Fabelverzeichnis

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Proschko Franz Isidor
Pseudonym: Franz von Hohenfurth

geb. 2. April 1816 in Hohenfurth, Böhmen
gest. 6. Februar 1891 in Wien
war ein österreichischer Schriftsteller und Jurist.

Insgesamt verfasste Proschko um die 75 Werke - vor allem Gedichte, Novellen und Romane.
Für sein literarisches Schaffen wurde Proschko mehrfach geehrt.
Von Kaiser Franz Joseph I. wurde er mit der Großen Goldenen Medaille für Kunst und Wissenschaft ausgezeichnet.

Quelle:
Leuchtkäferchen/Dr. Proschko Franz Isidor/Eine Sammlung von Fabeln und Parabeln.

Regensburg 1857/Verlag von Georg Joseph Manz
Diese Fabeln hat er auch in seiner böhmischen Muttersprache verfasst! HIER
 
Fabeln und Parabeln 1
 
Der Löwe und die Affen
Der Dornstrauch
Das Rad und die Saite
Die Aprikose und der Lederapfel
Der Paradiesvogel
Symbol
Die Aloe und das Maulbeerblatt
Schwefel-Äther
Das Eichhorn und die Schnecke
Der Sperling
Der neue Hirt
Der Kornwucherer
Die beiden Bergknappen
Eichel und Wespchen
Die Perle
Der Pfirsichbaum
Kreuzschnäblein
Die beiden Narren
Der Strohut und der  Sonnenschirm
Der Biber

 

Der Löwe und die Affen

Ein wilder Schwarm Mandril's trieb sich in der Oase
Zum Scherz herum, und sprang und balgte sich im Grase,
Und manche Kokosnuß flog hier von Palm' zu Palme,
Und manches Gräschen sank mit arg zerknicktem Halme.

Da naht ein Löwe sich — gleich war der Schwarm zerstoben.
Ei, sprach der König rauh, doch ohne Grimm und Toben, —
Ei, spielt nur immer fort, — ich selbst will mit euch spielen. —
Welch' Ehre! rief der Schwarm, sträubt auch das Haar sich Vielen.

Doch weil der Löwe nicht auf Bäume klettern wollte,
So wählte man ein Spiel, das ihn ergötzen sollte.
Man spielte Reiterei: ein Affe war der Reiter,
Ein andrer trug ihn dann gleich seinem Esel weiter.

Dem Löwen kam der Spaß im Anfang sehr zu Statten,
Als ihn zwei Affen kühn gar bald bestiegen hatten;
Das sah der Affenchor, man stritt sich um die Ehre,
Wem doch zuerst der Leu als Esel dienstbar wäre.

Und stritt — der Leu ward toll: "Herab ihr dummen Affen!
Soll euch nicht schnell mein Zorn recht löwenmäßig strafen." —
Husch! waren sie am Baum, doch hört man sie von Weiten:
Wer sich zum Esel macht, auf dem will Jeder reiten.


Der Dornstrauch

An Kydrons Ufern keimte
Ein junger Feigenbaum,
Die süßen Früchte säumte
Ein zarter Blütenflaum.

Der freute sich des Lebens
Und sprach zum Dornenstrauch:
Du Armer blühst vergebens,
Dein Dasein gleicht dem Rauch. —

Der Dornstrauch sprach bescheiden:
Ein Meister schuf auch mich,
Ich will dich nicht beneiden,
Viel' Früchte schmücken dich.

Ob du auch reich an Früchten
In Gottes Garten thronst;
Uns ziemt es nicht zu richten, —
Auch ich blüh' nicht umsonst.

Er schwieg — auf raschem Flügel
Schwand manches Jahr bereits;
Da stand auf einem Hügel
Ein hocherhab'nes Kreuz.

Drauf trug zum Spott und Hohne,
Und zur Erlösung auch,
Ein König eine Krone
Von jenem Dornenstrauch. —

* * *

Der Schleier, den der Meister
Des Weltenschicksals flicht,
Ist dunkel für die Geister,
Doch für den Schöpfer nicht.

Das Rad und die Saite

Sprach die Saite zu dem Rade:
O wie knarrst du doch so toll!
Deine grellen Wehelaute
Borgte der Cocyt dir wohl.

Sprach das Rad zur sanften Saite:
Dieser Ton, der dir mißfällt,
Wälzt die größten Lasten weiter,
Dient der Börse — dient der Welt.

Weißt du nicht? die Zeitparole
Heißt Gewinnst nur — und das Rad
Fördert ihn von Pol zum Pole,
Treibet ihn von Grad zu Grad.

Mein Ton dringt durch Goldesminen,
Deiner dringt nur an —das Herz;
Und du weißt: die Menschen nennen
Dies Jahrhundert: das von Erz!

Doch laß uns darum nicht streiten:
Morgens diene ich dem Herrn,
Abends, wenn mein Lauf vollendet,
Greifet er zu dir gar gern;

Zaubert sich mit deinen Tönen
Sonnen in die kalte Welt;
Und ich sah von meinem Winkel
Ihn gar oft durch dich beseelt.

Laß mich schrillen meine Weise,
Klinge du in leisem Schmerz;
Fülle ich des Menschen Beutel,
Füllest du des Menschen — Herz! —

* * *

Industrie und Poesie
Stehen nicht in Harmonie;
Doch beweget jene Wagen,
Macht die and're Herzen schlagen;
Und ist auch ihr Zweck verschieden:
Beide nützen doch hienieden.

Die Aprikose und der Lederapfel

Freundlich, wie die Frühlingsrose,
Nickte von dem vollen Baum
Eine junge Aprikose
Aus dem grünen Blättersaum.

Ohnfern an den Taxuswänden
Stand ein Lederapfelbaum,
Ausgesetzt den Sommerbränden,
Und des Blicks gewürdigt kaum.

Armer du in deinem Kleide —
Lächelt jene diesem zu —
Bleibest wohl verschont vom Neide;
O wie häßlich alt bist du!

Häßlich alt? — entgegnet leise
Ihr der Lederapfel — Ei!
Wenn verstummt das Lied der Meise,
Prüfe dann, wer älter sei. —

Sprach's — der Gärtner kam gegangen
Mit dem Korb; der Apfel fiel,
Und in ihrer Schönheit Prangen
Sank auch jene von dem Stiel'.

Lange lagen sie vergessen,
Als der Gärtner wieder kam,
Und ein süß Getränk zu pressen,
Nun den Apfel mit sich nahm.

Während jetzt die Aprikose,
Die der Schimmel schon umzog,
Eine altergraue Rose,
Aus dem offnen Fenster flog.

* * *

Lebe nicht zu schnell, zu viel; —
Nur Entbehrung führt zur Tugend.
Wer im Alter jung sein will,
Der muß alt sein in der Jugend.

Der Paradiesvogel

Horch! im bodenlosen Schlunde
Rüstet sich der wilde Sturm;
Bald entschäumt dem Meeresgrunde
Well' auf Well' zum Wogenturm;
Laß uns schnell den Mast gewinnen,
Eh' die Stürme noch beginnen.

Siehst du! selbst der Wasserlöwe
Und die Robbe sucht den Strand! —
Also rief die kleine Möwe
Von des Kieles hohem Rand
Zu dem Vogel, den hernieder
Trug vom Himmel sein Gefieder.

Und die nassen Segel wehten
Durch die sturmbewegte Luft,
Doch der schöne Sohn aus Eden
Blickte in die Wogengruft,
Hob dann ruhig sein Gefieder,
Und entfloh zum Äther wieder.

Tobt hier auch des Sturmes Reigen —
In des Äthers reinstem Licht,
Oben, wo die Stürme schweigen —
Hier ist meine Heimat nicht.

* * *

Wenn die Stürme unten toben,
Richte deinen Blick nach oben!

Symbol

Es hatten einst die Literaten
Recht arge am Parnaß gehaust,
Und als des Pindus Potentaten
Im Federkriege sich zerzaust.

Da schrieben sie sich endlich müde,
Und riefen so nach altem Brauch:
Frohlocke Welt! es werde Friede,
Und festgegessen sei er auch! —

Drauf zogen sie nach alter Weise
In die Faubourg zum Friedensfest. —
So ruht der Wand'rer auf der Reise,
So folgt dem Harmattan der West.

Da schäumte nun der Nierenstein,
Und Kork und Flasche knallten laut;
Und
cum corona saß manch Einer,
Der seiner Kraft zu sehr vertraut.

Da rief ein alter Kritikaster,
Ein echter Mundarts -
Marchand de Mode,
Und hob sein Rohr voll edlem Knaster,
Das gleich
silentium gebot:

Dem goldnen Engel, der da kündet
Als Hausschild sich, ein Transparent!
Noch heute sei es angezündet,
In dem das Wort "Nur Friede!" brennt.

Ja! jubelten sie freudig alle,
Und stürmten vor das Haus mit Macht;
Im Nu erleuchtet war die Halle,
Illuminiert das Haus, die Nacht.

Doch wie? — hat wohl ein Blitz von oben
Zerstäubt der Zecher heitres Glück?
Im Nu verstummt das laute Toben,
Und der und jener schleicht zurück.

Wie? — ist der Engel fortgeflogen?
Beim Zeus! — fort ist sein goldnes Bild,
Und auf des Tores goldnem Bogen
Erglänzt fürwahr ein and'rer Schild.

Der Schreiner, der zum Reparieren
Den Engelsschild bekam, griff fehl
Nach Schilden von verschied'nen Türen:
So hing 'ne Tafel jetzt zur Stell'.

Ein Mann, gelockt vom Lärm nicht minder,
Las auf dem Schild, der jetzt da hing:
"Bewahr-Anstalt für kleine Kinder" —
Las — lachte — grüßt' hinauf — und ging.

Die Aloe und das Maulbeerblatt

Höhnend sah die stolze Blüte
Einer Aloe herab,
Die in eines Gartens Mitte
Hochgenuß dem Kenner gab;
Still bescheiden, ohne Staat,
Grünt' dabei ein Maulbeerblatt.

Blähend sprach die stolze Blume
Einer fremden Region:
Mir gebührt im Heiligtume
Florens nur allein die Kron'.
Ich bin eure Königin!
Huldigt mir, weil ich es bin.

Ruhig sprach von seinem Baume
Drauf das Maulbeerblatt zu ihr:
Traue nicht der Schönheit Träume,
Sie verschwindet, glaube mir;
Nur was nützt und Segen beut,
Dauert in die Ewigkeit.

Zürnend und mit stolzer Miene
Schwieg die Aloe und bläht'
Auf die Krone, und das grüne
Maulbeerblatt wird rings verschmäht;
Jede Blume spricht: Du Tor!
Ziehst dich solcher Schönheit vor? —

Boreas umfing die Erde,
Lunens Glanz deckt Wolkensaum,
Und der stille Gärtner kehrte
In der Hütte warmen Raum,
Erntete des Fleißes Frucht,
Die im Sommer er gesucht.

Und in eines Königs Saale
Hing am Thron von Elfenbein,
Prunkend im Demantenstrahle,
Jetzt ein Mantel, zart und fein;
Atlas war sein weiches Fell,
Glänzend rein und sternenhell.

Fern im hohen Fensterbogen
Stand die Aloe verblüht,
Schlaff das Haupt hinabgebogen,
Das der Moder überzieht;
Hing so matt am Stiele schon
Mit der abgewelkten Kron'.

Und von jenem Königskleide
Tönt' ein Stimm'chen silberrein,
'S war das Rauschen feiner Seide:
Denkst du, Aloë, noch mein?
Bist verblüht — doch mit der Zeit
Wird das Blatt zum Atlaskleid.

Schwefel-Äther

Da standen die Weisen beisammen,
Und forschten in ihrem Galen,
Sie hatten den Schwefeläther
Schon längst in
mixtura geseh'n.

Und meinten: nicht neu sei das Wunder,
Und sei auch nicht blau genug;
Denn, wenn man es analisiere,
Sei minder es Wahrheit, denn Trug.

Der Äther stumpfe die Nerven,
Der Äther betäube das Hirn,
Die Folgen würde man lesen
Bald an der geäderten Stirn. —

So stritten die alten Perücken,
Ein Einziger meinte ganz still:
Ei schenket das bißchen Vergessen
Dem Menschen; er braucht es so viel.

Braut und destillieret Mixturen,
Ihr habt ja des Plunders genug;
Den Tropfen aus Lethe vergönnet
Dem Herzen, das längst darnach schlug.

* * *

Baut Dampfer, baut Brücken und Bahnen,
Und huldigt der Industrie:
Ihr sollt uns den Äther nicht rauben
Der himmlischen Poesie!

Wir wollen euch nicht beneiden
Um euer schimmerndes Erz;
Behaltet ihr eure Maschinen,
Und laßt uns behalten — das Herz!

Das Eichhorn und die Schnecke

Ein flinkes Eichhorn sprach zur Schnecke:
Wie glücklich bist du kleines Tier!
Ich suche mühsam in der Hecke
Ein Lager vor dem Regen mir;
Du trägst dein Haus auf deinem Rücken:
O möchte Zeus mich so beglücken!

Die Schnecke sprach: Ach, du beneidest
Den Reichtum, den mir Zeus verlieh'n;
Allein mein Freund, du unterscheidest
Die Last nicht, die mir ward durch ihn.
Willst du wie ich die Bürde tragen,
Darfst du nicht durch die Wipfel jagen.

Dein ist das Reich in Waldeslüften;
Ich schleppe durch den Staub mein Haus.—

* * *

Arm fleugt hoch über Erdengrüften
Der Dichter durch das Sternenhaus;
Indes Gemeinheit sich erschlichen
Den Reichtum hat im Staub — durch Kriechen.

Der Sperling

Einst saß ein alter Ritter
Im Rathausturm zu Prag;
Ihm kündigten die Schläge
Der Uhr den letzten Tag.

Weil er die Stadt befehdet,
Liegt er in ihrem Bann;
Da wird's ihm eng im Herzen,
Er denkt: nun ist's getan!

Da schnarrt das alte Uhrwerk,
Am Turme tritt hervor
Der Tod mit seiner Hippe,
Und der Apostel Chor.

Ei, ruft der Ritter, mahnest
Du mich schon, Knochenmann? —
Und der, als wollt' er sprechen,
Hat auf den Mund getan.

Und eh' er wieder schließet
Das fleischlose Gebiß,
Da huscht ein kleiner Sperling
In's knöcherne Verließ.

Den hält der Tod im Rachen
Wohl eine ganze Stund':
Bis mit der nächsten Glocke
Er auftut seinen Mund;

Und als nun frei der Vogel
Entschwebt in's heit're Blau,
Da weint der Ritter leise:
Du armes Herz, vertrau!

Sieh', in des Todes Rachen
Lag ja der Sperling schon;
Doch hat die Stund' geschlagen,
Wo frei er flog davon.

So kann, ist auch verfallen
Mein Haupt schier jetzt dem Beil,
Die Allmacht mich befreien,
Ist es mir nur zum Heil. —

Und so ist es gekommen:
Zum Trost der Ritterschaft
Entließen frei die Prager
Den Ritter seiner Haft.

* * *

Wenn Gott dich will erretten,
So binden keine Ketten;
Liegst du im Todesrachen,
Er kann dich frei noch machen.

Der neue Hirt

Der Hirte starb
Und ruht in Gott,
Und Hans bewarb
Sich um das Brot.

Zum erstenmal
Zog er hinaus
Durch Berg und Tal,
Filax voraus.

Trotz Busch und Dorn
Geht es bergan,
Hans greift zum Horn
Und setzt es an.

Und atmet sich
Die Backen voll,
Daß männiglich
Ihn hören soll.

Wie er als Hirt
Zum erstenmal
Entzücken wird
So Berg als Tal.

Nun Hans hab' Acht!
Er stößt ins Horn,
Und Männchen macht
Der Has' im Korn;

Denn widrig wie
Das Füchs'chen heult,
Wenn ihm sein Knie
Die Falle keult,

So schrillt und pfeift
Hans durch sein Horn, —
Die Herde läuft
Und Filax vorn;

Und kleinlaut spricht
Der Virtuos:
So geht es nicht,
Ich tat zu groß.

Was nahm ich auch
Den Mund zu voll?
Fort mit dem Rauch,
Wo 's brennen soll!

Drauf setzt er sacht
Das Mundstück an,
Und wie gedacht,
So war's getan:

Voll klang und rund
Das Horn in's Tal,
Und Herd' und Hund
Gehorcht dem Schall.

* * *

Mit Heftigkeit
Kommt Niemand weit;
Ein gutes Wort
Trifft guten Ort.

Der Kornwucherer

Ein Wuchrer, der so manche Zähre
Auf dem Gewissen trug, ward krank,
Weil von dem Wurm die Winterähre
Zernagt auf seinem Felde sank.

Das Übel schien die Brust zu fassen,
Und endlich mußte Harpar sich
Doch einen Arzt bestellen lassen,
So sehr der Ärger ihn beschlich.

Der Äskulap erscheint am Bette,
Und fühlt den Puls geraume Weil'.
Ach, ruft der Kranke, Herr ich wette,
Es leidet schon ein edler Teil! —

Freund, bebt ihr nur vor dem Gedanken,
Versetzt der Arzt, entlaßt mich gleich;
Ihr zählt zu Hypochonder-Kranken,
Ein edler Teil war nie an euch!

Die beiden Bergknappen

Zwei Knappen stiegen in den Schacht;
Um zu erhellen ihre Nacht
Trug jeder eine Lampe mit,
Denn fährlich ist da jeder Schritt.

Tief in den Berg schleicht sich ein Gang,
Der Hammer klingt dort stundenlang;
Und wem hier nicht ein Lämpchen strahlt,
Um den ist es gescheh'n gar bald.

Der eine Knappe zu sich spricht:
"Weit ist der Gang, beschwer' dich nicht!
Der Schlägel und die Hau drückt schwer,
Die Lampe brauchst du da nicht mehr." —

Er stellt sie drauf am Eingang hin,
Ihr heller Schein begleitet ihn,
Indes der andre Knappe klug
Vor sich die kleine Lampe trug.

Ihm leuchtete ein Stern voran
Auf seiner ganzen dunklen Bahn,
Er war auch bald an seinem Ziel,
Und sucht' und fand des Erzes viel.

Doch dem, der an den Eingang sich
Die Lampe stellte, dem erblich
Ihr Strahl, je mehr er sich entfernt,
Bis er den Wahn erkennen lernt.

* * *

Ein gutes Werk im Testament
Ist 's Lämpchen, das da rückwärts brennt;
Ein gutes Werk noch selbst vollbracht
Strahlt dir voran im Todesschacht.

Eichel und Wespchen

In dem dunklen Waldesreiche
Hatte sich auf einer Eiche
Wespchen aufgebaut sein Nest;
Dicht am grauen Baumesstamme
Stak im feuchten Waldesschlamme
Eine junge Eichel fest.

Wespchen sah die Eichel liegen,
Und weil Schaden sein Vergnügen,
Stach es diese ungestraft
Mit dem Stachel, der ihm eigen,
Um der armen Frucht zu zeigen
Seine überleg'ne Kraft.

Und die Eichel klagte leise:
Hab' ich dir auf eine Weise
Wehgetan?— was stichst du mich?
Doch auf seines Baumes Zweige
Rief das Wespchen höhnend: Schweige!
Weil ich wollte, stach ich dich.

Bist ein Nichts mir gegenüber,
Liegst im Schlamm' der Wind weht drüber,
Und vertilgt ist deine Spur;
Während ich in Lüften schwebe,
Frei zum Äther mich erhebe,
Und durchziehe Hain und Flur.

Frei bau' ich im Waldesreiche
Mir mein Nest — "Auf einer Eiche!" —
Fiel ihm hier die Eichel ein, —
Auf dem Baum, der das gewesen
Was ich bin, du eitles Wesen; —
Doch was wirst wohl du einst sein?

Lasse uns nach hundert Jahren
Fragen, was wir beide waren,
Und was beide dann wir sind:
Ich ein Baum voll Mark und Leben,
Du? — verweht gleich Spinnenweben,
Längst nichts mehr als — Staub und Wind!

* * *

Fühlst du deines Geistes Schwingen,
Tönt dir reiner Glockenklang,
Achte nicht, was Toren singen,
Mißgunst nur ist ihr Gesang;
Denn die Welt will ewig nie
Daß du größer seist als sie! —
Strebt zur Frucht das Körnchen auf,
Sticht die Wespe wohl darauf,
Ringt der Zweig sich auf zu Eichen,
Sieh dann muß der Stachel weichen!

Die Perle

Es ging eine dunkle Sage:
Im Golfe von Tarent,
Da liege seit grauen Jahren
Ein Sternlein vom Firmament;

Da strahle die prächtigste Perle,
Wohl wert eines güldenen Throns. —
Ein alter erfahrener Taucher
Stieg hinab im Geleite des Sohns.

Der Sohn, der zum erstenmale
Als Taucher den Grund betrat,
Erschrak ob der Welt, die da unten
Sich auf vor dem Blicke ihm tat. —

Wie kann ich, dachte der Neuling,
Die Perle finden im Schlamm,
Den selbst ich hier aufgewühlet,
Indem nach dem Schatze ich schwamm. —

Und mutlos strebt er nach oben;
Doch der weisere Vater stand
Bis wieder der Schlamm sich verzogen
Am Grund, wo die Perl' er fand.

* * *

Nur Ruhe führet zur Klarheit,
Die Zeit ist die Mutter der Wahrheit.

Der Pfirsichbaum

Durch des Geländers blanke Gitterstangen
Wand sich der Gärtner einen Pfirsichbaum,
Und sah im Geiste schon die Früchte prangen,
Im zart umflaumten weichen Rosensaum.

Ach, sprach der Baum, wie beugst du meine Glieder,
Und dehnst und pressest mich so jämmerlich!
Wie stolz und frei hebt dort sein Haupt der Flieder,
Und trägt er süße Früchte so wie ich?

Freund, sprach der Gärtner, deine zarten Arme
Sind nicht umsonst ans Leidenholz gespannt,
Damit dein Herz am Lebensstrahl erwarme
Liegt offen deine Brust an dieser Wand.

Damit dein Haupt mit süßen Früchten prange,
Und nicht, wie jener Flieder tatlos sei,
Beugst du den Nacken, — doch nicht lange,
Entfesselt bist du dann — unsterblich — frei!

* * *

Wer diese Spanne Zeit, die uns beschieden,
Als Schule nützt für eine Ewigkeit,
Dem trübe nie ein Leiden seinen Frieden,
Das Schicksal finde stark ihn und bereit.

Den stolzen Nacken muß er willig beugen,
Wenn auch das Blut in seinen Kreisen starrt;
Verkannt, verfolgt, verachtet muß er schweigen,
Für ihn lacht keine frohe Gegenwart;
Die Zukunft lohnt allein dem Leidenssohne,
Und reicht ihm dort die Dulderkrone.

Kreuzschnäblein
Legende

Vor Zions Mauern grünte
Ein junger Palmenbaum;
Dort schlief, der uns entsühnte
So manchen Himmelstraum.

Ein kleiner Vogel hatte
Den Baum sich ausgesucht,
Dem bot auf einem Blatte
Der Herr wohl manche Frucht.

Es dankt der kleine Sänger
Dafür im heitern Lied,
Und sang nun um so bänger
Dann, wenn der Heiland schied.

Und einst hatt' er gesungen
Daß ihm die Stimme bricht;
Es war sein Lied verklungen,
Doch kam sein Nährer nicht.

Da schwirrt mit raschem Flügel
Der Sänger durch das Land,
Bis er auf einem Hügel
Den längst Ersehnten fand.

Doch fand er auch durchstochen
Die Hand und blutig rot,
Die manche Frucht gebrochen,
Und keine mehr nun bot.

Und ziehen will zur Stunde
Mit seinem Schnabel er
Die Nägel aus der Wunde,
Daß wieder frei der Herr.

Da kommt er nun geflogen
Und pickt so lang voll Schmerz,
Bis endlich sich gebogen
Sein Schnäblein niederwärts.

Und als den Mann voll Schmerzen,
Der ihm sein Futter gab,
Verwundet bis zum Herzen
Sie senkten in das Grab:

Da sang zum letztenmale
Das Vögelein sein Lied,
Bis mit dem letzten Schalle
Es auch vom Leben schied.

Doch lebt die Sage länger,
Wenn auch das Vöglein schwand:
Noch ist der kleine Sänger
Kreuzschnäblein zubenannt.

Die beiden Narren

Vom Irrenhause zu Paris
War einst, wie noch die Wärter wissen,
Ein Paar der Narren ausgerissen,
Weil offen man die Pforte ließ.
Doch waren sie nicht weit gelaufen,
Als einer plötzlich stille stand,
Weil er bei einem Schotterhaufen
Ein Loch, erst frisch gegraben, fand.
Es war ein Brunnen — unten war
Das Wasser schon zu sehn ganz klar.
Da sprach der Eine der Entflohnen:
Mich däucht, das Glück will uns belohnen,
Weil es so lange uns nicht lachte —
Siehst du den Diamant im Schachte? — —

Bei meinem Haupt, fiel dieser ein,
Da unten liegt ein Edelstein!
Der blitzt herauf wie rote Kohlen,
Komm, laß uns ihn vom Grunde holen! —
Doch Freund — wie da hinabzuklettern,
Und nicht die Glieder sich zerschmettern?
Entgegnet jener — Hasenfuß!
Erwidert dieser, —weißt du nicht,
Daß man Courage haben muß,
Wenn man will einen Schatz erjagen?
Und wenn man Arm und Beine bricht,
Was will dies denn auch weiter sagen? —
Man hat doch seinen Mut bewiesen,
Und wird bewundert und gepriesen. —

Wohlan, ich will hinuntersteigen —
Rief jener — und den Mut dir zeigen,
Den du bezweifelst jetzt an mir!

Ja, jubelt laut der Andre hier —
Den Diamant bring an das Licht!
O wie von uns die Welt dann spricht!
Wie sie bestaunt an uns zwei — "Narren!" —
Spricht hier der Wärter, und der Karren,
Der längst nach ihnen rollte aus,
Bringt sie zurück ins Irrenhaus. —

* * *

Sagt: gleichet nicht bis auf's Gewand
Den Narren jeder Duellant?

Der Strohhut und der Sonnenschirm

Der Strohhut sprach voll Stolzes
Zum Sonnenschirm einmal:
Mich trägt auf seinem Haupte
Das Mädchen durch das Tal;

Ich schirme vor der Sonne
Ihr zartes Wangenpaar,
Und darf gemächlich ruhen
Auf ihrem schönen Haar.

Du aber darfst von Ferne
Nur nahen ihr — gesteh',
Daß ich in höh'rer Würde
Als du bei Menschen steh? —

Der Sonnenschirm entgegnet:
Ob nahe oder fern
Wir hier dem Menschen dienen,
Hängt ab von unserm Herrn.

Wie uns sein Arm erhebet,
So ist auch unser Stand;
Wir sind nichts, als ein Werkzeug,
Gebraucht von seiner Hand.

* * *

Was prunkst du, Staubgeborner?
Sei Nabob — sei Helot:
Du bist nichts als ein Werkzeug,
Und was du bist, — durch Gott!

Der Biber

Kunstvoll stand ein Bau von Holz
Den ein Biber aufgerichtet,
Und nun rings besah mit Stolz,
Wie er Brett zu Brett geschichtet,
Wie er dran viel Schweiß verschwendet,
Bis das kühne Werk vollendet.

Und sein Weibchen sah ihm zu,
Sprach: Nun werd' ich herrlich wohnen!
O wie künstlich bautest du!
Laß uns im Palast nun thronen;
Wie besorgt bist du mein Lieber,
O du Krone aller Biber!

Nicht für uns ist der Palast, —
Sprach der Biber — Närrchen merke,
Daß mein halbes Leben fast
Ich schon widme diesem Werke,
Diene dir nur zum Beweise,
Wie ich hoch dich Teure preise.

Bis du einmal nicht mehr bist,
Will ich, daß verschlossen bleibe
Dieser Bau, der dann erst ist
Seltnes Grabmal meinem Weibe.
Sprich nun, hatte je ein Biber
In dem Fluß sein Weibchen lieber? —

Ach was nützt nach meinem Tod, —
Meinte hier das Weibchen leise —
Kämpf' ich jetzt mit Sturmesnot, —
Deine überzarte Weise?
Laß jetzt in den Bau uns lenken,
Will dir gern dein Grabmal schenken.

* * *

Wollt ihr gleichen nicht dem Biber,
Sättigt eure Dichter lieber,
Statt nach ihrem sel'gen Ende
Aufzurichten Monumente.
Denn die gute Nachwelt würde,
Säh' sie manche Mauerbürde,
Fragen: Warum starb der Mann?
Und die Antwort klänge dann —
Wer kann es der Nachwelt wehren?
Öfters nicht zu euern Ehren.