52. 
						Der Tiger, der Fuchs und der Esel 
						 
						Der Tiger, der die Untertanen 
						Sehr übel hielt, nach Weise der Tyrannen, 
						Wurde einet vom Silenstier, das nicht viel heucheln 
						kann, 
						Gescholten, was er war, ein Wüterich, ein Tyrann. 
						Dies kam dem Tiger bald zu Ohren, 
						(Und was bleibt Großen unbekannt) 
						Sie haben eine lange Hand, 
						Das Langohr ist verloren, 
						Es muß der Wahrheit Sprache büßen, 
						Und wird in Stück zerrissen. — 
						Der Höfling Fuchs, um diese schwarze Tat zu loben, 
						Sagt er: — Ihre Majestät! — von dem Tyrann 
						Sind dies gewiß wohl keine Proben, 
						Was sie aus Gnad dem Esel noch getan, — 
						Für Laster, die wie dies beschaffen, 
						Sind dies noch die geringsten Strafen. — 
						 
						Aus dieser Fabel wird erwiesen: — 
						Wie oft es schon geschehen sei, 
						Daß aus verstellter Heuchelei 
						Der Großen Bosheit ward gepriesen. 
						 
						53. 
						Die streitenden Tiere und die Schlange 
						 
						Der Adler rühmte sich: wer gleichet mir im Fluge? 
						Wer mir am Anseh'n? sprach der Löwe, 
						Das Pferd : wer mir am Zuge? 
						Wer mir an Stärke ? sagt der Elephant. — 
						Und wem ist meine Treue unbekannt? 
						Bellt nun der Hund? und wer 
						Mir am Geruche? — grunzt der Bär. 
						Und wer kann so natürlich lachen, 
						Wer traut sich alles nachzumachen, 
						Wie ich? bleckt itzt der Aff, gleich sagt der Pfau: 
						Wer hat wohl ein so schön Gefieder 
						So schlanke Frauenzimmerglieder? 
						Wie ich? — Mein! mein! wer ist so schlau? 
						Wer übertrifft mich an den Ränken, 
						An List, Betrug, und alten Schwänken, 
						Fällt ihm Reineke in die Rede! — 
						Kein Mädchen ist, wie ich so spröde? — 
						Seufzt endlich Jungfer Eule, 
						Nach einer lang gedenkten Weile: — 
						Und wer kann mir im Stehlen drein? 
						Heult Hylax dort schon mancher Wölfe Vater: — 
						Ich könnte deinesgleichen sein, 
						Versetzt hierauf ein großer grauer Kater, 
						Wer ist, wie ich, noch so gelehrt? 
						Schreit dann das Tier mit langen Ohren, 
						Von dem ich doch allzeit gehört, 
						Daß es zum Esel sei geboren. — 
						Die Schlange hörte das Geschrei! — 
						Sagt endlich: — schweigt von euren Gaben! — 
						Was nützt uns eitle Prahlerei, 
						Da wir auch unsre Mängel haben? — 
						 
						54. 
						Der 
						Jäger, die Flinte und der Fuchs 
						 
						Der Jäger sah aus den Gesträuchen, 
						Den tot geglaubten Fuchs entweichen — 
						Auf dem er in dem Walde stieß, 
						Und in dem Laufe schoß, — 
						Und klaget itzt die arme Flinte an, — 
						Die Flinte spricht: was kann denn ich dafür? 
						Dies hast ja du getan! — 
						Dann sagt der Fuchs: — vergib es ihr — 
						Man kann ja viele zählen, 
						Die oft aus fremder Schuld fehlen. 
						 
						55. 
						Der Adler und 
						die Nachtigall 
						 
						Der Adler, der sich durch die Lüfte schwang, 
						Und bis zu Zeusens Wohnsitz drang 
						Bis zu den allerhöchsten Eichen, 
						Ersah bei einem Wasserfall, 
						Die einsam stille Nachtigall, 
						In niedrigen Gesträuchen. — 
						Wie lange sagt er nun zu ihr, 
						Muß dir so einsam und allein 
						Die durchgeseufzte Zeit nicht sein, 
						In diesen öden Wüsteneien? 
						Wie sehr erbarmst du mir! — 
						Ich wohne nur in den Palästen! — 
						Und dennoch ist's mir nicht am besten — 
						Und wenn ich mitten unter Göttern bin, 
						Fließt mir doch manche Stunde langsam hin! — 
						Mir nicht, — sagt itzt die Philomele! 
						Mir sind die Stunden niemals lang! 
						Denn mein ermunternder Gesang 
						Und diese frische Silberquelle 
						Die von dem nahen Felsen fließt 
						Verkürzet mir die lange Weilen, 
						Und täglich denk ich mir! — 
						Und rat es auch zu denken dir, 
						Wer weit von Göttern ist, 
						Ist weit von Donnerkeilen. 
						 
						56. 
						Der Löwe und der 
						Tiger 
						 
						Das Tigertier beklagte sich 
						Als in den öftern Königswahlen, 
						Die Stimmen für den Löwen ausgefallen! 
						Warum, warum, sprach er erzürnt zum Löwen, 
						Hat man die Krone dir gegeben? 
						Warum nahm man nicht mich? 
						Da ich doch schöner bin, als du! 
						Da sprach der Löwe: — dies geb ich zu — 
						Allein da kommt's nicht auf die Schönheit an! — 
						Die Krone wird nur dem gegeben, 
						Der mehr geliebt wird, 
						Der weislicher regiert, 
						Der mächtiger, und klüger ist: dem Löwen. 
						 
						57. 
						Der Wolf und die 
						Statue 
						 
						Dem Wolf gab es die Reue so ein, 
						In Frau Dianens Wunderhain 
						Mit bloßen Büßerfuß zu gehen, 
						Und sie um Gnade anzuflehen, — 
						Auf seinen Knien weinte er, 
						Und seufzte tausend Schutzgebete her! 
						Verzeih mir meine schwere Sünden, 
						Und laß mich Gnade finden! 
						Heult er: O Schutzfrau aller Wälder! — 
						Der Haine, Fluren, Gärten, Felder! — 
						Die Statue versetzte nun: 
						Wenn du willst Buße tun — 
						So laß dir meine Meinung sagen, 
						Du mußt zur Göttin selbst geh'n; — 
						Denn itzt in unseren aufgeklärten Tagen, 
						Hält man nicht mehr viel auf die Statuen. 
						 
						58. 
						Der Wolf und der 
						Fuchs 
						 
						Der Fuchs wurd einst in dem Verhöre, 
						In dem der Wolf der Advokate war, 
						Verklagt sehr streng und sonnenklar, 
						Daß er ein Dieb und Räuber wäre. — 
						Man läßt ihn zum Gerichte ziehn, 
						Und prozessierte wider ihn. — 
						Allein wer wird die Praxis fassen? 
						(Der Wolf ist doch dem Fuchs geneigt) 
						Er wird des Diebstahls überzeugt! 
						Und denn zur Strafe — losgelassen. 
						 
						59. 
						Die 
						Nachteule und der Sperling 
						 
						Du! vierzehn Tage noch, 
						Noch vierzehn Tage bleibt mit Regenwogen 
						Der Sonne Antlitz überzogen, 
						Dies sagte mir ein Mathematiker, 
						Der es am Himmel und Barometer 
						Die allemal zusammen geh'n, 
						So sicher und gewiß geseh'n, 
						So prophezeit die kluge Eule 
						Dem Sperling manche Weile. — 
						Er sprach: — O Nachbarin! — nicht doch! — 
						Was vierzehn, — vierzehn Tage noch? — 
						Dies, glaub ich, wird wohl nicht gescheh'n, 
						Sonst müßte es ja im Kalender steh'n? — 
						 
						60. 
						Der Mensch zu 
						einer Straße 
						 
						Ein Wandersmann beschwerte sich 
						Bei einer Straße, die ihn trug, 
						Und sich in manche Zirkeln schlug, 
						So, daß er mußte manche Meilen 
						Vom ausgesteckten Ziel verweilen. — 
						Wie! — sprach er müde, — lasse mich 
						Doch endlich deiner Last entkommen! — 
						Die Straße, als sie ihn vernommen, — 
						Sagt itzt! — warum beklagst du dich? — 
						Wärst du ein Philosoph der ältern Zeiten, 
						Du würdest denn mit größten Freuden, 
						Mich dieser Leute echtes Bildnis lieben, 
						Und dich in meinen Zirkeln üben. — 
						 
						61. 
						Die Biene und die 
						Wespe 
						 
						Der Bienen, die die Ruhe flieh'n, 
						Der Himett'sbürger Königin, 
						Da sie im frühen Morgenflug 
						Aurorens taue Perlenquelle, 
						Der Blumensäfte Raub in ihre Zellchen trug, 
						Traf an der Türes Schwelle 
						Die fette Wespe an, 
						Die den gekochte Honig raubte, 
						Was alle Wespen noch getan, 
						Die sich vom fremden Schweiße nähren, 
						Und das, was andre sammeln, zehren. — 
						Das Bienchen sagte nun zu ihr: 
						Du träges, und unnützes Tier! — 
						Was geht denn dich der Honig an, 
						Den keine Wespe machen kann? — 
						Zeus strafe dich! — was soll ich nun 
						Mit dir, du Räuberin! — am Ende tun? — 
						Ich rächte mich an dir! — wenn ich nicht glaubte, 
						Daß neben dir, und deinem Mann und Kind 
						Auch Menschen eures Gleichen sind. 
						 
						62. 
						
						Der Löwe, der Fuchs, der Affe und der Esel 
						 
						Der Esel wollte es probieren, 
						Die Rechte zu studieren, 
						Der Fuchs Theologie 
						Der Affe die Poesie. — 
						Der Handel kam nun für den Löwen, 
						Der hatte den Bescheid gegeben: — 
						Für Esel, Füchse, und für Affen 
						Sind Rechte und Theologie 
						Am mehr'sten noch Poesie 
						Auf Gottes Erde nicht erschaffen. 
						 
						63. 
						Die Nachtigall 
						 
						Die Philomele seufzte bei einem Silberbach 
						Die stillen Abendklagen in ihrem Baumgemach. 
						Sie sieht die Spiegelquelle, und sieht darin ihr Bild, 
						Und Echo wirft die Töne zurück in das Gefild. — 
						Sie singet, und das Bildnis im Spiegelchen des Baches, 
						Ahmt mit der Schattenkehle ihr in der Wette nach, 
						Sie staunt, — und hält den Schatten für eine Nachtigall, 
						Die ihr im Singen gleiche, und fühlt hierüber Qual. 
						Sie spannt, von Neid gelocket, itzt alle Kräfte an, 
						Und will vor Schmerz erblassen, wenn sie's nicht besser 
						kann, 
						Es wirbelt ihre Kehle bedeckt vom Sträucherdach, 
						Und schlägt die längsten Triller, — das Bild schlägt sie 
						auch nach. 
						Zuletzt, als sie vergebens sich stundenlang bekriegt, 
						Und sich durch eignes Echo mit halben Ton betrügt, 
						Stürzt sie vor Wut ins Wasser zu ihrem Bild hinab, 
						Und findet bei dem Schatten, vom Strom ersäuft, ihr 
						Grab. 
						Die Schwester sah's, und deckte die nasse Leiche zu, 
						Und wünscht der kalten Asche gefühlvoll Heil und Ruh, 
						Sie weinte eine Träne; — und ihre Grabschrift hieß: 
						Hier liegt sie, die vom Irrtum sich so betören ließ. — 
						 
						Hört ihre Leichgeschichte! hört sie auch, Schwestern, an, 
						— 
						Und lernt, was Ruhmbegierde, was Neid und Lobsucht kann, 
						Die blasse Schwester modert hier an dem Rand des Bach. — 
						Tun's nicht auch viele Menschen dem armen Vogel nach? — 
						 
						64. 
						Etwas und Nichts 
						 
						Erst neulich sah ich was, — 
						Was meinst du, was ist das, — 
						Es ist nicht groß und ist nicht klein, 
						Es ist nicht schmal und ist nicht breit 
						Es nicht eng und ist nicht weit, 
						Was muß wohl dieses sein? — 
						Es ist nicht nichts und ist nicht was, 
						Nicht Erz nicht Holz nicht Gold nicht Glas, 
						Nicht kurz, nicht lang, 
						Nicht schwarz, nicht weiß, 
						Nicht kalt, nicht heiß, 
						Und doch ist es im Gang. — 
						Was muß dies sein? — 
						Du sagst mir: — ein Gedicht! — 
						Ich aber sage, Nein! — 
						Was denn? — das weiß ich nicht! — 
						Doch wenn ich's recht beim Licht anseh, 
						So ist es was aus der Philosophie. 
						 
						65. 
						Die Elster und 
						die Lerche 
						 
						Die Lerche konnte das Geschrei 
						Der tollen Elster nicht mehr hören! — 
						Und wollte ihr die wilde Sängerei, 
						Das abgeschmackte Krächzen wehren, 
						Das wiederholte Einerlei. — 
						Sie sagte denn: — du müdes Tier! — 
						Du kommst mir just, wie jene Dichter vor, — 
						Die ihre Sklavin Muse zwingen, 
						Das alte immer herzusingen, — 
						Und die nichts mehr zu reimen wissen, 
						Als Mädchen, Liebe, Wein und Küssen. — 
						 
						66. 
						Der Strauß und 
						der Papagei 
						 
						Der Strauß fand ein Paßquill,* 
						Ein Ding, daß itzt zu unsern Zeiten 
						Von müßigen und schwärmerischen Leuten, 
						Ein alletag Ding ist, 
						Daß zum elenden Zeitvertreibe 
						Der Adel bis zum Wäscherweibe 
						Und selbst, der's nicht versteht, gern liest; — 
						Er zeigte es dem Papagei, 
						Der fragte ihn, was dieses sei? 
						Die Antwort war: dies wäre ein Paßquill: — 
						So, ein Paßquill? — auf wen? — 
						Auf den, — und den — und wieder den — 
						Dies ist doch viel! — 
						Wie! — laß mich's seh'n! — — 
						Wer alle denn darinnen stehn? — — 
						Da heißts: — Wenn alle Paßquillisten 
						Am Galgen hangen müßten, 
						So würde dies, dem, den sie treffen freu'n, — 
						Stellt Müßiggeher, und Schurken ein! — 
						So wird bald kein Paßquill mehr sein, 
						 
						*Paßquill 
						ist eine Schmäh- oder Spottschrift, die verfaßt wird, 
						um eine 
						bestimmte Person zu verleumden oder in ihrer Ehre zu 
						verletzen. 
						 
						67. 
						Die Eule und der Aff 
						 
						Die Eule schrieb zween Bögen 
						(Ich weiß nicht was)und ließ sie verlegen. — 
						Nun fragte sie der Aff, und spricht: 
						Wem sie ihr kleines Werkchen weih, 
						Und ob ein Vorbericht — wohl auch am Anfang sei. — 
						Sie sprach: Du Tor! zween Bögen dediziert man nicht, 
						Ich sah zwar schon von dieser Art 
						Erst neulich eine Schlittenfahrt! — — 
						Wo Vorbericht und rab'nerische Noten 
						Mir Stoff zum Lachen dargeboten. 
						 
						 
  |