Der Wolf 
					 
					Einst fiel in des Osiris Hain 
					Der schlimmste Wolf auf Gottes Erde 
					Ins Netz. Der Hirt der Opferherde, 
					Ein Priester, fand ihn. "Ich bin rein 
					Von allem Blut; sieh meine Klauen, 
					Sieh meinen Schlund: Herr, schone mein!" 
					Rief der Bandit mit bangem Grauen. 
					"In deinem Herzen wohnet Mord," 
					Versetzt der Priester. — "Wenn's auch wäre, 
					So bin ich," fuhr das Raubtier fort, 
					"Nicht würdig, daß mir der Altäre 
					Geweihter Stahl das Herz durchsticht; 
					Beflecke deines Amtes Ehre 
					Und deine frommen Hände nicht." — 
					"Nur des Gerechten Blut beflecket," 
					Sprach der Epopt,* "des Menschen Hand." 
					Er sprach es und sein Messer strecket 
					Das Ungeheuer in den Sand. 
					 
					*Ein
					Epopt ist ein Beschauer, Zeuge, Aufseher oder 
					Augenzeuge. 
					 
					Die Bienen 
					 
					Einst fuhr der Geist der Politik 
					In einen Bienenkorb. Da ging es an das Schwärmen; 
					Der Eifer für die Welt und für der Nachwelt Glück 
					Schien jede Brust und jeden Kopf zu wärmen; 
					Und auch das kleinste Glied der kleinen Republik 
					Drang sein Rezept ihr auf. So dauerte das Lärmen 
					Den ganzen Sommer durch. Der Arbeit strenge Pflicht 
					Kam völlig außer acht. Dies kränkte die Matronen 
					Von altem Schrot und Korn. Mit mütterlichem Schonen 
					Und mütterlichem Ernst im strafenden Gesicht 
					Ermahnten sie den Schwarm: vergeßt die Wirtschaft nicht! 
					Allein um sonst; man machte Motionen 
					Zum Wohl des Staats, bis Reif und Schnee verbot, 
					Nach Proviant zu gehen; dann stellte sich die Not 
					In allen Zellen ein. Von blinder Wut getrieben, 
					Bekriegten sie sich selbst, und was dem Krieg entrann, 
					Das hatte bald ein schlimmerer Tyrann, 
					Der dürre Hunger, aufgerieben. 
					 
					Der Hund und der Esel 
					 
					Der biedre Hund verließ die Burg des wilden Leuen. 
					Er traf auf einer grünen Bahn 
					Den sanften Junker Langohr an. 
					"Woher?" — "Ich floh den Hof" — "Warum?" — "Die Plackereien 
					Des Sultans kränkten mich." — "Das brave Tier! 
					Wohlan, ich mache dich zu meinem Leiblakaien. 
					Bleib hier; ich bin nicht grausam wie der Schach." — 
					"Nein," sprach der Hund mit ernster Miene: 
					 
					"Verbrechen ist's dem Wütrich dienen; 
					Dem Dummkopf dienen, wäre Schmach." 
					 
					Der Fuchs und der Wolf 
					 
					Herr Fuchs ging auf die Freierei 
					Und kam an einem Born vorbei, 
					An dem ein blankes Zwillingspaar 
					Von Eimern aufgehangen war. 
					 
					Er guckt hinein und sieht entzückt 
					Sein Bild im Wasser abgedrückt, 
					Und glaubt im Rausch der Schwärmerei, 
					Daß es sein trautes Liebchen sei. 
					 
					Er winket ihr, sie winket ihm; 
					Er folgt. Mit frohem Ungestüm 
					Schifft er sich ein und schnellt hinab 
					Mit Rasseln in das nasse Grab. 
					 
					"Wo bin ich, ach, ich armer Tropf!" 
					Ruft er. Doch er behält den Kopf 
					Und jauchzt: sein Jubel füllt die Luft 
					Und lockt den Wolf aus seiner Kluft. 
					 
					Er trat zum Born: "Ach, armes Kind, 
					Liegst in der Hölle?" — "Bist du blind, 
					Mein Freund? Ich setze dir mein Vlies 
					Zum Pfand, ich bin im Paradies. 
					 
					Komm, sieh, wie herrlich man hier lebt; 
					Steig in das Faß, das oben schwebt." 
					Der Wolf gehorcht ihm, fährt zu Grund 
					Und zieht den Gaudieb aus dem Schlund. 
					 
					Die Klugheit macht, daß in der Welt 
					Das Zwerglein oft den Riesen fällt; 
					Nur wendet sie kein Biedermann, 
					Die Einfalt zu berücken, an. 
					 
					Der Schwan und die Gans 
					 
					Einst sang ein Schwan auf einem See 
					Sein Lied. Sonst hörten's nur die Söhne 
					Apolls; nun reizten seine Töne 
					Selbst eine Gans, die sich im Klee 
					Des Ufers sonnte. "Laß doch sehen," 
					Sprach sie, "ob wir – denn Gans und Schwan 
					Sind eins – die Kunst nicht auch verstehen." 
					Sie streckt den Kragen himmelan, 
					Füllt ihren Blasebalg und kreischet 
					So jämmerlich, daß ihr Tenor 
					Des Menschen und des Tieres Ohr, 
					Ja selbst ihr eignes Ohr zerfleischet. 
					"Durch Übung wird man Meisterin," 
					Sprach sie, versuchet es aufs neue, 
					Sinkt endlich heisch und kraftlos hin 
					Und bleibet immer Pfuscherin. 
					 
					"Ha," gackert sie, "bei meiner Treue! 
					Der Schwan ist ein verdammter Wicht, 
					Ein Zauberer, sonst könnte nicht 
					Sein Lied so leicht, so tonreich fließen." — 
					"Ei Törin!" fiel der Schwan ihr ein, 
					"Man braucht kein Zauberer zu sein, 
					Um mehr als eine Gans zu wissen." 
					 
					Der Skorpion und der 
					Knabe 
					 
					Der Hirtenknabe Coridon, 
					Der nie den Buffon* las, 
					Fing einen großen Skorpion 
					Im braungesengten Gras. 
					 
					Ein seltner Krebs, denkt er; allein 
					Vergebens führest du 
					Die Scheren nicht. Um klug zu sein, 
					Hielt er sich fest ihm zu. 
					 
					"Sieh, Vater, welch ein Ungetüm 
					Ich dort im Grase fand," 
					Rief er, und schon zerstach es ihm 
					Mit seinem Schwanz die Hand. 
					 
					"Sohn, traue keinem Bösewicht," 
					Sprach dieser; "schadet er 
					Dir nicht von vorne, sieh, so sticht 
					Er dich von hinterher." 
					 
					
					
					*Georges 
					Louis Marie Leclerc, Comte de Buffon *7. September 1707 in 
					Montbard † 16. 
					
					April 1788 in Paris war ein französischer Naturforscher. 
					Sein offizielles botanisches Autorenkürzel lautet "Buffon". 
					 
					Das Eichhorn und 
					seine Mutter 
					 
					Ein Eichhorn hörte schon an seiner Mutter Brust 
					Den Hochgeschmack der Mandeln preisen. 
					So wie der Sommer wuchs, so wuchs mit ihm die Lust, 
					Von dieser Fürstenkost zu speisen. 
					Die Zeit erschien; die Frucht wird abgepflückt, 
					Der kleine Lecker beißt entzückt 
					Die bittre Schale durch, und stampft und grinst und spucket. 
					"Ein Esel," rief er aus, "wer diesen Quark verschlucket. 
					Beim Pan! die Mutter hat mich nur geneckt. 
					Ich schenk ihr meinen Teil an ihrem Göttermahle; 
					Allein laß sehn, was besser unten steckt." 
					Er räumt die Hülse weg und kommt nun auf die Schale. 
					"Was ist denn das? verflucht! ein Kieselstein. 
					Ho, ho! zum dritten Mal will ich der Narr nicht sein. 
					Fort mit der dummen Frucht!" Sie flog in einen Graben. 
					Die Mutter, die kein Wort vom Selbstgespräch verlor, 
					Sprang nun aus einem Busch hervor. 
					"Du zürnst umsonst," sprach sie zum naseweisen Knaben, 
					Und brach den Kiesel auf. "An dir liegt nur die Schuld: 
					Ein wenig Arbeit mehr, ein wenig mehr Geduld, 
					So würdest du den Kern gefunden haben." 
					 
					Der Gebrauch der 
					Freiheit 
					
					An Herrn v. 
					Nicolai in Petersburg 
					 
					Aus eines Junkers Burg entflohen einst vier Sklaven, 
					Ein Hund, ein Murmeltier, ein Kater und ein Star. 
					"Triumph, nun sind wir frei!" rief die entzückte Schar; 
					"Allein was tun wir jetzt?" — "Ich will ein Jährchen 
					schlafen," 
					Versetzt das Murmeltier. "Und ich," sprach Meister Star, 
					"Ich will ums liebe Brot auf unsern Junker fluchen." — 
					"Das brauch ich nicht," rief Mauz; "ich werde stracks 
					Korsar." — 
					"Und ich," beschloß der Hund, "will einen Herrn mir suchen." 
					 
					Dies, lieber alter Freund, war stets der Freiheit Los. 
					Der Sklave brauchet sie zur Dienstmagd seiner Lüste, 
					Indes der edle Mensch selbst auf Marokkos Küste 
					Sie nicht verlieren kann, noch in der Alpen Schoß 
					Sie erst zu suchen braucht; sie wohnt in seinem Busen 
					Und ihre Wächter sind die Weisheit und die Musen. 
					 
					Circe und ihr Affe 
					 
					Ein Affe war an Circes Hof, 
					Was nachher mancher Philosoph 
					Am Thron – ein Tierchen zur Parade. 
					Nur fand er bei der Fee mehr Gnade, 
					Als Plato je beim Dionys. 
					 
					Einst, als er sich am Seegestade 
					Der Ehrfurcht Grillen überließ, 
					Erschien ein Adler seinen Blicken, 
					Der mutig in die Wolken drang, 
					Indes ein Delphin auf dem Rücken 
					Der Flut sich auf und nieder schwang. 
					"Ha!" sprach der Günstling voll Entzücken, 
					"Es kommt auf Circes Wink nur an, 
					Um mich mit Flügeln zu beglücken, 
					Und meine Pfoten, gleich dem Schwan, 
					Mit einer Schwimmhaut auszuschmücken; 
					Dann ist im ganzen weiten Reich 
					Der Schöpfung mir kein Wesen gleich." 
					Gesagt, getan. Mit schnellem Schritte 
					Lief er zur Dame. Diese war 
					Bei guter Laune; seine Bitte 
					Ward ihm gewährt. Sie sagte zwar: 
					Vielleicht wird dich dein Wunsch gereuen. 
					Allein er hört es nicht und leckt 
					Ihr unter tausend Faseleien 
					Die Hand, die sie ihm hingestreckt. 
					 
					Kaum sah der Gaukler sich im Freien, 
					Als er sich in die obere Luft 
					Mit seinen neuen Flügeln wagte. 
					Hier ward aus seiner Felsenkluft 
					Ein Condor ihn gewahr; er jagte 
					Ihm nach und hackt ein Aug ihm aus. 
					Betäubt von Schrecken und vom Schmerze, 
					Floh er ins Meer. Gleich einer Maus 
					Fing ein Haifisch und zum Scherze 
					Biß er das rechte Bein ihm ab. 
					"Ach!" wäre ich wieder auf dem Lande, 
					Sonst wird der Fische Bauch mein Grab!" 
					Seufzt er und schwimmt so schnell zum Strande. 
					Als er nur kann. "O Königin!" 
					Spricht er zur Fee mit trübem Blicke, 
					"Ach sieh, wie ich verstümmelt bin! 
					Nimm wieder Flosse und Fittig hin 
					Und gib mir Aug und Fuß zurücke." 
					Voll Huld ergänzt das lose Weib 
					Des armen Märtyrers Fragmente 
					Und sagte mit Lachen: "Jeder bleib 
					In seinem Elemente." 
					 
					Der Schakal 
					 
					Ein Schakal fiel mit wildem Zahn, 
					Als einst das tapfre Heer der Briten 
					Am Ganges einen Sieg erstritten, 
					Die Körper der Erschlagnen an. 
					 
					"Ha, Frevler!" rief ein zweiter Trimm 
					Dem Untier zu, "bist du besessen? 
					Ich will dich lehren Menschen fressen!" 
					Er sprach’s und zog sein Schwert nach ihm. 
					 
					"Wer ist," so schlug das freche Vieh 
					Den frommen Zorn des Rächers nieder, 
					"Die größte Geisel deiner Brüder? 
					Du tötest, ich begrabe sie." 
					 
					Die Vögel 
					 
					Der Adler war zu jeder Zeit 
					Der Vogel Oberherr; allein die große Charte 
					Des Reichs entzog das Volk dem Joch der Dienstbarkeit. 
					Einst bracht' ein alter Kauz mit einem langen Barte 
					Den großen Vorschlag auf die Bahn, 
					Die Staatsverfassung umzuschmelzen. 
					Der Papagei, der Star, die Gans, der welsche Hahn, 
					Die Spatzen und die Wasserstelzen 
					Bejauchzten den Entwurf der Reformation, 
					Der jedes Glied der Nation 
					Mit vollem Recht zum Mitregenten machte. 
					Der Schwan allein blieb stumm. Er überdachte 
					Den neuen Schöpfungsplan. — "Warum so still, 
					Wenn Groß und Klein mir lauten Beifall zollen?" 
					Rief Solon Kauz ihm zu. — "Wenn jeder herrschen will," 
					Versetzt der Schwan, "so sprich, wer wird gehorchen wollen?" 
					 
					Der Paradiesvogel 
					 
					Ein Vogel, von dem Paradies 
					Hat er, Gott weiß warum, den Namen, 
					Geriet dem Pater Aloys 
					Von Dominiks geweihtem Samen 
					Auf seinem frommen Ritterzug 
					Nach Koromandel* in die Klauen. 
					Der Pfaffe konnte nicht genug 
					Das seltene Geschöpf beschauen. 
					Entzückt rief er ihm endlich zu: 
					"Du, dessen Ahnen einst in Eden 
					Mit Adam hausten, hörest du 
					Nicht manchen Greis noch von ihm reden?" — 
					"Ach nein," versetzt das gute Tier. — 
					"Ist nichts durch Überlieferungen 
					Aus jener Zeit zu euch gedrungen?" — 
					"Kein Wort." — "Du willst, gesteh es mir, 
					Mich durch Verstellung bloß betören." — 
					"Nein, wahrlich, nein, das kann ich schwören." — 
					"Wie dumm!" rief der beschorne Held, 
					"Uns ist es leicht, den frommen Seelen 
					Aus jedem Teil der andern Welt 
					Stets etwas neues zu erzählen." 
					 
					*Koromandel 
					(Coromandel) ist die südl. Ostküste Vorderindiens. 
					 
					Das Rhinozeros 
					und die Gazelle 
					 
					Das trotzige Rhinozeros 
					Tat einstmals gegen die Gazelle 
					Mit seinen Heldentaten groß. 
					"Ich," sprach der panzerne Geselle, 
					"Verachte selbst des Löwen Zorn; 
					Den Elefanten spießt mein Horn, 
					Und wenn ich ihn nicht immer fälle, 
					So kostet stets der Sieg ihn Blut." — 
					"Nun," sagte die Gazelle, "gut, 
					So kannst du doch den kürzern ziehen; 
					Ich niemals." — "Du?" brüllt der Gigant 
					Mit Augen, welche Flammen sprühen. 
					"Ich," rief sie spöttisch und verschwand, 
					"Denn ich kann stets dem Feind entfliehen." 
					 
					Der Habicht und die 
					Taube 
					 
					Ein Täubchen fiel in eines Habichts Klauen. 
					"Ha!" rief der Wüterich, 
					Indem er's rupfte, "hab ich dich? 
					Verruchte Brut! Ich weis, mit welchem Grauen, 
					Mit welchem Hass von mir die Taubenrotte spricht; 
					Doch es gibt Götter, die den Frommen rächen." — 
					"Ach! möchtest du die Wahrheit sprechen!" 
					Versetzt das Täubchen. — "O! der Bösewicht! 
					Was hör ich? wie? du leugnest gar die Götter?" 
					Erwidert ihm der Schalk. "Ich wollte dir verzeihn, 
					Nun aber stirb!" . . . "Stirb selbst, verruchter Spötter," 
					Rief jetzt ein Jäger aus dem Hain; 
					Und der Verräter fiel zugleich mit seinem Raube. 
					"Vergib mir," sprach der Mensch zur Taube, 
					"Mein Bolzen traf dich bloß aus Not; 
					Denn um auf deinen Feind nicht fehl zu schießen, 
					Hab' ich dich selbst durchbohren müssen." 
					Das Täubchen sagte nichts; es war schon tot. 
					Allein der Habicht sprach: "Du bist mein Meister; 
					Auf Wiedersehen im Reich der Höllengeister!" 
					 
					Der Fuchs und der Bär 
					 
					Ein schlauer Fuchs fing sich in einer Falle 
					Und ächzte jämmerlich. Ein weißer Bär 
					Kam an den Ort, gelockt vom dumpfen Schalle 
					Der ekeln Elegie. "Der Himmel führt dich her," 
					Rief Reinhard aus, "vom Tode mich zu retten. 
					Ein Druck von deiner Faust zersprenget meine Ketten." — 
					"Wie fielst du denn in Sklaverei?" 
					Versetzt der Samojed; "ihr Herren Hühnerdiebe 
					Seid sonst verschmitzt genug." — "Ei nun, aus Bruderliebe," 
					Sprach Meister Fuchs. "Auf meiner Streiferei 
					Sah ich ein fettes Aas in dieser Falle liegen. 
					Ha, dacht' ich bei mir selbst, ein unerfahrnes Tier 
					Kann dieser Köter leicht betrügen; 
					Auf, Reinhard, nimm ihn weg! der Fuß entwischte mir, 
					Die Falle schnappte zu, und ach! ich war gefangen. 
					Zieht deine Großmut mich nicht aus dem ehern Netz, 
					So wird mein Henker bald mit meinem Felle prangen." — 
					"Beim Zeus! das soll er nicht!" erwidert Petz 
					Und bricht den Kerker auf. "Gottlob, es gibt noch Bären. 
					Getrost! ich werde dich mit Haut und Haar verzehren." 
					 
					Der Kranich und der 
					Fuchs 
					 
					Ein Kranich stand auf einem Hügel 
					Gedankenvoll auf einem Bein, 
					Und schien mit tiefgesenktem Flügel 
					In Kummer aufgelöst zu sein. 
					Da kam aus einem nahen Hain 
					Ein alter Fuchs hervorgekrochen. 
					"O Freund! dich quält geheime Pein," 
					Rief er, "hab ich nicht wahr gesprochen? 
					Was ist der Grund von deinem Schmerz? 
					Bedarfst du meiner treuen Hilfe?" — 
					 
					"Nichts," sprach der Kranich, "heilt mein Herz; 
					Hör an: Ich baute mir im Schilfe, 
					Das jenes Teiches Ufer deckt, 
					Mein erstes Nest. Voll banger Sorgen 
					Verließ ich hungrig diesen Morgen 
					Vier Eier, die ich bald ausgeheckt 
					Der Liebe schönste Frucht versprachen, 
					Indes ein Fischer mit dem Nachen 
					Vorüberfährt, das Nest entdeckt 
					Und ach! Die ganze Brut zerstöret." — 
					 
					"Ha!" rief der Fuchs, "der Bösewicht! 
					Ward je solch eine Tat erhöret, 
					Die wohl mit Recht das Herz dir bricht, 
					Und selbst das kälteste Blut empöret! 
					Doch sage, Lieber, weist du nicht, 
					Was aus den Eiern wohl geworden? 
					Vielleicht" . . . "Ach," fiel der Vogel ein, 
					"Gereizt durch bloße Lust zu morden, 
					Zerschmiß er sie an jenem Stein." — 
					"Gott tröste dich!" sprach der Geselle, 
					"Auf Wiedersehn." In vollem Lauf 
					Eilt er nach der bemerkten Stelle, 
					Und fraß die Embryonen auf. 
					Der Kranich sah es. "Ha, Verräter!" 
					Rief er den sauberen Tröster zu, 
					"Wer ist ein größrer Übeltäter, 
					Der wilde Mörder oder du?" 
					 
					Die Giraffe 
					 
					Das Tier mit klafterhohem Fuß, 
					Sonst Giraff, das die Musen hassen, 
					Weil man den Namen stümmeln muß, 
					Um ihn in einen Vers zu passen. 
					 
					Dies Monstrum des Parnasses stand 
					Vor einem Wald, steif wie die Zeder: 
					So steht ein finstrer Doktorand 
					Auf seinem staubigen Katheder. 
					 
					Ein Esel sah es, während er 
					Mit einem Fuchs auf einer Wiese 
					Mittagsruh hielt, von vorneher 
					Und rief: "Sieh Bruder, welch ein Riese!" 
					 
					"Laß uns ein Eckchen in den Wald 
					Auf jenem Seitenpfade gehen," 
					Versetzt der Fuchs, "sonst wirst du bald 
					Den Riesen auch von hinten sehen." 
					 
					Gesagt, getan. Das Wundertier, 
					Das kurz vorher als Ries' erschienen, 
					War jetzt ein Zwerg. "Gibt's Hexen hier?" 
					Schrie Langohr mit bestürzten Mienen. 
					 
					"Verbanne, Nachbar, deinen Graus; 
					Um einen Mann für groß zu achten, 
					Mußt du zuvor," rief Reinhard aus, 
					"Von allen Seiten ihn betrachten." 
					 
					Der Widder, 
					der Fuchs und die Ziege 
					 
					Ein Widder hielt im weichen Grase 
					Mit einer Ziege Mittagsruh; 
					Da schlich ein Fuchs mit weiser Nase 
					Aus einem dicken Busch hinzu. 
					Er gafft den Widder an. "Wie prächtig," 
					Sprach er, "ist deiner Hörner Paar! 
					Wie furchtbar wärest du, wie mächtig, 
					Nähmst du des edlen Vorteils wahr, 
					Den du von der Natur empfangen. 
					Könnt ich mit solchen Waffen prangen, 
					So wäre ich selbst mir Herr und Schutz; 
					Ich lachte dann mit stolzer Seele 
					Des Leuen herrische Befehle 
					Und böte seinen Schössern* Trutz." — 
					 
					"Das wäre hübsch, bei meinem Leben!" 
					Versetzt der Widder, "muß ich nicht 
					Ihm jährlich zwei Pfund Wolle geben?" — 
					"Ha," rief der Fuchs, "Der Bösewicht!" — 
					"Ich," sprach die Ziege, "will nun eben 
					Nicht klagen; freilich muß ich ihm 
					Des Jahres zwei Kannen Milch erlegen; 
					Allein, er schützte mich dagegen 
					Schon oft vor Meister Isegrim. 
					Auch dich, Herr Fuchs, entriß der Leue, 
					Ich sah es selbst, des Tigers Zahn, 
					Und fielen ihrer zwei dich an, 
					Was nützte dann dir dein Geweihe?" — 
					"Ich trete deiner Meinung bei," 
					Versetzt der Widder; "mag der Schösser 
					Noch heute kommen; immer besser 
					Ist zinsbar sein, als vogelfrei." 
					 
					*Beim 
					"Schoss" handelt es sich um die Bezeichnung für direkte 
					Steuern. 
					Den Schosseintreiber nannte man Schösser, also einen 
					Steuereintreiber. 
					 
					Der Leopard und 
					das Eichhorn 
					 
					Ein Eichhorn, das auf seiner Fahrt 
					Von Baum auf Baum zephyrisch hüpfte, 
					Verlor den Kopf, sein Fuß entschlüpfte, 
					Es fiel auf einen Leopard, 
					Der in dem Schatten einer Eiche 
					Der Ruhe pflegte. Der Gigant 
					Fuhr brüllend auf. Bereits halb Leiche 
					Vor Schrecken, fiel der Arrestant 
					Auf seine Knie, bat um Gnade 
					Und machte sich gar winzig klein 
					Vor seiner Hoheit. "Arme Made!" 
					Rief dieser, den die Todespein 
					Des Zwergs zur Huld bewog, "dein Leben 
					Ist mein; ich schenke dirs; allein 
					Zuvor mußt du Bescheid mir geben, 
					Warum du stets so fröhlich bist, 
					Indes mich, Prinz vom Geblüte, 
					Der Überdruß und Mißmut frißt?" — 
					 
					"Herr!" sprach das Eichhorn, "deine Güte 
					Macht Wahrheit mir zur Pflicht; doch hier 
					Spricht's es nicht gut; ich quetschte mir 
					Bei meinem schweren Fall die Lunge; 
					Laß mich ins Freie." — "Nun, es sei," 
					Versetzt der Prinz, und gab es frei. 
					Das Eichhorn maß mit seinem Sprunge 
					Den Baum, und sprach vom höchsten Ast: 
					"Du wolltest mein Geheimnis wissen; 
					Hier ist's: ein Gut, das du nicht hast, 
					Das deinesgleichen stets vermissen, 
					Erhalt mein Herz bei heiterem Mut." — 
					"So nenne mir dies edle Gut." — 
					"Es heißt: ein ruhiges Gewissen." 
					 
					Jupiter und das Pferd 
					 
					Aktäon war, man weiß es längst, 
					Der Jagd mit Wut ergeben; 
					Manch treuer Hund, manch braver Hengst 
					Verlor durch ihn sein Leben. 
					Dies Los sah auch ein Schweißfuchs vor, 
					Der endlich die Geduld verlor 
					Und sich beim Zeus beklagte. 
					 
					"Herr," sprach er seufzend, "möge doch 
					Mein Ungemach dich rühren! 
					Ich trage, in der Tat! das schwerste Joch 
					Von allen deinen Tieren. 
					Mein Junker schindet mich zu tot, 
					Drum bitt' ich dich, ende meine Not 
					Und mache mich zum Esel." 
					 
					"Zum Esel?" rief der gute Gott, 
					"Hast du sein Los vergessen? 
					Ihn drücken Arbeit, Schläge, Spott, 
					Und Disteln sind dein Essen. 
					Geh, schände deinen Adel nicht, 
					Bleib was du bist; der Unmut spricht 
					Aus deinen bittern Klagen." 
					 
					"Mein Adel macht mich armen Gauch 
					Zu eines Narren Vasallen; 
					Dem Esel geht es freilich auch 
					Nicht immer nach Gefallen; 
					Doch er ist mit Geduld versehen, 
					Auch zwingt der Stock ihn bloß zu gehen, 
					Mich zwingt der Sporn zu laufen." 
					 
					"Was sagst du zu dem Riesenwuchs 
					Der oft belachten Ohren?" — 
					"Was Zeus gemacht," versetzt der Fuchs, 
					"Das tadeln bloß die Toren." 
					Chronion lächelt. Für ein Pferd 
					Fand er die Antwort fein und wert 
					Ein Wunder auszuwirken. 
					 
					"Nun, nun," rief er, "der Fall ist neu; 
					Dir sei dein Wunsch gewähret, 
					Sei, was du warst, und doch dabei, 
					Was du zu sein begehrest." 
					Er sprach's und winkte mit der Hand. 
					Der Gaul erbebte; plötzlich stand 
					Ein Maultier vor dem Throne. 
					 
					Es jauchzt ihm Dank, es hüpft davon, 
					Es wälzt sich auf Rosen. 
					Doch bald entdeckt es sein Patron, 
					Er wirft mit falschen Rosen 
					Ihm einen Zügel um den Kopf 
					Und brauchte jetzt den armen Tropf 
					Zugleich als Pferd uns Esel. 
					 
					Nun bat das Tier Chronions Huld, 
					Noch einmal es zu retten. 
					"Nein" sprach der Gott mit Ungeduld, 
					"Behalte deine Ketten. 
					Der Sklave, der, vom Joch befreit 
					Zurückfällt in die Dienstbarkeit, 
					Verdient das Joch zu tragen." 
					 
					 
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