Fabelverzeichnis

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Buch 5
 
Der Holzhauer und Merkur
Der Tontopf und der Eisentopf
Der kleine Fisch und der Fischer
Die Ohren des Hasen
Der Fuchs mit dem gestutzten Schwanz
Die Alte und die beiden Mägde
Der Satyr und der Wanderer
Das Pferd und der Wolf
Der Bauer und seine Kinder
Der kreißende Berg
Fortuna und das kleine Kind
Die Ärzte
Die Henne mit den goldenen Eiern
Der Esel als Reliquienträger
Der Hirsch und der Weinstock
Die Schlange und die Feile
Der Hase und das Rebhuhn
Der Adler und die Eule
Der zum Krieg rüstende Löwe
Der Bär und die zwei Burschen
Der Esel in der Löwenhaut

Fab.1
Der Holzhauer und Merkur

Es kam 'nem Holzknecht einst sein Werkzeug fort,
die Axt; umsonst sucht' er sie hier und dort.
Sein jammervolles Klagen wollt' nicht enden,
er hatte keine zweite zu verwenden!
Auf sie war all sein Hab und Gut gestellt,
nun hat er nichts zu hoffen in der Welt,
in Tränen sind gebadet seine Wangen.
»Mein Beil! Mein armes Beil!« ruft er mit Bangen,
»O Jupiter! Ach, schaff es wieder mir!
Ich will's auch ehren als Geschenk von dir!«
Sein Klagen dringt zu der Olympier Ohren.
Merkurius kommt. »Dein Beil ist nicht verloren«,
spricht er. »Kennst du's von Angesicht?
Ich glaub', ich hab's nicht weit von hier gefunden.«
Er zeigt dem Mann ein goldnes; unumwunden
entgegnet der: »So eins begehr' ich nicht.«
Drauf wird ein silbernes ihm vorgehalten;
er lehnt es ab. Zuletzt von Holz eins.
»Ja, seht Ihr«, ruft der Brave, »das ist meins;
wie freu' ich mich, wenn ich es darf behalten!«
»Da«, sagt der Gott, »nimm alle drei für eins!
Die Ehrlichkeit soll ihren Lohn bekommen.«
»In diesem Fall«, spricht da der Mann, »nehm' ich sie gern.«

Bald war die Märe weit und breit vernommen;
sein Beil verlor nun mancher, nah und fern,
der um Ersatz den Himmel wollt' beschwören,
kaum weiß der Götterkönig, wen erhören.
Da naht sein Sohn Merkur dem Schreierchor,
und eins von Golde zeigt er jedem vor.
Nun fürchtet jeder gleich, für einen Toren
zu gelten, spräch' er nicht: »Ja, das ist meins!«
Allein Merkur gab ihnen nicht nur keins,
sondern noch eine Tücht'ge um die Ohren.

Aufrichtig und zufrieden sein,
das ist das Sicherste; doch läßt auf Lügen
sich mancher um des Vorteils willen ein.
Wozu? Es läßt sich Jupiter doch nicht betrügen.

Fab.2
Der Tontopf und der Eisentopf

Eisentopf lud einstmals ein
den von Ton zu einer Reise.
Dieser ging darauf nicht ein,
denn er meint', es wäre weise,
blieb' er auf dem Herd zu Haus;
hielt' er doch so wenig aus,
daß selbst von dem kleinsten Dinge
er gar leicht in Stücke ginge
und als Scherbe käm' zurück.
»Du«, sagt er, »du hast das Glück;
du trägst eine Haut von Eisen,
fest und hart, du hast gut reisen!«
»Nun, wir nehmen dich in Schutz!«
spricht der Eisentopf voll Trutz.
»Sollt' zufällig etwas Hartes
dich bedrohn – mit Ruh erwart es –
denn ich stell' mich zwischen euch
und errette dich sogleich.«
So beschwätzte ihn und bat
Eisentopf den Kamerad.
Auf drei Beinen in die Welt
klappernd ging es alsdann los
Aber auf den anderen fällt
jeder beim geringsten Stoß.
Der arme Tontopf war kaum hundert Schritt
gegangen, als den Tod er durch den Freund erlitt,
und konnt' sich darum nicht beschweren.

Geselle jeder sich zu seinesgleichen bloß,
sonst kann er nimmer sich erwehren
des Topfes traurig Los.


Fab.3
Der kleine Fisch und der Fischer


Ein kleiner Fisch wird einst auch groß,
bleibt er mit Gottes Hilfe nur am Leben.
Doch Torheit scheint's, wollt' deshalb bloß
man ihm die Freiheit wiedergeben:
Ob man ihn wiederfängt, ist nie ganz sicher doch.

Ein Karpfen, jung und klein, kaum ausgebrütet noch,
ward von dem Fischer einst an Baches Rand gefangen.
»Ich zähl ihn mit!« sprach der, als er den Fang besah.
»Des Mahles Anfang ist mir doch ins Netz gegangen!«
Das Fischchen spricht: »Kann dich nach mir verlangen?
Was willst du denn mit mir? Bin ich denn nicht
ein halber Bissen nur auf euren Tischen.
Zum Karpfen werden lasse mich,
dann kannst du mich ja wieder fischen.
Ein reicher Pächter zahlt für mich den guten Preis,
indes du heut mit Müh' und Fleiß
noch hundert meiner Art mußt fangen
zu einem Mahl, das niemand wird verlangen.«
»Niemand verlangen?« höhnt darauf der Mann.
»Nein guter Freund, der so gut predigen kann,
du kommst mir dennoch in die Pfann'!
Wie klug du auch magst raten,
heut abend noch wirst du gebraten!«

Ein »Hab' ich« ist mehr wert als zwei »Ich werde haben«,
denn allzu ungewiß sind doch der Zukunft Gaben.

Fab.4
Die Ohren des Hasen

Einst stieß aus Ungeschick ein Hornvieh mit dem Horn
den Löwen, der, erfüllt von Zorn,
damit es nicht noch einmal ihm geschähe,
verbannt ein jedes Tier aus seiner Nähe,
das an der Stirn so was wie Hörner trug.
Stier, Widder, Ziegenbock begannen auszuwandern,
das Damwild auch sucht' einen andern
Wohnort – sie eilten schnell genug.

Ein Hase, furchtsam, sah den Schatten seiner Ohren
und fand sie schrecklich lang.
Zumute ward ihm bang –
der arme Hase hielt sich für verloren.
Zur Nachbarin, der Grille, spricht er: »Ich geh' weg von hier!
Zu Hörnern macht man gar noch meine Ohren mir!
Und wenn sie kürzer noch als Straußenohren wären,
ich hätte dennoch Furcht.« Die Grille aber lacht:
»Das sollen Hörner sein? Dein Wort in Ehren,
doch das sind Ohren, wie sie Gott gemacht!«
»Hier aber«, spricht der Hase, »werden sie als Hörner gelten,
als Einhornriesenhörner, und da hilft kein Schelten.
Es wäre Wahnsinn, wollt' ich mich dagegen wehren;
man würd' mich reif für's Irrenhaus erklären.«

Fab.5
Der Fuchs mit dem gestutzten Schwanz

Ein alter schlauer Fuchs, schon lang
als Hühnerwürger groß und im Kaninchenfang,
kurz, recht ein Fuchs von Rang und Stande,
ging in die Falle doch zuletzt.
Glücklich in Freiheit wiederum gesetzt –
nicht ganz, denn sein Schwanz ließ er dabei zum Pfande -,
frei, aber schwanzlos und von Scham erfüllt, begehrt
Leidensgefährten er; drum hat er, schlau wie immer,
als einst der der Rat der Füchse tagt', das Wort begehrt:
»Was soll uns diese Last?« sprach er. »Sie nützt uns nimmer,
als daß sie höchstens all die schmutz'gen Wege kehrt!
Was tun wir mit dem Schwanz? Wir woll'n ihn besser stutzen,
und sicher tut's ein jeder, folgt ihr mir.«
Drauf einer aus der Schar: »Dein Rat scheint sehr von Nutzen;
doch dreh dich erst mal um, dann geb' ich Antwort dir.«
Gelächter gleich und Hohngeschrei erschallten,
so daß man den gestutzten Schelm nicht mehr vernahm
und nie zur Sprache mehr das Schwanzabschneiden kam;
die alte Mode wurde beibehalten.

Fab.6
Die Alte und die beiden Mägde

Ein altes Weib ließ von zwei Mägden sich bedienen,
die spannen gar gut so, daß im Vergleich mit ihnen
das Parzenkleeblatt nichts als eitel Wirrwarr spann.
Das dringendste Geschäft, auf das die Alte sann,
war, neue Arbeit stets den Mägden zuzuteilen.
Den Gott mit goldnen Locken mahnte Tethys aufzustehen,
schon schnurrt' das Rädchen da, mußt' sich die Spindel drehn,
rechts, links – hast du nicht gesehn! –
stets ohne Rast und ohne Weilen.
Sowie Aurora nur bestieg ihr Viergespann,
fing ein verwünschter Hahn sogleich zu krähen an;
alsbald warf sich die noch verwünscht're Alte
in einen Unterrock, voll Schmutz jedwede Falte,
steckt' eine Lampe an und eilt' ans Bett sogleich,
wo tief in festem Schlaf, so wonnig, warm und weich,
die beiden armen Mägde lagen.
Die öffnet halb ein Aug', den Arm streckt jene aus,
und beide flüstern voller Mißbehagen:
»Verdammter Hahn! Dir mach' ich den Garaus!«
Gesagt, getan: Dem Vieh, von dem sie so gelitten,
dem Ruhestörer, ward die Gurgel durchgeschnitten.
Doch nichts war unsrem Paar geholfen mit dem Mord;
im Gegenteil: Kaum legt sich's nieder, als sofort
die Alte schon aus Furcht, daß sie die Zeit versäume,
gleich einem Kobold tobt durch alle Wohnungsräume.

Wie jenes Paar es mag bekunden,
so wird es in der Regel sein:
Uns drückt ein Leid, man glaubt es überwunden
und – fällt viel tiefer noch hinein,
sie hatten nun die Alte statt des Hahnes. So geriet
in Skylla wer Charybdis mied.


Fab.7
Der Satyr und der Wanderer

Saß 'ne muntre Satyrngruppe
in der wilden Höhle Grund,
führten treulich ihre Suppe
und die Brocken in den Mund.
Satyr, Weib und Kinder streckten
sich behaglich auf dem Moos;
hatten Teppich' nicht noch Decken,
doch 'nen Hunger riesengroß.

Schaudernd vor dem kalten Regen
tritt ein Wanderer jetzt herein,
wenn auch etwas ungelegen,
lädt man ihn zur Brühe ein.
Ohne weiter abzuwarten
nimmt er's an nach Gastrechtsbrauch,
wärmt sich erst die halb erstarrten
Finger durch des Mundes Hauch.
Als dann Speisen aufgetragen,
bläst er drauf mit spitzem Mund;
die erstaunten Satyrn fragen:
»Freund, wozu das? Tut's uns kund.«
»Dieses kühlet mir die Speise,
jenes wärmt die Finger mir.«
Drauf der Satyr: »Auf die Reise
macht Euch wieder! Fort von hier!
Zeus verhüt', daß eine Stunde
noch mein Dach Euch berge! Geht!
Fort mit dem, aus dessen Munde
warm und kalt der Atem weht!«

Fab.8
Das Pferd und der Wolf


Ein Wolf, in jener Zeit, wenn lau
durch das verjüngte Grün die Frühlingslüfte wehen
und fröhlich jedes Tier auskriecht aus seinem Bau,
um seiner Nahrung nachzugehen –
ein Wolf also, befreit von Winters strengem Zwang,
bemerkt ein Pferd, das man gesandt auf Weidegang.
Man denke sich, wie er sich freute!
»Ein Fang!« sprach er. »Hätt' ich dich zwischen dem Gebiß!
Warum bist du kein Schaf? Dann wärst du mir gewiß,
wir brauchen Schlauheit jetzt für diese Beute.«
Er spricht's und kommt gemessnen Schritts herbei
und nennt sich Hippokrates Jünger;
der Kräuter Heilkraft und noch mancherlei
bekannt auf das genaueste ihm sei,
und jedes Übel, ob geringer,
ob größer, könnt' er heilen. Herrn von Pferd, wofern
er ihm nur sagte, wo er leide,
heilt' er, der Wolf, umsonst recht gern;
denn so allein hier auf der Weide
umherzugehn, das spräche für
ein geheimes Leid nach aller Heilkunst Regeln.
Da sagt das Pferd: »Unter den Nägeln
des Hufes hab' ich ein Geschwür.«
Der Doktor drauf: »Mein Sohn, die Stell' ist sehr empfindlich
und manchen Leiden ausgesetzt;
als Arzt behandle ich die Herren Pferde jetzt
und operier' auch schnell und gründlich.«
Der arge Schelm wünscht nur den Augenblick herbei,
um seinen Kranken anzupacken;
doch der, voll Argwohn, stößt ihn mit den Hacken,
daß ihm die Zähne und Kinnbacken
zerschlagen sind zu Mus und Brei.
»Recht war's!« sagt nun der Wolf zu sich mit zorn'gem Lachen.
»Es bleibe doch ein jeder, was er ist!
Du wolltest hier den Gärtner machen,
obwohl du doch ein Schlächter bist.«

Fab.9
Der Bauer und seine Kinder

Arbeite, wird's auch oft dir sauer –
das ist ein Gut, das nie versagt.

Als einst dem Tode nah sich fühlt' ein reicher Bauer,
rief seine Kinder er allein herbei und sagt':
»Nehmt euch in acht, verkauft das Erbe nimmer,
das unsrer Väter frommer Sinn
uns hinterließ: Es liegt ein Schatz darin.
Zwar weiß ich nicht den Ort; doch Mut führt immer
zum Ziel, er hilft zuletzt auch euch zu eurem Schatz.
Gleich nach der Ernte grabt nur nach an jenem Platz;
wühlt rings den Acker auf und sorgt, daß allerwege
man unablässig Hand anlege.«
Der Vater starb, die Söhn' umgruben ganz und gar
den Acker, rechts und links, so daß im nächsten Jahr
er reichre Ernte ihnen brachte.
Es ward kein Gold gefunden; doch der Vater dachte
sehr weise, als er sie den Satz
gelehrt: Die Arbeit war der Schatz.

Fab.10
Der kreißende Berg

Ein kreißend' Berg macht' ein Geschrei
so laut und trieb ein solches Wesen,
daß jeder, der vom Lärm herbeigelockt,
nun meint', er müßt' genesen
von einer Stadt, noch größer als Paris wohl gar.
Ein Mäuslein war's das er gebar.

Dem Sinn nach ist die Fabel wahr,
auch wenn sie nie geschehen;
ich sehe dabei immerdar
den Dichter vor mir stehen,
der sagt: »Von jenen Kämpfen will ich singen,
da die Titanen wollten Jupiter bezwingen.«
Ein großes Wort; doch fragt man, wie die Taten sind –
hört man nur Wind!

Fab.11
Fortuna und das kleine Kind

Auf eines tiefen Brunnens Rand
schlief, von sich streckend Fuß und Hand,
ein Kind, das Muster eines Jungen.
Schulbuben finden Bett und Kissen überall,
ein Großer wär' in solchem Fall
wohl hundert Klafter tief gesprungen.
Da kommt zum Glück in ihrem Lauf
Fortuna in die Nähe, weckt das Kind behutsam auf
und spricht zu ihm: »Mein Schatz, ich rette dir das Leben,
doch mußt ein andermal du besser Obacht geben.
Wärst du gefallen, schmähte man mich weit und breit.
Gewesen wär' es aber deine Schuld allein.
Es kann so große Unvorsichtigkeit
doch nicht die Wirkung meiner Laune sein,
meinst du nicht auch?« so sprach sie und ging fort.

Und ich, ich bill'ge ganz ihr Wort.
Nichts kann in aller Welt geschehen,
stets soll Fortuna dafür stehen,
als wär' sie unser einz'ger Hort.
Sie wird verantwortlich gemacht für alle Sachen;
wenn wir aus Hast und Torheit Fehler machen,
so trösten wir uns schnell: Uns fehlt des Glückes Huld!
Kurz, immer ist Fortuna schuld.

Fab.12
Die Ärzte

Der Doktor Schlimmer ging zu einem seiner Kranken,
dem Besser, sein Kolleg', auch eilte beizustehn.
Der letztre hofft', indes der andre ohne Wanken
erklärt', der Arme müßt' zu seinen Vätern gehen.
Während die beiden sich in höchst gelehrtem Zanke
ereiferten, zahlt den Tribut an die Natur der Kranke,
nachdem es zuletzt er noch Herrn Schlimmers Rat befragt.
Wie im Triumph sich nun die beiden überheben!
Der eine spricht: »Er starb; ich hatt's vorhergesagt.«
Der andre: »Wär' er mir gefolgt, er wäre noch am Leben.«

Fab.13
Die Henne mit den goldenen Eiern

Die Habgier alles stets verliert, weil alles sie begehrt.
Das wird durch jenen uns gelehrt,
der, wie die Fabel sagt, von seiner Henne täglich
gelegt bekam ein goldnes Ei.
Er meinte, daß ein Schatz in ihrem Leibe sei;
er schnitt sie auf – und erkannte kläglich,
daß eine Henne sie wie alle andern war. Der Tor!
Durch eigne Tat er seinen Schatz verlor.

Die Lehre Geizhälse sich merken sollten!
Denn ach, wieviel – daß Gott erbarm' –
wurden in letzter Zeit von heut auf morgen arm,
weil sie zu schnell reich werden wollten!


Fab.14
Der Esel als Reliquienträger

Reliquien trug ein Esel durch die Menge
und meinte, man verehre ihn.
Des Weihrauchs Duft erschien
ihm selber nur zu gelten wie die Lobgesänge.
Den Unsinn hört jemand und sagt:
»O Meister Langohr, warum plagt
ihr Euch mit derart eitlem Ruhme?
Die Ehre gilt dem Heiligtume.
Nicht Euch, dem stets Geringgeschätzten,
wird Ehrfurcht hier bezeigt.«

Fab.15
Der Hirsch und der Weinstock

Ein Hirsch, dem auf der Flucht ein Weinstock Schutz gewährte,
so dicht und hoch, es schien ein sichrer Ort,
barg sich darin und wähnte sich gerettet dort.
Die Jäger glauben nun die Hund' auf falscher Fährte
und rufen sie zurück. Die Blätter frißt der Hirsch darauf
gleich seinem Schützen auf – o Undank und Verderben!
Man hört ihn, kehrt alsbald zurück und jagt ihn auf!
Am selben Orte muß er sterben.
Er ruft: »Ich hab's verdient! Gerechtes Mißgeschick!
Lernt, Undankbare, draus!« und fällt im Augenblick.
Die Meute, die sein Blut begehrt, sieht sich am Ziel,
auch bei den Jägern konnten Tränen ihm nichts nutzen.

Des Menschen Bild ist er, der schändet sein Asyl,
das in der Not ihn könnte schützen
.

Fab.16
Die Schlange und die Feile


Beim Uhrmacher wohnte eine Schlange nebenan –
der Uhrmacher war nicht gerade glücklich drob zu preisen -,
die kam in sein Geschäft nach Nahrung dann und wann,
fand aber dort statt aller Speisen
nur eine Feile, und die nagt sie wirklich an.
Die Feile sagt zu ihr nach ruhigem Besinnen:
»Du dummes Tier, was denkst du zu gewinnen,
indem du dich an Härt'res als du selbst gewagt?
Du bist ein Narr, der arg betört ist!
Dir bleib, eh' du was abgenagt
von mir, was einen Heller wert ist,
kein Zahn mehr ganz. Du tust mir leid!
Ich aber fürchte nur den Zahn der Zeit.«

Den kleinen Geistern will ich zur Warnung sagen,
die selber zu nichts nützlich sind und nur an allem nagen!
Glaubt, euer Tun ist eitel Tand.
Meint ihr, durch eure Zähne Stärke
könnt ihr verletzen edle Werke?
Für euch sind sie von Erz, von Stahl und Diamant.


Fab.17
Der Hase und das Rebhuhn

Nie spotte derer, die in Not und Elend weinen!
Denn wer ist sicher, daß er immer glücklich sei?
Äsop gibt uns dafür in seinen
Fabeln ein Beispiel oder zwei.
Den gleichen Stoff wie er nun wähle
ich, wenn ich Folgendes erzähle.

Einträchtig lebten Has' und Rebhuhn auf dem Feld
und allem Anschein nach an friedlich sichrer Stätte;
da kommt auf einmal eine Meute angebellt,
die jenen zwingt, daß er durch Flucht sich rette.
Der Hase flieht in seinen Bau; verfolgen konnt' ihn nur
der schnelle Blitz – auch er verlor die Spur.
Allein zuletzt verriet den Armen
des Schweißes Dunst, den sein erhitzter Balg aushaucht.
Der kluge Spürnas, der nur wenig Witt'rung braucht,
erkennt den Hasen, jagt ihn ohn' Erbarmen,
und Packan, der noch nie gelogen, ruft: »Hurra!
Seht unser Has' ist wieder da!«
Der Unglückliche stirbt auf seiner Lagerstelle.
Das Rebhuhn spottet da und lacht:
»Du rühmtest stets dich deiner Schnelle!
Wo hattest deine Läufe du!« Doch schneller als gedacht,
kam's selber an die Reih'. Es wird' ihm stets gelingen
zu fliehen, meinte es, mit Hilfe seiner Schwingen.
Den Habicht hat das arme Tier vergessen.
Vom Habicht wurde es gefressen.

Fab.18
Der Adler und die Eule



Ein Ende machten Eul' und Aar verjährten Zwisten
so gründlich, daß sie gar sich küßten.
Auf Königswort schwur er, und sie auf Eulenwort,
sich ihre Jungen nie zu würgen mehr hinfort.
»Kennst du die meinen?« fragt Minervas Vogel eben.
»Nein«, sagt der Aar. »O weh!« spricht jene drauf.
»So geb' ich alle Hoffnung auf;
am Zufall nur hängt dann ihr Leben!
Du bist ein König. Wer und was, das fragst du nicht;
Göttern und Königen erscheint doch jedes Ding,
was man auch sage, gleich gering.
Aus ist's mit meiner Brut, kriegst du sie zu Gesicht!«
»Beschreib sie mir«, sagt drauf der Aar, »und fürchte nicht,
daß ich sie je zu Schaden bringe.«
Die Eule drauf: »Sie sind gar hübsch und wohlgebaut
und unvergleichlich zierlich, ja, und traut;
erkennen wirst du sie sogleich an diesem Zeichen.
Vergiß es mir nur nicht, merk dir's in aller Huld;
laß nie die Unglücksparze schleichen
sich in mein Haus durch deine Schuld!«

Gesegnet ward die Eul' mit reichem Kinderglück.
Doch eines Abends – sie war noch nicht zurück –
bemerkt der Aar mit scharfem Blicke
in einem hohlen Felsenstücke oder in einer Mauerlücke –
ich weiß es nicht genau, wo's war –
von kleinen Untier'n eine Schar,
abscheulich anzusehen, mit krächzend rauher Stimme.
»Unmöglich ist das«, spricht der Adler, »unsrer Freundin Brut.
Ich fresse sie!« Oh, wie der Schelm sich daran gütlich tut!
Der Adler frißt bekanntlich viel in seinem Grimme.
Die Eule kehrt zurück und findet, ach ein Grab,
von ihren Kleinen nur die Beinchen in der Mauer;
sie weint und klagt und ruft der Götter Zorn herab
auf ihren Feind, der sie versetzt in solche Trauer.
Da sagt man ihr: »Dich selbst beschuld'ge bloß,
das heißt das allgemeine Los,
daß jedem stets die Seinen
schön, gut und liebenswert erscheinen.
Das Bild von deiner Brut, das du entwarfst dem Aar,
glaubst du denn, daß es deinen Kindern ähnlich war?«

Fab.19
Der zum Krieg rüstende Löwe

Der Löwe hat sich einen Feldzug vorgenommen.
Zum Kriegsrat vor des Thrones Stufen
hat alle Tiere er gerufen,
und seinen Posten hat ein jedes Tier bekommen:
Der Elefant muß einen Turm
nebst Rüstzeug auf den Rücken tragen
und sich nach seiner Weise schlagen;
der Bär bereitet sich zum Sturm;
der schlaue Fuchs soll auf geheime Kriegslist sinnen,
der Affe wird gebraucht zu manchem tollen Stück.
»Den dummen Esel«, riet nun jemand, »laßt zurück,
den Hasen auch, der läuft vor Angst ja gleich von hinnen!«
Der König spricht: »Nicht doch! Die zwei verwend' ich gut,
auch fehlte was dem Heer ohne die beiden Recken:
Als Lärmtrompete soll den Feind der Esel schrecken,
indes der Hase uns Eilbotendienste tut.«

Es zieht ein Fürst, der klug und weise,
Vorteil aus jedem Untertan nach seiner Weise.
Er weiß, was jeder leisten kann;
Unnützes gibt es nicht für den gescheiten Mann.


Fab.20
Der Bär und die zwei Burschen

Zwei Burschen kamen einst aus Not
zum Kürschner, ihm das Fell zu bringen
von einem Bären, der zwar noch nicht tot,
doch den sie, sagten sie, ganz sicher nächstens fingen.
Sie waren überzeugt, es sei ein Königsbär;
der Kürschner, der dies Fell erwerbe, könne lachen:
Warm hielte es, wenn auch die Kälte noch so grimmig wär';
auch sei nicht ein Pelz nur, es seien zwei daraus zu machen.
Nichts wär' so kostbar wie ihr Bär –
»Ihr Bär!« Doch anders stand es in des Schicksals Buche -,
sie brächten, meinten sie, ihn unverzüglich her.

Sie machten fest den Preis, sie gehen auf die Suche,
sie finden ihn. Der Bär trabt auf sie los sofort.
Hei, wie vom Blitz gerührt stehn beide da und beben!
Unmöglich war der Kauf; jetzt galt's, ihn schleunigst aufzugeben,
und von der Bärenjagd sprach keiner mehr ein Wort.
Der eine klimmt auf einen Baum in aller Eile,
der andre steht zunächst wie eine Marmorsäule,
wirft sich zu Boden dann und hält den Atem an,
da ihm bekannt vom Hörensagen
und er sich grade noch darauf besann,
daß regungslose Körper Bären nicht behagen.
Der dumme Bär fällt wirklich drauf herein.
Er sieht ihn liegen, hält ihn für 'ne Leiche,
jedoch aus Furcht vor einem schlimmen Streiche
dreht er ihn um und legt die Schnauze an,
ob Atem noch in ihm zu finden.
Er spricht: »Ein Leichnam ist's, der schon ein wenig riecht!«
Mit diesen Worten sieht man ihn im Wald verschwinden.
Der Bursch', der nun vom Baume kriecht,
eilt zu dem andern hin und wundert sich darüber,
wie doch die Furcht sie übermannt so schnell!
»Doch«, sprach er dann, »was ist mit des Tieres Fell?
Was sagt' er dir ins Ohr, mein Lieber?
Sehr nahe kam er dir, als er
dich mit der Klaue faßt' am Kragen.«
Der andre sprach: »Verkaufe nimmermehr
des Bären Fell, eh' du ihn totgeschlagen.«

So ist's bei dummen Vorgesetzten
das Kleid nur, dem sich jeder neigt.


Fab.21
Der Esel in der Löwenhaut

Ein Esel hat sich in des Löwen Haut gesteckt,
und Furcht erregt er nun, wo man ihn wittert.
Das Tier, das keinen sonst erschreckt',
sah, wie vor ihm jetzt alles zittert.
Ein Zipfelchen vom Ohr, das unverhüllt nur war,
macht' bald den ganzen Schwindel klar.
Nun holt' man her den Meister Bakel;
erstaunt sahn die, die nichts gewußt von dem Spektakel,
wie Meister Bakel, Hieb auf Hieb,
den falschen Löwen hin zur Mühle trieb.

Die Fabel paßt auf manche Junker,
die sich bei uns zu Lande machen breit:
Dreiviertel ihrer Tapferkeit
ist nichts als prahlerisch' Geflunker.