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Lieder
Teil 2
 


 

Heinrich von Morungen
Minnesänger der Zeit um 1200.

Man setzt ihn mit dem 1217 und 1218 in Urkunden Dietrichs v. Meißen genannten
"miles Hendricus de Morungen" gleich, der von dem Markgrafen eine Pension als "miles meritus" erhielt.

Die Lyrik des Heinrich von Morungen ist um Grade leuchtender, leidenschaftlicher und ungestümer,
als man es sonst im Minnesang gewöhnt ist. Er ist auch der erste deutsche Minnesänger,
der es wagt die gepriesene Frau direkt anzureden!
In seiner Lyrik spürt man, wie die Persönlichkeit der Geliebten ihn verzaubert; dabei ist er ebenso
von ihrer körperlichen Schönheit beeindruckt wie von ihren sittlichen Vorzügen.

Auch das ist neu im deutschen Minnesang! Die weibliche Schönheit detailiert zu sehen und zu
beschreiben ist bis dahin die Eigentümlichkeit der provenzialischen und mittellateinischen Lyrik.
Die deutsche Lyrik hingegen schildert die inneren Vorzüge.

Quelle:
©Reclam 2003 - Heinrich von Morungen/Lieder/Text, Übersetzung und Kommentar von ©Helmut Tervooren.

 
Lieder
Teil 1

 

Lied 1

Dieses Lied ist ein reines Preislied, wie es zuvor im deutschen Minnesang kein Gegenstück hat.
Die Adressantin dieses Gedichtes soll Kaiserin Beatrix von Burgund, die Gattin Friedrichs I.
Barbarossa gewesen sein.

 

1.
Si ist ze allen êren ein wîp wol erkant,
schoener gebaerde, mit zühten gemeit,
sô daz ir lop in dem rîche umbe gêt.
alse der mân wol verre über lant
liuhtet des nahtes wol lieht unde breit,
sô daz sîn schîn al die welt umbevêt,
Als ist mit güete umbevangen diu schône.
des man ir jêt,
si ist aller wîbe ein krône.

2.
Diz lop beginnet vil vrouwen versmân,
daz ich die mîne vür alle andriu wîp
hân zeiner krône gesetzet sô hô,
unde ich der deheine ûz genomen hân.
des ist vil lûter vor valsche ir der lîp,
smal wol ze mâze, vil fier unde vrô.
Des muoz ich in ir genâden belîben,
gebiutet si sô,
mîn liebest vor allen wîben.

3.
Got lâze sî mir vil lange gesunt,
die ich an wîplîcher staete noch ie vant,
sît si mîn lîp ze einer vrowen erkôs.
wol ir vil süezer - vil rôt ist ir der munt,
ir zene wîze ebene - verre bekant,
durch die ich gar alle unstaete verkôs,
Dô man si lobte als reine unde wîse,
senfte unde lôs;
dar umbe ich si noch prîse.

4.
Ir tugent reine ist der sunnen gelîch,
diu trüebiu wolken tuot liehte gevar,
swenne in dem meien ir schîn ist sô klâr.
des wirde ich staeter vröide vil rîch,
daz überliuhtet ir lop alsô gar
wîp unde vrowen die besten vür wâr,
Die man benennet in tiuschem lande.
verre unde nâr
sô ist si ez, diu baz erkande.

 

1.
Sie ist eine Frau, von der bekannt ist, daß sie
sich in jeder Beziehung auszeichnet, voll Anmut
in ihren Gebärden, heiter und dabei zugleich
zurückhaltend, so daß ihr Preis im ganzen
Reich erschallt. Wie der Mond in der Nacht weit
über das Land leuchtet, so hell und so voll, daß
sein Glanz die ganze Welt umfängt, ebenso ist die
Schöne von Vollkommenheit umstrahlt. Deshalb
sagt man von ihr: Sie ist die Krone aller Frauen.

2.
Ebendieser Preis, in dem ich meiner Herrin die
Krone zugesprochen und sie, ohne eine Ausnahme
zu machen, hoch über alle anderen Frauen gestellt
habe, erregt bei vielen Frauen Ärgernis. Aber wirklich:
Sie ist so gänzlich frei von jedem Makel, schlank,
wie eine Frau sein soll, sehr stolz und heiter.
Darum muß ich in ihrem Dienste bleiben,
wenn sie, die mir die liebste von allen
Frauen ist, es so befiehlt.

3.
Gott möge sie mir recht lange gesund erhalten:
Seit ich sie zu meiner Herrin erwählte, verhielt
sie sich noch stets, wie es sich für Frauen geziemt.
Ihr gebührt der Preis! Sie ist bezaubernd - leuchtend
rot ist ihr Mund, ihre Zähne gleichmäßig und
strahlend – ihr Ruf ist weithin gedrungen.
Ihretwegen gab ich alle meine Unbeständigkeit auf,
als man sie rühmte, sie sei makellos, klug, freundlich
und voller Anmut. Darum besinge ich sie noch heute.

4.
Ihre vollkommene Lauterkeit gleicht der Sonne,
die dunklen Wolken hellen Glanz verleiht,
wenn im Frühling ihr Licht klar erstrahlt.
Darum wird mir beständige Freude
in reichem Maße zuteil:
Ihr Ruhm überstrahlt selbst die besten
– ob Frau, ob Herrin -,
die man in deutschen Landen nennt.
Fern und nah, sie ist die Berühmteste!

 

Lied 2
 

1.
Mîn liebeste und ouch mîn êrste
vreude was ein wîp,
der ich mînen lîp
gap ze dienste iemer mê,
daz hôhste und ouch daz hêrste
an dem herzen mîn,
seht, daz muoz si sîn,
der ich selten vrô gestên.
Ir tuot leider wê
beide mîn sprechen und mîn singen.
des muoz ich an vreuden mich nu twingen
unde trûren, swar ich gê.

2.
Waer ir mit mîme sange
wol, sô sunge ich dir.
sus verbôt siz mir,
und ir taete mîn swîgen baz.
nu swîge aber ich ze lange.
solde ich singen mê,
daz taet ich als ê.
wie zimt mîner vrouwen daz,
daz si mîn vergaz
und verseite mir ir hulde?
ôwê des, wie rehte unsanfte ich dulde
beide ir spot unde ouch ir haz!

3.
Nu râtent, liebe vrouwen,
waz ich singen muge,
sô daz ez iuch tuge!
sanc ist âne vreude kranc.
ich enhân niht wan ein schouwen
von ir und den gruoz,
den si teilen muoz
al der welte sunder danc.
Diu zît ist ze lanc
âne vreude und âne wunne.
nû lâ sehen, wer mich gelêren kunne,
daz ich singe niuwen sanc!

4.
Vil wîplîch wîp, nu wende
mîne sende klage,
die ich tougen trage,
dû weist wol, wie lange zît.
ein saelden rîchez ende,
wirt mir daz von dir,
sô siht man an mir
vröide âne allen widerstrît,
sît daz an dir lît
mînes herzen hôchgemüete.
maht du troesten mich dur wîbes güete,
sît dîn trôst mir vröide gît?

5.
Ich sihe wol, daz mîn vrouwe
mir ist vil gehaz.
doch versuoche ichz baz,
in verdiene ir werden gruoz.
des ich ir wol getrouwe,
daz hât sî versworn.
ir ist leider zorn,
daz ichz der werlte künden muoz,
daz ich niemer vuoz
von ir dienste mich gescheide,
ez kom mir ze liebe alder ze leide.
lîhte wirt mir swaere buoz.

 

1.
Meine liebste und auch meine erste
Freude war die Frau,
in deren Dienst ich mich
für alle Zeit gestellt habe.
Das Höchste und Erhabenste
in meinem Herzen
muß sie sein, derentwegen ich selten froh bin.
Leider bereitet ihr mein Dichten
und mein Singen Schmerz.
Daher muß ich mich jetzt in meiner
Freude beschränken und betrübt sein,
wohin ich auch gehe.

2.
Fände sie an meinem Gesang Gefallen,
dann sänge ich für sie;
so aber hat sie es verboten und gesagt,
mein Schweigen sei für sie besser.
Jetzt dauert ihr mein Schweigen aber zu lange.
Sollte ich weiterhin singen,
ich täte es wie vordem.
Wie steht es meiner Herrin an,
mich zu vergessen
und mir ihr Wohlwollen zu entziehen.
O weh, mit welchem Schmerz ertrage ich
neben ihrem Spott auch noch ihre Abneigung.

3.
Nun gebt mir einen Rat, liebenswerte Damen,
was ich singen kann,
so daß es euch gefällt.
Sang ohne Freude ist wertlos.
Sie hat für mich nur Blicke
und den Gruß, den sie ohnehin
jedermann zukommen lassen muß,
ob sie will oder nicht.
Die Zeit ohne Freude und ohne Glück
vergeht langsam. Nun laßt sehen,
wer es versteht, mich so zu belehren,
daß ich eine neue Art von Liedern anstimme.

4.
Du Inbegriff der Frau,
heile meinen Liebesschmerz,
den ich heimlich – du weißt schon,
wie lange – trage.
Machst du mich am Ende noch glücklich,
dann sieht man mich
in ungetrübter Freude,
denn von dir allein hängt
die frohe Stimmung meines Herzen ab.
Kannst du mich trösten
durch deine Güte,
da nur dein Trost mir Frohsinn schenkt?

5.
Ich sehe deutlich, daß meine Herrin
eine große Abneigung gegen mich hegt.
Dennoch werde ich es aufs neue versuchen,
ob ich nicht doch ihren teuren Gruß verdiene.
Sie hat geschworen, das nicht zu tun,
was – wie ich weiß – sie wohl könnte.
Leider erzürnt es sie, daß ich der
Welt mitteilen muß, niemals auch nur
einen Fuß aus ihrem Dienst zu treten
- gleichgültig, ob es mir nun
Freude oder Leid bringen wird.
Vielleicht wird mir mein Schmerz noch vergolten.

 

Lied 3

Strophe 1/5-8. Der Vergleich hat einen doppelten Bezug:
1) Der Dichter setzt sich mit dem Mond gleich, die Geliebte mit der Sonne.
2) Das Herz des Dichters ist der Mond, die Blicke der Dame die Sonnenstrahlen.

Das Verhältnis Sonne-Mond wird im deutschen Minnesang zuerst von Heinrich von Veldeke übertragen.

 
1.
Het ich tugende niht sô vil von ir vernomen
und ir schoene niht sô vil gesehen,
wie waere sî mir danne alsô ze herzen komen?
ich muoz iemer dem gelîche spehen,
als der mâ'ne tuot, der sînen schîn
von des sunnen schîn enpfât,
als kumt mir dicke
ir wol liehten ougen blicke
in daz herze mî'n, dâ si vor mir gât.

2.
Gênt ir wol liehten ougen in daz herze mîn,
sô kumt mir diu nôt, daz ich muoz klagen.
solde aber ieman an im selben schuldic sîn,
sô het ich mich selben selbe erslagen,
dô ichs in mîn herze nam
und ich sî vil gerne sach
- noch gerner danne ich solde -,
und ich des niht mîden wolde,
in hôhte ir lop, swâ manz vor mir sprach.

3.
Mîme kinde wil ich erben diese nôt
und diu klagenden leit, diu ich hân von ir.
waenet si danne ledic sîn, ob ich bin tôt,
ich lâze einen trôst noch hinder mir,
daz noch schoene werde mîn sun,
daz er wunder an ir begê,
alsô daz er mich reche
und ir herze gar zerbreche,
sô' sî'n sô rehte schoenen sê.

 
1.
Hätte ich nicht so vieles von ihren Vorzügen
gehört und so viel von ihrer Schönheit gesehen,
wie hätte sie dann so sehr mein Herz bedrängen
können? Ich muß immer schauen
wie er, der Mond, welcher sein
Leuchten von der Sonne Licht empfängt,
genau so fällt der strahlende
Glanz ihrer Augen in mein Herz,
wo sie vor mir geht.

2.
Dringen ihre hell leuchtenden Augen in mein Herz,
dann ergreift mich die Qual, so daß ich Klage erheben
muß. Wäre es möglich, daß sich ein Mensch an sich
selbst verginge, dann hätte ich mich damals selbst
getötet, als ich sie in mein Herz ließ und sie so gerne
anschaute – viel lieber, als ich es hätte tun sollen -
und ich nicht davon ablassen wollte, das Lob auf sie
noch zu steigern, wo immer man es in meiner
Gegenwart aussprach.

3.
Meinem Kinde werde ich diese Qual vererben,
dazu alle Klagen und alles Leid, das ich
ihretwegen habe. Glaubt sie nach meinem
Tode, sie sei frei, so hinterlasse ich doch
etwas, das mir Hoffnung und Trost schenkt:
Mein Sohn möge so schön werden, daß er das
Unglaubliche an ihr zustande bringt, nämlich, mich
zu rächen und ihr Herz ganz zu brechen,
wenn sie ihn in seiner vollen Schönheit erblickt.

 
Lied 4
 

1.
In sô hôher swebender wunne
sô gestuont mîn herze ane vröiden nie.
ich var, als ich vliegen kunne,
mit gedanken iemer umbe sie,
sît daz mich ir trôst enpfie,
der mir durch die sêle mîn
mitten in daz herze gie.

2.
Swaz ich wunneclîches schouwe,
daz spile gegen der wunne, die ich hân.
luft und erde, walt und ouwe
suln die zît der vröide mîn enpfân.
Mir ist komen ein hügender wân
und ein wunneclîcher trôst,
des mîn muot sol hôhe stân.

3.
Wol dem wunneclîchem maere,
daz sô suoze durch mîn ôre erklanc,
und der sanfte tuonder swaere,
diu mit vröiden in mîn herze sanc,
dâ von mir ein wunne entspranc,
diu vor liebe alsam ein tou
mir ûz von den ougen dranc.

4.
Saelic sî diu süeze stunde,
saelic sî diu zît, der werde tac,
dô daz wort gie von ir munde,
daz dem herzen mîn sô nâhen lac,
daz mîn lîp von vröide erschrac,
un enweiz von liebe joch,
waz ich von ir sprechen mac.

 

1.
In einem so gewaltigen Glückstaumel
schwebte mein Herz noch nie,
niemals noch war es so voller Freude.
Ich kreise, gleich als ob ich fliegen könnte,
in Gedanken stets um sie, wie ein
ermutigendes Wort von ihr kam, welches
durch meine Seele mitten in das Herz drang.

2.
Alles, was ich an Behaglichkeit schaue,
spiegele sich wider in dem Lustgefühl,
das ich empfinde! Himmel, Wald und Aue
sollen den Frühling meiner Freude begrüßen.
Zu mir ist eine freudige Hoffnung
und eine beseligende Zuversicht gedrungen.
Darum soll mein Herz empor sich schwingen.

3.
Gepriesen sei die freudespendende Nachricht,
die so lieblich in meinem Ohr klang,
gepriesen der so angenehm wirkende Schmerz,
der zugleich so freudevoll sich in mein
Herz senkte. Daraus entsprang
ein Entzücken, das mir wie der
Tau vor Freude aus den Augen perlte.

4.
Gepriesen sei die beglückende Stunde,
gepriesen der Frühling, der hohe Tag,
da das Wort von ihrem Munde kam,
das mir so sehr am Herzen lag,
daß ich vor Freude erschrak
und vor Entzücken nicht weiß,
was ich von ihr sagen kann.

 

Lied 5
 

1.
Von den elben wirt entsehen vil manic man,
sô bin ich von grôzer liebe entsên
von der besten, die ie dehein man ze vriunt gewan.
wil aber sî dar umbe mich vên
Und ze unstaten stên,
mac si danne rechen sich
und tuo, des ich si bite. sô vreut si sô sêre mich,
daz mîn lîp vor wunnen muoz zergên.

2.
Sî gebiutet und ist in dem herzen mîn
vrowe und hêrer, danne ich selbe sî.
hei wan muoste ich ir alsô gewaltic sîn,
daz si mir mit triuwen waere bî
Ganzer tage drî
unde eteslîche naht!
sô verlür ich niht den lîp und al die maht.
jâ ist sie leider vor mir alze vrî.

3.
Mich enzündet ir vil liehter ougen schîn,
same daz viur den durren zunder tuot,
und ir vremeden krenket mir daz herze mîn
same daz wazzer die vil heize gluot.
Und ir hôher muot
und ir schoene und ir werdecheit
und daz wunder, daz man von ir tugenden seit,
daz wirt mir vil übel - oder lîhte guot?

4.
Swenne ir liehten ougen sô verkêrent sich,
daz si mir aldur mîn herze sên,
swer dâ enzwischen danne gêt und irret mich,
dem muoze al sîn wunne gar zergên!
Ich muoz vor ir stên
unde warten der vröiden mîn
rehte alsô des tages diu kleinen vogellîn.
wenne sol mir iemer liep geschên?

 

1.
So mancher Mann wird von Elben bezaubert, ebenso
bin ich bezaubert durch die berückende Anmut, die
einer Frau zu eigen ist, wie man keine vortrefflichere
je zur Geliebten gewonnen hat. Will sie mich aber
darum feindlich behandeln und ins Unglück stürzen,
dann mag sie Rache nehmen, und zwar möge sie das
tun, worum ich sie bitte. Damit schenkt sie mir solche
Freude, daß ich vor Wonne sterben muß.

2.
Sie gebietet und ist Herrin in meinem Herzen,
mächtiger, als ich selbst es bin.
Ach, könnte ich doch einmal
eine solche Macht über sie ausüben,
daß sie, mir ergeben, drei volle Tage
und manche Nacht bei mir weilte.
Dann verlöre ich nicht das Leben und alle Kraft.
Ja, sie ist leider allzu unabhängig von mir.

3.
Der strahlende Glanz ihrer Augen
entflammt mich wie das Feuer den dürren
Zunder, und ihre Zurückhaltung tut
meinem Herzen weh wie das Wasser
der so heißen Glut. Ihr hoher Sinn, ihre Schönheit,
ihr Wert und was man sonst aus der Fülle
ihrer Vorzüge rühmt, bedeutet für mich Unheil -
oder vielleicht auch mein Glück?

4.
Wenn sich einmal ihre strahlenden Augen
so auf mich richten, daß sie ganz durch
mein Herz dringen, wer immer dann
dazwischentritt und mich stört, dem möge
all seine Freude zerfließen! Ich muß vor ihr
stehen und auf meine Freude warten, ganz wie
die kleinen Vögel auf den Tag.
Wann wird mir je Freude widerfahren?

 

Lied 6
 

1.
West ich, ob ez verswîget möhte sîn,
ich lieze iuch sehen mîne schoene vrouwen.
der enzwei braeche mir daz herze mîn,
der möhte sî schône drinne schouwen.
Si kam her dur diu ganzen ougen
sunder tür gegangen.
ôwê, solde ich von ir süezen minne sîn
als minneclîch enpfangen!

2.
Der sô lange rüeft in einen touben walt,
ez antwürt im dar ûz eteswenne.
nûist diu klage vor ir dicke manicvalt
gegen mîner nôt, swie sis niht erkenne.
Doch klaget ir maniger mînen kumber
vil dicke mit gesange.
ôwê, jâ hât sî geslâfen allez her
adler geswigen alze lange.

3.
Waerein sitich alder ein star, die mehten sît
gelernet hân, daz si spraechen "minnen".
ich hân ir gedienet her vil lange zît.
mac sî sich doch mîner rede versinnen?
Nein sî, niht, got enwelle ein wunder
vil verre an ir erzeigen.
jâ möht ich sît einen boum mit mîner bete
sunder wâpen nider geneigen.

 

1.
Wüßte ich, ob es verschwiegen bleiben könnte,
dann ließe ich euch meine schöne Herrin sehen.
Wer mir mein Herz in zwei Stücke bräche,
der könnte sie darinnen in ihrer Schönheit erblicken.
Sie ist durch die Augen hierher gekommen,
ohne sie zu verletzen, ohne Tür.
Ach, würde ich von ihrer gütigen Liebe
ebenso liebevoll empfangen!

2.
Wenn einer so lange in einen tauben Wald riefe,
so käme ihm daraus doch einmal eine Antwort.
Nun ist die Klage, vergleicht man sie mit meiner
Qual, in vielerlei Variationen vor ihr erklungen,
wiewohl sie nichts davon bemerkt.
So mancher klagte ihr auch recht oft
meine Not mit Gesang. Ach, sie hat fürwahr
immer geschlafen oder allzu lange geschwiegen.

3.
Ein Sittich oder ein Star hätten während dieser Zeit
lernen können, "minnen" zu sagen. Ich habe bisher
sehr lange Zeit in ihrem Dienst verbracht. Vermag
sie sich auch nur an meine Worte zu erinnern?
Nein, sie kann es nicht, wenn Gott nicht bald ein
Wunder an ihr will offenbar werden lassen. Fürwahr,
ich hätte in all der Zeit einen Baum allein durch
meine Bitte ohne Werkzeug niederbeugen können.

 

Lied 7

Strophe 1/1-4. Diese Verse formulieren den Gegensatz 'schweigen-singen', der für das ganze Lied
charakteristisch ist.

 

1.
Ez ist site der nahtegal
swanne si ir liep volendet, sô geswîget sie.
dur daz volge aber ich der swal,
diu durch liebe noch dur leide ir singen nie verlie.
Sît daz ich nu singen sol,
sô mac ich von schulden sprechen wol:
"ôwê,"
daz ich ie sô vil gebat
und gevlêhtean eine stat,
dâ ich genâden nienen sê."

2.
Swîge ich unde singe niet,
sô sprechent sî, daz mir mîn singen zaeme baz.
sprich aber ich und singe ein liet,
sômuoz ich dulden beide ir spot und ouch ir haz.
Wie sol man den nû geleben,
die dem man mit schoener rede vergeben?
ôwê,
daz in ie sô wol gelanc,
und ich lie dur si mînen sanc!
ich wil singen aber als ê.

3.
Owê mîner besten zît
und owê mîner liehten wunneclîchen tage!
waz der an ir dienste lît!
nu jâmert mich vil manger senelîcher klage,
die si hât von mir vernomen
und ir nie ze herzen kunde komen.
ôwê,
mîniu gar verlornen jâr!
diu riuwent mich vür wâr.
in verklage si niemer mê.

4.
Ir lachen und ir schoene ansehen
und ir guot gebaerde hânt betoeret lange mich.
in kann anders niht verjehen.
swer mich ruomes zîhen wil, vür wâr, der sündet
sich. Ich hân sorgen vil gepflegen
und den vrouwen selten bî gelegen,
ôwê,
wan daz ich si gerne an sach
und in ie daz beste sprach,
mir enwart ir nie niht mê.

5.
Ez ist niht, daz tiure sî,
wan habe ez deste werder, wan den getriuwen
man. der ist leider swaere bî.
er ist verlorn, swer nû niht wan mit triuwen kan.
Des wart ich vil wol gewar,
wand ich ir mit triuwen ie diente dar.
owê,
daz ich triuwen nie genôz!
des stên ich vröiden blôz.
doch diene ich, swie ez ergê.

6.
Ob ich si dûhte hulden wert,
sôn möhte mir zer werlte lieber niht geschên.
het ich an got sît genâden gert,
sin könden nâch dem tôde niemer mich vergên.
Herumbe ich niemer doch verzage.
ir lop, ir êre unz an mîn ende ich singe und sage.
waz,
ob si sich bedenket baz?
unde taete si liebe daz,
sô verbaere ich alle klage.

 

1.
Es ist Art der Nachtigall zu verstummen,
wenn sich die Freuden der Liebe dem Ende
zuneigen. Darum folge ich aber dem Beispiel
der Schwalbe, die weder in Freude noch in Leid
ihr Singen ließ. Da man nun von mir Lieder
verlangt, kann ich wohl mit vollem Recht sagen:
Wehe mir,
daß ich stets so inständig gebeten habe
und meine Wünsche dorthin richtete,
wo ich Erfüllung nie sehen werde.

2.
Schweige ich und singe nicht,
dann sagen sie, mir stünde es besser an zu singen.
Äußere ich mich aber und singe, ein Lied dann
muß ich ihren Spott und ihren Haß ertragen.
Wie soll man sich nun denen gegenüber verhalten, die
ihrem Mitmenschen mit schönen Worten Gift reichen?
Wehe,
daß sie einen so großen Erfolg hatten
und ich ihretwegen meinen Gesang aufgab.
Ich will wieder singen wie vordem.

3.
Ach, meine beste Zeit,
ach, meine hellen Tage voller Freude!
Wie viele habe ich in ihrem Dienst verbracht!
Jetzt ist es mir leid um so manches
klagende Lied, das zwar von mir bis an ihr
Ohr drang, aber ihr nie ans Herz greifen konnte.
Ach,
meine sinnlos vertanen Jahre,
die reuen mich fürwahr!
Niemals werde ich aufhören, darüber zu klagen.

4.
Ihr Lächeln, ihr freundlicher Anblick
und ihr vollkommenes Benehmen haben mich
lange Zeit betört. Anders vermag ich nichts zu
berichten. Wer mir Prahlerei vorwerfen will, wahrlich,
der versündigt sich. Sorgen haben mich oft
bedrückt und mit den Frauen habe ich nie geschlafen.
O weh!
Gleichwohl ist es so, daß ich sie mit Freuden sah
und stets das beste von ihnen sagte.
Mehr wurde mir von ihnen nicht zuteil.

5.
Alles, was selten ist,
schätze ich sehr hoch ein,
nur nicht den treuen Mann. Der ist leider langweilig.
Wer heute treu sein kann, der ist verloren.
Das habe ich recht deutlich gemerkt, denn ich bin
ihr bis jetzt in treuem Dienste zugetan gewesen.
Ach,
daß ich nie den Lohn für meine Treue genossen
habe! Darum stehe ich hier, ohne Freude. Und
dennoch: Ich diene ihr, was auch immer geschieht.

6.
Hielte sie mich ihres Wohlwollens für wert, dann könnte
mir auf dieser Welt nichts Angenehmeres widerfahren.
Hätte ich all die Zeit zu Gott um Gnade gefleht, nie und
nimmer könnte seine Gnade nach meinem Tod an mir
vorbeigehen. Deshalb bin ich auch immer so voller
Zuversicht. Ihren Ruhm, ihren Preis werde ich bis zu
meinem Ende im Lied verkünden.
Was ist,
wenn sie sich eines Besseren besinnt? Täte meine
Geliebte das, dann ließe ich all mein Klagen fahren.

 

Lied 8

Strophe 1. Das Erscheinen der Dame am Fenster verscheucht die Sorgen wie das Morgenrot die Nacht.
 
1.
Sach ieman die vrouwen,
die man mac schouwen
in dem venster stân?
diu vil wolgetâne
diu tuot mich âne
sorgen, die ich hân.
Si liuhtet sam der sunne tuot
gegen dem liehten morgen.
ê was si verborgen.
dô muost ich sorgen.
die wil ich nu lân.

2.
Ist aber ieman hinne,
der sîne sinne
her behalten habe?
der gê nach der schônen,
diu mit ir krônen
gie von hinnen abe;
Daz si mir ze trôste kome,
ê daz ich verscheide.
diu liebe und diu leide
diu wellen mich beide
vürdern hin ze grabe.

3.
Wan sol schrîben kleine
reht ûf dem steine,
der mîn grap bevât,
wie liep sî mir waere
und ich ir unmaere;
swer danne über mich gât,
Daz der lese dise nôt
und ir gewinne künde,
der vil grôzen sünde
die sî an ir vründe
her begangen hât.

 
1.
Hat jemand die edle Dame gesehen,
die man betrachten kann,
wie sie am Fenster steht?
Sie ist wunderschön
und befreit mich von den Sorgen,
die mich drücken.
Sie strahlt wie die Sonne
am klaren Morgen.
Vorher war sie unsichtbar.
Da mußte ich mit Sorgen leben;
die will ich nun fahren lassen.

2.
Ist aber jemand hier drinnen
der seinen Kopf
behalten hat?
Der möge der Schönen nachgehen,
die mit ihrer Krone
von hier verschwand.
Daß sie mich doch
noch tröste, ehe ich sterbe!
Die Freude und der Schmerz,
die werden mich noch
ins Grab bringen.

3.
Auf den Stein, der mein Grab
beschließt, soll man in zierlichen
Buchstaben schreiben,
wie lieb sie mir
gewesen ist und
wie gleichgültig ich ihr war,
Jeder, der dann über mich
hinwegschreitet, lese von meiner Pein
und erlange so Kunde von den großen
Verfehlungen, die sie bis zuletzt
an ihrem Freund begangen hat.

 
Lied 9
 

1.
Sîn hiez mir nie widersagen
unde warp iedoch
unde wirbet noch hiute ûf den schaden mîn.
des enmac ich langer niht verdagen,
wan si wil ie noch
elliu lant behern und sîn ein rouberîn.
Daz machent alle ir tugende und ir schoene, die
mengem man tuont wê.
der sî an siht,
der muoz ir gevangen sîn
und in sorgen leben iemer mê.

2.
In den dingen ich ir dienstman
und ir eigen was dô,
dô ich sî dur triuwe und dur guot an sach,
dô kam si mit ir minnen an
und vienc mich alsô,
dô si mich wol gruozte und wider mich sô sprach.
Des bin ich an vröiden siech und an herzen sêre wunt;
und ir ougen klâr
diu hânt mich beroubet gar
und ir rôsevarwer rôter munt.

 

1.
Noch nie hat sie mir die Fehde ansagen lassen,
und doch
sann sie stets und sinnt noch heute darauf,
wie sie mir schaden kann. Dazu vermag ich nicht
länger zu schweigen, denn sie hat noch immer
die Absicht, alle Länder zu verheeren und eine
Räuberin zu sein. Das kommt von all ihren
Vorzügen und von ihrer Schönheit,
die manch einem Mann Leid zufügen.
Wenn einer sie anschaut, dann muß er ihr
Gefangener sein und immerfort in Kummer leben.

2.
Damals, als ich mich in ihrem Dienste befand,
ja ihr Leibeigener war, auf sie in treuer Ergebenheit
und ohne Arg schaute, da überfiel sie mich mit
ihrer Liebe und nahm mich gefangen, indem sie mir
einen schönen Gruß entbot und mich freundlich
ansprach. Daher bin ich, was meine Freude betrifft,
krank und in meinem Herzen schwer verwundet.
Ihre hellen Augen
und ihr roter Mund
haben mich gänzlich ausgeraubt.

 

Lied 10
 

1.
Ich hân sî vür alliu wîp
mir ze vrowen und ze liebe erkorn.
minneclîch ist ir der lîp.
seht, durch daz sô hab ich des gesworn,
Daz mir in der welt niht
niemen solde lieber sîn.
swenne aber sî mîn ouge an siht,
seht, sô tagt ez in dem herzen mîn.

2.
"Owê des scheidens, daz er tet
von mir, dô er mich vil senende lie.
wol aber mich der lieben bet
und des weinens, daz er dô begie,
Dô er mich trûren lâzen bat
und hiez mich in vröiden sîn.
von sînen trehenen wart ich nat
und erkuolte iedoch daz herze mîn."

3.
Der dur sîne unsaelicheit
iemer arges iht von ir gesage,
dem müeze allez wesen leit,
swaz er minne und daz im wol behage.
Ich vluoche in, unde schadet in niht,
dur die ich ir muoz vrömde sîn.
als aber sî mîn ouge an siht,
sô taget ez in dem herzen mîn.

4.
"Owê, waz wîzent si einem man,
der nie vrowen leit noch arc gesprach
und in aller êren gan?
durch daz müet mich sîn ungemach,
Daz si in sô schône grüezent wal
und zuo ime redende gânt
und in doch als einen bal
mit boesen worten umbe slânt."

 

1.
Ich schätze sie mehr als alle
Frauen und habe sie mir
zur Herrin und zur Freude erwählt.
Lieblich ist sie von Gestalt. Seht,
darum habe ich geschworen, daß mir
niemand auf der Welt teurer sein sollte.
Sobald mein Auge sie wieder anschaut,
seht. dann wird es Tag in meinem Herzen.

2.
"Ach, es schmerzte der Abschied, den er
von mir nahm, als er mich in Liebesqual zurückließ;
heilbringend dagegen war es für mich,
daß er so freundlich seine Bitte vorbrachte
und daß ihn das Weinen überkam, als er mich bat,
von der Trauer abzulassen, und mir eindringlich
zuredete, fröhlich zu sein. Seine Tränen
benetzten mich, jedoch mein Herz erquickte sich."

3.
Wenn einer – unselig wie er - Böses von ihr sagt,
dann möge ihm alles vergällt werden,
was er liebt und was ihm so recht gefällt.
Ich verfluche diese Menschen,
um deretwillen ich sie meiden muß,
und doch schadet es ihnen nicht.
Sobald mein Auge sie wieder anschaut,
dann wird es Tag in meinem Herzen.

4.
"O weh, warum schmähen sie einen Mann,
der den Frauen niemals Kränkendes oder Böses
nachgesagt hat und ihnen jede Auszeichnung gönnt.
Mich betrübt sein Mißgeschick darum,
weil sie ihn so huldvoll grüßen,
zu ihm treten und sich mit ihm unterhalten
und ihn dennoch mit verleumderischen
Worten herumtreiben wie einen Ball."

 

Lied 11

Strophe 2. Die Eifersucht des Dichters ist ein seltenes Thema im Minnesang, (anders die
Eifersucht der Frau, sie wird gerade im frühen Minnesang öfter erwähnt.)

 

1.
Ich bin iemer ander und niht eine
der grôzen liebe, der ich nie wart vrî.
waeren nû die huotaere alle gemeine
toup unde blint, swenne ich ir waere bî,
Sô mohte ich mîn leit
eteswenne mit sange ir wol künden.
mohte ich mich mit rede zuo ir gevründen,
sô wurde wunders vil von mir geseit.

2.
Sî ensol niht allen liuten lachen
alsô von herzen, same si lachet mir,
und ir ane sehen sô minneclîch niht machen.
waz hât aber ieman ze schouwen daz an ir,
Der ich leben sol
unde an der ist mîn wunne behalten?
jâ enwil ich niemer des eralten,
swenne ich si sihe, mir sî von herzen wol.

3.
Sît si herzeliebe heizent minne,
so enweiz ich, wie diu liebe heizen sol.
liebe won mir dicke in mînen sinnen.
liep haet ich gerne, leides enbaere ich wol.
Liebe diu gît mir
hôhen muot, dar zuo vreude unde wunne.
sô enweiz ich, waz diu leide kunne,
wan daz ich iemer trûren muoz von ir.

 

1.
Stets bin ich zu zweit, denn ich bin nie
ohne die starke Liebe, die mich noch niemals
freiließ. Wären doch die Wächter allesamt taub
und blind, wenn ich bei ihr weilte,
dann könnte ich meine Schmerzen in Liedern
offenbaren. Wäre es möglich, sie durch Worte
mir zum Freunde zu machen,
dann würde ich Wunderbares erzählen.

2.
Sie soll nicht allen Leuten so herzlich
zulächeln wie mir, und sie soll
nicht so reizend schauen und die Blicke
auf sich ziehen. Was hat sonst einer an ihr
zu schauen, der ich mein Leben weihen muß
und die mein Glück in Händen hält?
Fürwahr, ich will nicht so alt werden, daß ich nicht
von Herzen glücklich bin, wenn ich sie nur ansehe.

3.
Seit sie Herzensfreude Minne nennen, weiß ich nicht,
wie man die Liebe benennen soll.
Liebe möge oft meine Gedanken erfüllen!
Angenehmes hätte ich gerne,
auf Widerwärtiges verzichte ich gewiß.
Liebe schenkt mir frohen Sinn, dazu Freude und Glück.
Dagegen weiß ich nicht, was das Leid vermag,
außer, daß ich durch es stets  traurig sein muß.

 

Lied 12

Alle drei Strophen variieren das bekannte (vor allem Reinmarsche) Thema der Hartherzigkeit der
Dame (=Aufgesang) und der unerschütterlichen Ergebenheit des Mannes.

 

1.
Ist ir liep mîn leit und mîn ungemach,
wie kan ich danne iemer mêre rehte werden vrô?
sî getrûrte nie, swaz sô mir geschach.
klaget ich ir mîn jâmer, sô stuont ir daz herze hô.
Sîst noch hiute vor den ougen mîn, alse sî was dô,
dô si minneclîche mir zuo sprach
und ich si ane sach.
ôwê, solte ich iemer stên alsô.

2.
Sî hât liep ein kleine vogellîn,
daz ir singet oder ein lützel nâch ir sprechen kan.
muost ich dem gelîch ir heimlich sîn, sô swüere
ich des wol, daz nie vrowe solhen vogel gewan.
Vür die nahtegal wolte ich hôhe singen dan:
"ôwê, liebe schoene vrowe mîn,
nû bin ich doch dîn,
mahtu troesten mich vil senenden man!"

3.
Sîst mit tugenden und mit werdecheit
sô behuot vor aller slahte unvrowelîcher tât,
wan des einen, daz si mir verseit
ir gnâde unde mînen dienest sô verderben lât.
Wol mich des, daz sî mîn herze sô besezzen hât,
daz der stat dâ nieman wirt bereit
als ein hâr sô breit,
swenne ir rehtiu liebe mich bestât.

 

1.
Wenn ihr mein Schmerz und mein Unglück Freude
macht, wie kann ich dann noch jemals in Zukunft
so recht froh werden? Wie es mir auch ging, sie
war nie betrübt. Klagte ich ihr meine Not, dann war
sie heiteren Sinnes. Sie steht mir noch heute vor
den Augen wie sie damals war, als sie so freundlich
zu mir sprach und ich sie anschaute.
Ach, dürfte ich doch immer so stehen!

2.
Sie hat ein kleines Vögelchen lieb, das für sie singt
oder – auch das kann es – etwas nachspricht. Dürfte
ich ihr nah und vertraut sein wie dieses, dann
leistete ich einen Eid darauf, daß keine Frau je
solchen Vogel ihr eigen nannte. Heller als die
Nachtigall wollte ich dann singen: "Ach, liebe schöne
Herrin, nun bin ich doch ganz der deine.
Tröste mich doch! Ich verzehre mich vor Liebe."

3.
Sie ist durch ihre Vorzüge und ihr hohes Ansehen
vor allem Tun geschützt, das einer Frau nicht ziemt;
doch gibt es eine Ausnahme: Sie versagt mir ihre
Huld und läßt zu, daß mein Dienst ganz ohne
Erfolg bleibt. Wohl mir, daß sie mein Herz so
vollständig eingenommen hat, daß niemandem auch
nur ein Haarbreit Platz dort eingeräumt wird,
wenn ihr Liebeszauber mich jäh überkommt!

 

Lied 13
 

1.
Leitliche blícke unde grôzliche riuwe
hânt mir daz herze und den lîp nâch verlorn.
mîn alte nôt die klagte ich vür niuwe,
wan daz ich vürhte der schimpfaere zorn.
Singe aber ich dur die, diu mich vröwet hie
bevorn, sô velsche dur got nieman mîne triuwe,
wan ich dur sanc bin ze der welte geborn.

2.
Maniger der sprichet "nu sehent, wie der singet!
waere ime iht leit, er taete anders dan sô."
der mac niht wizzen, waz mich leides twinget.
nu tuon aber ich rehte, als ich tet aldô.
Dô ich in leide stuont, dô huop sî mich gar unhô.
diz ist ein nôt, diu mich sanges betwinget.
sorge ist unwert, dâ die liute sint vrô.

3.
Diu mînes herzen ein wunne und ein krôn ist
vor allen vrowen, die ich noch hân gesehen,
schoene unde schoene, diu liebe aller schônist
ist sî, mîn vrowe; des hoere ich ir jehen.
Al diu welte si sol durch ir schoene gerne sehen.
noch waere zît, daz du mir,vrowe, lônist.
ich kan mit lobe anders tôrheit verjehen.

4.
Stên ich vor ir unde schouwe daz wunder,
daz got mit schoene an ir lîp hât getân,
sô ist des so vil, daz ich sihe dâ besunder,
daz ich vil gerne wolt iemer dâ stân.
Ôwê, sô muoz ich vil trûric scheiden dan,
sô kumt ein wolken sô trüebez dar under,
daz ich des schînen von ir niht enhân.

 

1.
Blicke, die Leid bedeuten, und gewaltiger Schmerz
haben mir das Herz und den Leib fast zerstört.
Meine alte qualvolle Lage besänge ich klagend aufs neue,
fürchtete ich nicht den Hohn der Spötter. Sing ich aber
für die, die mich früher froh gestimmt hat, dann
möge um Gottes willen niemand meine Aufrichtigkeit
in Frage stellen, denn zum Singen bin ich geboren.

2.
Mancher wird sagen: "Nun seht, wie der singt!
Drückte ihm ein Leid, er verhielte sich anders."
Der kann nicht ermessen, welches Leid mich bedrängt.
Jetzt mache ich es aber genauso wie damals.
Als ich in Schmerz verharrte, da habe ich ihr wenig
bedeutet. Das ist die Qual, die mich zum Singen zwingt.
Kummer hat dort keinen Wert, wo die Leute fröhlich sind.

3.
Sie, meines Herzens Freude und eine Krone aller Frauen,
die ich jemals erblickte, - sie ist schön und nochmals
schön, am schönsten ist sie, die Liebenswerte, meine
Herrin; das – so hörte ich – gesteht man ihr zu. Die
ganze Welt soll sie mit Freuden betrachten, denn sie ist
schön. Noch wäre es Zeit, Herrin, mich zu belohnen.
Sonst sage ich mit meinem Preis etwas törichtes.

4.
Wenn ich vor ihr stehe und die außergewöhnliche
Schönheit betrachte, die Gott mit ihr geschaffen hat,
dann erblicke ich so viele Einzelheiten, daß ich überaus
gerne immer dort stehen wollte.
Ach, tieftraurig muß ich mich dann von ihr trennen:
Es schiebt sich eine dunkle Wolke dazwischen,
so daß ich nichts von ihrem Glanz mehr sehe.

 

Lied 14

Nicht Böswilligkeit der Dame, sondern ihre Schönheit und des Dichters eigenes Herz bringen ihn in
kumberl
îche nôt.
 

Mîn herze, ir schoene und diu minne
habent gesworn zuo ein ander,
des ich waene, ûf mîner vröuden tôt.
zwiu habent diu driu mich einen dar zuo erkorn?
ôwê, Minne, gebent ein teil der lieben mîner nôt.
Teilent si ir sô mite, daz sî gedanke ouch machen
rôt. wünsche ich ir senens nû?
daz waere bezzer verborn. lîhte ist ez ir zorn,
sît ir wort mir deheinen kumber gebôt.

 

Mein Herz, ihre Schönheit und die Minne haben sich,
so scheint es mir, verschworen in der Absicht,
meine Freuden zu töten. Warum haben die drei mich
allein dazu ausgesucht? Ach Minne, gebt doch der
Geliebten einen Teil meiner Qual;
teilt so, daß auch sie Gedanken schon erröten lassen.
Wünsch ich ihr Schmerz und Verlangen? Das unterließ
ich besser. Vielleicht erzürnt es sie, da es nicht ihr
Wort war, das mich in diese qualvolle Lage stürzte.

 

Lied 15
 

1.
Ez tuot vil wê, swer herzeclîche minnet
an sô hôher stat, dâ sîn dienst gar versmât.
sîn tumber wân vil lützel dar ane gewinnet,
swer sô vil geklaget, daz ze herzen niht engât.
Er ist vil wîse, swer sich sô wol versinnet,
daz er dient, dâ man sîn dienst wol enpfât,
und sich dar l â t, dâ man sîn genâde hât.

2.
Ich bedarf vil wol, daz ich genâde vinde,
wan ich hab ein wîp ob der sunnen mir erkorn.
dêst ein nôt, die ich niemer überwinde,
sîn gesaehe mich ane, als si tet hie bevorn.
Si ist mir liep gewest dâ her von kinde, wan
ich wart dur sî und durch anders niht geborn.
ist ir daz z o r n, daz weiz got, sô bin ich verlorn.

3.
Wâ ist nu hin mîn liehter morgensterne?
wê, waz hilfet mich, daz mîn sunne ist ûf
gegân? si ist mir ze hôh und ouch ein teil ze
verne gegen mittem tage unde wil dâ lange
stân. Ich gelebte noch den lieben âbent gerne,
daz si sich her nider mir ze trôste wolte lân,
wand ich mich h â n gar verkapfet ûf ir wân.

 

1.
Es schmerzt sehr, wenn einer von Herzen liebt,
jedoch an so hohem Ort, daß man seine
Dienstwilligkeit dort ganz verachtet. Mit seiner
törichten Hoffnung gewinnt der wenig, der immer über
so vieles klagt, was zum Herzen nicht dringt. Sehr klug
ist der, welcher es sich recht überlegt, so daß er seinen
Dienst da anträgt, wo man ihm mit Huld begegnet.

2.
Ich habe es sehr nötig, Huld zu finden; ich habe mir
nämlich eine Frau auserwählt, welche die Sonne an Glanz
überstrahlt. Dies ist eine quälende Lage, über die ich
niemals hinwegkomme, es sei denn, sie sieht mich wieder
an, wie sie es zuvor getan hat. Ich habe sie lieb seit meiner
Kinderzeit, denn für sie und nur für sie bin ich geboren.
Erregt das ihren Unwillen, dann bei Gott bin ich verloren.

3.
Wohin ist nun mein strahlender Morgenstern? Weh,
was hilft es mir, daß meine Sonne aufgegangen ist?
Sie steht gegen Mittag für mich zu hoch und auch etwas
zu fern und wird dort noch lange weilen. Gerne erlebte
ich noch den angenehmen Abend, wenn sie sich
niederneigen wollte, um mich zu trösten, denn ich habe
mich in sie, ein Wunschbild zwar, ganz vergafft.

 



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