Fabelverzeichnis

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Johann Gottlieb Willamov

geb. 15.01.1736 in Mohrungen/Ostpreußen
gest. 06.05.1777 in St. Petersburg

Seine "Dialogischen Fabeln," in zwei Büchern erschienen 1765.
Er nannte sie darum Dialogische, weil er in denselben als Dichter nicht selbst erzählte,
sondern gleich seine Tiere und Personen sich unterreden ließ.

Quelle der Fabeln:
Johann Gottlieb Willamov's/Dialogische Fabeln/Berlin 1791/bei Karl Matzdorff


Erstes Buch
Fabeln 1
 

Die Katze, die alte und die junge Maus
Die Päonie und die Rose
Der Frosch und der Storch
Der Schwan und die Lerche
Die beiden Nachtigallen
Die Schafe und ihr Herr
Der junge Bauer und sein...
Der Hamster und der Maulwurf
Der junge Bock, der Löwe, der...

 
Die Gans und der Fuchs
Die beiden Maler
Der Kettenhund und der Pudel
Der Fuhrmann und das Wagenrad

 

Die Katze, die alte und die junge Maus

Die Katze

Du allerliebstes kleines Tier!
Komm doch ein wenig her zu mir.
Ich bin dir gar zu gut.
Komm, daß ich dich nur küsse.

Die alte Maus

Ich rate dir's, Kind, gehe nicht!

Die Katze

So komm doch! Siehe, diese Nüsse
Sind alle dein, wenn ich dich einmal küsse.

Die junge Maus

O Mutter, höre doch, wie sie so freundlich spricht.
Ich geh' — —

Die alte Maus

Kind, gehe nicht!

Die Katze

Auch dieses Zuckerbrot und andre schöne Sachen
Geb' ich dir, wenn du kommst.

Die junge Maus

Was soll ich machen? O Mutter, laß mich gehn!

Die alte Maus

Kind, sag' ich, gehe nicht!

Die junge Maus

Was wird sie mir denn tun? Welch ehrliches Gesicht!

Die Katze

Komm, kleines Närrchen, komm!

Die junge Maus

Ach Mutter, hilf! Ach weh! Sie würgt mich. Ach, die Garstige!

Die alte Maus

Nun ist's zu spät, da dich das Unglück schon betroffen
Wer sich nicht raten läßt, hat Hilfe nicht zu hoffen!

Die Päonie und die Rose

Die Päonie

O Rose! sprich einmal, ist nicht der Mensch ein Tor?
Mir, der Päonie, zieht er euch Rosen vor.
Wie groß, wie voll bin ich! Ich, ohne Dorn geboren,
Ich glüh' in meinem Purpur gleich Auroren;
Ich bin, und ich allein, des größten Gartens Zier.
Sprich, Rose, die du selbst mir stillen Beifall winkest,
Was tadelt denn der Mensch an mir?

Die Rose

Daß du so prahlst, und doch nur stinkest.

Der Frosch und der Storch

Der Frosch

Nicht mich, o lieber Storch! Sieh jenen dicken Wanst!
Den friß, das ist ein fetter Bissen!

Der Storch

Verräter! wie? daß du entwischen kannst,
Willst du den andern elend wissen?
Allein du sollst mir nicht entfliehn:
Erst fress ich dich, dann fress ich ihn.

Der Schwan und die Lerche

Der Schwan

Was fliegst du denn beständig über mir?

Die Lerche

Ich hörte gern einmal dich singen.

Der Schwan

Mich singen? Ei! was träumet dir?
Wer füllet dir den Kopf mit solchen Wunderdingen?
Nie sang ein Schwan.

Die Lerche

Im Ernst? so singt ihr Schwäne nicht?

Der Schwan

Nein, niemals.

Die Lerche

Aber doch am Ende eures Lebens?

Der Schwan

Auch dann nicht. Fleuch nur fort, und warte nicht vergebens.

Die Lerche

Allein, verzeih es mir, weil jedermann es spricht — —

Der Schwan

Was jedermann spricht Kind, das glaube darum nicht,
Sonst wirst du dich noch oft betrügen:
Es gibt auch allgemeine Lügen.

Die beiden Nachtigallen

An Montan

Die erste Nachtigall

Kein Wunder, wenn man dich beneidet,
O Freundin! Reichen Überfluß
An allem seh ich hier. Dein Haus ist prächtig, rein,
Mit grünen Teppichen bekleidet,
Und Ameiseier trägt man dir in Menge hinein,
Wenn ich sie mühsam suchen muß.
Du darfst nur essen, trinken, singen.

Die zweite Nachtigall

Wohlan, wenn dir mein Schicksal wohlgefällt,
So soll dir bald dein Wunsch gelingen:
Eröffne nur dies Haus, das mich gefangen hält,
Und tritt an meinen Platz; ich fliege gern von hier,
Und du kannst essen, trinken, singen.

Die erste Nachtigall

An deinen Platz? Nein, nein! ich danke dir.

* * *
Du rühmst der Fürstendiener Glück?
Du willst dich an den Hof begeben?
Besinne dich, Montan! und bleib zurück.
In Freiheit leben heißt erst leben.

Die Schafe und ihr Herr

Die Schafe

Du bist doch ungerecht! Uns Schafen, die wir dich
Mit unsrer Milch, mit unsern Kindern speisen,
Mit Wolle decken, willst du keinen Dank erweisen.
Fast durch das ganze Jahr geht es uns kümmerlich:
Wir selber müssen uns von fern die Nahrung holen;
Uns gibst du nichts, wir geben alles dir.
Und dies unnütze Tier,
Das deine Nachbarn oft, und oft dich selbst, bestohlen,
Der Hund, der nichts als bellt und schreit,
Genießt so viele Gütigkeit;
Du lässest Nahrung ihm von deinem Tische reichen.
Was ist dem Undank zu vergleichen?

Der Herr

Der Hund nützt mir und euch mehr, als ihr denkt;
Denn ohne seinen Schutz wärt ihr in euren Horden*
Schon längst der Wölfe Raub geworden.
Ihr selbst seid ungerecht, wenn euch sein Vorzug kränkt.
Mißgönnt dem Krieger nicht, ihr Bürger, Rang und Orden!

*
Horden, in der Bürgersprache mehrenteils Hürden: geflochtene Wände,
welche den Schafen auf dem Felde bei Nacht zur Sicherheit dienen.


Der junge Bauer und sein Vater

Der junge Bauer

In einem alten Buch, das ich beim Pastor fand,
Hab ich jüngsthin gelesen,
Daß ehemals eine Zeit gewesen,
Die man die goldne Zeit genannt.
Das Korn ist da von selbst hervor gekommen;
Die Fische sind im Teich gekocht umher geschwommen;
Die Bäche, heißt es, waren Wein,
Und in der Luft sah man gebratne Tauben fliegen.
O wäre noch die Zeit! Denkt Vater, welch Vergnügen,
In solcher Welt ein Mensch zu sein!

Der Vater

Ei ja! du würdest viel von allem diesem kriegen!
Wir wären da gewiß ein gut Teil schlechter dran.
Sprich, wenn der Junker selbst sein Feld bestellen könnte,
Ob er uns wohl ein Fleckchen Acker gönnte?
Jagd, Wiesen, Fischerei maßt er gewiß sich an.
Was bliebe denn für uns in solchen goldnen Zeiten?

Der junge Bauer

Nein, Vater! so müßt ihr's nicht deuten;
Das steht nicht in dem Buch. Das Buch sagt Euch:
Da war noch gar kein Herr, wir waren alle gleich.

Der Vater

Noch besser! alle gleich? Ei was für Zanken, Streiten
Und Morden möchte da nicht oft entstehn!
Wie oft nicht da Gewalt für Recht ergehn!
Nein! jetzt kann jeder doch, was er erwirbt, behalten;
Hat ruhig sein Stück Brot, das Arbeit ihn versüßt.
Drum geh mit deiner goldnen Zeit der Alten,
Und laß die Welt so, wie sie ist.

Der Hamster und der Maulwurf

Der Hamster

Du Erdenwurm, so krieche doch
Einmal ans Licht aus deinem finstern Loch!
Komm mit mir auf die Flur spazieren;
Komm, und bewundre die Natur!

Der Maulwurf

Ei Possen! was kann die Natur mich rühren?
Es ist hier wohl so schön als dort auf deiner Flur.

Der Hamster

Ach komm nur, komm; wie steht zu meiner Freude
Auf fetten Äckern das Getreide!

Der Maulwurf

Was geht mich dein Getreide an?

Der Hamster

Wenn dich denn gar nichts reizen kann,
So komm doch nur der schönen Aussicht wegen.
Die Sonne gehet auf. Sanft spielt ein leichter Wind
Auf dem vergoldeten Teich. — Kann dich dies nicht bewegen?

Der Maulwurf

Die schöne Aussicht mich? — Du Tor! ich bin ja blind.

Der junge Bock, der Löwe, der Büffel und der Wolf

Der junge Bock

Herr Löwe, mit dem großen Bart!
Sieh her, ich habe auch wohl einen,
Und Hörner noch dazu! Ich sollte meinen,
Daß die Natur an mir die Gaben nicht gespart.
Komm, laß uns unsre Kraft probieren!
Wohlan!

Der Löwe

Schweig, Närrchen!

Der junge Bock

Ha! willkommen du, von Stieren
Der trefflichste! Wie dich die stumpfen Hörner zieren!
Die starren Augen! ach, das runzliche Gesicht!
Du fürchtest doch vor mir dich nicht?
Wir wollen sehn! Heraus! ich stehe dir.

Der Büffel

Geh, dummes unverschämtes Tier!

Der junge Bock

Ho, ho! — Doch still, da kommt ja noch ein Krieger.
Wohin Herr Wolf? wo geht die Reise hin?
Du siehst, wie vertraut ich bin;
Allein wir Böcke sind von Jugend auf viel klüger
Als jedes andre Tier; das machet Bart und Horn.
Und kurz — ich bin zwar dein ergebner Knecht;
Doch, reizest du mich auch zum Zorn,
So wirst du übel aufgenommen.

Der Wolf

O schön! du kommst mir eben recht!
So eben hungert mich; du sollst mir nicht entkommen.
Stirb nur, trotz deinem Bart und Horn.

Die Gans und der Fuchs

Die Gans

Ja komm Fuchs, wir wollen Friede schließen!
Was nützt die Feindschaft mir und dir?
Ich muß mein Gras in steter Furcht genießen;
Und du wirst auch die Raubbegier
Gewiß einst mit dem Tode büßen.
Drum laß uns lieber Freunde sein!

Der Fuchs

Vortrefflich, kluge Gans! Ich geh den Antrag ein
Die Feindschaft bringt uns nicht Gewinn.
Wohlan! der Friede sei geschlossen!

Die Gans

Er sei, ich schwör's, auf ewig fest geschlossen!

Der Fuchs

Ja! — bis ich wieder hungrig bin.

Die beiden Maler

Der Eine

Mein Herr! zu allen diesen Stücken,
Die sie hier aufgestellt erblicken,
Hab ich nicht mehr gebraucht als nur drei Tage Zeit.
Ich bin nun einmal schon in dieser Fertigkeit;
Ein anderer wird das nicht wagen.

Der Andere

Das freilich nicht; ich will es gern gestehn.
Allein es ist, wenn sie es gleich nicht sagen,
Auch ihren Stücken anzusehn.

Der Kettenhund und der Pudel

Der Kettenhund

Verwegner! wagst du dich an meine Knochen?
Kennst du den tapfern Phylax nicht,
Der manchem schon ein Bein zerbrochen.
Der Stier und Wolf besiegt, durch Räuberbanden bricht?
Willst du den Augenblick mir alles liegen lassen!
Fort! gehe deiner Straßen!
Entflieh, ich rate dir's!

Der Pudel

So komm und räche dich!
Dein Toben ist mir gar nicht fürchterlich.

Der Kettenhund

Wenn diese Kette nur nicht wäre,
Nichtswürdiger! — —

Der Pudel

Ja, wenn die Kette nur nicht wäre!

Der Fuhrmann und das Wagenrad

Der Fuhrmann

Was knarrst und seufzest du denn immer?

Das Wagenrad

Ist das wohl fragenswert?
Bei solcher schweren Last soll ich nicht klagen?
Und bin so ausgedörrt!
Hilf meinem Mangel ab, so werd ich nichts mehr sagen.