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II. Frühlings- und Liebeslieder -
Carmina amatoria
 


I. Moralisch-Satirische Dichtungen - Carmina moralia et satirica

 

1. latein/deutsch
 

1.
Manus ferens munera
pium facit impium;
nummus iungit federa,
nummus dat consilium;
nummus lenit aspera,
nummus sedat prelium.
nummus in prelatis
est pro iure satis;
nummo locum datis
vos, qui iudicatis.

2.
Nummus ubi loquitur,
fit iuris confusio;
pauper retro pellitur,
quem defendit ratio,
sed dives attrahitur
pretiosus pretio.
hunc iudex adorat,
facit, quod implorat;
pro quo nummus orat,
explet, quod laborat.

3.
Nummus ubi predicat,
labitur iustitia,
et causam, que claudicat,
rectam facit curia,
pauperem diiudicat
veniens pecunia.
sic diiudicatur,
a quo nichil datur;
iure sic privatur,
si nil offeratur.

4.
Sunt potentum digiti
trahentes pecuniam;
tali preda prediti
non dant gratis gratiam,
sed licet illiciti
censum censent veniam.
clericis non morum
cura, sed nummorum,
quorum nescit chorum
chorus angelorum.

5.
"Date, vobis dabitur:
talis est auctoritas"
danti pie loquitur
impiorum pietas;
sed adverse premitur
pauperum adversitas.
quo vult, ducit frena,
cuius bursa plena;
sancta dat crumena,
sancta fit amena.

6.
Hec est causa curie,
quam daturus perficit;
defectu pecunie
causa *Codri deficit.
tale fedus hodie
defedat et inficit
nostros ablativos,
qui absorbent vivos,
moti per dativos
movent genitivos.

 
1.
Bringt eine Hand Geschenke,
macht sie Fromme zu Sündern.
Geld schließt Pakte.
Geld gibt Rat.
Geld lindert Bitternis.
Geld legt Kriege bei.
Geld gilt bei den Geistlichen
genau so viel wie das Recht;
Dem Geld gebt ihr Raum,
ihr, die ihr Recht sprecht.

2.
Wo das Geld das Sagen hat,
gerät das Recht durcheinander;
der Arme, den Argumente
verteidigen, wird abgewiesen,
den Reichen aber läßt man vor:
Gewichtiger sind seine Münzen.
Ihn lieben die Richter,
tun, worum er sie ersucht.
Wer Geld zum Fürsprecher hat,
erreicht, worum er sich bemüht.

3.
Wo das Geld die Predigt hält,
kommt die Gerechtigkeit zu Fall,
und eine hinkende Klage
biegt der Gerichtshof gerade.
Den Armen urteilt
Mammons Auftritt ab.
So wird gerichtet,
wer nichts gibt,
so wird seines Rechts beraubt,
wer sich nicht gefällig zeigt.

4.
Die Finger der Mächtigen
raffen immerfort Geld;
mit solchem Raub begabt,
schenken sie ihre Gunst nicht umsonst,
sondern sehen, wenngleich sie sich vergehen,
die Vergebung als Geldquelle an.
Nicht die Sitten hütet
der Klerus, sondern sein Geld.
Deren Schar lernt der
Chor der Engel nicht kennen.

5.
"Gebt, so wird euch gegeben.
Das besagt die Schrift",
spricht zum Gebenden fromm
die Frömmigkeit der Unfrommen.
Doch unversöhnlich bedrängt
wird das Unglück der Armen.
Mit voller Börse lenkt man
die Zügel, wohin man will.
Heilige Gaben spendet der Geldbeutel,
heilig wird er selber, weil er so gütig ist.

6.
Bei Gericht setzt der sein Anliegen durch,
der bereit ist, Geschenke zu machen.
Durch Mangel an Geld
verliert *Codrus den Rechtsstreit.
Ein solcher Pakt
verschandelt und besudelt
heute unsere Ablative,
die Lebendige verschlingen;
durch Dative bewegt,
bewegen sie ihre Genitive.

 

*Codrus: Muster des mittellosen Menschen, speziell auch des armen Poeten.
 

3. latein/deutsch
 

1.
Ecce torpet probitas,
virtus sepelitur;
fit iam parca largitas,
parcitas largitur;
verum dicit falsitas,
veritas mentitur.
Omnes iura ledunt
et ad res illicitas
licite recedunt.

2.
Regnat avaritia,
regnant et avari;
mente quivis anxia
nititur ditari,
cum sit summa gloria
censu gloriari.
Omnes iura ledunt
et ad pr
ava quelibet
impie recedunt.


3.
Multum habet oneris
do das dedi dare;
verbum hoc pre ceteris
norunt ignorare
divites, quos poteris
mari comparare.
Omnes iura ledunt
et in rerum numeris
numeros excedunt

4.
Cunctis est equaliter
insita cupido;
perit fides turpiter,
nullus fidus fido,
nec Iunoni Iupiter
nec Enee Dido.
Omnes iura ledunt
et ad mala devia
licite recedunt.

5.
Si recte discernere
velis, non est vita,
quod sic vivit temere
gens hec imperita;
non est enim vivere,
si quis vivit ita.
Omnes iura ledunt
et fidem in opere
quolibet excedunt.


Walter di Châtillon
um 1135 (Lille) geboren.

 
1.
Sieh, der Anstand liegt ohnmächtig da,
die Tugend wird begraben;
jetzt wird Freigebigkeit sparsam,
Sparsamkeit großzügig;
wahr spricht die Falschheit,
die Wahrheit lügt.
Alle verstoßen gegen das Recht,
und ungestört ziehen sie
zum Unerlaubten hin.

2.
Es regiert die Habgier,
und es regieren die Habgierigen;
ein jeder strebt mit bangem Sinn,
sich zu bereichern.
Denn es ist der größte Ruhm,
sich eines Vermögens zu rühmen.
Alle verstoßen gegen das Recht,
und zu jedwedem Schlechten
ziehen sie gottlos hin.

3.
Große Last bedeutet
"ich gebe", "du gibst", "ich gab" und "zu geben";
die Reichen verstehen es,
vor allem dieses Verb
nicht zu kennen – man könnte sie
mit dem Meer vergleichen.
Alle verstoßen gegen das Recht,
und jedes Maß überschreiten sie
mit dem Maß ihres Besitzes.

4.
Allen gleichermaßen
wohnt die Gier inne,
schmählich stirbt die Treue,
dem Treuen ist niemand treu:
weder Jupiter der Juno
noch dem Äneas Dido.
Alle verstoßen gegen das Recht,
und auf üble Abwege
weichen sie ungestört aus.

5.
Wenn du ehrlich urteilen
willst, ist das kein Leben,
was das unwissende Volk
so unbedacht verlebt;
denn es handelt sich nicht um "leben",
wenn jemand so lebt.
Alle verstoßen gegen das Recht,
und mit jedwedem Werk
verletzen sie den Anstand.




 

4. latein/deutsch
 

1.
Amaris stupens casibus
vox exultationis
organa in salicibus
suspendit Babylonis;
captiva est confusionis,
involuta doloribus
Sion cantica leta sonis
permutavit flebilibus.

2.
Propter scelus perfidie,
quo mundus inquinatur,
fluctuantis ecclesie
sic status naufragatur.
gratia prostat et scortatur
foro venalis curie;
iuris libertas ancillatur
obsecundans pecunie.

3.
Hypocrisis, fraus pullulat
et menda falsitatis,
que titulum detitulat
vere simplicitatis.
frigescit ignis caritatis,
fides a cunctis exulat,
aculeus cupiditatis
quos mordet atque stimulat.
 
1.
Beklommen von bitteren Vorfällen
hat der Jubelgesang
seine Instrumente
in Babylons Weiden gehängt.
Gefangen in Verwirrung,
eingehüllt in Schmerzen
hat Zion Freudenlieder
gegen Klagegesänge getauscht.

2.
Wegen der Untat der Untreue,
von der die Welt besudelt ist,
erleidet die auf den Wogen
treibende Kirche Schiffbruch.
Die Gnade wird käuflich und hurt
auf dem Markt der Kurie;
die Freiheit des Rechts wird geknechtet,
muß Folge leisten dem Geld.

3.
Heuchelei und Täuschung wuchern
sowie die Gebrechen der Falschheit,
die den Ehrennamen echter
Aufrichtigkeit entehrt.
Die Flamme der Liebe erkaltet,
verbannt ist Treue von allen,
die der Stachel der Begierde
sticht und spornt.
 

5. latein/deutsch
 

1.
Flete perhorrete lugete pavete dolete
Flenda perhorrenda lugenda pavenda dolenda!

2.
Etates anni vitium peccata tyranni
Currunt labuntur remanet crescunt statuuntur.

3.
Virtus ecclesia clerus Mammon simonia
Cessat calcatur ambit regnat dominatur.

4.
Pontifices reges proceres sacraria leges
Errant turbantur turbant sordent violantur

5.
Abbas possessa prebendam contio fessa
Inflatur vastat minuit declamitat astat.

6.
Militibus laude monachos mundalia fraude
Gaudet inescatur horret colit insidiatur.

7.
Subiecti stulti gnari contemptus inulti
Dissiliunt gaudent merent attollitur audent.

8.
Ordo pudicitia pietas doctrina sophia
Languet sordescit refugit rarescit hebescit.

9.
Insons pupillus humilis viduata pusillus
Plectitur artatur teritur premitur spoliatur.

10.
Ingenuus servus parasitus scurra protervus
Servit honoratur tonat imperitat domniatur.

11.
Elluo periurus raptor fallax Epicurus
Prestat ditatur viget excellit decoratur.

12.
Delicie fastus inimicitie tumor astus
Enervant turget exercentur furit urget.

13.
Blandimenta mine rabies usura rapine
Suadent adduntur sevit tractatur aguntur.

14.
Idcirco pesti detrimentum grave mesti
Cedimur incidimus patimur languescimus imus.

15.
Aër languores incendia mucro timores
Tabet adaugentur consumunt sevit habentur.

16.
Aurum censores pravi iusti meliores
Fallit falluntur presunt desunt rapiuntur.

17.
Giraldus mores deflendus ovile dolores
Prefuit ornavit ruit orbavit cumulavit.

18.
Omnipotens penis hostis paradisus amenis
Audi tollatur fugiat pateat foveatur.

 

1.
Beweint Beweinenswertes, scheuet Scheußliches, betrauert Trauriges,
fürchtet Fürchterliches, beklagt Beklagenswertes!

2.
D
ie Zeit verrinnt, die Jahre verfliegen, das Laster bleibt bestehen,
die Sünde weitet sich aus, Tyrannen treten auf.

3.
Die Tugend schwindet, die Kirche wird mit Füßen getreten,
den Klerus hat Ehrgeiz gepackt, der Mammon regiert, es herrscht die Simonie.

4.
Bischöfe begehen Verfehlungen, Könige werden bedrängt,
Adlige drängen sie, Kapellen verwahrlosen, Gesetze werden gebrochen.

5.
Der Abt bläht sich auf, verpraßt den Besitztum, verringert die Pfründe,
der Konvent hält eifrig Reden, steht müde daneben.

6.
An Rittern hat er Freude, wird von Lob geködert, Mönche scheut er,
er huldigt Weltlichem, ist hinterhältig und listig.

7.
Die Untertanen fliehen, die Dummen freuen sich, die Klugen trauern,
wer ehrlos ist, wird erhöht, ungestraft bricht man Regeln.

8.
Welk ist die Ordnung, die Keuschheit besudelt, Frömmigkeit auf dem Rückzug,
selten wird die Gelehrsamkeit, Weisheit ermattet.

9.
Unschuldig wird man bestraft, das Mündel bedrängt, der Geringe gemartert,
Witwen werden genötigt, der Schwache beraubt.

10.
Geknechtet wird der Freigeborene, der Knecht geehrt,
der Schmarotzer tönt, der Freche siegt, der Lebemann gebietet.

11.
Der Prasser steht prächtig da, reich der Meineidige,
der Räuber ist angesehen, der Betrüger erhaben, Epikur steht in Ehren.

12.
Vergnügungen entkräften, Hochmut strotzt, Feindschaften werden gepflegt,
Aufbrausen wütet, Verschlagenheit bedrückt.

13.
Schmeichelei erteilt Ratschlag, von Drohungen verfolgt, Raserei treibt ihr Unwesen,
Wucher wird praktiziert, Raub geht vonstatten.

14.
Deswegen weichen wir, verfallen wir der Pest, nehmen wir Schaden,
sind wir zutiefst erschlafft, machen wir traurig Platz.

15.
Die Luft verwest, Krankheit greift um sich, Brände verzehren,
es wütet das Schwert, alle sind in Furcht.

16.
Gold täuscht, Richter werden getäuscht, Schlechte stehen gut da,
Gerechte fehlen, die Besten werden dahingerafft.

17.
Giraldus war Vorstand, eine Zierde der Tugend, beweinenswert ging er zugrunde,
verwaist ist der Schafstall, er hat die Schmerzen vergrößert.

18.
Höre, Allmächtiger, den Schmerzen sei er entrissen, sein Feind soll ihn fliehen
das Paradies stehe ihm offen, mögen ihn Wonnen umhegen.
 

 
11 (lat.)
Versus de nummo


In terra summus rex est hoc tempore Nummus.
Nummum mirantur reges et ei famulantur.
Nummo venalis favet ordo pontificalis.
Nummus in abbatum cameris retinet dominatum.
Nummum nigrorum veneratur turba priorum.
Nummus magnorum fit iudex conciliorum.
Nummus bella gerit, nec si vult, pax sibi deerit.
Nummus agit lites, quia vult deponere dites.
Erigit ad plenum de stercore Nummus egenum.
Omnia Nummus emit venditque, dat et data demit.
Nummus adulatur, Nummus post blanda minatur.
Nummus mentitur, Nummus verax reperitur.
Nummms periuros miseros facit et perituros.
Nummus avarorum deus est et spes cupidoru
m.
Nummus in errorem mulierum ducit amorem.
Nummus venales dominas facit imperiales.
Nummus raptores facit ipsos nobiliores.
Nummus habet plures quam celum sidera fures.
Si Nummus placitat, cito cuncta pericula vitat.
Si Nummus vicit, dominus cum iudice dicit:
"Nummus ludebat, agnum niveum capiebat."
Nummus, rex magnus, dixit: "Niger est meus agnus".
Nummus fautores habet astantes seniores.
Si Nummus loquitur, pauper tacet; hoc bene scitur.
Nummus merores reprimit relevatque labores.
Nummus corda necat sapientum, lumina cecat.
Nummus, ut est certum, stultum docet esse disertum.
Nummus habet medicos, fictos a
cquirit amicos.
In Nummi mensa sunt splendida fercula densa.
Nummus laudatos pisces comedit piperatos.
Francorum vinum Nummus bibit atque marinum.
Nummus famosas vestes gerit et pretiosas.
Nummo splendorem dant vestes exteriorem.
Nummus eos gestat lapides, quos India prestat.
Nummus dulce putat, quod eum gens tota salutat.

Nummus et invadit et que vult oppida tradit.
Nummus adoratur, quia virtutes operatur:
Hic egros sanat, secat, urit et aspera planat,
Vile facit carum, quod dulce est, reddit amarum
Et facit audire surdum claudumque salire.
De Nummo quedam maiora prioribus edam:
Vidi cantantem Nummum, missam celebrantem;
Nummus cantabat, Nummus responsa parabat;
Vidi, quod flebat, dum sermonem faciebat,
Et subridebat, populum quia decipiebat.
Nullus honoratur sine Nummo, nullus amatur.
Quem genus infamat, Nummus: "Probus est homo!" clamat.
Ecce patet cuique, quod Nummus regnat ubique.
Sed quia consumi poterit cito gloria Nummi,
Ex hac esse schola non vult Sapientia sola.

 
11
Geld-Verse


Derzeit regiert das Geld als höchster Herrscher die Welt.
Das Geld bewundern die Könige, und sie dienen ihm.
Dem Geld gibt sich der Priesterstand, käuflich geworden, hin.
Das Geld behält seine Herrschaft in den Kammern der Äbte.
Das Geld wird verehrt von der Schar der schwarze Klostervorsteher.
Das Geld führt den Vorsitz der großen Konzile.
Das Geld führt Kriege, und wenn es will, fehlt es ihm auch nicht an Frieden.
Das Geld führt Prozesse, weil es seinen Reichtum in Sicherheit bringen will.
Das Geld erhebt den Bedürftigen aus dem Dreck zu voller Größe.
Das Geld kauft und veräußert alles, schenkt und nimmt Geschenktes weg.
Das Geld hofiert, nach Schmeicheleien droht das Geld.
Das Geld lügt, treu der Wahrheit zeigt sich das Geld.
Das Geld stürzt Meineidige ins Elend und läßt sie später zugrunde gehen.
Das Geld ist der Gott der Geizigen und die Hoffnung der Habsüchtigen.
Das Geld führt die Liebe von Ehefrauen auf Abwege.
Das Geld macht die Damen der Herrschenden käuflich.
Das Geld macht selbst die Adligsten zu Dieben.
Das Geld kennt mehr Diebe als Sterne der Himmel.
Wenn das Geld vor Gericht erscheint, entrinnt es schnell allen Gefahren.
Wenn das Geld sich durchgesetzt hat, sagen Herr und Richter gemeinsam:
"Das Geld hat gescherzt, es hat ein weißes Lamm gefangen."
Das Geld, der Großkönig, sagt: "Mein Lamm ist schwarz."
Des Geldes Anhänger sind die anwesenden Richter.
Wenn das Geld spricht, schweigt der Arme; das ist wohlbekannt.
Das Geld unterdrückt Trauer und lindert Nöte.
Das Geld tötet den Verstand der Weisen, Augen macht es blind.
Das Geld, das ist gewiß, lehrt den Dummen Redegewandtheit.
Das Geld findet Ärzte, es erwirbt sich falsche Freunde.
Die Tafel des Geldes strotzt vor herrlichen Speisen.
Das Geld verzehrt die gerühmten gepfefferten Fische.
Das Geld trinkt Wein: aus Frankreich und Übersee.
Das Geld trägt herrliche und wertvolle Kleider.
Seine Kleider verleihen dem Geld seinen äußeren Glanz.
Das Geld trägt jene Steinchen, die Indien uns schenkt.
Das Geld findet es schön, daß ihm das ganze Volk huldigt.
Das Geld kann jede Stadt sowohl einnehmen als auch verraten.
Das Geld wird angebetet, weil es Wunder bewirkt:
Es heilt Kranke, schneidet, sengt und glättet Unebenes,
das Wertlose macht es teuer, verwandelt, was süß ist, zu Bitterem.
Es läßt sowohl den Tauben hören als auch den Lahmen springen.
Ich will etwas Gewichtigeres über das Geld verkünden als das Bisherige:
Ich sah, wie das Geld sang und die Messe zelebrierte;
das Geld sang, das Geld erteilte die Antwortgesänge.
Ich sah, daß es weinte, als es die Predigt hielt,
und lachte, weil es das Volk so erfolgreich täuschte.
Keiner steht ohne Geld in Ehren, keiner wird geliebt.
Kommt jemand beim Volk in Verruf, ruft das Geld: "Er ist ein guter Mensch!"
Da wird jedem ersichtlich, daß das Geld überall regiert.
Weil aber die Pracht des Geldes schnell aufgebraucht sein kann,
will in dieser Fakultät einzig die Weisheit nicht sein.

 
13. latein/deutsch
 

1.
Invidus invidia comburitur intus et extra.

2.
Invidus alterius rebus macrescit opimis.
Invidia Siculi non invenere tyranni
Maius tormentum. qui non moderabitur ire,
Infectum volet esse, dolor quod suaserit aut mens.
Horatius, Ep. 1, 2, 57-60

3.
Invidiosus ego, non invidus esse laboro.

4.
Iustius invidia nichil est, que protinus ipsos
Corripit auctores excruciatque suos.

5.
Invidiam nimio cultu vitare memento.
Dist. Caton. 2, 13, 1
 

1.
Der Neider wird durch seinen Neid von innen wie außen verzehrt.

2.
Vor Neid auf den fetten Besitz eines anderen wird man mager.
Die sikulischen Tyrannen ersannen keine Pein, die schlimmer wäre als Neid.
Wer seinen Grimm nicht mäßigen kann, der wird wünschen,
es sei nie geschehen, was Schmerz oder Leidenschaft ihm rieten.


3.
Beneidet, nicht neidisch zu sein, darum bemühe ich mich.

4.
Nichts ist gerechter als Neid, weil der seine eigenen Schöpfer
unverzüglich erfaßt und zugrunde gehen läßt.

5.
Denke daran, daß du nicht durch allzu viel Pracht Neid aufkommen läßt.

 

   


 

17 (lat.)
Fortuna Imperatrix Mundi

 
17
Glück, die Kaiserin der Welt

 
1.
O Fortuna,
velut luna
statu variabilis,
semper crescis
aut decrescis;
vita detestabilis
nunc obdurat
et tunc curat
ludo mentis aciem,
egestatem,
potestatem
dissolvit ut glaciem.

2.
Sors immanis
et inanis,
rota tu volubilis,
status malus,
vana salus
semper dissolubilis,
obumbrata
et velata
michi quoque niteris;
nunc per ludum
dorsum nudum
fero tui sceleris.

3.
Sors salutis
et virtutis
michi nunc contraria,
est affectus
et defectus
semper in angaria.
hac in hora
sine mora
corde pulsum tangite;
quod per sortem
sternit fortem,
mecum omnes plangite!

 
1.
O Glück,
wie der Mond
im Zustand wechselhaft,
nimmst du ständig
zu oder ab;
dein abscheulicher Lebenswandel
lähmt jetzt
und erquickt dann, spielerisch,
den scharfen Verstand;
Elend und Macht
läßt es
schmelzen wie Schnee.

2.
Schicksal, gewaltig
und eitel,
du kreisendes Rad,
schlechter Stand,
flüchtiges Wohl,
jederzeit vergänglich,
verhohlen
und verborgen
richtest du dich auch gegen mich;
durch dein tückisches Spiel
trage ich nun
nichts am Rücken.

3.
Ein Schicksal aus Wohlergehen
und Stärke
hat sie mir abgewandt.
Mein Verlangen und
mein Bangen steht
allezeit unter seinem Gebot!
In diesem Moment,
ohne Aufschub
fangt an, die Saiten zu schlagen:
Daß es den Tüchtigen
durch Würfel niederstreckt,
beklaget alle mit mir!

 
18. latein/deutsch
 
 
1.
O Fortuna levis! cui vis das munera que vis,
Et cui vis que vis auferet hora brevis.

 
1.
O wankelmütiges Glück! Jedem gibst du nach deinem Gutdünken Geschenke,
und bei wem du es willst, nimmt ein kurzer Augenblick alles weg, was du willst.

 
2.
Passibus ambiguis Fortuna volubilis errat
Et manet in nullo certa tenaxque loco;
Sed modo leta manet, modo vultus sumit acerbos,
Et tantum constans in levitate manet.


 
2.
Unbeständig irrt Fortuna mit unentschlossenen Schritten,
und an keinem Ort verweilt sie zuverlässlich und fest.
Sondern sie ist mal fröhlich, mal zeigt sie ein schroffes Gesicht,
und beständig bleibt sie nur in ihrem Wankelmut.

Ovid, Trist: 5, 8, 15-18
3.
Dat Fortuna bonum, sed non durabile donum;
Attollit pronum, faciens de rege colonum.

 
3.
Glück gibt Gaben, jedoch keine Geschenke von Dauer,
Gefallene richtet es auf, macht Könige aber zu Bauern.

 
4.
Quos vult Sors ditat, quos non vult,
sub pede tritat.

 
4.
Bei wem ihm danach ist, macht das Schicksal Geschenke, bei wem nicht,
den zermalmt es unter seinen Füßen.

 
5.
Qui petit alta nimis, retro lapsus ponitur imis.
 
5.
Wer allzu Hohes erstrebt, fällt hintenüber und wird zu den Letzten gestellt.

 
20. latein/deutsch
 
Virtus est medium vitiorum utrimque reductum,
Et mala sunt vicina bonis; errore sub illo
Virtus pro vitio crimina sepe tulit.

Horaz, Ep. 1,18,9   Ovid, Remedia 323/24f.

Dum stultus vitat vitia, in contraria currit;
Fallit enim vitium specie virtutis et umbra.

Horaz, Sat. 1, 2, 24   Juvenal 14, 109
 
Die Tugend bildet die Mitte zwischen zwei Lastern, mit Abstand zu beiden,
und das Böse ist Nachbar des Guten; dadurch getäuscht,
muß die Tugend häufig anstelle des Lasters Vorwürfe erdulden.



Der Dumme läuft, indem er den einen Fehler meidet, dem anderen in die Arme.
Es trügt nämlich der Fehler durch den schemenhaften Schein einer Tugend.



 
38. latein/deutsch
 
Doctrine verba paucis prosunt sine factis.
Eloquium sanctum pretiosum fit super aurum.
Expers doctrine tenebras patictur ubique.
Est quasi vas vacuum, cui cura deest animarum.

Otloh Ratisbonensis ca. 1010 - ca. 1070
Kopist und Verfasser lateinischer
Schriften theologischen
Inhalts.

 
Gelehrte Worte ohne Taten nutzen nur wenigen.
Ein heiliger Ausspruch erweist sich kostbarer als Gold.
Wer ohne Bildung ist, wird überall Finsternis erdulden.
Wie ein leeres Gefäß ist, wem die Seelsorge abgeht.




 
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