern der ersten Größe gelten."

Der Weise stutzt, und merkt sich insgeheim
Zu seiner Lehre diesen Reim:
Stolz ist der Menschen allgemeiner Sparren;
Die stillen heißt man klug, die lauten heißt man Narren.

Äsop

Äsop ging einst nach einem Städtchen hin.
Ein Wandrer kommt und grüßet ihn.
Und fragt: "Wie lange, Freund, hab' ich zu gehen
Bis zu dem Flecken dort, den wir von weitem sehen?"
"Geh!" spricht Äsop. — "Das weiß ich wohl,
Daß, wenn ich weiter kommen soll,
Ich gehen muß. Allein du sollst mir sagen,
Wie lange." — "Geh!" — "Der Kerl ist toll;
Ich werde nichts von ihm erfragen,"
Brummt er, und geht. "He!" ruft Äsop, "ein Wort!
Zwei Stunden gehst du bis zum Flecken dort."
Der Wandrer bleibt betroffen stehen.
"Ei," ruft er, "und wie weißt du's nun?"
"Und wie," versetzt Äsop, "könnt' ich den Ausspruch tun,
Bevor ich deinen Gang gesehen?"

Bewundert die Behutsamkeit
Des Phrygiers, ihr Richter unsrer Zeit!

Das Schilfrohr und die Eiche

Ein Schilfrohr, welches dicht an einer Eiche stand,
Sah mitleidsvoll auf die gemeinen Schilfe
Des Teiches hin: da stehn die armen, ohne Hilfe!
Der Zephyr, den ich kaum empfand,
Hat diesen ein Orkan geschienen,
Denn kein Mäzen steht neben ihnen.

Der fürchterlichste Wirbelwind
Aus Mitternacht hebt an zu wehen.
Die Rohre, die am Teiche stehen.
Und schon gewohnt des Sturmes sind,
Entweichen ihm durch kluges Schmiegen,
Behendes Wanken, tiefes Biegen.
Er rast, sie widersteht! ihm nie.
Und unbeschädigt läßt er sie.

Der Baum allein steht trotzig ihm im Wege.
Laß sehn, schnaubt Boreas, ob ich ihn nicht erlege.
Mit ausgespannten, breiten Flügeln rennt
Er los. Sie liegen; hier Mäzen und dort Klient.

Der Esel und der Hund

Ein Esel trabte seinen Schritt,
Ein leichtes Windspiel hüpfte mit.
Sie hatten einen Weg zu reisen.
Pfui! spricht der Hund, du träges Tier!
Man kommt ja nicht vom Fleck mit dir.
Er jagt voraus. In weiten Kreisen
Kehrt er zurück zum Esel hin,
Mit stolzem Knurren höhnt er ihn,
Schießt wieder fort gleich einem Pfeile,
Und macht sich drei aus jeder Meile.

Sie gehen weit, Berg auf, Berg ab
Durch lange Wälder, lange Triften;
Der Esel immer seinen Trab,
Der Windhund immer in den Lüften.
Doch dieser springt und rennt und fliegt,
So sehr, daß er auf halbem Wege
Schon lechzend auf den Rippen liegt.
Der Wohlbedächtige, der Träge
Kam an, wohin sein Amt ihn rief.

Wer war es, der geschwinder lief?

Der größte Schmeichler

Ein Kaiser . . . Wo? — In Monomorapa.
(Denn lägen seine Staaten nah,
So schwieg' ich von dem Märchen stille)
Der Kaiser nun geriet auf eine Grille
Von sonderbarer Art: Wer mag doch, fiel ihm ein,
An meinem Hofe wohl von allen
Den Großen, Edlen und Vasallen
Mein unverschämt'ster Schmeichler sein?
Und wie erfahr' ich es? Nicht wahr, hierauf zu fallen,
Beweiset doch wohl sonnenklar,
Daß er kein Europäer war.

Die Sache klüglich auszuspüren
Und allem Zwange vorzubau'n,
Sprach er mit jedem im Vertrau'n,
Bot alles auf, was das Gewissen rühren,
Was reizen kann, versprach zu gleicher Zeit
Die heiligste Verschwiegenheit;
Doch über den Artikel müsse
Man ihm gestehn, was man wisse.

Gefällig gegen ihn zu sein,
Und doch der Wahrheit treu zu scheinen,
Versetzten viele: Wie? mein Kaiser spottet mein!
Er, Schmeichler? Ach, er hat nicht einen.
Doch andre gaben, je nach ihrem Wahn,
Nach Neigung, oder Interesse,
Der diesen, jener jenen an;
Den Favoriten, die Mätresse,
Den Arzt, den Narren, den Kaplan.

Ein Philosoph kam endlich an;
Ein wahrer, (denn in jener Zone
Gibts welche) dieser sprach aus einem andern Tone:
"Dein größter Schmeichler, glaubest du,
O Kaiser, sei so schwer zu nennen?
Ich traue mir gehorsamst zu,
Dir augenblicklich ihn zu nennen."

"So sage denn, wer ist es?" — "Du."

Der Heuwagen

Hans führte seinen Wagen Heu
Zur Stadt. Drei magre Tiere zogen
Die Last. Der Pferde waren zwei,
Vor beiden ragte, wie der Pfeil auf einem Bogen,
Ein Esel noch hervor. Er geht gemach einher,
Und denkt bei sich selbst: (denn ohne Denken gehen
Macht Weg und Mühe lang und schwer:)
Ich ganz allein, so denkt er,
Regiere diesen Zug. Die Wahrheit zu gestehen,
Der gute Langohr hatte Recht:
Die Roße waren blind, und oben schlief der Knecht.
Das Fuhrwerk mochte trefflich gehen.

Ich kenne manches Haus, das kein gescheiteres hat;
Und sag' ich manches Haus, so merkt der Kluge
Sehr bald, daß ich mit gleichem Fuge
Auch sagen konnte: manchen Staat.

Der Esel und die drei Herren

Ein armer Bauer wollte sterben.
Drei Söhne standen um ihn her.
Ach, meine Kinder! seufzte er,
Ich hinterlasse euch nichts zu erben,
Als meinen Esel, und mein ganzes Testament
Ist dies: besitzt ihn unzertrennt,
Dem dien' er heute, jenem morgen,
Und wer ihn braucht, mag ihn versorgen.

Der Vater stirbt. Der Älteste muß
Den Esel wohl am ersten haben.
Von Früh bis in die Nacht läßt er den Schimmel traben,
An Futter nichts, an Schlägen Überfluß.
Mein Bruder, denkt er, hat ihn morgen zu ernähren,
Heut kann er wohl die Kost entbehren.

Der Zweite holt den matten Gaul,
Und überladet ihn mit Säcken:
Ha! ha! das Schmausen macht dich faul;
Man wird dich mit dem Knittel wecken.
Der Esel keucht mit dürrem Gaumen,
Und schleppt sich bis zum Stalle kaum.

Beim dritten Sohn die alte Plage.
Es gibt nicht lauter Feiertage;
Ein wenig Fasten ist gesund.
Ich merke schon, du wirst zu rund.
Der Esel fallt vor Schwäche nieder,
Schnappt noch zum letzten Mal, und regt sich niemals wieder.

Nun teilt euch in die Haut, ihr Brüder!

Der alte und der junge Dichter

Ein junger Dichter, seicht und kühn,
Trat einst zu einem alten Dichter hin,
Zog ein Gedicht hervor, und bat den Alten
Es durchzusehn. "Ich schreibe flüchtig fort,
Wenn das Genie mich treibt. Doch später jedes Wort
Zu prüfen, dieses kann ich nie von mir erhalten.
In diesem Liede, fuhr er fort,
Wünscht' ich, daß alles sich an Nachdruck gliche,
Durchlesen Sie's, und ist mir ein nicht passend' Wort
Entschlüpft, so merken Sie's mit einem Striche."

Der alte Dichter nimmt das Lied,
Und gibt es ihm den Tag darauf zurück.
Der ungeduld'ge Jüngling übersieht
Die Blätter mit behendem Blicke:
"Drei Worte nur gezeichnet? ei!
Das freut mich. Doch warum denn eben diese drei?"
"Warum? mir schienen diese drei
Die einzigen von Kraft und Stärke.
Was sollen die allein im ganzen, langen Werke!
Ich strich sie weg. Sie finden leicht
Drei mattere. Dann ist Ihr Lied vollkommen — seicht."

Die Taxe der Tiere

Der Löwe hielt einmal mit seinen Großen Rat.
"Für meinen Hof und meinen Staat
Die nötigen Kosten aufzutreiben,"
So sprach er, "ist kein andrer Rat,
Als eine Steuer auszuschreiben.
Dies ist mein erster Satz, mein zweiter Satz ist der:
An Euch, Ihr Herren! ist's nunmehr,
Mir Eure Meinung anzugeben,
Von wem ich diesen neuen Zoll,
Von welchen Waren ich ihn heben
Und wie man ihn verteilen soll,
Daß niemand über Unrecht klage
Und mir die Taxe doch die nötige Summe trage."

"Herr," sprach der Elefant, "mir fällt ein Mittel bei,
Zu machen, daß die Zollbeschwerde
Gerecht für jeden und für dich ergiebig sei.
Und, was man selten sieht, dem Bürger nützlich werde.
Nach ihren Graden schlage man
Untugenden und Fehler an.
Dann melde jedes Tier sich bei dem Protokolle,
Und über jedes höre man
Das Zeugnis dreier Nachbarn an,
Zu richten, was es zahlen solle.
So wird die Hoffnung, sich vom Zolle zu befrein,
Das Volk auf beßre Sitten leiten
Und, alle Kosten zu bestreiten,
Doch immer Geld genug in deiner Kasse sein."

"Wie aber wird nicht jeder schrein,"
So sprach darauf der Fuchs, "man habe falsch gerichtet,
Man habe ihm Fehler angedichtet?
Ein besser Mittel fällt mir ein:
Soll dir o Herr, die Taxe doppelt tragen
Und sich am höchsten anzuschlagen
Der Bürger selbst begierig sein,
So laß den Zoll auf die Verdienste setzen
Und jeden sich nach eignem Willen schätzen."

Der Mann und das Vöglein

Ein Vogler fing ein Vögelein,
Das sprach zum Vogler: "Sieh, wie klein,
Wie leicht ich bin! Was nütz' ich dir?
Laß mich zum Walde wiederkehren!
Aus Dankbarkeit will ich dafür
Dich auch ein schönes Sprüchlein lehren."
"So laß denn sehn," versetzt der Mann,
Was mich ein Zeisig lehren kann."

Das Vögelein war herzlich froh,
Und sagte zu dem Vogler so:
Mein Spruch ist der: Ein weiser Mann
Glaubt nur, was er begreifen kann,
Und grämet sich zu keiner Frist
Um etwas, das unmöglich ist.

Ein schöner Spruch! versetzt der Mann,
Den jedes Kind mir sagen kann.
Wer glaubt wohl ungereimte Dinge?
Jedoch dein Wert ist so geringe,
Daß ich damit zufrieden bin.
So fliege denn nur wieder hin,
Du Närrlein! ich entlasse dich.

Das Vögelein, so bald es sich
Auf einen nahen Baum gesetzt,
Denkt: Laßt uns sehen, ob der Mann,
Der meinen Spruch so wenig schauet,
Nun auch die Probe halten kann.
"O!" fängt es zu dem Vogler an,
"O! seht ihn doch, den dummen Mann,
Den auch ein Zeisig äffen kann!
Denn wisse nun, mein Leib enthält
Das größte Kleinod von der Welt,
Den herrlichsten Karfunkelstein.
Zwei Tonnen Goldes waren dein,
Die hast du mit mir fliegen lassen."
Weg fliegt der Zeisig, doch nicht weit.

Uneingedenk des Spruchs und der Unmöglichkeit,
Weiß sich der Mann, der Tor! vor Reue kaum zu fassen.

Der Käse

Ein Ziegenkäs', in Leinwand eingebunden,
Ward irgendwo von einem Paar
Naschhafter Katzen aufgefunden.
So angenehm die Beute war,
So heftig war der Streit, die Teile gleich zu messen.
"Willst du allein den Käse fressen?
Zwei Drittel nimmst du weg". — "Wie schändlich lügest du!
Mir kommt die Hälfte noch von deinem Teile zu."

Man ruft zuletzt des Nachbarn Affen.
"Sein Herr ist in dem Magistrat;
Er weiß von ihm das Recht: Er soll uns Recht verschaffen."
Der Affe kommt, ein ernster Rat,
Im Mantel und im Überschlage
(Der Weisheit seines Herrn), setzt sich zum Tische hin
Und spricht: "Ich will den Streit nicht in die Länge ziehn;
Hier ist mein Messer, hier die Waage.
Seht selbst, wohin das Zünglein überschlage.
Nicht wahr, zur Rechten?" — "Ja." — "Schon gut. Den Augenblick
Soll ihm geholfen sein." Flugs schneidet er ein Stück
Vom rechten Teile weg und schiebt es in den Rachen.
"Wie stehn die Schalen nun? Die linke hat zuviel?
Gleich wollen wir sie leichter machen."
Der Richter wiederholt das Spiel
So schnell und oft, zur Rechten und zur Linken
Macht er so klug die Schalen sinken,
Daß er bereits den Käse halb verzehrt.

Die Katzen: "Nun, wir sind zufrieden.
Der Unterschied ist nicht mehr wert,
Daß Sie sich ferner noch ermüden."
Der Affe: "Nein, das geht nicht an;
Gerechtigkeit ist eine Sache,
Die man nie zu genau bestimmen kann.
Ich bin ein so exakter Mann,
Daß ich mir ein Gewissen mache,
Wenn ich nur um ein halbes Gran
Dem oder jenem Tort getan." —
Er hilft den Schalen noch mit manchem neuen Schnitte.
"Seht her! nun steht das Zünglein in der Mitte;
Nun lost!" — "Was losen? wähl!" — "O wähle du!"
Und beide Katzen greifen zu.

"Noch nicht ihr Damen!" spricht der Affe.
"Erlauben Sie, daß ich auch mir mein Recht verschaffe.
Wer zahlt mir erst den Spruch? Was mag das Restchen sein?
Ein Drittel von dem Kapitale?
Das zieh ich für die Sporteln* ein."

So geht’s in manchem Tribunale.

*
früher behördliche Gebühren für den einziehenden Beamten.

Homers Rhapsode

Ein tönender Rhapsode* stand
Und sang auf seinem Schaugerüste
Der Ilias berühmte Zwiste,
Und mit dem Stecken in der Hand
Wies er dem aufmerksamen Volke
Die Götter dort auf heller Wolke,
Und dort Achajas Fürstenrat
In Versen, die noch heute dauern.
Sang er, was man vor Trojas Mauern
Dem Hahnrei zu gefallen tat.

Sein Lied und Ton gefiel der Menge,
Und ringsher flog aus dem Gedränge
Nicht Lob allein, auch Geld herbei;
Doch mitten in der Schlacht der Helden
Erschallt des Schreiers Ruf, zu melden,
Daß Vorrat auf dem Fischmarkt sei.

Gleich rennt man um der Barsche willen
Von Hektorn, Ajax und Achillen,
Und läßt den Sänger, Sänger sein.

Ein alter Bürger bleibt allein
Gepflanzt vor der verlaßnen Bühne,
Und gafft und horcht. Mit froher Miene
Stürzt der Rhapsode zu ihm hin,
Und drückt ihn zärtlich an den Busen:
"Heil dir! du Freund der holden Musen!
Nur dir ist Ohr und Herz verliehn.
Der Pöbel, taub für Phöbus Leier,
Läuft von dem Liede nach dem Schreier."
"Und . . . . welchen Schreier meinest du?
Ich höre schwach!" — "Ei Freund, die Toren!"
Ruft ihm der Sänger in die Ohren;
"Da rennen sie dem Markte zu,
Um frische Barsche sich zu kaufen." —
"Sind Barsche da? so muß ich laufen."

*
Rhapsode: Sänger

Aristipp

Ein reicher Geizhals in Athen
Bat Aristippen einst, sich doch für seinen Knaben
Nach einem Lehrer umzusehn:
Er brauche nicht alles zu verstehn,
Allein ich muß ihn wohlfeil haben.
Was möchte wohl das Nächste sein?
Je nun! des Jahrs doch hundert Taler? — Nein,
Zu viel. Ein Knecht, in jeder Kunst erfahren,
Kann teurer nicht als hundert Taler sein.
Den kauf ich mir, setz' ihn zum Lehrer ein,
So hab' ich in den sieben Jahren,
Die mir sechs hundert Taler sparen,
Den Jungen groß, und noch den Knecht darein.

Auch dieses. Und genau, besehen,
Hast du noch mehr Gewinst davon:
Zwei Knechte bleiben dir. — Wie soll ich das verstehen?
Der, den du kauftest, und dein Sohn.

Die Ameisen

Ein Ameishügel, hoch und breit,
Stand durch der Bürger Emsigkeit
Zur festen Stadt emporgetürmet,
Nur lagen Eier und Getreid'
Im Sonnenschein noch umbeschirmet.
Ein Sturm entsteht. Der Wolken Flut
Zerschwemmt den Bau, ersäuft die Brut.
Gleich läßt das kleine Volk sich hören:
"O Zeus! den wir umsonst verehren,
Du brichst die Ordnung der Natur,
Um selber deine Kreatur,
Um ganze Völker zu zerstören!"

Zeus schwieg und rettete den weisen Antonin,
Der, eingeschlossen von Barbaren
An diesem dürren Ort, mit seinen Scharen
Bereits des Durstes Opfer schien.

Der weiße Bock

Der schönste weiße Bock, der in der Herde war,
Ging, zu dem Bacchusfest geführet.
Von Golde strahlt der Hörner Paar,
Mit Blumen ist das Haupt gezieret.
Umhängt mit Bändern rauschet er,
Und Lieder schallen vor ihm her.
Ei, denkt der Bock, was ist den Leuten?
Was soll der Aufzug hier bedeuten?
Bin ich ein Gott? Jetzt nahet er
Des reich geschmückten Tempels Schwelle.
Mit Weihrauchdampf empfängt man ihn;
Die Priester liegen auf den Knien,
Die Flamme macht den Altar helle.
Bei meinem Bart! mir huldigt man.
Ja, gutes Volk! dich seh' ich gnädig an.

Eine Fliege summt indessen
Um des neuen Gottes Ohr.
Stolz wirft er das Haupt empor:
Mir so nahe? wie vermessen!
Einem Gott? — Hinweg mit dir!
Zürne nicht! Ich warte hier
Nur von deinem Rumpf zu essen,
Sagt die Fliege drauf mit Spott.
Das Messer blinkt. Hier liegt der Gott.

Oft blähn wir uns in Herrlichkeiten,
Und wissen nicht, wohin sie leiten.

Der Rabe und die Eule

"Wann kommst du doch aus deiner Höhle?
Wann hören wir die Stimme deiner Kehle?
Trübselig Stiefkind der Natur!
(Zur Eule sagte dies der Rabe)
Ich möchte wissen, was an solcher Kreatur
Minerva wohl gefunden habe?"

"Du zwingst mich," sprach die Eule, "dir
Zwei meiner Gaben anzuzeigen,
Die liebt Minerva sehr an mir,
Doch diese fand sie nicht an dir!
Ich kann im Finstern sehn, und schweigen."

Der Sonnenzeiger und die Glockenuhr

Zum Sonnenzeiger sprach die Glockenuhr:
"Was ist die Zeit? Laß sehn, ob wir zusammen treffen?"
Es war ein trüber Tag. Die Eitle sprach es nur
Sich zu erheben, ihn zu äffen.
"Ich weiß es nicht," versetzt er ihr.
"Die Stunde sieht man nur an mir,
Wenn mich der Sonne Strahlen treffen."

"Armseliger!" fuhr jene fort.
An keine Zeit, an keinen Ort,
An keinen Strahl bin ich gebunden.
Ununterbrochen währt mein Lauf,
Und zieht man mich des Morgens auf,
So geh' ich vier und zwanzig Stunden,
Noch mehr, ich schlage. Doch von dir
Kommt nie ein Laut. Du kannst doch zählen?
Da, höre mich! Eins, zwei, drei, vier:
So viel ist es genau. Das kann unmöglich fehlen."

Indem sie spricht, zerteilt sich gleich
Der Nebel Flor, die Wolken fliehen;
Apollo steht allein und strahlenreich
Am Himmel; Ährenfeld und Teich und Wiese glühen.
Der Zeiger weiset vier, drei Viertel noch dazu,
"Wie nun?" so spricht er, "zweifelst du
Ob, von Apollen selbst belehrt, ich Wahrheit sage?"
"Bereit bist du auf jede Frage;
Doch wer dir trauet, läuft Gefahr,
Das er zu viel, zu wenig zählet.
Ich schweige, wenn mir Helle fehlet,
Ich rede selten, aber wahr."

Der Ratsherr und der Jüngling

Ein Ratsherr einer Stadt, der täglich eine Stunde
Vor Rate nach der Kirche schlich,
Bat Gott allda von Herzensgründe
Um Segen für die Stadt und sich.
Auch täglich schlich bei erster Helle
Aus einer heimlichem Kapelle
Ein Jüngling, der die ganze Nacht
Mit feilen Dirnen zugebracht
Ganz nahe standen die Gebäude,
Das Gotteshaus, das Haus der Freude;
Und täglich kreuzte sich das Paar,
Das in ungleichem Dienst gleich unverdrossen war:
Doch keiner wußte von des Andern Wegen.
Der Ratsherr sprach: Der wackre junge Mann!
Er flehet Gott, noch eh als ich, um Segen
In seinem Tempel täglich an.
Der Jüngling sagte: Pfui dem Alten!
Er soll auf Zucht und Sitten halten,
Und geht doch niemals in den Rat,
Eh er der Wollust Haus betrat.

Apollo und der Kritiker

Mit einem ungeheuren Werke
Kam einst ein Kritiker, ein vielgelehrter Mann,
In des Apollo Tempel an.
"Sieh," sprach er, "was mein Fleiß getan,
Du Gott der Musen! Ich bemerke
In diesem Buche, Blatt für Blatt.
Wie oft Homer gefehlt, geschlummert hat."

"Viel!" spricht der Gott. "Auch will ich dir, wie selten,
Den Fleiß durch ein Geschenk vergelten.
Siehst du den Sack mit Weizen stehn?
Den bitt' ich dich recht fleißig durchzusehn.
Er ist nicht völlig rein. Zur Rechten
Wirf mir den guten, und den schlechten
Zur Linken hin." Der Autor fängt geschwind
Zu klauben an, und klaubt und klaubet sich fast blind.
Nun ist kein Stäubchen mehr zu sehen.
"Wahrhaftig! die Geduld," spricht Phöbus, wundert mich.
Wohlan! den Weizen laß für meine Priester stehen,
Den Unrat nimm für dich."

Die Raupe und der Schmetterling

Steif wird mein Leib, und schrumpfet ein,
Mir sonst so Gefräßigen, mir ekelt vor der Speise,
Im selbst gesponnenen Gehäuse
Schließ ich mich melancholisch ein;
Nacht legt sich um mich her. Was mag dies Fühlen sein?
Gewiß der Tod, zu dem wir alle gehen.
O hartes Schicksal unsrer Art
Gehab dich wohl, o Welt! auf ewig ist's geschehen.
Die Raupe sagte dies, als sie zur Dattel* ward.

Leicht und glänzend in der Sonne,
Voller Leben, voller Wonne,
Flog ein Schmetterling herbei,
Und vernahm ihr Angstgeschrei.
Lächelnd sprach er: "In dem Grabe,
Das du fürchtest, blödes Tier!
Lag auch ich; da wuchsen mir
Diese Flügel, die ich habe."

*
Die Raupe, in ihrem zweiten Zustande, wird ihrer Figur wegen in
einigen Gegenden Dattel genannt; sonst heißt sie Puppe und Nymphe.


Äsop und die zwei Bildhauer

Zwei Bildner lebten in Athen;
Der eine schnitzte schlecht, der andre schnitzte schön.
Äsop, von diesem Unterschiede
Schon unterrichtet, stand in einem Magazin
Der Parier; da kamen beide,
Um Marmor einzukaufen, hin.
Zwei Blöcke, völlig gleicher Art, Gewicht und Weiße,
Erstanden sie zum gleichen Preise,

Vertraulich fängt Äsop zum Ersten an:
"Ach, Freund! ein schlechter Kauf, den du getan."
Dem Andern lächelt er: "Glück zu dem schönen Steine!"
Sie lachen. "Blinder! ist der meine
Nicht jenem völlig gleich?" Äsop: "Verzeihet mir!
Dem Scheine nach urteilet ihr.
Ich aber sehe schon tief in dem einen Steine
Ein schönes Bildnis des Apoll,
Das diesem sich entwickeln soll;
Ein schlechtes Bild Merkurs seh' ich in jenem stecken,
Das wird dem andern sich entdecken.
Wo ist die Gleichheit in den Blöcken?"

Die Wanderer und das Beil

Zwei Wandrer sahen mit Vergnügen
Ein hingeworfnes Beil hart an der Straße liegen.
Der Flinkere läuft vor, ergreift es: "Sieh doch an,
Was ich für einen Fund getan!" —
"Ich, sagst du? Sprich denn doch von beiden.
Wir sahen es zugleich." — "Nun ja, wir sahn! wir sahn!
Was hilft das Sehn? auf's Nehmen kommt es an,
Das Eigentum der Sache zu entscheiden."

Noch streiten sie, so sprengt des Beiles Herr daher:
"Mein Beil zurück, ihr Diebe!" rufet er.
"Warum liest ihr es nicht auf seiner Stelle liegen?
Euch soll mein Stock die Rücken pflügen!"
Erschrocken wirft der erste Wanderer
Es hin: "Verschont uns, lieber Herr!
Wir sahn es, als verworfen, liegen."
Der Zweite: "Wie? jetzt mengst du mich
Hinein? Was? wir und uns? jetzt sage mein und ich."

Der Edelmann und der Bauer

Beim Junker meldet man Hans Klasen. — "Laßt ihn ein." —
"Ihr Gnaden wollen mir verzeihn,
Ich komme so, gehorsamst anzusagen,
Mein Eber und der gnäd'ge Hund,
Die rauften sich gewaltig, und
Da hat er ihn halt totgeschlagen."

"Was? meinen Perl? das schöne Tier?
Zwölf Taler zahle gleich dafür,
Und deinen Eber liefre mir
Auf meinen Hof, ihn abzustechen,
Zum wohlverdienten Lohn, zur Warnung andern Frechen." —
Der Bauer lacht: "Ihr Gnaden, nein!
Sie haben mich nicht recht gehöret:
Den Eber schlug der Hund, und nicht den Hund das Schwein.
Ich bin es, der Ersatz begehret."

"Ja so! – Ei nu! Vermutlich hat das Schwein
Den guten Hund geneckt! Oft hab' ich zugesehen,
Wie toll der Eber war. Es ist ihm recht geschehen.
Du ließest ihn ja immer ledig gehen.
Auch dies ist Frevel. Sei nur froh,
Daß ich die Strafe dir erlassen will." – "Ja so!"